OGH 8Ob109/20t

OGH8Ob109/20t14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 16.232,30 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. August 2020, GZ 4 R 42/20f‑22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 13. Februar 2020, GZ 35 R 35/19i‑15, Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132744

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.631,52 EUR (darin 271,92 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten zweiter Instanz und die mit 2.606,22 EUR (darin 195,87 EUR USt und 1.431 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Verfahrenskosten dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Garantieerklärung vom 30. 3. 2016 verpflichtete sich die Beklagte gegenüber der Klägerin zur Besicherung eines Haftrücklasses von 16.232,30 EUR und zur Zahlung eines Betrags bis zu dieser Höhe binnen 14 Bankarbeitstagen nach Einlangen des Originalschriftstücks, mit dem die Garantie in Anspruch genommen wird.

[2] Nach den Garantiebedingungen erlischt die Garantie am 17. 2. 2019. Das Inanspruchnahmeschreiben muss im Original bis spätestens an diesem Tag bei der Beklagtenvertreterin einlangen. Sollte der Fristablauf nicht auf einen Bankarbeitstag fallen, endet die Frist mit Ablauf des vorhergehenden Bankarbeitstages. Eine Inanspruchnahme mittels Telefax vor dem Laufzeitende reicht aus, wenn das Inanspruchnahmeschreiben im Original innerhalb weiterer 3 Bankarbeitstage (gerechnet ab Faxeingang) bei der Beklagtenvertreterin einlangt.

[3] Der 17. 2. 2019 war ein Sonntag. Am Nachmittag des 14. 2. 2019 langte bei der Beklagtenvertreterin eine E‑Mail von J* im Auftrag von Dkfm. V* GmbH, *, betreffend „Garantie zur Besicherung des Haftrücklasses, Begünstigter: P* GmbH, Auftragnehmer und Versicherungsnehmer: B* GmbH, *, Garantiebetrag: EUR 16.232,30“ und der Bitte um Beachtung des Anhangs ein. Im Anhang war eine pdf-Datei mit der gescannten (unterfertigten) Erklärung der Klägerin über die Inanspruchnahme der Garantie im vollen Betrag. Das unterfertigte Original des Inanspruchnahmeschreibens langte per Post am 18. 2. 2019 (Montag) bei der Beklagtenvertreterin ein.

[4] Die Klägerin begehrt die Zahlung des Garantiebetrags. Die Übermittlung eines gescannten Schriftstücks mit Unterschrift sei der Übermittlung eines solchen Schriftstücks mittels Telefax technisch gleichwertig.

[5] Die Beklagte bestreitet, das Inanspruchnahmeschreiben sei erst am 18. 2. 2019 und somit außerhalb der Gültigkeitsdauer der Garantie eingelangt. Eine Inanspruchnahme vorab per E-Mail sei nicht vorgesehen.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, dass kein berücksichtigender Grund bestehe, der ein Abweichen vom Wortlaut der Garantie rechtfertige. Umstände, die es der Klägerin unmöglich gemacht hätten, die in der Garantieerklärung angeführten Formerfordernisse zu erfüllen, habe die Klägerin nicht vorgebracht.

[7] Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass es der Klage statt gab. Mit der getroffenen Regelung hätten die Parteien erkennbar den Zweck verfolgt, der Klägerin zum Ende der Laufzeit hin einen zeitlich flexiblen Abruf der Garantie zu ermöglichen. Indem sie für die Übermittlung des „Vorab‑Abrufs“ ein Telefax genügen ließen, hätten sie auf eine Echtheitsüberprüfung zunächst verzichtet und dies dadurch ausgeglichen, dass sie das Erfordernis des fristgerechten Einlangens des Originals vereinbarten. Diesbezüglich bestünde kein relevanter Unterschied zwischen einem Telefax und einem Anhang zu einer E-Mail. Bei beiden Kommunikationsformen bestünden größere Fälschungsmöglichkeiten als bei einem Originaldokument. Der technische Vorgang der Umwandlung der Information vom Papier in elektronische Form und zurück sei vergleichbar. Ein relevanter Unterschied zwischen Fax und Mail-Anhang werde von der Beklagten nicht dargetan. Es sei auch nicht erkennbar, dass das Telefax in höherem Maße den Zweck erfüllen können sollte, dem Garanten einen Beleg für die Erklärung zu verschaffen und die Bearbeitung zu erleichtern. Insgesamt sei der Abruf der Garantie durch das dem E-Mail angeschlossene Inanspruchnahmeschreiben nach dem Zweck, den die Parteien mit dem der Klägerin eingeräumten Recht, die Garantie vorab per Telefax abzurufen, gleichwertig. Der Abruf sei demnach ungeachtet des Umstands, dass er nicht in der vereinbarten Form abgegeben worden sei, wirksam erfolgt.

[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der Frage, ob für einen Garantieabruf von der Gleichwertigkeit einer Telefaxübermittlung und eines E‑Mails auszugehen sei, erhebliche Bedeutung für die Wahrung der Rechtsentwicklung zukomme.

[9] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

[12] 1. Nach der Rechtsprechung hat der Garant vom Begünstigten die strikte, „pedantisch genaue“ Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen zu verlangen („formelle Garantiestrenge“; RIS‑Justiz RS0016983; vgl auch RS0016999). Dabei geht es auch darum, dass die Rückgriffsansprüche des Garanten dadurch gesichert werden sollen und sich dieser nicht in einen Streit zwischen Auftraggeber und Begünstigten hineinziehen lassen und die damit verbundenen Risken übernehmen muss (RS0016952).

[13] Entspricht etwa ein bei der Inanspruchnahme der Garantie vorzulegendes Dokument nicht dem in der Garantieurkunde vorgeschriebenen Inhalt, dann liegt keine formgerechte Inanspruchnahme vor, und der Garant kann die im Garantievertrag verbriefte Leistung ablehnen (1 Ob 160/02i mwN).

[14] 2. Auch die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB (RS0033002; RS0017670). Dem steht der Grundsatz der formellen Garantiestrenge nicht entgegen, weil dieser kein Selbstzweck ist, sondern nur soweit trägt, als dies dem Willen der Vertragsparteien entspricht (RS0033002).

[15] Dabei ist auf die konkreten Umstände, insbesondere auf den Geschäftszweck und die Interessenlage der Beteiligten Bedacht zu nehmen (4 Ob 124/00i ua). Wegen des abstrakten Charakters der Garantie ist im Regelfall nur der Text der Garantieerklärung für die Interpretation maßgeblich, weil der Erklärungsempfänger der Garantieerklärung von vornherein keine Bedeutung unterstellen darf, die sich für ihn aus dem Grundverhältnis ergibt (RS0017670 [T16]). Ist der Wortlaut der Garantieerklärung nicht eindeutig, ist nach § 914 ABGB aber auch auf die Absicht der Parteien Bedacht zu nehmen und der Vertrag so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (8 Ob 96/11t). Diese ist aufgrund einer Analyse der beiderseitigen Interessen zu ermitteln, was nicht selten zur Maßgeblichkeit (allein) des Wortlauts führen wird (4 Ob 149/06z).

[16] 3. Ein Abweichen vom Wortlaut wurde vor allem dann als zulässig angesehen, wenn sich der Sachverhalt unvorhergesehen entwickelt hatte (zB 7 Ob 2135/96p) oder wenn Urkunden vorzulegen waren, deren Inhalt der Begünstigte nicht beeinflussen konnte (vgl 1 Ob 44/05k). Diesen Fällen ist gemeinsam, dass die Auszahlung der Garantie nicht (allein) von einer Erklärung des Begünstigten abhing, sondern von „externen“, oft mit dem Grundverhältnis verketteten Umständen.

[17] Allerdings ist auch anerkannt, dass bei rechtsgeschäftlich vereinbarten Formerfordernissen der Zweck der Vereinbarung zu ermitteln ist. Eine Inanspruchnahmeerklärung kann daher wirksam sein, obwohl die vereinbarte Form nicht eingehalten wurde, wenn dies mit dem Zweck der Formabrede vereinbar ist. Das Recht auf „präzise, ja nachgerade pedantisch genaue Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen“ gilt daher nur „im Zweifel“, wobei man zugestehen kann, dass die Gründe für eine gegenteilige Interpretation aus den Umständen des Einzelfalls gut abgesichert sein müssen (vgl 9 ObA 319/99y mwN).

[18] Beispielsweise wurde zu 9 ObA 319/99y die Rechtsauffassung als vertretbar angesehen, dass die Voraussetzung des „Einschreibens“ nur den Zweck hat, den Begünstigten bei Bestreitung auf den Urkundenbeweis einzuschränken und es daher der Wirksamkeit der Abrufung der Garantie auch nicht schadet, wenn die aus der Garantieerklärung verpflichtete Bank das Aufforderungsschreiben tatsächlich fristgerecht erhalten hat.

[19] 4. Im konkreten Fall haben die Parteien vereinbart, dass die Inanspruchnahme der Garantie mittels Telefax vor dem Laufzeitende ausreicht, wenn das Inanspruchnahmeschreiben im Original innerhalb weiterer drei Bankarbeitstage einlangt.

[20] Dem hat die Klägerin bei der Abrufung nicht entsprochen, da sie vor Laufzeitende weder das Original noch ein Telefax übermittelt hat, sondern ein E-Mail mit einem entsprechenden Anhang.

[21] Unstrittig lag kein Fall vor, in dem die Klägerin die Einhaltung der vereinbarten Garantiebedingungen nicht selbst beeinflussen konnte, noch hat sie ein Vorbringen erstattet, dass Umstände vorlagen, die ihr im konkreten Fall deren Beachtung unmöglich gemacht hätte.

[22] Vielmehr beruft sie sich ausschließlich darauf, dass Telefax und E-Mailanhang mit dem gleichen technischen Vorgang generiert würden, weshalb kein Unterschied in den Übermittlungsarten und kein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Beklagten erkennbar sei. Auch das Berufungsgericht sah ausgehend vom Zweck der Formvorschrift ein E-Mail als ausreichend an.

[23] Richtig ist – wie das Berufungsgericht ausführt – dass die Regelung primär den Zweck verfolgt, dem Begünstigten zum Ende der Laufzeit hin einen zeitlich flexiblen Abruf der Garantie zu ermöglichen. Dazu wurde zwar unter der Bedingung des späteren Einlangens des Originals eine (zunächst) nur eingeschränkte Echtheitsprüfung in Kauf genommen, insoweit ist der Klägerin zuzustimmen, dass kein relevanter Unterschied zwischen Telefax und eingescanntem E-Mailanhang besteht.

[24] Die Vereinbarung der Telefaxübertragung bezweckt aber auch eine gesichertere Kommunikation zwischen den Parteien. Durch sie bleibt – zumindest in der Regel – das Gerät, von dem aus die Übertragung erfolgt, leichter identifizierbar. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass etwa im vorliegenden Fall das E-Mail nicht von der Klägerin stammt, was unabhängig vom Betreff und dem Anhang eine Zuordenbarkeit zumindest erschwert. Gleichzeitig ermöglicht eine Telefaxübertragung – nicht nur, aber auch – gerade in größeren Einheiten das Einlangen entsprechender Nachrichten zu zentrieren und sicherzustellen, dass sie nicht übersehen werden oder, was bei E-Mails leicht möglich ist, durch den Spam-Filter aussortiert wird. Sie dient daher nicht nur dem Interesse des Begünstigten an einer flexibleren Vorwegabrufung der Garantie, sondern auch denen des Garanten an einer gesicherten Kenntnisnahme und klareren Zuordenbarkeit der Abrufung, indem er den Kommunikationsweg bestimmt, durch den eine entsprechende Bekanntgabe bei ihm einlangt.

[25] Damit kann aber nicht von einer sich aus dem Zweck der Vereinbarung ergebenden Gleichwertigkeit von Telefax und E-Mail ausgegangen werden. Vielmehr bestehen berechtigte Interessen der Beklagten an der Einhaltung der vereinbarten Form, während die Klägerin keine Gründe für die Nichteinhaltung dieser Form geltend macht. Dabei kommt es auf die Art der technischen Generierung der Nachricht nicht an, weshalb den von der Klägerin vermissten Feststellungen der technischen Gleichwertigkeit der beiden Übermittlungsarten keine Bedeutung zukommt.

[26] 5. Aus den dargelegten Gründen ist das Bestehen der Beklagten auf die Einhaltung der vereinbarten Form auch nicht sittenwidrig, wobei zusätzlich – wie ausgeführt – die formelle Garantiestrenge auch dazu dient, die Rückgriffsansprüche des Garanten zu sichern.

[27] 6. Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die erstinstanzliche Entscheidung wieder herzustellen.

[28] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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