OGH 10ObS59/21f

OGH10ObS59/21f13.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Dr. Mario Höller‑Prantner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2020, GZ 12 Rs 83/20 t‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132856

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nur die Teilnahme eines mit Erfolg abgelehnten Richters an der Entscheidung begründet eine Nichtigkeit (RS0007462). Wurde die Ablehnung hingegen – wie hier die Ablehnung des Berufungssenats durch den Revisionswerber – nicht für gerechtfertigt erkannt, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO nicht vor (RS0007462 [T1]).

[2] 2. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Der Revisionswerber meint, es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Erwägungen das Berufungsgericht einen vom Kläger vorgelegten Befund eines Facharztes für Hals‑, Nasen‑ und Ohrenheilkunde als „dubios“ bezeichne und nicht als geeignet ansehe, einen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer relevanten Beeinträchtigung des Hör-bzw Sprachverständnisses des Klägers zu bilden.

[3] Mit diesem Vorbringen lässt der Revisionswerber die sich über fast drei Seiten erstreckende Begründung des Berufungsgerichts außer Acht, mit der es darlegte, aus welchen Gründen es dem vorgelegten Befund keine entscheidende Bedeutung zumaß. Darin nahm das Berufungsgericht ausführlich auf den Gang des Verfahrens Bezug, insbesondere darauf, dass sich der im Befund beschriebene hohe Leidensdruck des Klägers wegen mangelnden Sprachverständnisses nicht mit seinen Beschwerdeangaben im Verwaltungsverfahren sowie in der Klage und gegenüber den bestellten gerichtlichen Sachverständigen deckte, wobei er konkret dem Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie gegenüber Hörbeschwerden sogar ausdrücklich verneinte und derartige (massive) Beschwerden erstmals nach Vorliegen des berufskundlichen Sachverständigengutachtens, in dem er auf den Beruf des Telefonisten verwiesen wurde, geltend machte. Das Berufungsgericht berücksichtigte darüber hinaus den Umstand, dass eine telefonische Befundaufnahme mit dem Kläger ohne dokumentierte Probleme stattgefunden hatte. Aus diesen Ausführungen ergibt sich deutlich, aufgrund welcher aktenkundiger Anhaltspunkte das Berufungsgericht den vom Kläger behaupteten Mangel des Verfahrens erster Instanz, der in der unterbliebenen Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Hals‑, Nasen‑ und Ohrenheilkunde liegen sollte, nicht als gegeben ansah. Von einer mangelnden Nachprüfbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO kann daher nicht die Rede sein.

[4] 3. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz bildet nach ständiger Rechtsprechung – auch in Sozialrechtssachen (RS0043061) – keinen Revisionsgrund (RS0042963; RS0043919; RS0106371). An dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in Kenntnis der in der Literatur geführten Diskussion (Lovrek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 503 ZPO Rz 103 ff; Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO, § 503 Rz 17 ff; Trenker, Der vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmangel erster Instanz als tauglicher Revisionsgrund, JBl 2020, 757 und 825; gegen die Aufgreifbarkeit G. Kodek, Zugang zum OGH bei Verfahrensmängeln: Versuch einer Klarstellung, Zak 2020, 29; Rassi, Der vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmangel erster Instanz als tauglicher Revisionsgrund – eine Replik, JBl 2021, 157) in jüngerer Zeit festgehalten (1 Ob 127/21i; 2 Ob 69/21t; 3 Ob 40/21k; 4 Ob 76/21m; 5 Ob 40/21z; 6 Ob 61/21w; 7 Ob 70/21a; 8 Ob 7/21v; 9 Ob 38/21k; 10 ObS 100/21k). Die in der Revision behauptete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung – aus der der Revisionswerber das Vorliegen einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ableitet – liegt daher nicht vor.

[5] 4. Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]). Nur wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat, liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor (RS0040597 [T3, T4]; RS0043086).

[6] Dies ist hier nicht der Fall. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, mit der der Revisionswerber versucht, das vom Berufungsgericht gebilligte Unterbleiben der Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Hals‑, Nasen‑ und Ohrenheilkunde einer Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof zu unterziehen, wurde geprüft, sie liegt aber nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[7] Die Revision ist daher mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Stichworte