European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132987
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsgegner ist schuldig, dem Antragsteller die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Antragsgegner war als Vater des damals noch minderjährigen Antragstellers aufgrund des Urteils eines Schweizer Gerichts – allerdings nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres seines Kindes – verpflichtet, bestimmte monatliche Unterhaltsbeiträge zu leisten.
[2] Der Sohn begehrte nach Erreichung der Volljährigkeit und mit der Behauptung, sein (weiterhin unterhaltspflichtiger) Vater habe die Zahlungen eingestellt, monatliche Unterhaltsbeiträge in Höhe von 1.475 EUR seit 1. 10. 2019.
[3] Der Antragsgegner äußerte sich trotz Belehrung nach § 17 AußStrG nicht, woraufhin ihn das Erstgericht zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen in Höhe von 1.290 EUR ab 1. 10. 2019 verpflichtete.
[4] Binnen der Rekursfrist von 14 Tagen langte bei Gericht ein namens des Antragsgegners von Schweizer Rechtsanwälten (Avocat‑Notaire) ausgeführter und postalisch eingebrachter Schriftsatz mit der Bezeichnung „Rekurs“ ein.
[5] Den in diesem Schriftsatz erkennbar enthaltenen Antrag, dem Antragsgegner die Wiedereinsetzung in die versäumte Äußerungsfrist nach § 17 AußStrG zu bewilligen, wies das Erstgericht ab.
[6] Auch gegen diesen Beschluss wurde zeitgerecht binnen 14 Tagen ab Zustellung ein (wiederum) per Post eingebrachter Rekurs namens des Antragsgegners durch seine Schweizer Rechtsvertreter erhoben.
[7] Das Rekursgericht trug dem Erstgericht den Auftrag zur fristgebundenen Verbesserung beider Rekurse durch Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr (ERV) auf. Es sei zwar, weil im Verfahren keine absolute, sondern (bloß) relative Anwaltspflicht bestehe, die Benennung eines Einvernehmensanwalts im Sinn des § 5 Abs 1 EIRAG nicht erforderlich, als dienstleistende europäische Rechtsanwälte gemäß § 1 Abs 1 EIRAG seien die Schweizer Rechtsanwälte aber gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG verpflichtet, am ERV teilzunehmen.
[8] Dem kam das Erstgericht nach, wobei es die Belehrung erteilte, dass die Rekurse bei Nichtentsprechung binnen 14 Tagen wegen Formmangels zurückgewiesen würden.
[9] Zwar äußerten sich die Schweizer Rechtsvertreter fristgerecht, allerdings (wieder) mittels eines zur Post gegebenen Schreibens, in dem sie mitteilten, dass die in der Schweiz seit 2011 bestehende gesetzliche Regelung für den elektronischen Rechtsverkehr im Bereich der Zivil‑ und Strafprozesse „in keiner Weise ein Obligatorium“ darstelle und alternativ dazu die Möglichkeit der postalischen Zustellung bestünde. In der Schweiz erfolge der elektronische Rechtsverkehr über die elektronische Signatur, welche auf einer Zertifizierungsinfrastruktur beruhe, die von vertrauenswürdigen Dritten verwaltet werde. Dabei handle es sich um ein sehr komplexes Verfahren, das sich noch in den Kinderschuhen befinde. „Die Kanzlei“ verfüge über keine elektronische Signatur, es sei daher „der Kanzlei“ „beim besten Willen“ technisch unmöglich, der Aufforderung zur elektronischen Eingabe Folge zu leisten und aufgrund dessen „der Versand der eingereichten Schriften auf dem postalischen Weg als zulässige Form anzuerkennen“. Wenn der Zugang zur Justiz aufgrund eines technischen Erfordernisses, über welche nicht alle Beteiligten an einem Verfahren verfügen, respektive verfügen könnten, vereitelt werde, läge darin „eine klare Rechtsverletzung jeglicher Grund- und Menschenrechte“.
[10] Das Rekursgericht wies beide Rekurse (infolge unbefolgt gebliebenen Verbesserungsauftrags) mangels Einbringung im ERV zurück. Es begründete dies mit der aus § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2012/26 resultierenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. Diese Pflicht gelte auch für dienstleistende europäische Rechtsanwälte im Sinn des § 1 Abs 1 EIRAG, wenn diese Mandanten vor österreichischen Gerichten vertreten. Dass dem Rekurswerber (seinen Rechtsvertretern) selbst die technische – auf Softwareebene liegende – Voraussetzung zur Teilnahme am österreichischen ERV fehle, vermöge die Verpflichtung des für ihn einschreitenden Rechtsanwalts zur Teilnahme am ERV nicht zu hindern, weil sich die in § 89c Abs 5 GOG verwendete Formulierung „nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten“ auf die IT‑Ausstattung im Bereich der Justiz selbst bezieht. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage nicht vorliege.
[11] Den rechtzeitig – aber erneut bloß postalisch eingebrachten – Revisionsrekurs des Antragsgegners legte das Erstgericht zuerst dem Rekursgericht vor. Dieses erteilte die Belehrung, dass das Rechtsmittel als außerordentliches zu werten und daher dem Obersten Gerichtshof unmittelbar vorzulegen sein werde, allerdings erst nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens, weil im Verfahren über den Revisionsrekurs absolute Anwaltspflicht bestehe und demgemäß der Revisionsrekurs (neben der Einbringung im ERV) der Unterfertigung durch einen österreichischen Einvernehmensrechtsanwalt bedürfe. Dieser Verrbesserungsauftrag wurde frist‑ (und form‑)gerecht befolgt.
[12] In seinem vom Antragsteller beantworteten außerordentlichen Revisionsrekurs trägt der Antragsgegner vor, für „die Unterzeichnende“ (gemeint die für ihn einschreitende Schweizer Rechtsanwältin) hätten sich innerhalb der kurzen 14‑tägigen Frist keine „entsprechenden technischen Möglichkeiten zur elektronischen Eingabe ergeben“, sodass sie zur Fristwahrung entschieden habe, die Rekursschrift auf postalischem Weg einzureichen. Es gehe um eine erhebliche Rechtsfrage, „nämlich das Festhalten an der Pflichterfordernis der elektronischen Eingabe insbesondere bei Anwälten ausländischer Herkunft und mit Sitz und Tätigkeitsgebiet außerhalb Österreichs“, sowie „insbesondere die Aufforderung diese innert einer 14‑tägigen Frist vorzunehmen“. Ein solches Formerfordernis erschwere den Zugang zur Justiz und schränke die Geltendmachung von Rechten in unzulässiger und nicht legitimer Weise ein; das Festhalten an diesem Formerfordernis stelle bei Anwälten außerhalb Österreichs, in deren Land kein solches Obligatorium bestehe, einen überspitzten, unzulässigen Formalismus dar, welcher durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt sei. Es sei zumindest eine verhältnismäßige Frist zu gewähren. Wenn der Zugang zur Justiz aufgrund eines technischen Erfordernisses, über welches nicht alle Beteiligten am Verfahren verfügen, respektive verfügen könnten, vereitelt (weil mit einer Zurückweisung sanktioniert) werde, wäre dies eine „klare Rechtsverletzung jeglicher Grund- und Menschenrechte (Gleichheitsgebot, Diskriminierungsverbot, freier Zugang zur Justiz)“.
[13] Bisher ergangene Entscheidungen des Höchstgerichts, in denen auf die verpflichtende Teilnahme dienstleistender Rechtsanwälte iSd § 1 Abs 1 EIRAG am ERV bei Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gerichten hingewiesen wurde, betrafen Fälle absoluter Anwalts- (bzw Vertretungs‑)pflicht und die fehlende Beiziehung eines Einvernehmensanwalts (2 Ob 36/15f; 2 Ob 12/16b; 10 Ob 47/16h; 2 Ob 117/17w; 6 Ob 177/17y; 6 Ob 116/18d; 8 Ob 94/20m). Es bedarf daher der Klarstellung, ob auch in einem Verfahren, in dem vom einschreitenden dienstleistenden Rechtsanwalt kein Einvernehmensanwalt genannt werden muss (etwa weil [bloß] relative Anwalts- [oder Vertretungs‑]pflicht [RS0130040] oder aber gar keine Anwaltspflicht besteht), für als berufsmäßige Parteienvertreter einschreitende dienstleistende Rechtsanwälte die Verpflichtung besteht, am ERV teilzunehmen. Der Revisionsrekurs ist daher zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[14] 1. Vorweg sei festgehalten, dass sich eine Partei in Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Kindern und ihren Eltern – in erster und zweiter Instanz – nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss; sie kann ihre Sache selbst vertreten. Dem Antragsgegner war zum Antrag seines Sohnes der aufklärende Hinweis erteilt worden, dass dieser grundsätzlich einen Anspruch auf 22 % des anrechenbaren Nettoeinkommens habe, wenn keine weitere gesetzliche Sorgepflicht besteht, sich dessen Eigeneinkommen unterhaltsmindernd auswirkt und nach Vorliegen der Einkommensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Vaters die Höhe der Unterhaltsleistung ermittelt werden kann. Warum ihm die (im Rahmen der Mitwirkungspflicht gebotene) Darlegung seines Einkommens nicht möglich gewesen wäre, lässt sich nicht erkennen. Er hätte sich also durch ein selbstverfasstes Schreiben (im Sinne der ihm freigestellten Äußerung nach § 17 AußStrG) am Verfahren erster Instanz beteiligen oder einen selbst verfassten Rekurs einbringen können; diese Schriftsätze hätten nicht im ERV eingebracht werden müssen.
[15] Soweit sich nun aber eine Partei in Verfahren über den Unterhalt zwischen Kindern und ihren Eltern, deren Streitwert – wie hier – an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR übersteigt, vertreten lassen möchte, besteht gemäß § 101 Abs 1 AußStrG (schon) im Verfahren erster und zweiter Instanz Anwaltspflicht (relative Anwaltspflicht).
[16] 2. Die Partei muss keinen österreichischen Rechtsanwalt hinzuziehen. Innerhalb der Europäischen Union kann ihre Vertretung vor Gericht entsprechend der Bestimmungen des EIRAG, das der innerstaatlichen Umsetzung der Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie (RL 98/5/EG ) dient (ErläutRV 59 BlgNR 21. GP 12 zum EuRAG), auch durch einen europäischen Rechtsanwalt erfolgen. Zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in der Schweizerischen Eidgenossenschaft berechtigte Rechtsanwälte sind europäische Rechtsanwälte iSd § 1 Abs 1 EIRAG.
[17] Europäische Rechtsanwälte dürfen, „soweit sie Dienstleistungen im Sinn des Art 50 EGV [nun Art 57 AEUV] erbringen“, in Österreich vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen, wobei sie jedoch (als dienstleistende europäische Rechtsanwälte) den sich aus den Bestimmungen dieses Teils („2. Teil Freier Dienstleistungsverkehr“) ergebenden Beschränkungen unterliegen (§ 2 EIRAG).
[18] Die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien (Art 6 Abs 1 RL 98/5/EG ; zuvor Art 4 Abs 1 RL 77/249/EWG ) betonen, dass sowohl der dienstleistende Rechtsanwalt als auch der niedergelassene europäische Rechtsanwalt die Berufs- und Standesregeln des Aufnahmestaats (hier also die einschlägigen österreichischen Normen) zu beachten haben (20 Os 2/14s).
[19] 3. Zu den Berufspflichten des Rechtsanwalts als berufsmäßiger Parteienvertreter (die im Übrigen etwa auch Notarinnen und Notaren, Kredit- und Finanzinstituten, den Sozialversicherungsträgern und anderen Einrichtungen auferlegt ist) zählt gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2012/26 die – nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten – verpflichtende Teilnahme am ERV, also die Einbringung von Schriftsätzen im Wege des ERV im Verkehr mit Gerichten (§§ 89a ff GOG; Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr, BGBl II 2005/481 idF BGBl II 2012/53 [ERV 2006]) und Staatsanwaltschaften (§ 34a Abs 5 StAG). Korrespondierend damit wird dem Rechtsanwalt in den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (RL‑BA 2015; kundgemacht auf der Homepagedes Österreichischen Rechtsanwaltskammertages [http://www.rechtsanwaelte.at ] am 26. 9. 2015 und am 15. 5. 2017) aufgetragen, dafür Sorge zu tragen, dass ihm Einrichtungen zur Beteiligung am ERV mit den Gerichten zur Verfügung stehen, die zur Wahrung, Verfolgung und Durchsetzung der ihm anvertrauten Interessen notwendig sind (§ 40 Abs 4 RL‑BA 2015).
[20] 4. Der ERV soll den Verfahrensbeteiligten die papierlose Kommunikation mit den Gerichten ermöglichen (ErläutRV 1169 BlgNR 22. GP 1, 35), was schon aus ökologischer Sicht zu bevorzugen ist (und daneben auch zu bedeutenden Einsparungen für die Justiz führt[s ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 97]). Durch seine Einführung wurde den Parteien insbesondere die Übermittlung auch umfangreicherer Beilagen erleichtert. Dieses Formerfordernis ist daher – anders als der Antragsgegner meint – nach seiner Intention nicht bloß „überspitzter“ oder „unzulässiger Formalismus“. Der ERV dient vielmehr der schnelleren und papierlosen Kommunikation zwischen den durch berufsmäßige Parteienvertreter agierenden Parteien und den Gerichten im Rahmen der Rechtspflege und damit auch einem „aus der geordneten Rechtspflege hergeleiteten Grund des Allgemeininteresses“ (vgl EuGH Rs C‑739/19 Rn 32).
[21] Die Formulierung „nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten“ bezieht der Gesetzgeber auf die IT‑Ausstattung im Bereich der Justiz (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 98). Dass ein Rechtsanwalt trotz der ihm auferlegten Ausstattungspflicht (für sich) keine entsprechende „technische Möglichkeit“ (entsprechende IT‑Ausstattung) für die Teilnahme am ERV geschaffen hat, entpflichtet ihn demnach nicht. Er kann sich bei Einbringung in Papierform lediglich auf den in die ERV 2006 aufgenommenen Ausnahmefall (der im Übrigen schon in der Eingabe zu bescheinigen ist), dass „die konkreten technischen Möglichkeiten im Einzelfall ausnahmsweise nicht vorliegen“, berufen. Eine ohne nähere Begründung aufgestellte Behauptung des Einschreiters, dass die Einbringung auf elektronischem Weg nicht möglich sei, genügt jedenfalls nicht (RS0128266 [T9]). Die herkömmliche Eingabe auf Papier (und damit den Postversand) nach § 1 Abs 1c ERV 2006 rechtfertigende Einzelfälle könnten bescheinigte Serverabstürze, Festplattencrashes, Stromausfälle, Internetunterbrechungen, das technische Nichterreichen der eigenen Übermittlungsstelle oder ein zu großer Umfang der Einzelbeilagen für eine Sendung sein. Durch einen generell fehlenden Anschluss an das System der Justiz ist der in dieser Bestimmung normierte Einzelfall nicht gegeben (Schneider/Gottwald Glosse zu 10 ObS 34/14s, EvBl 2014/127). Die Pflicht am ERV teilzunehmen, kann dadurch also nicht entfallen.
[22] Der Umstand, dass seine Schweizer Rechtsvertreter (behauptetermaßen) nicht über eine elektronische Signatur verfügen (können), stellt – anders als der Revisionsrekurswerber meint – kein Hindernis für die Teilnahme am ERV dar. Nach § 89c Abs 2 GOG bedarf es nur dann der Unterfertigung der Eingabe „mit einer geeigneten elektronischen Signatur“, „soweit dies in der Verordnung nach § 89b Abs. 2 angeordnet ist“ und es „kann auch ein anderes sicheres Verfahren, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt, angewandt werden“. Eine entsprechende Anordnung einer Unterfertigung durch elektronische Signatur fehlt in der ERV 2006, sodass die Möglichkeit einer elektronischen Signatur bei Einbringung eines Schriftsatzes im ERV keine Voraussetzung ist.
[23] Auch aus dem Ausland kann der ERV genutzt werden (Schneider/Gottwald aaO; so auch Schumacher, Glosse zu 2 Ob 36/15f, AnwBl 2016, 221), und zwar im Wege einer (auf http://edikte.justiz.gv.at/erv kundgemachten) ERV‑Übermittlungsstelle, bei der ein – in der Regel in kurzer Zeit (nach Prüfung der Daten) – vergebener ERV‑Anschriftcode beantragt werden kann. Anschließend bzw parallel dazu ist eine ERV‑Software (erhältlich bei einem ebenfalls unter http://edikte.justiz.gv.at/erv kundgemachten Softwareanbieter) zu besorgen; dabei besteht zumindest bei einem der Anbieter auch die Möglichkeit eines browserbasierten ERV‑Clients, wofür keine Installation am Endgerät des ERV‑Teilnehmers notwendig ist.
[24] 5. Die Ausführungen des Antragsgegners zur Unmöglichkeit der Einbringung in „einer Form, über welche nicht alle Beteiligten am Verfahren verfügen könnten,“ gehen demnach ins Leere. Eine „klare Rechtsverletzung jeglicher Grund- und Menschenrechte (Gleichheitsgebot, Diskriminierungsverbot, freier Zugang zur Justiz)“ kann im Erfordernis der Einbringung im ERV bei Vertretung durch einen dienstleistenden europäischen Anwalt – wenn diese Wertung noch dazu auf einer unrichtigen Prämisse [technische Unmöglichkeit der Teilnahme] beruht – nicht erblickt werden.
[25] § 4 Abs 1 EIRAG räumt diesem bei Ausübung einer Tätigkeit, die mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden zusammenhängt, die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalts ein. Gerade aus Gründen einer Hintanhaltung einer Diskriminierung der Anwälte mit Sitz im Inland ist es damit nur sachgerecht, ja geboten, ihm auch die gleichen Pflichten aufzuerlegen. Dies ist in § 4 Abs 1 EIRAG mit der Wendung, dass die dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte „insbesondere dessen Rechte und Pflichten“ haben, auch verdeutlicht. Eine Einschränkung erfahren diese (gleichen) Pflichten (und Rechte) im Bereich der Vertretung vor Gerichten nur „soweit diese“ „die Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer oder den Kanzleisitz betreffen“. Weniger streng sind die Anforderungen an dienstleistende europäische Anwälte nach Abs 2 leg cit (bloß) bei der Ausübung „sonstiger rechtsanwaltlicher Tätigkeiten“ (also anderer als im Bereich der Rechtspflege oder der Vertretung vor Behörden). Dabei haben sie die in Österreich geltenden Regeln für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft „soweit“ einzuhalten, als sie von ihnen als dienstleistende Rechtsanwälte beachtet werden können, und nur insoweit, als ihre Einhaltung objektiv gerechtfertigt ist, um eine ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit des Rechtsanwalts sowie die Beachtung der Würde des Berufs und der Unvereinbarkeiten zu gewährleisten.
[26] Aus der Gleichstellung dienstleistender europäischer Anwälte mit den in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwälten resultiert damit im Hinblick auf die Vertretung im Gerichtsverfahren – anders als der Antragsgegner meint – vielmehr das Gebot der Gleichbehandlung durch das Gericht (so schon Pfeifenberger, Der ausländische Rechtsanwalt im inländischen gerichtlichen Verfahren, RZ 2001, 273 ff [noch zum EuRAG], die beispielhaft schlussfolgert, es könne durch allfällige Unkenntnis inländischen Rechts nicht zu einer Ausdehnung der bestehenden richterlichen Anleitungspflicht kommen).
[27] Das hier in Rede stehende Formerfordernis besteht ohne Diskriminierung dahin, ob Partei und/oder Anwalt ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat haben. Die RL 98/5/EG zielt nach ihrem Erwägungsgrund 2 weder darauf ab, die im Aufnahmestaat geltenden Berufs- und Standesregeln zu ändern, noch den betreffenden Anwalt ihrer Anwendung zu entziehen (vgl auch das Ziel des Bietens der „gleichen Möglichkeiten“ in Erwägungsgrund 6).
[28] Bei der Kommunikation zwischen Gericht und berufsmäßigem Parteienvertreter ist zudem auch das Ziel einer geordneten Rechtspflege zu beachten; die Teilnahme am ERV ist auch vom Ausland aus möglich und stellt kein wesentliches oder binnen 14 Tagen nicht „überwindbares“ Hindernis dar. Einschreiten in Österreich (vor Gericht) erfordert nach den Berufspflichten die Verfügbarkeit der technischen Einrichtungen (schon bei Übernahme des Mandats), spätestens jedenfalls bei Ausführung der notwendigen (und meist zeitgebundenen) Schritte der Rechtsvertretung für den Mandanten. Durch den Verbesserungsauftrag stand den Rechtsvertretern des Antragsgegners, denen die Rechtskenntnis über die verpflichtende Teilnahme am ERV schon bei Annahme des Mandats und (erstmaliger) Einbringung ihres (ersten) Schriftsatzes abzufordern ist, ohnehin ein langer Zeitraum zur Verfügung, um sich im Nachhinein die Einrichtungen zur Beteiligung am ERV zu verschaffen; im Wege der Betrauung eines österreichischen Einvernehmensanwalts hätte die alle Rechtsvertreter treffende Formvorschrift überhaupt ohne „eigenen“ Aufwand der Schweizer Rechtsanwälte eingehalten werden können.
[29] 6. Zusammenfassend ist daran festzuhalten (vgl RS0132613), dass dienstleistende europäische Rechtsanwälte bei der Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gerichten in gleicher Weise wie inländische Rechtsanwälte zur Teilnahme am ERV verpflichtet sind; dies gilt unabhängig davon, ob im Verfahren absolute, relative oder gar keine Anwaltspflicht besteht.
[30] 7. Nach § 89c Abs 6 GOG (idF BGBl I 2012/26) ist ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 89 Abs 5 GOG wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist. Die Rekurse wurden trotz des Verbesserungsauftrags nicht im ERV eingebracht, ohne dass ein in § 1 Abs 1c ERV 2006 normierter Ausnahmefall vorgelegen wäre. Das Ausbleiben der gebotenen Verbesserung führt zur Zurückweisung der Eingabe (vgl RS0128266 [T15]; 1 Ob 83/19s). Die Entscheidung des Rekursgerichts steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung.
[31] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG. Kostenersatz ist für die Revisionsrekursbeantwortung jedoch gemäß § 9 Abs 3 RATG nur auf Basis der einfachen Jahresleistung, hier also (1.290 EUR x 12 =) 15.480 EUR, zuzusprechen. Ein ERV‑Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen nicht nur Rechtsmittel, sondern auch Rechtsmittelbeantwortungen zu verstehen sind (RS0126594; daher nur 2,10 EUR).
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