OGH 2Ob12/16b

OGH2Ob12/16b25.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 20. März 2004 verstorbenen W***** O*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erblichen Tochter C***** O*****, vertreten durch Edgar Nissen, Jur. Kand., Advokatfirman Salmi & Partners AB, Box 3095, S‑10361 Stockholm, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 29. Oktober 2015, GZ 21 R 232/15m, 21 R 235/15b‑97, womit der Rekurs der C***** O***** gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Salzburg vom 17. Juni 2011, GZ 3 A 240/04w‑74 und ‑75, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00012.16B.0225.000

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

Begründung

Das Erstgericht fasste in der gegenständlichen Verlassenschaftssache am 17. 6. 2011 den Einantwortungsbeschluss sowie einen fünf Punkte umfassenden weiteren Beschluss.

Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs einer in Schweden wohnhaften Tochter des Erblassers mit Beschluss vom 29. 10. 2015 als verspätet zurück, erachtete ihn aber auch inhaltlich als nicht berechtigt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Dieser Beschluss wurde an eine schwedische Rechtsanwaltspartnerschaft zugestellt, deren Bevollmächtigung durch die Rechtsmittelwerberin von einem in der (nur in schwedischer Sprache vorliegenden) Vollmachtsurkunde (ua) namentlich aufscheinenden „Jur.kand.“ nach der Erhebung des Rekurses angezeigt worden war (ON 96).

Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der (richtig) außerordentliche Revisionsrekurs der Tochter, die hierbei durch besagten „Jur.kand.“ vertreten wird (vgl die auf diesen persönlich lautende weitere Vollmacht ON 103). Das Rechtsmittel wurde fristgerecht per Post, später auch per E‑Mail, eingebracht.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorlage dieses Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof erfolgte verfrüht:

1. Gemäß § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien eines Verlassenschaftsverfahrens im Revisionsrekursverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen, es besteht also absolute Vertretungspflicht (nur im Verfahren über das Erbrecht besteht gemäß § 162 AußStrG absolute Anwaltspflicht). Gemäß § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG bedarf der Revisionsrekurs, der auch bestimmte Inhaltserfordernisse erfüllen muss (§ 65 Abs 3 Z 1 bis 4 und 6 AußStrG), der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars.

2. Ist der frei gewählte Rechtsanwalt ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt, so gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch international tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Österreich (EIRAG), BGBl I 2000/27. Dieses ist hier auf den Vertreter der Rechtsmittelwerberin anzuwenden (vgl § 1 Abs 1 EIRAG; Schweden ist Mitgliedstaat der Europäischen Union).

3. Zweifelhaft ist allerdings, ob der in der Vollmacht ON 103 als „Juris Kandidat“ bezeichnete Vertreter tatsächlich berechtigt ist, als europäischer Rechtsanwalt tätig zu sein. In der nur in schwedischer Sprache vorliegenden Vollmachtsurkunde ON 96 werden als Mitglieder der „Advokatfirman“ sowohl „Advokaten“ als auch „Jur.kand.“ und „Juristen“ genannt. Gemäß § 1 Abs 1 EIRAG iVm der Anlage zu dieser Bestimmung kommen in Schweden aber nur „Advokaten“ als europäische Rechtsanwälte in Betracht.

4. Gemäß § 3 Abs 1 EIRAG haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte bei Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs die Berufsbezeichnung, die sie im Staat ihrer Niederlassung (Herkunftsstaat) nach dem dort geltenden Recht zu führen berechtigt sind, zu verwenden und anzugeben. Wollen sie in Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs Dienstleistungen vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde in Österreich erbringen, so haben sie gemäß § 3 Abs 2 EIRAG auf Verlangen des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde ihre Berechtigung nach § 1 nachzuweisen. Wird dieses Verlangen gestellt, so dürfen sie die Tätigkeit erst ausüben, wenn der Nachweis erbracht ist.

Das Verlangen des Gerichts auf Nachweis der Berechtigung zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit eines „europäischen Rechtsanwalts“ iSd § 1 Abs 1 EIRAG ist an den ausländischen Vertreter selbst zu richten (vgl 6 Ob 61/02t; RIS‑Justiz RS0116338). Bis zum Nachweis seiner Berechtigung ist der ausländische Vertreter nicht als „Rechtsanwalt“ einzustufen. Die damit verbundenen Folgen ergeben sich aus den jeweiligen Verfahrensgesetzen (vgl 6 Ob 61/02t).

5. Die Berechtigung des Vertreters der Rechtsmittelwerberin, als „europäischer Rechtsanwalt“ vor einem österreichischen Gericht einzuschreiten, bedarf daher noch der Klärung durch das Erstgericht. Wäre sie zu verneinen, hätte dies zur Folge, dass der außerordentliche Revisionsrekurs trotz absoluter Vertretungspflicht (siehe Punkt 1.) weder durch einen Rechtsanwalt noch durch einen Notar eingebracht wurde. Das Rechtsmittel würde an einem Formgebrechen leiden, das im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens ‑ etwa durch die Unterschrift eines von der Rechtsmittelwerberin bevollmächtigten schwedischen „Advokaten“ ‑ noch nachträglich saniert werden könnte.

Damit hätte es aber nicht sein Bewenden, wie den folgenden Ausführungen sogleich zu entnehmen sein wird.

6. Gemäß § 5 EIRAG dürfen in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss, dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter nur im Einvernehmen mit einem in der Liste der Rechtsanwälte der österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Das Einvernehmen ist bei der ersten Verfahrensverhandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen (§ 5 Abs 2 erster Satz EIRAG), und zwar auch bei Vollmachtserteilung an eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (2 Ob 36/15f [9. 9. 2015]). Verfahrenshandlungen, für die der Nachweis des Einvernehmens im Zeitpunkt ihrer Vornahme nicht vorliegt, gelten als nicht von einem Rechtsanwalt vorgenommen (§ 5 Abs 2 dritter Satz EIRAG).

Der Oberste Gerichtshof bekräftigte in der Entscheidung 3 Ob 210/14z EF‑Z 2015/110 (Gitschthaler) = AnwBl 2015/8418 (Dittenberger), der ein Unterhaltsverfahren zwischen einem volljährigen Kind und dessen Vater zugrundelag (vgl § 101 AußStrG), nach eingehender Auseinandersetzung mit Gesetzesmaterialien, Rechtsprechung und Lehre die bis dahin schon überwiegend vertretene Rechtsansicht, dass die Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts nur bei absoluter Anwaltspflicht erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0130040). Dies gilt, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 189/15f, einem Verlassenschaftsverfahren, unmissverständlich zum Ausdruck brachte, auch in Fällen absoluter Vertretungspflicht, wenn der Rechtsmittelwerber durch einen ausländischen Rechtsanwalt vertreten wird.

7. Somit besteht im vorliegenden Fall zunächst Rechtsklarheit dahin, dass die Zustellung der Rekursentscheidung an die schwedische Rechtsanwaltspartnerschaft wirksam war, weil im Rekursverfahren nur relative Anwaltspflicht bestand (§ 6 Abs 2 AußStrG) und die Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts in diesem Verfahrensstadium daher noch nicht erforderlich war.

Für die Erhebung des außerordentlichen Revisionsrekurses bedarf es jedoch der Herstellung und des Nachweises des Einvernehmens als Bedingungen dafür, dass die Verfahrenshandlung des einschreitenden ausländischen Rechtsanwalts denen eines österreichischen gleichgestellt ist. Solange das Einvernehmen nicht nachgewiesen ist, ist die Postulationsunfähigkeit der Partei nicht beseitigt (2 Ob 36/15f [9. 9. 2015] mwN). Auch das Fehlen des Nachweises eines Einvernehmens ist ein der Verbesserung zugängliches Formgebrechen (RIS‑Justiz RS0124121). Dabei ist die Aufforderung zur Verbesserung an den ohne nachgewiesenen Einvernehmensrechtsanwalt einschreitenden europäischen Rechtsanwalt zu richten (6 Ob 115/14a; 2 Ob 36/15f [9. 9. 2015] je mwN).

Dienstleistenden europäischen Rechtsanwälten, die keine Abgabestelle im Inland haben, kann gemäß § 6 EIRAG überdies aufgetragen werden, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Wird keiner namhaft gemacht, gilt der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter.

8. Rechtsanwälte und Notare sind gemäß § 89c Abs 5 Z 1 und 2 GOG idF BGBl I 2012/26 nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist als Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26).

Der Oberste Gerichtshof hat jüngst klargestellt, dass auch dienstleistende europäische Rechtsanwälte iSd § 1 Abs 1 EIRAG bei der Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gerichten ebenso wie inländische Rechtsanwälte zur Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet sind (2 Ob 36/15f [9. 9. 2015]). Diese Verpflichtung ergibt sich ‑ abgesehen vom nicht differenzierenden Wortlaut des § 89c Abs 5 GOG ‑ aus § 4 EIRAG. Danach haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte ua bei Ausübung einer Tätigkeit, die mit der Vertretung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege zusammenhängt, die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalts (vgl auch § 2 EIRAG), insbesondere dessen Rechte und Pflichten ‑ auch (und gerade) in prozessualer Hinsicht (2 Ob 36/15f [9. 9. 2015]). Eine dieser Pflichten ist die Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr.

9. Aus den erwähnten Gründen ist der Akt an das Erstgericht zurückzustellen. Dieses wird ein Verbesserungsverfahren einzuleiten und dem schwedischen Vertreter der Rechtsmittelwerberin die nach den obigen Ausführungen erforderlichen Verbesserungsaufträge zu erteilen haben. Sollte die gebotene Verbesserung unterbleiben, wird schon das Erstgericht das Rechtsmittel gemäß § 67 AußStrG zurückzuweisen haben. Im Falle fristgerechter Verbesserung ist das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

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