OGH 9ObA56/21g

OGH9ObA56/21g27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn in der Rechtssache der klagenden Partei * O*, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O*, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Kündigungsanfechtung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. März 2021, GZ 7 Ra 52/19x‑33, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 22. Mai 2019, GZ 8 Cga 153/17b‑17, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132094

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt mit seiner beim Erstgericht eingebrachten Klage die Feststellung, dass er über den 5. 12. 2017 hinaus in einem ungekündigten Dienstverhältnis zur Beklagten (internationale Organisation) stehe, in eventu die Kündigung des Klägers durch die Beklagte vom 5. 12. 2017 für rechtsunwirksam zu erklären. Er begründete die Inanspruchnahme des Gerichts damit, dass ihm sonst kein faires Verfahren zur Verfügung stehe.

[2] Über Ersuchen des Erstgerichts wurde diesem die vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres eingeholte Erklärung der Beklagten übermittelt, nicht auf ihre Immunität zu verzichten.

[3] Das Erstgericht wies die Klage unter Verweis auf Art 9 des Amtssitzabkommens der Beklagten wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück.

[4] Der Verfassungsgerichtshof wies mit Beschluss vom 25. 11. 2020, SV 1/2019-30, SV 6/2020‑20, die auf Art 140a iVm Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG gestützten Anträge des Klägers, Art 9 des Amtssitzabkommens (bzw eine Wortfolge) als verfassungswidrig aufzuheben, zurück.

[5] Das Rekursgericht gab dem gegen den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts gerichteten Rekurs des Klägers unter ausführlicher Darlegung der Rechtsprechung keine Folge. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich in der der die Beklagte betreffenden Entscheidung 10 Ob 53/04y die zur Diskussion stehenden verfassungsrechtlichen Fragen nicht gestellt hätten und die Aussagen der Entscheidung 9 ObA 73/16z nicht auf die Beklagte bezogen gewesen seien.

[6] In seinem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Kläger, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen; in eventu, den Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekursist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.

[8] I. Die vermeintliche Nichtigkeit des Verfahrens iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, die der Kläger darin sieht, dass ihm eine Note des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres vom Erstgericht nicht zugestellt worden sei, wurde bereits vom Rekursgericht verneint. Nichtigkeiten, die schon vom Gericht zweiter Instanz verneint wurden, können nach ständiger Rechtsprechung in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042925, RS0042981).

[9] II. In seiner Rechtsrüge ist derKläger zusammengefasst der Ansicht, dass die Gewährung einer „absoluten“ Immunität gemäß Amtssitzabkommen im Hinblick auf Art 6 Abs 1 EMRK, Art 13 EMRK und Art 1 ZPEMRK verfassungswidrig sei, weil ihm die Beklagte kein angemessenes anderweitiges Mittel für den Rechtsschutz zur Verfügung stelle. Art 4, 5, 9 und 10 des Amtssitzabkommens eröffne ihm keine prozessuale Position, eine wirksame Beschwerde iSd Art 13 EMRK iVm Art 6 Abs 1 EMRK zu erheben.

[10] Dieser Rechtsstandpunkt erfordert keine Ergänzung der bisherigen Rechtsprechung.

[11] II.1. Nach Art 9 S 1 des zwischen der Republik Österreich und der Beklagten abgeschlossenen Amtssitzabkommens BGBl 1974/382 idF BGBl III 2010/108 ist die Beklagte und ihr Eigentum, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, von jeglicher Jurisdiktion befreit, es sei denn, dass sie in einem besonderen Fall ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet hat. Letzteres ist hier nicht der Fall.

[12] II.2. In der Rechtsprechung wurde bereits mehrfach ausgeführt, dass sich die Befreiung internationaler Organisationen und ihrer Vermögen von nationaler Gerichtsbarkeit (Immunität) regelmäßig aus den einschlägigen internationalen Abkommen oder den zwischen ihnen und der Republik geschlossenen Abkommen (Amtssitzabkommen) ergibt. Auf diese Weise sollen die internationalen Organisationen vor Eingriffen und Einflussnahmen durch die Organe einzelner Staaten geschützt werden (s RS0045442). Internationale Organisationen genießen weitergehende Vorrechte als fremde Staaten. Während ausländische Staaten nach innerstaatlichem Recht und herrschendem Völkerrecht nur für hoheitliches Handeln, nicht jedoch im Rahmen ihrer Eigenschaft als Privatrechtsträger Immunität genießen, ist die Immunität internationaler Organisationen im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung grundsätzlich als absolut anzusehen (s RS0046275). Das wurde etwa auch in der die Beklagte betreffenden Entscheidung 10 Ob 53/04y näher dargelegt. Dass im vorliegenden Fall ein enger Zusammenhang der Tätigkeit des Klägers mit der funktionellen Tätigkeit der Beklagten besteht, ist nach dem Klagsvorbringen nicht weiter zweifelhaft. Der Kläger gesteht auch zu, dass die Immunität der Beklagten von der staatlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich ein legitimes Ziel verfolgt.

[13] II.3. Das mögliche Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot der Wahrung der Immunität und dem Grundrecht auf Zugang zu Gericht wurde bereits in der – die Klage gegen ein ausländisches Staatsoberhaupt betreffenden – Entscheidung 7 Ob 316/00x angesprochen und dazu festgehalten, nur wenn eine derartige Klage im Heimatland des Staatsoberhaupts – etwa aus verfahrensrechtlichen Gründen – „versperrt und abgeschnitten“ wäre, würden die grundrechtlichen Aspekte jene des Völkerrechts überlagern und damit eine Exemtion kraft Immunität allenfalls verdrängen (können). Nur in einem solchen Fall könnte aus menschenrechtlichen Justizgewährleistungspflichten ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung resultieren, hinter dem die Immunitätsregeln unter Umständen zurückzutreten hätten. Ein vergleichsweise gravierender Einschnitt ist hier nicht ersichtlich. Das das Dienstrecht regelnde Personalstatut der Beklagten („Staff Regulations“) sieht vielmehr in Kapitel XIII („Beschwerden und Rechtsmittel“) die Möglichkeit einer an den Generalsekretär zu richtenden Beschwerde vor, die in Kopie auch an den Vorgesetzten und den Direktor der Abteilung Support Services zu richten ist und mit der auch der Personalausschuss befasst werden kann. Es statuiert auch, dass der Generalsekretär innerhalb von drei Monaten geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat.

[14] II.4. Für seine Rechtsansicht eines fehlenden angemessenen anderweitigen Mittels und mangelnder Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung des Zugangs zu Gericht bezieht sich der Kläger auch auf das Urteil des EGMR vom 18. 2. 1999, Waite & Kennedy vs Germany,Bsw 26083/94 (Beer & Regan vs Germany, Bsw 28934/95). Darin wurde ausgesprochen, dass eine Beschränkung des Zugangs zu einem Gericht dann nicht mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar ist, wenn sie nicht ein legitimes Ziel verfolgt und die verwendeten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem vernünftigen Verhältnis stehen, wofür entscheidend ist, ob dem Beschwerdeführer eine vernünftige Alternative für die wirksame Durchsetzung seiner Rechte zur Verfügung stand.

[15] Wie in 9 ObA 73/16z dargelegt, geht aber selbst daraus nicht hervor, dass ein staatliches Gericht unter Missachtung des Legalitätsprinzips die Immunität einer internationalen Organisation außer Acht zu lassen hätte. Derartiges ist auch aus der Entscheidung des EGMR vom 6. 1. 2015, Perez gg Deutschland, Bsw 215521/08, nicht ableitbar. Vielmehr wurde in der Rechtsprechung weiter ausgeführt, dass das Einräumen von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen grundsätzlich legitime Ziele verfolgt und auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht dazu führen kann, eine internationale Organisation zu zwingen, sich der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen (8 Ob 53/17b unter Verweis auf EGMR 18. 2. 1999, Bsw 26083/94; vgl auch EGMR 6. 1. 2015, Bsw 415/07). Einschränkend erinnerte auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. 2. 2019, Bsw 16874/12 (Immunität bezüglich Schadenersatzklage wegen Nichtverlängerung eines Dienstverhältnisses) zum Vorbringen jener Beschwerdeführerin, wonach sie der Möglichkeit beraubt worden wäre, Ansprüche geltend zu machen, daran, „dass die Vereinbarkeit der Gewährung von Immunität gegenüber der Gerichtsbarkeit mit Art 6 Abs 1 EMRK nicht von der Existenz angemessener Alternativen zur Lösung der Streitigkeiten abhängt (vgl Stichting Mothers of Srebrenica ua/NL, wo der EGMR auf die Rechtsprechung des IGH hinwies, der ausdrücklich die Existenz eines Grundsatzes verneinte, wonach bei Fehlen anderweitiger Rechtsbehelfe die Zuerkennung von Immunität ipso facto eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht mit sich bringe).“ „Im Hinblick auf internationale Organisationen kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs ua in Waite und Kennedy/D auch nicht derart absolut interpretiert werden“ (Stichting Mothers of Srebrenica, Bsw 65542/12, in der selbst das gänzliche Fehlen eines Streitbeilegungsmechanismus jener internationalen Organisation nicht zur Begründetheit der Beschwerde führte). Diese Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall, in dem das Personalstatut der Beklagten ein organisationsinternes Beschwerdeverfahren vorsieht, mit dem die Beschränkung des Zugangs zu Gericht angesichts der dargelegten Bedeutung der Immunität einer internationalen Organisation wie der Beklagten auch nicht unverhältnismäßig erscheint, zu keiner anderen Beurteilung führen.

[16] II.5. Infolge dieser Erwägungen sieht der erkennende Senat keinen Anlass, den vom Kläger neuerlich angeregten Antrag auf Normenkontrolle gemäß Art 140a iVm Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B‑VG zur Aufhebung von (Wortfolgen von) Art 4 Abs 1, Art 5 Abs 1 und 2, Art 9 und Art 10 des Amtssitzabkommens (mit Eventualbegehren) an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

[17] II.6. Gesonderte Fragen unter den vom Kläger für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Art 13 EMRK und Art 1 1. ZPEMRK stellen sich danach nicht.

[18] III. Da die Vorinstanzen zur Beurteilung der Immunität der Beklagten auf ausreichende Rechtsprechung zurückgreifen konnten und sie in nicht korrekturbedürftiger Weise auf die vorliegende Klage angewandt haben, ist der Revisionsrekurs des Klägers mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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