OGH 7Ob96/21z

OGH7Ob96/21z26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* Versicherung AG, *, vertreten durch Dr. Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* Versicherung AG *, vertreten durch Dr. Thomas Romauch und Dr. Elke Romauch, MA, Rechtsanwälte in Krumpendorf, wegen 30.734,57 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. März 2021, GZ 14 R 149/20i‑27, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. August 2020, GZ 25 Cg 5/20v‑21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132065

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,82 EUR (darin enthalten 326,97 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 7. 11. 2018 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem unter anderem ein von C* B* (Versicherungsnehmerin) gehaltener, von einer anderen Person gelenkter PKW beteiligt war. Die Klägerin leistete im Zusammenhang mit diesem Unfall als (früherer) Haftpflichtversicherer des genannten Fahrzeugs Zahlungen an verschiedene Unfallgeschädigte.

[2] Der Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen der Halterin des PKW und der Klägerin ist aufgrund qualifizierten Prämienverzugs gemäß § 39 Abs 3 VersVG per 2. 11. 2018 beendet worden. Zwischen Beendigung des Versicherungsvertrags und Schadensfall erfolgte keine Meldung des Abschlusses eines neuen Haftpflichtversicherungsvertrags. Am 8. 11. 2018 stellte der beklagte Haftpflichtversicherer eine Versicherungsbestätigung mit „Gültigkeitsdatum 10. 9. 2018“ aus, die am selben Tag in die zentrale Deckungsevidenz aufgenommen wurde. „Die Klägerin ist zunächst von ihrer (alleinigen) 'Zuständigkeit' für den Verkehrsunfall ausgegangen“ und hat im Zusammenhang mit dem Schadensfall vom 7. 11. 2018 Zahlungen geleistet.

[3] Die Klägerin begehrt vom beklagten Kfz‑Haftpflichtversicherer den Rückersatz dieser Zahlungen in Höhe von 30.734,57 EUR sA. Der zwischen ihr und der Versicherungsnehmerin abgeschlossene Kfz‑Haftpflicht-versicherungsvertrag sei infolge qualifizierten Prämienrückstands gemäß § 39 VersVG per 2. 11. 2018 „storniert“ worden. Die von der Beklagten ausgestellte neue Versicherungsbestätigung weise ein Gültigkeitsdatum „10. 9. 2018“ auf. Der Verkehrsunfall vom 7. 11. 2018 falle daher in die Haftung der Beklagten. Die Klägerin sei zunächst von ihrer „Zuständigkeit“ als Haftpflichtversicherer ausgegangen, weshalb sie – näher aufgeschlüsselte – Zahlungen an Dritte geleistet habe. Erst zeitlich danach habe sie erfahren, dass die Versicherungsnehmerin ein neues Versicherungsverhältnis mit der Beklagten abgeschlossen habe. Zu den Zahlungszeitpunkten sei sie dem Irrtum unterlegen, dass sie den geschädigten Dritten gegenüber aufgrund der versicherungsrechtlichen Nachhaftung des § 24 Abs 2 KHVG hafte. Sie habe gegenüber der Beklagten einen Regressanspruch nach § 1042 ABGB.

[4] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Klägerin sei nach den Bestimmungen der Pflichthaftpflichtversicherung am 7. 11. 2018 der einzige Anspruchsgegner für geschädigte Dritte gewesen. Die Klägerin versuche auf unzulässige Weise, ihre Zahlungsverpflichtung auf einen allfälligen Nachfolgeversicherer zu überbinden. Wenn sie meine, sie hätte die Zahlungen nicht erbringen müssen, sei aber erst später zu dieser Ansicht gelangt, könne sie sich nicht auf § 1042 ABGB stützen, weil sie sich in diesem Fall die bewusste Leistung einer Nichtschuld zuzuschreiben habe. Deren Geltendmachung stehe § 1432 ABGB entgegen.

[5] Das Erstgerichtsprach mit Zwischenurteil aus, dass die Klageforderung dem Grunde nach zu Recht besteht. Der Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen der Halterin und der Klägerin sei gemäß § 39 VersVG berechtigt per 2. 11. 2018 beendet worden. Die Beendigung habe eine Nachfrist ausgelöst, während der die Klägerin als Haftpflichtversicherer noch gehaftet habe, soweit kein anderer Haftpflichtversicherer bekanntgegeben werde. Die von der Beklagten am 8. 11. 2018 ausgestellte und gemeldete Versicherungsbestätigung habe eine Rückwirkung ab 10. 9. 2018 enthalten und somit auch den Schadensfall vom 7. 11. 2018 erfasst. Die Nachhaftung der Klägerin habe nur bis zum Eintritt eines anderen Haftpflichtversicherers bestanden. Aufgrund der berechtigten Beendigung des Versicherungsvertrags mit der Klägerin gemäß § 39 VersVG und des rückwirkenden Abschlusses eines Haftpflichtversicherungsvertrags der Halterin mit der Beklagten als anderem Versicherer gebe es keine wechselseitigen Verpflichtungen zwischen der Klägerin und der Fahrzeughalterin mehr, und die Beklagte habe der Klägerin den gesamten Betrag zu ersetzen, den sie selbst zu zahlen gehabt hätte.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Rechtlich führte es aus, der Versicherungsvertrag der Klägerin mit der Versicherungsnehmerin sei ab 2. 11. 2018 aufgelöst gewesen; der Unfall habe sich am 7. 11. 2018, nach dem Ende der materiellen Versicherungsdauer gemäß § 24 Abs 2 zweite Variante KHVG, aber innerhalb der seit dem 2. 11. 2018 laufenden Nachhaftung der Klägerin gemäß § 24 Abs 1 und 2 KHVG ereignet.

[7] Eine Versicherungsbestätigung bewirke stets eine vorläufige Deckungszusage durch den Versicherer. Die Deckungszusage der Beklagten habe das Beginndatum 10. 9. 2018. Gemäß § 24 Abs 3 KHVG sei die Nachhaftung der Klägerin lediglich subsidiärer Natur. Die Klägerin habe aufgrund der Deckungszusage der Beklagten gemäß § 24 Abs 3 KHVG nicht mehr gehaftet und sei nicht mehr deckungspflichtig gewesen, die Beklagte aber sehr wohl.

Die Klägerin habe erst zu einem Zeitpunkt nach dem 3. 9. 2019 von der am 8. 11. 2018 gemeldeten Versicherung durch die Beklagte erfahren. Sie habe sämtliche Zahlungen bis zu diesem Datum noch in Unkenntnis der neuen Versicherung geleistet und daher im Glauben bzw im Irrtum, selbst – auf Basis ihrer „Nachhaftung“ – gegenüber den Unfallgeschädigten zahlungspflichtig zu sein.

[8] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob eine Deckungsfiktion (Nachhaftung) nach § 24 KHVG zeitlich rückwirkend wieder wegfalle „bzw subsidiären Charakter im Sinn des § 24 Abs 3 KHVG“ annehmen könne.

[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise begehrt sie dem Klagebegehren nur „zur Hälfte, das wäre in der Höhe von 15.367,28 EUR Berechtigung zuzuerkennen“.

[10] Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[12] 1. Die Beklagte macht nur geltend, dass die Klägerin bis 8. 11. 2018 der einzige Versicherer gewesen sei bzw dass jedenfalls Doppelversicherung vorgelegen sei.

[13] 2. Gemäß § 24 Abs 5 KHVG sind die §§ 158c und 158f VersVG – aus Gründen der Rechtsklarheit (ErläutRV 1681 BlgNR 18. GP 14) – auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nicht anzuwenden.

[14] Ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei, so bleibt gemäß § 24 Abs 1 KHVG seine Verpflichtung in Ansehung des Dritten bestehen. „Leistungsfreiheit“ des Versicherers bedeutet allgemein seine einseitige Befreiung von seiner Einstandspflicht für einen Versicherungsfall. Gemäß § 24 Abs 1 KHVG wird ungeachtet der Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer oder Mitversicherten im Verhältnis zwischen Versicherer und geschädigtem Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert (7 Ob 130/99i mwN = SZ 72/104).

[15] Ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, wirkt gemäß § 24 Abs 2 KHVG in Ansehung des Dritten erst nach Ablauf von drei Monaten, nachdem der Versicherer diesen Umstand gemäß § 61 Abs 4 KFG 1967 angezeigt hat.

[16] Da die Klägerin das Versicherungsverhältnis mit der Halterin per 2. 11. 2018 beendet hatte und sich der Verkehrsunfall erst danach am 7. 11. 2018 ereignete, fällt dieser jedenfalls in ihre dreimonatige Nachhaftungsfrist des § 24 Abs 2 KHVG.

[17] 3. Nach § 24 Abs 3 Satz 2 KHVG besteht die Leistungspflicht nicht, insoweit ein anderer Haftpflichtversicherer zur Leistung verpflichtet ist. Diese Bestimmung ordnet eine gesetzliche Subsidiarität an (vgl zum – mit Ausnahme der Dauer der Nachhaftungsfrist nahezu identischen – § 158c Abs 4 VersVG: 8 Ob 198/78 = SZ 51/188; Rubin in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG [2. Lfg November 2014] § 158c VersVG Rz 73). Nach dieser Bestimmung wird der Haftungsausschluss nur dann gewährt, wenn der andere Haftpflichtversicherer dem Versicherungsnehmer haftet. Es soll die Haftung eines Versicherers nach § 24 Abs 1 KHVG zu Lasten der normalen Leistungspflicht eines anderen Versicherers ausgeschlossen werden. Besteht eine solche Leistungspflicht eines Haftpflichtversicherers, kann dieser das frühere Versicherungsverhältnis nicht heranziehen, um den Haftungsausschluss nach § 24 Abs 3 Satz 2 VersVG zu erlangen (vgl 1 Ob 960/52 = SZ 26/93 = VersE 36 [zu § 158c Abs 1 und 4 VersVG]).

[18] 4. Zu prüfen ist daher, ob neben der im Rahmen der Nachhaftung nach § 24 Abs 1 und 2 KHVG bestehenden (subsidiären) Deckungspflicht der Klägerin eine Deckungspflicht der Beklagten aus dem von ihr mit der Halterin abgeschlossenen Kfz‑Haftpflichtversicherungsvertrag für den Unfall am 7. 11. 2018 bestand.

[19] Die Beklagte stellte – unstrittig – am 8. 11. 2018 eine Versicherungsbestätigung (entsprechend § 61 Abs 1 und 1a KFG) mit dem „Gültigkeitsdatum“ 10. 9. 2018 für das Fahrzeug der Versicherungsnehmerin aus, die am selben Tag in der zentralen Deckungsevidenz erfasst wurde. Gemäß § 20 Abs 1 KHVG bewirkt die Ausstellung der Versicherungsbestätigung gemäß § 61 Abs 1 KFG die Übernahme einer vorläufigen Deckung.

[20] Auch die vorläufige Deckungszusage lässt einen echten Versicherungsvertrag entstehen, der allerdings kraft seines provisorischen Charakters zunächst nicht langfristig ist. Zwischen einem Versicherungsvertrag und einem Rechtsverhältnis aufgrund einer Deckungszusage besteht kein materieller Unterschied (7 Ob 38/87 = SZ 60/184; RS0080332). Nach der Versicherungsbestätigung erteilte die Beklagte ihrer Versicherungsnehmerin für das Kraftfahrzeug für die Zeit ab 10. 9. 2018 eine vorläufige Deckungszusage. Damit hat sie für den Verkehrsunfall am 7. 11. 2018 Deckung zu gewähren.

[21] Im Fall, dass die Klägerin im Rahmen der Nachhaftung nach § 24 Abs 1 und 2 KHVG und die Beklagte aufgrund ihrer Deckungszusage Deckung zu gewähren hätte, greift die Subsidiaritätsregel des § 24 Abs 3 Satz 2 KHVG. Da die Beklagte als „anderer“ Haftpflichtversicherer zur Leistung verpflichtet ist, hat die Klägerin aus ihrer Nachhaftung keine Verpflichtung getroffen, Ansprüche Dritter zu decken.

[22] 5. Ein Rückgriff auf § 59 Abs 2 Satz 1 VersVG für den Regressanspruch kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil zufolge § 24 Abs 3 Satz 2 KHVG keine Doppelversicherung vorliegt, sondern die Nachhaftung der Klägerin gegenüber der Deckungspflicht der Beklagten zurücktritt.

[23] 6. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

[24] Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Klägerin stehen Kosten jedoch nur auf der Bemessungsgrundlage von 30.734,57 EUR zu und nicht – wie verzeichnet – auf einer höheren.

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