OGH 7Ob130/99i

OGH7Ob130/99i23.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon.Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W***** AG„ vertreten durch Dr. Oswald Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 66.300,85 sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 11. Februar 1999, GZ 17 R 2/99k-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil (richtig Endurteil) des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. November 1998, GZ 19 Cg 37/97v-29, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 23.116,04 (darin enthalten S 2.749,34 USt und S 6.620,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28. 2. 1995 kam der bei der klagenden Partei sozialversicherte Wolfgang M***** mit einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Moped der Marke Vespa zu Sturz und wurde schwer verletzt. Eigentümer und Halter der Vespa war Gerhard P*****, dem ebenso wie M***** bekannt war, daß mit der Vespa, die nach ihrer Bauart eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h haben sollte, bis zu 100 km/h schnell gefahren werden konnte, weil ihr Hubraum gesetzeswidrig auf 120 cm3 vergrößert worden war. Sturzursache war dann auch, daß der am 6. 11. 1977 geborene, damals also 17jährige Wolfgang M*****, mit einem zu hohen, weit über 40 km/h liegenden Tempo fuhr und dadurch die Herrschaft über das Fahrzeug verlor. Gerhard P***** hatte ihm sein Moped überlassen, obwohl er weiters wußte, daß M***** über keine Lenkerberechtigung verfügte und auch keinen Mopedausweis besaß.

Die Klägerin erbrachte an Wolfgang M***** unfallskausale Sozialversicherungsleistung von insgesamt S 268.466,--. Ausgehend davon, daß der Mopedlenker P***** den Unfall zu einem Viertel mitverschuldet habe, weshalb die Beklagte Wolfgang M***** in diesem Umfang hafte (während dieser zu drei Viertel selbst verantwortlich sei) begehrt sie von der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des Mopeds S 66.385,-- (sA) sowie die Feststellung der Haftung für ein Viertel all jener Leistungen, die sie aus Anlaß des Unfalls vom 28. 2. 1995 an Wolfgang M***** aufgrund der jeweils geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften noch zu erbringen haben werde; dies jedoch nur insoweit, als diese Leistungen in dem Schaden Deckung fänden, dessen Ersatz der Geschädigte Wolfgang M***** ohne den in § 332 ASVG vorgesehenen Rechtsübergang von der beklagten Partei unmittelbar zu fordern berechtigt wäre und beschränkt auf die Haftpflichtversicherungssumme zum Unfallszeitpunkt. Die Klägerin brachte dazu im wesentlichen noch vor, gemäß § 332 Abs 1 ASVG seien die kongruenten Ansprüche M***** gegen die beklagte Partei auf sie übergegangen. Die Beklagte habe ihr daher ein Viertel ihrer bereits an M***** erbrachten und - weil Dauerschäden vorhersehbar seien - in Zukunft voraussichtlich noch zu erbringenden kongruenten Leistungen zu ersetzen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie wendete soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich ein, da M***** ohne Lenkerberechtigung gefahren sei, ihm gegenüber bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei zu sein. Daher habe sie gegenüber einer Forderung M***** in Höhe des Klagsbetrags eine entsprechende Regreßforderung, die der Klagsforderung kompensando entgegengestellt werde.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil rechtskräftig ausgesprochen, daß das Leistungsbegehren der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehe; diesem Ausspruch liegt zugrunde, daß den Mopedhalter Gerhard P***** am Zustandekommen des gegenständlichen Unfalls ein Mitverschulden von einem Viertel trifft.

Mit dem Endurteil hat das Erstgericht die Klage sodann als zu Recht und die Gegenforderung der Beklagten als nicht zu Recht bestehend festgestellt und daher die Beklagte zur Zahlung von S 66.300,85 sA verurteilt. Dem Feststellungsbegehren wurde zur Gänze stattgegeben.

Den von ihm festgestellten, soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich bereits eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, der Anspruch des Geschädigten M***** sei, soweit ihm kongruente Leistungen der Klägerin gegenüberstünden, gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf diese übergegangen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Ersatz eines Viertels der von ihr erbrachten kongruenten Leistungen. Die Gegenforderung der Beklagten bestehe hingegen nicht zu Recht. Die Beklagte übersehe, daß gemäß § 24 KHVG die Verpflichtung des Versicherers in Ansehung des "geschädigten Dritten" auch dann bestehen bleibe, wenn er von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei sei und, daß gemäß § 24 Abs 4 KHVG in diesem Fall die Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer auf den Versicherer übergehe, soweit er den Dritten befriedige. Dies bedeute hier, daß die Forderung des Geschädigten Wolfgang M***** auf die Klägerin übergegangen sei und daß die Beklagte in diesem Umfang einen Regreßanspruch gegenüber P***** habe. Auf ihre Leistungsfreiheit gegenüber M*****, der nicht nur als im Unfallszeitpunkt mitversicherte Person, sondern eben auch als geschädigter Dritter anzusehen sei, könne sich die Beklagte daher nicht berufen. Sei der Halter gegenüber einer mitversicherten Person aufgrund der gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen zum Schadenersatz verpflichtet, könne der Mitversicherte als geschädigter Dritter vom Versicherer des Halters Schadenersatz begehren. Aufgrund der Dauerfolgen sei nicht auszuschließen, daß die Klägerin sozialversicherungsrechtliche und kongruente Leistungen für M***** erbringen werde müssen, weshalb sie ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung habe.

Das Gericht zweiter Instanz änderte über Berufung der Beklagten dieses Urteil teilweise dahin ab, daß es die Gegenforderung der Beklagten bis zur Höhe der Klagsforderung als zu Recht bestehend feststellte und daher das Begehren nach Zuspruch von S 66.300,85 sA abwies. Das Berufungsgericht erachtete die Kritik der beklagten Partei an der Rechtsmeinung des Erstgerichts, die Gegenforderung bestehe nicht zu Recht, für berechtigt: M***** sei nicht nur als geschädigter Dritter im Sinne der §§ 24 und 26 KHVG anzusehen, sondern er sei im Hinblick auf die Tatsache, daß er das Moped des Versicherungsnehmers der Beklagten mit dessen Zustimmung gelenkt habe, auch Mitversicherter im Sinne des § 2 Abs 2 KHVG. Als solcher sei er berechtigt, seinen Anspruch selbständig gegen den Versicherer geltend zu machen. Das haftungsbegründende Verhalten des Fahrzeughalters P***** sei in der Überlassung des Fahrzeuges an M***** zu sehen, der im Alter von rund 17 1/3 Jahren das Moped entgegen der Bestimmung des § 64 Abs 1 KFG gelenkt habe, wobei P***** bekannt gewesen sei, daß M***** über keine Lenkerberechtigung (Mopedausweis) verfügt habe. Damit sei die beklagte Haftpflichtversicherung auch gegenüber dem mitversicherten M***** nach § 6 Abs 2 Z 1 AKHB bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei. Mit Rücksicht auf diese Leistungsfreiheit bestehe die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht.

Seinen Ausspruch, die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, änderte das Berufungsgericht über Antrag der klagenden Partei mit der Begründung ab, darüber, ob die beklagte Haftpflichtversicherung berechtigt sei, aufgrund ihrer Leistungsfreiheit bis S 100.000,-- ihre Gegenforderung gegenüber dem Sozialversicherungsträger aufrechnungsweise geltend zu machen, liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor.

Die Revision ist zufolge Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Keinen Streitpunkt bildet mehr die von den Vorinstanzen in Übereinstimmung mit den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 65/86 (= ZVR 1988/31) und 7 Ob 14/97b (= ZVR 1998/114) gelöste Frage, daß dem geschädigten Lenker M***** gegen den Halter und Versicherungsnehmer P***** und damit gegen die beklagte Partei ein Schadenersatzanspruch zusteht, der gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf die klagende Partei übergegangen ist. Auch über die Höhe dieses Anspruchs und die Berechtigung des Feststellungsbegehrens streiten die Parteien nicht mehr. Im Revisionsverfahren geht es vielmehr nur noch um die Frage der Berechtigung der Gegenforderung.

Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß Wolfgang M***** gemäß § 2 Abs 2 KHVG 1994 auch Mitversicherter ist und die Beklagte zufolge der ihm vorzuwerfenden Obliegenheitsverletzung nach § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 ihm gegenüber leistungsfrei ist. Das Berufungsgericht mißversteht aber offenbar, was es bedeutet, Mitversicherter in der Kfz-Haftpflichtversicherung zu sein und welche Konsequenzen sich aus der Leistungsfreiheit des Kfz-Haftpflichtversicherers gegenüber dem Mitversicherten ergeben. Gemäß § 2 Abs 1 KHVG umfaßt die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Ersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch die Verwendung des versicherten Fahrzeugs Personen verletzt oder getötet worden, Sachen beschädigt oder zerstört worden oder abhandengekommen sind oder ein Vermögensschaden verursacht worden ist, der weder Personen - noch Sachschaden ist (bloßer Vermögensschaden). "Leistungsfreiheit" des Versicherers bedeutet allgemein seine einseitige Befreiung von seiner Einstandspflicht für einen Versicherungsfall (vgl etwa BK/Beckmann, § 159c VVG Rz 8). Gemäß § 24 Abs 1 KHVG (der nach den Erläut KHVG 1994 aus Gründen der Rechtsklarheit für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung § 158c VersVG vollständig ersetzte) bleibt die Verpflichtung des zur Leistung dem Versicherungsnehmer (bzw Mitversicherten) gegenüber ganz oder teilweise freien Versicherers in Ansehung des geschädigten Dritten gleichwohl bestehen. Das heißt also, daß ungeachtet der Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer oder Mitversicherten im Verhältnis zwischen Versicherer und geschädigtem Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert wird. Gemäß § 24 Abs 4 KHVG (welche Bestimmung für die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung an die Stelle des § 158f VersVG getreten ist) kann der gegenüber dem Versicherungsnehmer bzw Mitversicherten leistungsfreie Versicherer, der dem geschädigten Dritten gemäß § 24 Abs 1 KHVG geleistet hat, am Versicherungsnehmer bzw Mitversicherten Regreß nehmen.

Im vorliegenden Fall ist eine solche Konstellation allerdings nicht gegeben. Die Beklagte hatte als Haftpflichtversicherer des mitversicherten Fahrzeuglenkers Wolfgang M***** an keinen (mit Bezug auf den Mitversicherten M*****) geschädigten Dritten (etwa an eine am Soziussitz mitfahrende Person, die verletzt worden wäre) zu leisten, sodaß ein Regreßanspruch gegenüber M***** nicht in Betracht kommt. Daran vermag der Umstand, daß die Beklagte nach § 2 Abs 1 KHVG die gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche des geschädigten Fahrzeuglenkers M***** gegenüber ihrem Versicherungsnehmer P***** zu befriedigen hat, nichts zu ändern.

Der beklagten Partei steht daher die behauptete Gegenforderung nicht zu. Die im Mittelpunkt der Revisionsausführungen stehende und von der Revisionswerberin verneinte Frage, ob im Falle eines Regreßanspruches des Haftpflichtversicherers gegenüber dem geschädigten Mitversicherten eine Kompensation mit dessen im Wege der Legalzession des § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüchen gegenüber dem Halter als Versicherungsnehmer stattfindet, stellt sich hier daher gar nicht.

Der Revision ist stattzugeben und das Ersturteil in dem vom Berufungsgericht abgeänderten Teil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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