OGH 9ObA36/21s

OGH9ObA36/21s29.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. ***** S*****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei S*****anstalt *****, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 53.312,13 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 33.568,47 EUR brutto sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 2021, GZ 6 Ra 58/20a‑33, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00036.21S.0429.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Die Klägerin ist als Ärztin im Klinikum der Beklagten im Rahmen eines privatrechtlichen Dienstverhältnisses beschäftigt, auf das die Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern anzuwenden ist. Die Vorinstanzen erachteten ihre Klagsansprüche für Überstunden samt Zuschlägen für den Zeitraum bis Dezember 2016, die erstmals mit Schreiben vom 3. 8. 2017 geltend gemacht wurden, als verfallen. In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[2] 1. Die Dienstordnung B für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs ist ein Kollektivvertrag (RS0054394 [T8]). Gemäß § 51 Abs 4 DO.B ist die Vergütung für die im Laufe eines Monats geleisteten Überstunden bei sonstigem Ausschluss innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem in § 54 Abs 1 DO.B genannten Zahlungstermin geltend zu machen.

[3] Gemäß § 11 Abs 4 KA‑AZG werden Verfallsfristen gehemmt, wenn wegen Fehlens von Aufzeichnungen über die geleisteten Dienststunden die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar ist. Die Bestimmung entspricht jener des § 26 Abs 8 AZG idF der Novelle BGBl I 2007/61. Eine Novellierung des § 11 KA‑AZG in Entsprechung des § 26 Abs 8 und 9 AZG idF BGBl I 2014/94 fand nicht statt.

[4] 2.  Die Unterlassung der Führung von Überstundenaufzeichnungen oder die Ausfolgung einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung kann dazu führen, dass die Berufung auf einen Verfall der Ansprüche durch den Dienstgeber gegen Treu und Glauben verstößt, wenn dem Dienstnehmer etwa durch das kollektivvertragswidrige Verhalten des Dienstgebers die Geltendmachung seiner Ansprüche erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (s RS0097759 [T3]; RS0051974 [T6]; RS0034487 [T8, T10, T11]). Ob ein Verhalten des Arbeitgebers als gegen Treu und Glauben verstoßend anzusehen ist, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0110900, RS0014838 [T15]).

[5] 3.  Hier steht fest, dass die Klägerin stets sowohl die maßgeblichen Lohnabrechnungen als auch die Soll-Dienstpläne zur Verfügung hatte, die auch der Berechnung des Klagsbetrags zugrunde gelegt wurden. Es steht auch fest, dass die Klägerin – wie außer Streit gestellt – entsprechend den Soll-Dienstplänen gearbeitet hatte und dass ihr schließlich die „Ist-Dienstpläne“ zur Unterfertigung vorgelegt wurden. Aus dem Sachverhalt geht sohin nicht hervor, dass Aufzeichnungen über die geleisteten Dienststunden iSd § 11 Abs 4 KA‑AZG „gefehlt“ hätten. Hinsichtlich der Lohnabrechnung kommt es nur auf die formell vollständige Abrechnung an, sodass selbst eine allfällige inhaltliche Unrichtigkeit nicht schaden könnte (s RS0029299 [T6]; 9 ObA 103/18i). Dass die Klägerin die Abrechnungen nicht nachvollziehen bzw verstehen konnte, bedeutete hier auch nicht, dass ihr die Beklagte die rechtzeitige Geltendmachung ihrer Ansprüche erschwert oder praktisch unmöglich gemacht hätte. Derartiges haben die Vorinstanzen daher zutreffend verneint.

[6] 4.  Die Klägerin meint auch, dass es keiner zusätzlichen Rüge bedurft hätte, weil die Beklagte über die Ist-Dienstpläne verfügt habe. Dass es für eine „Geltendmachung“ nicht zwingend auf ein förmliches Einmahnen ankommt, ändert aber nichts daran, dass die jeweilige Handlung für den Erklärungsempfänger als ein zumindest erkennbares ernstliches Fordern einer Leistung auffassbar sein muss (RS0051576). Das ist mit dem bloßen Unterfertigen der Ist-Dienstpläne noch nicht der Fall.

[7] 5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin daher zurückzuweisen.

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