European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00065.21S.0428.000
Spruch:
1. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens wird zurückgewiesen.
2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 772,37 EUR (darin enthalten 55,22 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die Zahlung von 10.554,96 EUR sA. Sie habe gegen den Schweizer Rechtsanwalt und Notar T***** S***** (in Hinkunft: Notar) ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil erwirkt, wonach dieser 6.520 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes zu zahlen und 4.034,96 EUR an Prozesskosten zu ersetzen habe. Der Notar sei zum Zeitpunkt seiner schadensstiftenden Tätigkeit aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Verpflichtung bei der in der Schweiz ansässigen Beklagten berufshaftpflichtversichert gewesen. Sowohl der Notar als auch die Beklagte würden rechtswidrig und schuldhaft jegliche Zahlung verweigern. Die Klägerin mache deshalb nunmehr (auch) gegen die Beklagte einen deliktischen Schadenersatzanspruch geltend. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts ergebe sich aus Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007, wonach auf eine zulässige unmittelbare Klage des Geschädigten gegen den Versicherer unter anderem Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 anzuwenden sei, der dem Geschädigten einen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz eröffne. Die der konkreten Berufshaftpflichtversicherung zugrunde liegenden allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) für die Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, Treuhänder, Wirtschaftsprüfer, Berater und ähnliche Berufe (2006) ordneten in ihrem Art 13.2 an, dass die Beklagte im direkten Weg an den Geschädigten zu leisten habe.
[2] Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen sowie auch der örtlichen Unzuständigkeit. Voraussetzung für den behaupteten Gerichtsstand sei die Zulässigkeit einer Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer. Weder das österreichische noch das schweizer Recht kenne jedoch einen Direktanspruch des Geschädigten gegenüber dem (freiwilligen oder Pflicht‑)Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwalts oder Notars.
[3] Das Erstgericht sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Mangels eines Direktanspruchs gelangten weder Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007, noch Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 zur Anwendung.
[4] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 eröffne dem Geschädigten keine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers, sondern setze die Zulässigkeit einer solchen unmittelbaren Klage voraus. Die einschlägige Kollisionsnorm des Art 18 Rom II‑Verordnung lasse es zugunsten des Geschädigten genügen, wenn sich der Direktsanspruch entweder aus dem Deliktsstatut (Art 4 ff Rom II‑Verordnung) oder aus dem Versicherungsvertragsstatut (Art 7 Rom II‑Verordnung) ergebe. Demnach seien im vorliegenden Fall das österreichische und das schweizer Sachrecht maßgeblich. Das österreichische Versicherungsrecht sehe keine Direktklage des Geschädigten in der Haftpflichtversicherung vor. Eine planwidrige Lücke sei nicht gegeben. Auchdieschweizer Rechtsordnung kenne kein unmittelbares Forderungsrecht des von einem Anwalt und Notar Geschädigten gegen dessen obligatorische Berufshaftpflichtversicherung. Art 13.2 AVB, wonach die Beklagte die Entschädigung in der Regel direkt an den Geschädigten zahle, bedeute bloß ein die faktische Schadensliquidation betreffendes Recht des Versicherers, mache den Haftpflichtversicherungsvertrag jedoch nicht zu einem echten Vertrag zugunsten Dritter im Sinn des Art 112 Abs 2 Schweizerischen Obligationenrecht. Schließlich sei auch aus Art 41 Schweizerisches Obligationenrecht kein entsprechender Direktanspruch der Klägerin abzuleiten.
[5] Das Rekursgericht erklärte nachträglich über Antrag der Klägerin den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs dazu vorliege, ob die Behauptung eines Vertrags zugunsten eines Dritten, nämlich des vom Versicherungsnehmer Geschädigten, ausreiche, um im Sinn der Judikatur zu doppelrelevanten Tatsachen bei der Zuständigkeitsprüfung davon auszugehen, dass der Geschädigte den Haftpflichtversicherer des Schädigers als Begünstigter im Sinn des Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 am Gericht seines Wohnsitzes klagen könne.
[6] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Beklagte begehrt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[9] 1. Im Hinblick auf den Sitz der Beklagten in der Schweiz und dem Datum der Einbringung der Klage (19. 6. 2020) richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am 30. 10. 2007 in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007). Im Verhältnis zur Schweiz ist das LGVÜ 2007 gemäß seinem Art 63 seit 1. 1. 2011 anzuwenden (vgl 8 Ob 45/19d). Es ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN (RS0106679; RS0109738). Inhaltlich stimmt das LGVÜ 2007 mit den Art 1–61 der EuGVVO 2001 nahezu wortgleich überein, sodass die diesbezügliche Literatur und Rechtsprechung weitgehend auch für das LGVÜ 2007 herangezogen werden kann (RS0131605; 8 Ob 45/19d).
[10] 2. Die Klägerin gründet die internationale Zuständigkeitauf Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 und Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007.
[11] 3.1 Nach Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 kann ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staats hat, in einem anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, verklagt werden.
[12] 3.2 Nach Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 sind auf Klagen, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, die Art 8, 9 und 10 anzuwenden, soferne eine unmittelbare Klage zulässig ist.
[13] 4.1 Der Geschädigte hat nach allgemeinem Haftpflichtversicherungsrecht zunächst einen Schadenersatzprozess gegen den Schädiger zu führen und – im Fall des Obsiegens – in die Freistellungsansprüche des Schädigers gegenüber dessen Haftpflichtversicherer Vollstreckung zu führen. Dagegen ermöglicht ihm die Direktklage, den Haftpflichtprozess und den Deckungsprozess gegen den Versicherer in einem zu führen (Heiss in Czernich/Kodek/Mayr (Hrsg), Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4;Artikel 13Rz 3).
[14] 4.2 Die Bedingung, von der Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 die Anwendung der genannten Zuständigkeitsregeln abhängig macht, besteht darin, dass eine unmittelbare Klage im nationalen Recht vorgesehen sein muss (zum inhaltsgleichen Art 11 Abs 2 der Verordnung Nr 44/2001 EuGH vom 13. 12. 2007, C‑463/06 FBTO Schadeverzekeringen NV – Jack Odenbreit, Erwgr 30).
[15] 4.3 Ob eine Direktklage möglich ist, bestimmt sich nach dem anzuwendenden Sachrecht, das nach dem Internationalen Privatrecht des Forumstaates zu ermitteln ist (Schmaranzer in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/ Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht [Lfg 2009] Art 11 EuGVO Rz 5 mwN).
[16] Nach herrschender Ansicht folgt aus Art 1 Abs 1 Z 1 Rom II-Verordnung ua, dass die Verordnung auch dann gilt, wenn der Sachverhalt nur zu einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat Bezüge aufweist (3 Ob 8/14v mwN).
[17] Art 18 Rom II‑Verordnung betrifft die Frage, wann einem Geschädigten ein Anspruch nicht nur gegen den Schädiger, sondern auch gegen den Versicherer zusteht. Sie stellt dabei dem Geschädigten die Statuten eines außervertraglichen Schuldverhältnisses und des Versicherungsvertrags alternativ zur Verfügung und eröffnet die Direktklage, wenn eines der beiden Statuten eine solche ermöglicht (Neumayr in KBB6 Art 18 Rom II‑Verordnung Rz 1 Jakob/Picht in Rauscher, Europäisches Zivilprozess‑ und Kollisionsrecht EuZPR/EulPR [2011] Art 18 Rom II‑Verordnung Rz 1 je mwN).
[18] 4.4 Im Revisionsrekursverfahren argumentiert die Klägerin nur mehr, dass sie als Begünstigte nach Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 und als Geschädigte nach Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 über einen direkten Klagsanspruch gegen den beklagten Versicherer verfüge, der aus Art 41 und 112 Schweizerisches Obligationenrecht (OR) und Art 60 Abs 2 Schweizerisches VVG (SVVG) folge und stellt damit nur mehr auf das Versicherungsvertragsstatut – nach Art 19 AVB ist auf den Versicherungsvertrag schweizer Recht anzuwenden – ab. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Beurteilung des Fehlens eines Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers nach österreichischem Recht (Deliktsstatut) wird hingegen im Revisionsrekursverfahren nicht mehr angezweifelt.
[19] 4.5 Die Bestimmung des Art 60 SVVG in der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung (vgl Art 104 SVVG) auf den sich die Klägerin ausschließlich stützt, räumt allein noch keinen Direktanspruch des Geschädigten gegenüber demBerufshaftpflichtversichererein (vgl Frey/Eggenschwiler Suppan in Honsell/Vogt/Schnyder/Grolimund, Basler Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz Nachführungsband, Art 60, insb ad N23 f; Carron in Honsell/Vogt/Schnyder, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, VVG, Art 60 Rz 2 f).
[20] 4.6 Nach Art 41 Abs 1 OR wird zum Ersatz verpflichtet, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Die Klägerin vertritt, durch die Ablehnung der Haftungsübernahme und der unterlassenen Auszahlung des aus dem Vorprozess rechtskräftigen Zuspruchs werde die Beklagte der Klägerin nach allgemeinen zivilrechtlichen Schadenersatzregeln ersatzpflichtig, was einen direkten Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte begründe. Damit behauptet die Klägerin aber schon selbst keine unmittelbare Geltendmachung eines – in einer Direktklage nach Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 verbundenen – Haftpflicht‑und Deckungsanspruchs aufgrund des Haftpflichtversicherungsvertrags des Versicherungsnehmers.
[21] 4.7.1 Die Klägerin meint weiters, sie habe einen Direktanspruch gegen die Beklagte aufgrund des – als echter Vertrag zugunsten Dritter nach Art 112 OR zu beurteilenden – Haftpflichtversicherungsvertrags zwischen dem Notar als Versicherungsnehmer und der Beklagten, was aus Art 13.2 AVB folge.
[22] 4.7.2 Entgegen der Ansicht der Klägerin ist ihre Behauptung des Vorliegens eines echten Vertrags zugunsten Dritter nicht als doppelrelevante Tatsache der Zuständigkeitsentscheidung zugrundezulegen (8 Ob 45/19d). Sie folgert nämlich ihr direktes Klagerecht ausschließlich aus dem unstrittigen Wortlaut der Vertragsbestimmung des Art 13.2 AVB. Die Auslegung einer nach Form und Inhalt unbestrittenen Urkunde – wie hier – ist nämlich eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RS0043422).
[23] 4.7.3 Nach Art 112 Abs 2 OR kann der Dritte oder sein Rechtsnachfolger selbständig die Erfüllung fordern, wenn es die Willensmeinung der beiden anderen war oder wenn es der Übung entspricht.
[24] 4.7.4 Art 13 AVB regelt die Schadensbehandlung und Vertragstreue. In Art 13.1 AVB ist festgehalten, dass der Versicherer die Verhandlungen mit dem Geschädigten als Vertreter des Versicherten führt und ihre Erledigung der Ansprüche des Geschädigten für den Versicherungsnehmer verbindlich ist. In dem von der Klägerin herangezogenen Art 13.2 AVB folgt sodann – unter näherer Anführung des Vorgehens bei Selbstbehalten – die Bestimmung, dass sie in der Regel die Entschädigung direkt an den Geschädigten bezahlt.
[25] 4.7.5 Die systematische Betrachtung und der insoweit völlig klare Wortlaut trägt das von der Klägerin angestrebte Auslegungsergebnis der Einräumung eines direkten Anspruchs der Beklagten gegenüber nicht. Vielmehr erfolgt hier lediglich die Festlegung des Vorgehens bei der tatsächlichen Schadensliquidierung. Damit ist die Klägerin – entgegen ihrer Ansicht – auch nicht Begünstigte aus dem Versicherungsvertrag.
[26] 4.7.6 Hier ist für die Klägerin daher mangels Vorliegens eines Vertrags zugunsten Dritter auch nichts zu gewinnen.
[27] 4.8 Zusammengefasst folgt, dass die internationale Zuständigkeit im vorliegenden Fall wegen Fehlens der Voraussetzungen des Art 9 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 und jener nach Art 11 Abs 2 LGVÜ 2007 nicht gegeben ist.
[28] 5. Eine Prozesspartei hat nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union durch das Gericht zu beantragen, sodass auch der entsprechende Antrag der Klägerin zurückzuweisen war (RS0058452). Ein Vorabentscheidungsersuchen ist vor dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, zumal die Fragen der Klägerin im Wesentlichen auf die Auslegung schweizer Rechts abzielen.
[29] 6. Dem Revisionsrekurs war keine Folge zu geben.
[30] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
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