OGH 11Os30/21b

OGH11Os30/21b27.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Osman B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten B***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 2. Oktober 2020, GZ 60 Hv 25/20a‑237, weiters über die Beschwerde des Angeklagten B***** gegen einen zugleich gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00030.21B.0427.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft „wegen Nichtigkeit und Schuld“ werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (verbleibenden) Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – Osman B***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 erster Fall StGB (I./), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (II./1./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./2./) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (II./3./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I./ am 27. Februar 2019 in T*****/Tschechische Republik mit Michael W*****, Patrik P***** sowie den im Ausland abgesondert verfolgten Nikola Wa*****, Mustafa K*****, Mustafa M*****, Lukas Po*****, Josef F*****, Stefan R***** und weiteren „Mittätern“ mit Gewalt gegen eine Person unter Verwendung einer Waffe Frantisek Pe***** und Dana Per***** fremde bewegliche Sachen, nämlich etwa umgerechnet 3 Mio Euro (82.421.624 CZK) an Bargeld, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen oder abzunötigen versucht, indem K***** und M***** maskiert und mit zwei Faustfeuerwaffen, einem hölzernen Morgenstern und Pfefferspray bewaffnet mit Handschellen und Klebeband ausgerüstet über die Terrassentür des Hauses ***** einbrachen, M*****, Frantisek Pe***** und Dana Per***** mit Pfefferspray besprühte und Frantisek Pe***** mehrmals mit dem Morgenstern auf den Kopf schlug, wobei Genannter weitere Schläge mit der Hand abwehren konnte, und K***** mit einem Holzstock auf Frantisek Pe***** einschlug, während die anderen „Mittäter“, insbesondere Wa*****, P***** und W***** außerhalb des Hauses durch Leisten von Aufpasserdiensten und Bereithalten eines Fluchtautos zur Tatausführung beitrugen und B***** durch Anheuern der zwei unmittelbaren Mittäter, nämlich K***** und M*****, diese zur Tatausführung bestimmte und durch Planen der Straftat mit Wa*****, Ausstattung der unmittelbaren Täter mit Waffen sowie durch Begleiten der österreichischen „Mittäter“ in die Tschechische Republik zur Tatausführung beitrug, wobei die Tat aufgrund der massiven Gegenwehr von Frantisek Pe***** beim Versuch blieb, jedoch durch die ausgeübte Gewalt jemand schwer verletzt (§ 84 Abs 1 StGB) wurde, nämlich Frantisek Pe***** und Dana Per***** jeweils in Form einer an sich schweren Körperverletzung, verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich einer posttraumatischen Belastungsstörung und geröteten Augenbindehäuten sowie Frantisek Pe***** zusätzlich in Form einer mit fünf Nähten zu versorgenden stark blutenden Rissquetschwunde am Scheitel und Abschürfungen an den Händen, wobei die jeweils schwere Körperverletzung der Opfer W***** und P***** nicht zuzurechnen ist.

II./ 

1./ am 27. Februar 2019 und an darauffolgenden Tagen in L***** Nikola Wa***** durch Gewalt und mehrfach durch gefährliche Drohung, teils mit dem Tod, zu einer Handlung, nämlich zur Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von 17.050 Euro an von ihm geforderten Kosten für die Vorbereitung des unter I./ geschilderten Raubüberfalls zu nötigen versucht, indem er seine Waffe sowie ein Paketklebeband auf den Tisch legte und im Beisein von Wa***** zu den ebenfalls anwesenden Mustafa K***** und Mustafa M***** sagte, dass diese sie vergewaltigen sollten, falls sie sich „blöd verhalte“, ihr eine Faustfeuerwaffe in den Mund steckte und ihr dabei einen Zahn im linken Unterkiefer ausschlug, weiters indem er ankündigte, ihren Lebensgefährten Patrik P***** zusammenzuschlagen und zu erschießen, ihren Kindern etwas anzutun und sie selbst zu vergewaltigen;

2./ Nikola Wa***** vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar am 27. Februar 2019 in L***** im Zuge der zu  I./1./ geschilderten Tathandlung in Form eines ausgeschlagenen Zahnes;

3./ in Vorbereitung der Tat zu  I./ bis zumindest Anfang März 2019 in T*****, L***** und andernorts unbefugt zumindest eine Schusswaffe der Kategorie B, nämlich eine Pistole Kaliber 9 mm, besessen und geführt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B*****.

[4] Die Tatrichter schlossen zu I./ aus dem äußeren Tatgeschehen, dem vorab erarbeiteten und in der Tatnacht zuletzt konkretisierten Tatplan, der Übergabe ua der Tatwaffen durch den Beschwerdeführer, dessen Führungsfunktion gegenüber den unmittelbaren Tätern und der allgemeinen Lebenserfahrung auf einen (bedingten) Vorsatz des Genannten, die unmittelbaren Täter würden bei der Tat auch schwere Gewalt unter Einsatz der mitgeführten Waffen (Morgenstern und Pfeffersprays) anwenden und die Raubopfer dadurch (allenfalls) eine schwere Verletzung erleiden (US 11 f, 14, 37–42).

[5] Die Beschwerde (Z 5 vierter Fall) kritisiert den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite vorangehende Feststellungen zur Einbindung des Beschwerdeführers in den (gesamten) Tatplan (US 12), welche fallkonkret für die Tatrichter unabdingbar für den Schluss auf die Bejahung oder Verneinung von (für die Qualifikation nach § 143 Abs 1 zweiter Fall und Abs 2 erster Fall StGB) entscheidenden Tatsachen durch das Schöffengericht gewesen seien (vgl RIS‑Justiz RS0116737 [T4]).

[6] Hinsichtlich der Erfolgsqualifikation nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB ist zunächst klarzustellen, dass für deren Zurechnung an Tatbeteiligte bereits (bloße) Fahrlässigkeit genügen würde (vgl RIS‑Justiz RS0089151 und RS0089243; in Bezug auf Tatbeteiligte insbesondere RIS‑Justiz RS0089271, RS0089377 und RS0089289).

[7] Mit dem damit konfligierenden Vorbringen, keiner der Beteiligten hätte eine (konkrete) „Anweisung“ durch den Rechtsmittelwerber behauptet, die Ehegatten Pe***** „tatsächlich schwer zu verletzen“ (wovon im Übrigen auch das Erstgericht nicht ausging – vgl US 12, 14, 41), noch lägen sonst Beweisergebnisse für eine entsprechende „Konkretisierung des Tatplans durch den Rechtsmittelwerber“ vor, unternimmt die Beschwerde überdies bloß einen Versuch, die Ableitungen des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu bekämpfen.

[8] Gleiches gilt für die im Rechtsmittel in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen, der Beschwerdeführer sei nicht unmittelbarer Täter und zum konkreten Tatzeitpunkt auch nicht am Tatort gewesen.

[9] Ein innerer Widerspruch (Z 5 dritter Fall) ist in dem Umstand, dass das Erstgericht bezüglich der Beitragstäter W***** und P***** im Zweifel keinen bedingten Vorsatz bezüglich des Eintritts einer schweren Verletzungsfolge feststellen konnte, beim Beschwerdeführer hingegen schon, nicht zu erblicken. Denn die dafür angeführte Begründung, der den genannten Beitragstätern jedenfalls bekannte ursprüngliche Tatplan habe bloß eine Fesselung und Bedrohung der Opfer unter Waffeneinsatz umfasst, lässt sich logisch mit der Erwägung vereinbaren, dass die „letzte“ (US 42: „nähere“) – nunmehr eine Gewaltanwendung mit den mitgeführten Waffen einschließende – Konkretisierung des Tatplans zwischen B*****, M*****, K***** und Wa***** erst nach Zuteilung der Aufpasserrolle an W***** und P***** erfolgte und die Einbindung der Letztgenannten in diese „Konkretisierung“ nicht mit ausreichender Gewissheit festgestellt werden könne (US 10 ff, 14 f, 20, 30 f, 38 f, 41 f). Dass die Tatrichter aus den angeführten Umständen nicht die vom Rechtsmittelwerber gewünschten Schlussfolgerungen gezogen haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0098400).

[10] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter zu II./2./ die Angaben der Nikola W***** zum allgemeinen Zustand ihres Gebisses nicht unberücksichtigt gelassen (US 45). Mit auf diesen Angaben aufbauenden eigenständigen Erwägungen gegen die Ableitung des (bedingten) Verletzungsvorsatzes aus dem äußeren Tatgeschehen und der allgemeinen Lebenserfahrung (US 47 f) beschränkt sich das Rechtsmittel einmal mehr auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.

[11] Die Tatsachenrüge (Z 5a) verweist zu I./ auf Angaben von Rene und Patrik P***** sowie von Jessica G*****, auf Kontakte zwischen Nikola Wa***** und Patrik P***** während der Haft, auf Einträge im Mobiltelefon der Wa*****, auf den Inhalt von Textnachrichten, auf die Abwesenheit des Beschwerdeführers bei der Tatbegehung durch die unmittelbaren Täter, auf ein nach der Tat aufgezeichnetes Gespräch, auf die Beschaffung von Tatwerkzeugen und Kfz-Kennzeichen durch tschechische Tatbeteiligte sowie auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und will daraus andere Schlüsse in Bezug auf dessen Involvierung in die Tat gezogen wissen. Damit gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu erwecken.

[12] Die gegen die Qualifikation nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB (I./) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst Feststellungen dahin, dass B***** die unmittelbaren Täter dazu aufgefordert habe, den Opfern schwere Verletzungen zuzufügen. Sie legt aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810), weshalb dies angesichts der Feststellungen zum abschließenden Tatplan (US 12, 14 – Gewaltanwendung gegen die Opfer mit den vom Beschwerdeführer bereitgestellten Waffen, Fesselung und im Bedarfsfall weitere Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) sowie jenen zum bedingten Vorsatz in Bezug auf den Eintritt von schweren Verletzungen wie Knochenbrüchen, schweren psychischen Erkrankungen und länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigungen (US 14) für die Zurechnung der (schweren) Verletzungsfolgen an den Beschwerdeführer einer solchen Aufforderung oder Vereinbarung bedurft hätte. Im Übrigen lässt § 7 Abs 2 StGB – wie bereits dargelegt – Fahrlässigkeit in Bezug auf die besondere Auswirkung genügen (RIS‑Justiz RS0089243, RS0089271, RS0089289, RS0089377).

[13] Entgegen dem Einwand der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die erschwerende Wertung des Umstands, dass zwei Raubopfer jeweils an sich schwer und in Form einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verletzt wurden (US 51 iVm US 14, 39), nicht gegen das Doppelverwertungsverbot. Denn der Beschwerdeführer wurde zu I./ eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt (US 4), wobei § 143 Abs 2 erster Fall StGB schon die entweder an sich schwere Verletzung oder die 24 Tage übersteigende Gesundheitsschädigung einer einzigen Person genügen ließe.

[14] Auch sonst wurde dadurch keine für die Strafbemessung maßgebende entscheidende Tatsache offenbar unrichtig beurteilt. Ein Sachverhaltssubstrat begründet Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO nämlich nur, wenn es offenbar unrichtig als entscheidend für die Anwendung oder Nichtanwendung einer Rechtsvorschrift der Strafbemessung (der Ermessensentscheidung) beurteilt wurde und solcherart verfehlt beim Strafausspruch in Anschlag gebracht wurde, für diesen also maßgebend war (RIS‑Justiz RS0116960). Die von der Beschwerde angesprochene Frage der (allfälligen) Gewichtung des Umstands, dass der Angeklagte B***** selbst keine Gewalt‑ oder Drohungshandlungen gesetzt hat (vgl dazu allerdings US 52), stellt bloß ein Berufungsvorbringen dar.

[15] Dem weiteren Einwand (Z 11 zweiter Fall) zuwider kann die Beteiligung an der Tat sowohl durch Bestimmung als auch durch Leistung eines (in der Bestimmungstäterschaft aufgehenden – vgl RIS‑Justiz RS0113616) sonstigen Tatbeitrags (US 51) bei der Strafbemessung gar wohl als erschwerend berücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0090975).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B***** war daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizite) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[17] Die – neben einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe – angemeldete „Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld“ (ON 239) der Staatsanwaltschaft war zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (§§ 282, 283 Abs 1 StPO). Soweit die Anmeldung einer „Berufung wegen Nichtigkeit“ als solche einer (bloß falsch bezeichneten) Nichtigkeitsbeschwerde verstanden werden könnte (vgl RIS‑Justiz RS0100000, RS0100007), müsste auch ein solches Rechtsmittel zurückgewiesen werden, weil weder bei deren Anmeldung noch in einer Ausführung ein Nichtigkeit begründender Umstand deutlich und bestimmt bezeichnet wurde (§ 285a Z 2 StPO).

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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