OGH 3Ob9/21a

OGH3Ob9/21a22.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch die Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 101.500 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. November 2020, GZ 16 R 69/20i‑203, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Dezember 2019, GZ 1 Cg 41/17g‑168, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E131493

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung einer Teilforderung von 31.300 EUR sA – nunmehr als Teilurteil lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 50.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 1. 2017 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 51.300 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 1. 2017 wird abgewiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche zukünftigen, derzeit noch nicht bekannten oder bezifferbaren Folgen und Schäden, die aus der unterlassenen ärztlichen Aufklärung vom 30. 11. 2016, vom 21. 12. 2016 und vom 4. 1. 2017 sowie aus der fehlerhaften Sklerosierungsbehandlung vom 4. 1. 2017 resultieren, haftet.“

Im Übrigen – nämlich hinsichtlich der Entscheidung über die Gegenforderung – werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der im Jahr 1984 geborene Kläger hatte im Alter von ca 21 Jahren seine erste sexuelle Beziehung, die ca zweieinhalb bis drei Jahre dauerte. Während dieser Zeit hatte er mit seiner Partnerin zumindest einmal am Tag Geschlechtsverkehr, wobei er in den ersten beiden Wochen ein Kondom verwendete. In dieser Anfangsphase hatte er mitunter Schwierigkeiten, eine volle Erektion zu erlangen oder auch zu halten. Danach verkehrte er mit seiner Partnerin ohne Kondom, worauf keine Erektionsprobleme mehr auftraten.

[2] Aus Anlass dieser anfänglichen Erektionsprobleme suchte der Kläger einen Urologen auf, der sie auf eine psychische Ursache zurückführte, weil der Kläger regelmäßig nächtliche Erektionen bzw Spontanerektionen und auch beim Sexualverkehr ohne Kondom keine Probleme hatte. Dieser Arzt verschrieb dem Kläger Cialis 5 mg. Der Kläger nahm die Tabletten zweimal und danach nicht mehr, weil er nach deren Einnahme mit einer heftigen Erektion reagierte. Auch die folgenden sexuellen Beziehungen des Klägers gestalteten sich ähnlich, nämlich mit anfänglichen Erektionsproblemen, die sich mit zunehmender Dauer der Beziehung nach einigen Wochen verflüchtigten, sodass es dem Kläger fortan grundsätzlich sowohl ohne als auch mit Kondom gelang, seine Erektion zu halten.

[3] Im Frühjahr 2016 suchte der Kläger ein weiteres Mal einen Urologen auf und erhielt wiederum die Diagnose, seine Probleme seien psychischen Ursprungs. Es wurden ihm wieder Tabletten verschrieben. Diese nahm der Kläger nicht ein, weil aus seiner Sicht die Symptomatik dafür nicht ausreichte und sich sein Problem nach einer Beziehungsdauer von einigen Wochen nicht mehr stellte.

[4] Der Kläger glaubte allerdings nicht an eine psychische Ursache seiner Erektionsstörungen und beabsichtigte deshalb, eine körperliche Untersuchung durchführen zu lassen. Über eine Anzeige im Internet stieß er auf die Homepage des Beklagten und suchte ihn am 30. 11. 2016 in seiner Privatordination auf. Er beschrieb, dass er zwar Erektionen bekomme, diese aber in bestimmten Situationen nicht halten könne, so etwa, dass er beim Überziehen des Kondoms einen Zusammenbruch der Erektion habe. Er berichtete dem Beklagten auch, dass er bei einer neuen Partnerin anfangs immer Probleme habe, eine ausreichend lange Erektion aufrechtzuerhalten und ein Kondom zu benutzen. Er schilderte ferner, dass er bereits Mitte des Jahres einen Urologen konsultiert habe, jedoch nicht an eine psychische Ursache glaube und Medikamente auch nicht einnehmen wolle. Er wolle eine organische Ursache für seine Symptome ausschließen. Der Kläger erwähnte auch, er sei bei der Polizei und ein guter Sportler.

[5] Da der Kläger dem Beklagten keinen Hinweis auf eine klassische degenerative Erkrankung als Ursache seiner Erektionsstörungen, auf einen Testosteronmangel oder Libidoverlust bot, die Einnahme von PDE‑5‑Hemmern ablehnte und dem Beklagten erklärte, nicht an eine psychische Ursache für seine Erektionsstörungen zu glauben, schlug dieser dem Kläger die Durchführung einer CT‑Cavernosographie zur Ursachenabklärung vor, wobei er eine caverno‑venöse Insuffizienz (venöses Leck) als mögliche Ursache für die Probleme des Klägers ins Spiel brachte. Der Beklagte hatte nicht den Eindruck, der Kläger sei psychisch alteriert, und stufte ihn als jungen, durchtrainierten und durchdiagnostizierten Polizeibeamten ein. Er hegte keinen Zweifel daran, dass jene Urologen, die der Kläger zuvor aufgesucht hatte, das Problem des Klägers nicht richtig eingeschätzt hätten. Aus Sicht des Beklagten fehlte zum Ausschluss einer organischen Ursache in Form eines venösen Problems oder eines Schwellkörperproblems noch die Cavernosographie. Eine Blutuntersuchung hielt der Beklagte im Fall des Klägers für nicht notwendig.

[6] Anfang oder Mitte Dezember 2016 hatte der Kläger neuerlich Sex. Dabei verkehrte er ohne Kondom und hatte während des gesamten Aktes eine durchgehende Erektion.

[7] Die CT‑Untersuchung unter Verabreichung einer eine Erektion herbeiführenden Injektion mit Alprostadil erfolgte am 21. 12. 2016 durch den Beklagten und einen Radiologen. Ein Hodenschutz wurde hierbei nicht verwendet. Bei dieser Gelegenheit nahm der Beklagte den Kläger auch körperlich in Augenschein. Anhand des CT‑Bildes diagnostizierte er das Bestehen eines venösen Lecks und setzte den Kläger davon in Kenntnis. Der Beklagte schlug ihm zur Behebung desselben eine Operation vor, die er als minimalen Eingriff ohne besonderes Risiko beschrieb. Der Eingriff werde unter örtlicher Betäubung durchgeführt. Der Beklagte fahre in die Vene hinein, gebe Sklerosierungsmaterial hinein und die krankhaft vergrößerte Vene ziehe sich auf Normalgröße zusammen. Während der Verabreichung des Sklerosierungsmittels müsse der Kläger über einen von ihm näher genannten Zeitraum (30 Sekunden oder 1 Minute) die Luft anhalten, damit es wirke. Diese Methode habe der Beklagte selbst entwickelt bzw weiterentwickelt. Zum Erfolg der Methode erklärte der Beklagte, es gebe zumindest 70 bis 80 % zufriedener Patienten. Das Schlimmste, was passieren könne, sei, dass der Zustand des Klägers so bleibe wie vorher. Der Beklagte erklärte dem Kläger ferner, nach der Operation solle man sich drei Wochen schonen und auch keine sexuellen Handlungen durchführen. In der Folge vergewisserte sich der Kläger beim Beklagten noch mehrfach, ob die von ihm vorgeschlagene Behandlung tatsächlich risikolos und ohne Nebenwirkungen sei, was ihm versichert wurde. Der Beklagte klärte den Kläger nicht über die dem Eingriff anhaftende Möglichkeit einer Verschlechterung der beim Kläger bestehenden Symptomatik auf, insbesondere nicht über die mögliche Folge einer dauerhaften erektilen Dysfunktion bzw generell den Eintritt eines irreversiblen Schadens. Hätte der Kläger von den tatsächlich mit dem Eingriff verbundenen Risiken und möglichen Folgen gewusst, hätte er dem vom Beklagten vorgeschlagenen Eingriff nicht zugestimmt. Aufgrund des beiderseitigen Ausschlusses psychischer Ursachen und der Ablehnung des Klägers, Medikamente einzunehmen, besprach der Beklagte mit ihm keine Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung und willigte der Kläger schließlich in diese ein.

[8] Am 4. 1. 2017 führte der Beklagte den Eingriff beim Kläger durch. Unmittelbar davor überreichte ein Mitarbeiter des Beklagten dem Kläger mehrere Zettel, darunter einen mit der Bezeichnung „Behandlung einer Erektionsstörung durch ein venöses Leck“, welcher vom Kläger unterschrieben wurde. Darin heißt es zur beabsichtigten Sklerosierungsbehandlung auszugsweise: „Hierbei handelt es sich um eine standardisierte Behandlung. … Als Komplikationen können Schmerzen, Blutergüsse, Verletzungen von Nerven-Gefäßen oder Haut und Entzündungen auftreten. Ebenso kann es auftreten, dass Ihnen das Ergebnis der Operation nicht gefällt oder dass die erwünschte Reaktion nicht ausreichend auftritt. … Speziell nach dieser Art von Operation hängt der (langfristige) Erfolg sehr von ihrer Mitarbeit ab. ... Die Gewebeanteile müssen sich zunächst einmal 'setzen' und verheilen. Dafür müssen Sie jegliche sexuelle Aktivität in den ersten drei Wochen vermeiden. In der ersten Zeit kann der Penis noch etwas geschwollen sein und Blutergüsse vorhanden sein. Das vollständige Ergebnis zeigt sich erst im Verlauf nach der Operation.“ Der Kläger hatte einen solchen Zettel allenfalls auch schon am 21. 12. 2016 anlässlich der CT‑Cavernosographie erhalten.

[9] Aus medizinischer Sicht wäre er vor dem Eingriff über eingriffspezifische Risiken aufzuklären gewesen, worunter auch eine mögliche Verschlechterung der erektilen Dysfunktion fällt.

[10] Das Wirkprinzip der Sklerosierungstherapie ist eine Zerstörung der Gefäßinnenwand mit begleitender Thrombosierung. Unmittelbar danach kommt es zu einem Anschwellen der behandelten Venen und danach zu einem Schrumpfen und einer narbigen Umwandlung der behandelten Gefäße.

[11] Der Kläger konnte während der Behandlung das vom Beklagten angeordnete Valsalva‑Manöver beim ersten Mal nicht in der vom Beklagten für notwendig erachteten Dauer durchführen, sodass es wiederholt wurde. Dieses Manöver (Luft anhalten und Bauchpressen) dient dazu, einen Stopp des venösen Abstroms herbeizuführen. Seine Effektivität ist patientenabhängig, weil nicht alle Menschen dieses gleichwertig ausführen können. Das Manöver wird in der medizinischen Literatur als nicht ausreichend beschrieben. Die Kontrolle der Verteilung des Sklerosierungsmittels durch den Beklagten erfolgte in einer nicht üblichen und nicht effektiven Weise.

[12] Dass beim Kläger tatsächlich ein venöses Leck vorhanden und auch behandlungsbedürftige Ursache bzw Mitursache seiner präoperativen Erektionsstörungen war, ist nicht feststellbar; überwiegend wahrscheinlich war dies nicht der Fall. Die diagnostische Abklärung der erektilen Dysfunktion mit Verdacht auf ein venöses Leck mittels CT‑Cavernosographie erfolgte nicht lege artis und entsprach nicht den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Der vom Beklagten vorgenommene Eingriff am 4. 1. 2017 war daher medizinisch nicht indiziert.

[13] Die vom Beklagten durchgeführte Sklerosierungstherapie ist aus medizinischer Sicht zwar keine experimentelle Methode, jedoch keine in den gängigen internationalen Leitlinien (jenen der Europäischen Gesellschaft für Urologie [„EAU“], die auch von der Österreichischen urologischen Gesellschaft anerkannt wurden, sowie jenen der amerikanischen urologischen Gesellschaft) genannte Therapieform. Sie ist ganz allgemein als Heilversuch anzusehen, der erst dann indiziert ist, wenn sämtliche in den Leitlinien angeführten Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Diese Voraussetzung war beim Kläger nicht gegeben, fehlte doch etwa eine für den Fall des Klägers am ehesten taugliche sexualmedizinische Psychotherapie.

[14] In den beiden Nächten nach dem Eingriff hatte der Kläger während des Schlafs eine Erektion und wurde aufgrund starker Schmerzen und einer starken Schwellung der Eichel wach. Diese Erektionen unterschieden sich von jenen vor der Operation. Der Penis zeigte nun schräg nach unten, nur mehr der corpus spongiosum war erigiert, die seitlichen Schwellkörper waren kaum mit Blut gefüllt. Der Kläger versuchte deshalb in der ersten Nacht, seine Erektion zu verstärken. Diesen Vorgang brach er jedoch aufgrund von Schmerzen sofort ab. Er setzte sich mit der Ordination des Beklagten in Verbindung, zu dem aufgrund eines Auslandsaufenthalts zunächst kein persönlicher Kontakt zustande kam. Aufgrund seines Zustands und der Schmerzen begab sich der Kläger am 6. 1. 2017 in die Notfallaufnahme des AKH. Auch in den Wochen und Monaten danach suchte er immer wieder das AKH auf, wo Untersuchungen durchgeführt wurden. Da sich die Durchblutungssituation und die Erektionsfähigkeit des Penis nicht besserten, ließ der Kläger über ärztliches Anraten ab Februar 2017 bis November 2018 Stoßwellenbehandlungen durchführen, die anfänglich eine Verbesserung der Erektionsfähigkeit im Vergleich zum Zustand unmittelbar nach dem Eingriff zeigten. Sowohl vom Beklagten als auch im AKH wurde dem Kläger das Medikament Cialis zur Verbesserung der Rivaskularisierung verschrieben. Dieses Medikament nahm der Kläger etwa vom 18. 1. 2017 bis November/Dezember 2017 ein.

[15] Durch die Behandlung des Beklagten erlitt der Kläger drei Stunden leichte Schmerzen, danach zwei Tage starke, sieben Tage mittelstarke und 20 Tage leichte Schmerzen. Die vom Beklagten vorgenommene Sklerosierungsbehandlung führte beim Kläger zu einer Beeinträchtigung der corpora cavernosa. Dies brachte und bringt nachhaltige schwere Erektionsprobleme des Klägers mit sich. Die seitlichen Schwellkörper sind zusammengezogen und fühlen sich taub und unangenehm an. Eine Erektion zur Durchführung von penetrativem Sex ist dem Kläger nur unter Verwendung von Hilfsmitteln (Medikamente, Penispumpe, Penisring) möglich, wobei die erreichbare Erektion des Klägers dennoch deutlich schwächer ausfällt als vor dem Eingriff. Der Kläger litt aufgrund des partiellen Erektionsverlusts auch unter starken psychogenen Beschwerden. Er unterzog sich seit zumindest Februar 2017 für die Dauer von insgesamt mehr als einem Jahr einer Psychotherapie wegen einer schweren Anpassungsstörung mit Identitätskrise und eher schweren depressiven Episoden, ausgelöst durch die aufgrund der Behandlung des Beklagten hervorgerufene permanente Impotenz gefolgt vom Verdacht, vom Beklagten wissentlich falsch diagnostiziert worden zu sein. Die Psychotherapie half dem Kläger, den Zustand nach der Operation akzeptieren zu können. Der erlittene Erektionsverlust zusammen mit den dadurch verursachten psychischen Beschwerden entspricht einem 20%igen Grad der Behinderung. Eine Verbesserung der Erektilität des Klägers in der Zukunft ist nicht auszuschließen, aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gewiss; vielmehr ist eher davon auszugehen, dass die erektile Dysfunktion bestehen bleibt. Künftige vorfallskausale Folgen können derzeit weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

[16] Vor der Operation des Beklagten hatte der Kläger nebenberuflich mit dem Studium * begonnen und befand sich im Jänner 2017, gemessen am planmäßigen Verlauf, im ersten Semester. Von November 2017 bis September 2018 unterbrach er das Studium, nahm es aber auch danach nicht wieder auf, weil es ihm nicht gut geht und er den Kopf nicht dafür frei hat, was zur Beendigung des Ausbildungsvertrags führte.

[17] Der Klägerstelltedas aus dem Spruch ersichtliche Feststellungs- und Zahlungsbegehren. Dabei forderte er als Schmerzengeld 100.000 EUR und als Ersatz von „Generalunkosten“ 1.500 EUR. Er wirft dem Beklagten vor, ihn nicht hinreichend aufgeklärt und nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt zu haben.

[18] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, bestritt das Vorliegen eines Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers und wandte aufrechnungsweise eine Gegenforderung von 800.000 EUR ein. Der Kläger habe ihn, „dem die Patienten davonlaufen, rechtswidrig und schuldhaft geschädigt“. Er habe 2017 „alles daran gesetzt, den Ruf, den Kredit, den Erwerb und das Fortkommen des Beklagten zu behindern und zu zerstören, und zwar durch die Verbreitung von unwahren Tatsachen, deren Unwahrheit der Kläger kennt“. Er habe dem Beklagten öffentlich Betrug und vorsätzliche schwere Körperverletzung unterstellt, indem er in einer näher bezeichneten Fernsehsendung wissentlich wahrheitswidrig sinngemäß behauptet habe, dass ihn der Beklagte vorsätzlich nicht lege artis behandelt und dadurch sein Leben zerstört hätte. Es wäre dem Beklagten einzig und alleine darum gegangen, dem Kläger das Behandlungshonorar herauszulocken. Weiters habe der Kläger in dieser Sendung wissentlich wahrheitswidrig behauptet, dass der Beklagte zwei weiteren Patienten dasselbe angetan hätte und diese deshalb sogar Selbstmord begangen hätten. Seither seien dem Beklagten „die Umsätze eingebrochen (lucrum cessans)“. Im Jahr 2015 habe der Umsatz des Beklagten „aus Sklerosierung und Augmentationen und Patientenzulauf“ 682.000 EUR betragen, im Jahr 2016 habe er den Umsatz auf 801.600 EUR steigern können. Im Jahr 2017 habe der Umsatz aufgrund eines Totaleinbruchs nach der Fernsehsendung vom 30. 9. 2017 nur noch 274.100 EUR betragen. Verglichen mit dem Jahr 2015 sei dies ein Umsatzverlust von 407.900 EUR, verglichen mit dem Jahr 2016 ein Umsatzverlust von 527.500 EUR. Im Jahr 2018 werde der Umsatzverlust aller Voraussicht nach den des Jahres 2017 bei Weitem übersteigen. Zum Beweis der Höhe der Gegenforderung beantragte der Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Buchführungswesen.

[19] Das Erstgerichtgab dem Feststellungs‑ und dem Zahlungsbegehren im Umfang von 30.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 1. 2017 statt. Das Mehrbegehren und „der Antrag der beklagten Partei, die Klagsforderung mit einer Gegenforderung von 800.000 EUR“ aufzurechnen, wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte im Wesentlichen den eingangs zusammengefassten Sachverhalt fest. Diesen beurteilte es dahin, dass der Kläger vor Behandlungsbeginn keine ausreichende Information über das – letztlich auch eingetretene – Risiko der in Aussicht genommenen Behandlung, nämlich einer dauerhaften Verschlechterung seiner erektilen Dysfunktion, erhalten habe. Zudem habe der Beklagte einen Behandlungsfehler zu verantworten, weil die vorgenommene Behandlung weder indiziert gewesen sei noch in Ansehung der Diagnostik und dem Eingriff selbst dem Stand der Medizin entsprochen habe. Dader Eingriff sorgfaltswidrig erfolgt sei und zu einer Schädigung beim Kläger geführt habe, hafte der Beklagte dem Kläger für die nachteiligen Folgen.

[20] An Schmerzengeld erschien dem Erstgericht ein Betrag von 30.000 EUR angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes berücksichtigte es sowohl die mit dem Eingriff verbundenen physischen Schmerzen als auch die eingetretene Dauerfolge, die psychische Beeinträchtigung des Klägers und sein Alter. Die Generalunkosten des Klägers mittelte das Erstgericht in Anwendung des § 273 ZPO mit 200 EUR aus.

[21] Das Feststellungsbegehren erachtete das Erstgericht für gerechtfertigt, weil das Vorliegen von Dauerfolgen die Möglichkeit impliziere, dass das schädigende Ereignis für einen künftigen Schadenseintritt ursächlich sein könne.

[22] Zur Gegenforderung von 800.000 EUR sei von einer Beweisaufnahme Abstand zu nehmen gewesen, weil sie sich nicht aus dem Vorbringen des Beklagten ergebe. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, aus Pauschalbeträgen die ziffernmäßige Höhe einer Gegenforderung herauszufiltern.

[23] Hinsichtlich der Abweisung von 11.300 EUR sA (darin 10.000 EUR Schmerzengeld und 1.300 EUR pauschale Unkosten) erwuchs das Ersturteil in Rechtskraft.

[24] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht, jener des Klägers hingegen teilweise Folge und änderte das Ersturteil insofern ab, als es den Zuspruch auf 70.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 1. 2017 erhöhte und den abweisenden Teil entsprechend reduzierte.

[25] Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts. Zum Schmerzengeld führte es aus, dass der Kläger ohne das rechtswidrige und schuldhafte Vorgehen des Beklagten nach wie vor ein normales Sexualleben hätte führen können und allenfalls nur zu Beginn von Beziehungen bei Verwendung eines Kondoms Erektionsprobleme hätte, welche entweder durch eine sexualmedizinische Psychotherapie behoben oder aber zumindest mit Medikamenten hätten überbrückt werden können. Stattdessen sei er nun aufgrund der Fehlbehandlung des Beklagten ohne Hilfsmittel zu keinem penetrativen Geschlechtsverkehr mehr in der Lage. Er sei aufgrund der Fehlbehandlung auch gezwungen gewesen, sein Studium abzubrechen, weil die psychische Belastung sein Leben überschatte. Angesichts der starken Beeinträchtigung der Lebensfreude des Klägers, des Verlustes seines Selbstwertgefühls und der verlorengegangenen Freude am Geschlechtsverkehr erachtete das Berufungsgericht ein Schmerzengeld von 70.000 EUR für die bereits erlittenen und noch zu erleidenden Beschwerden für angemessen.

[26] Zur Gegenforderung führte das Berufungsgericht aus, dass die Gegenforderung des Beklagten sehr wohl ziffernmäßig bestimmt sei und sich ihre Höhe auch aus seinem Vorbringen schlüssig ableiten lasse. So habe er den Umsatzrückgang im Jahr 2017 in Höhe von zumindest 407.900 EUR auf wahrheitswidrige Behauptungen des Beklagten in einer Fernsehsendung zurückgeführt und vorgebracht, der daraus resultierende Umsatzrückgang im Jahr 2018 werde voraussichtlich noch höher sein. Allerdings setze die Gegenforderung die Wahrheitswidrigkeit der vom Kläger verbreiteten Tatsachen voraus (§ 1330 Abs 2 ABGB). Dies sei hier nicht der Fall, habe das Beweisverfahren doch ergeben, dass der Kläger vom Beklagten tatsächlich nicht lege artis behandelt worden sei. Zwar könne auch das Verbreiten wahrer Tatsachen rechtswidrig in den Schutzbereich des Betroffenen eingreifen, wenn dessen Interessen unnötig verletzt würden, insbesondere kein überwiegendes Informationsbedürfnis der Allgemeinheit oder des Mitteilungsempfängers vorliege. Der Beklagte hätte dafür aber zur Güterabwägung geeignete Argumente ins Treffen führen müssen, um den Vorrang seiner Interessen zu bescheinigen. Da er dies unterlassen habe, habe das Erstgericht im Ergebnis zu Recht auf seine Gegenforderung nicht Bedacht genommen.

[27] Hinsichtlich der Abweisung eines (weiteren) Teilbetrags von 20.000 EUR an Schmerzengeld sA erwuchs das Berufungsurteil in Rechtskraft.

[28] Mit seiner Revision ficht der Beklagte den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit einem auf Abweisung auch des restlichen Klagebegehrens zielenden Abänderungs- sowie einem hilfsweise gestellten Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag an.

[29] Der Kläger beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[30] Die Revision ist zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer Schmerzengeldbemessung in einem Fall vorliegt, in welchem zur erlittenen dauerhaften erektilen Dysfunktion keine ins Gewicht fallenden weiteren körperlichen Beeinträchtigungen hinzutraten. Sie ist auch teilweise berechtigt.

[31] 1. Die in der Revision behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 5 Satz 3 ZPO).

[32] 2.1. Der Beklagte zieht in seiner Rechtsrüge seine Haftung dem Grunde nach allein mit dem Argument in Zweifel, es fehlten Feststellungen zum Häufigkeitsgrad der beim Kläger eingetretenen Komplikationen. Der Häufigkeitsgrad, mit dem sich ein bestimmtes Risiko bei einer bestimmten Operation verwirklicht, sei für die Frage, ob über dieses bestimmte Risiko aufgeklärt werden muss oder nicht, von eminenter Bedeutung. Es sei zu Unrecht eine Aufklärungspflichtverletzung seinerseits bejaht worden.

[33] 2.2. Eine medizinische Behandlung, die mit der Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist oder zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung etwa durch Nebenwirkungen führt, ist eine Körperverletzung und prima vista rechtswidrig, außer es liegt eine wirksame Einwilligung des Patienten vor, was dann nicht der Fall ist, wenn die Behandlung nicht lege artis durchgeführt wird (4 Ob 176/19i [Pkt 5.3]). Voraussetzung für eine sachgerechte Behandlung ist die diagnostische Abklärung der Beschwerden durch Erhebung der erforderlichen Befunde und deren fachgerechte Auswertung (1 Ob 244/16p [Pkt 1.]), mit anderen Worten eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Diagnose. Ärzte haften, wenn die Heilbehandlung nicht lege artis, also nach den anerkannten Regeln der Medizin durchführt wird (statt vieler Karner in KBB6 § 1299 Rz 6 mwN).

[34] Die diagnostische Abklärung durch den Beklagten erfolgte im vorliegenden Fall nicht lege artis. Der Eingriff war zudem medizinisch nicht indiziert und auch seine konkrete Durchführung entsprach nach den Feststellungen nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. Bereits aus jedem einzelnen dieser Gründe haftet der Beklagte dem Kläger für sämtliche nachteiligen Folgen aus dem Eingriff vom 4. 1. 2017 wegen eines ihm zur Last fallenden Kunstfehlers nach § 1299 Satz 1 ABGB.

[35] Die Haftung eines Arztes für eine von ihm vorgenommene Behandlung wegen eines Aufklärungsfehlers kann zwar unerörtert bleiben, wenn der Arzt wegen eines ihm bei der Behandlung unterlaufenen ärztlichen Kunstfehlers ohnehin haftet (vgl 1 Ob 244/16p [Pkt 4.] sowie Karner aaO [„zweite Schiene der Arzthaftung“]). Es ist gleichwohl hier auch an einem Aufklärungsfehler nicht zu zweifeln, weil der Kläger den Beklagten mehrfach fragte, ob die von ihm vorgeschlagene Behandlung tatsächlich risikolos und ohne Nebenwirkung sei, und der Beklagte ihm dies – objektiv unrichtig – versicherte und ihm als schlimmstes Szenario darlegte, dass sein Zustand so bleibe wie bisher. Einem expliziten Aufklärungswunsch des Patienten hat der behandelnde Arzt – abseits hier nicht vorliegender Ausnahmesituationen – zu entsprechen (Memmer in Aigner/ Kletečka/Kletečka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht [2020] Kap. I.3.3.3.4.3). In einem solchen Fall kommt es auf den Häufigkeitsgrad des betreffenden Risikos, nach dem sich der Patient erkundigt, nicht an. Wenn der Beklagte in der Revision im Wesentlichen damit argumentiert, das Risiko, das sich hier verwirklicht hat, sei so selten, dass es in der Literatur gar nicht beschrieben sei, sodass der Beklagte auch keine Aufklärung darüber geschuldet habe, so setzt er sich in Widerspruch zur Feststellung, dass aus medizinischer Sicht vor dem Eingriff über eingriffspezifische Risiken aufzuklären gewesen wäre und dass darunter auch eine mögliche Verschlechterung der erektilen Dysfunktion fällt.

[36] 3.1. Hinsichtlich der Höhe seiner Schadenersatzpflicht zieht der Beklagte in der Revision die Bemessung des Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen in Zweifel. Das Berufungsgericht habe den vom Erstgericht zugesprochenen, nach Ansicht des Beklagten bereits überhöhten Betrag mehr als verdoppelt, ohne oberstgerichtliche Vergleichsjudikatur gefunden zu haben. Das Berufungsurteil sprenge durch den Zuspruch eines Schmerzengeldes von 70.000 EUR den von der Judikatur allgemein gezogenen Rahmen für die Bemessung. Im Übrigen sei die Neubemessung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht unzulässig gewesen, weil es an einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge in der Berufung des Klägers gefehlt habe.

[37] 3.2. Der Kläger bekämpfte die ihm mit 30.000 EUR zu niedrige Bemessung seines Schmerzengeldes durch das Erstgericht wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Dass er dabei seinen Ausführungen vereinzelt Annahmen zugrundelegte, die vom festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt waren – so nahm er an, der Beklagte habe bösgläubig die Operationsrisiken verschwiegen –, ändert nichts daran, dass ansonsten eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorlag. Ausführungen eines Rechtsmittelwerbers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sind nur insoweit einer weiteren Behandlung nicht zuzuführen, als sie von den Tatsachenfeststellungen abweichen (vgl RIS‑Justiz RS0043312 [T12]). Da dem Berufungsgericht sehr wohl eine (ansonsten) gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge des Klägers vorlag, hatte es die Angemessenheit des Schmerzengeldes zu prüfen.

[38] 3.3.1. Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RS0031307). Das Schmerzengeld soll die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (RS0031061). Für seine Bemessung sind die Dauer und Intensität der körperlichen und seelischen Schmerzen, die Kompliziertheit des Heilungsverlaufs, die Schwere der Verletzung und der Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, die Dauerfolgen sowie die negativen Auswirkungen auf das Leben des Verletzten maßgebend (vgl RS0031293; RS0031040; Danzl in KBB6 § 1325 Rz 26). Körperliche und seelische Schmerzen sind dabei gemeinsam zu bewerten (idS RS0031058). Auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes in Betracht zu ziehen (RS0031307 [T18]). Hinsichtlich bestimmter Dauerfolgen kann auch zu berücksichtigen sein, dass sie einen jüngeren Verletzten härter treffen als einen älteren, der diesen Lebensbereich bereits weitestgehend durchlebt hat (vgl Danzl in Danzl, HB Schmerzengeld [2019] Rz 1.35 mwN).

[39] Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (RS0031307 [T28]). Auch im Fall von seelischen Schmerzen sind die einzelnen Bemessungskriterien als „bewegliches System“ zu verstehen, innerhalb dessen Grenzen ein weiter Spielraum für die den Erfordernissen des Einzelfalls jeweils gerecht werdende Ermessensausübung besteht. Somit ist auch hier die Bemessung des Schmerzengeldes global vorzunehmen (RS0122794).

[40] Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RS0031075). Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist aber einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung und andererseits aufgrund der Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist, gerechtfertigt (RS0031075 [T10]).

[41] 3.3.2. Die Vorinstanzen erkannten bereits, dass es in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bislang keine auf den vorliegenden Fall unmittelbar umlegbare Entscheidung gibt, sondern allein Fälle behandelt wurden, in denen der Geschädigte bloß unter anderem und nicht in den Vordergrund tretend eine erektile Dsyfunktion erlitt:

[42] 1 Ob 715/86 betraf den Fall eines 13‑Jährigen, bei dem aufgrund eines Schiunfalls als Dauerfolge unter anderem eine erektile Impotenz verblieb. Im Unterschied zum Fall des Klägers hatte der Bursche beim Unfall auch lebensbedrohende Verletzungen erlitten. Er hatte (komprimiert) vier Wochen schwere, zehn Wochen mittlere und sechs Monate und acht Tage leichte Schmerzen. Der Oberste Gerichtshof führte damals aus, für den zu Beginn der Pubertät stehenden Burschen müsse neben der Verkürzung des Beines insbesondere die Verstümmelung seines Geschlechtsteils und die durch die Verletzungen herbeigeführte, zu seiner Beischlafsunfähigkeit führende erektile Impotenz besonders niederdrückend sein. Der Senat habe in einem Fall, in dem durch Verschulden des operierenden Arztes eine 30‑jährige Frau ihre Gebärfähigkeit verlor, allein wegen der dadurch hervorgerufenen seelischen Unlustgefühle ein Schmerzengeld von 300.000 ATS für angemessen erachtet (1 Ob 619/85). Unter Hinweis darauf sprach der Obersten Gerichtshof dem Burschen ein Schmerzengeld von 600.000 ATS zu (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Schmerzengeld [online]: 87.338,21 EUR).

[43] Zu 2 Ob 89/88 ging es um einen 33-Jährigen, der – wiederum anders als im vorliegenden Fall – bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde. Er litt 7 Tage Schmerzen qualvollen Grades, 42 Tage Schmerzen starken Grades, 70 Tage Schmerzen mittleren Grades und 150 Tage Schmerzen leichten Grades. Als Dauerfolgen verblieben eine vollkommene Harninkontinenz sowie Impotenz, woraus eine schwere psychische Beeinträchtigung des Geschädigten folgte (schwer depressive Stimmungslage). Zur Höhe des Schmerzengeldes führte der Oberste Gerichtshof damals aus, dass nicht nur die lang andauernden, teils qualvollen und starken Schmerzen, die Schwere der Verletzungen und die lang andauernden Krankenhausaufenthalte zu berücksichtigen seien, „sondern insbesondere die auf die völlige Harninkontinenz und die Impotenz bei einem jungen Mann hervorgerufenen seelischen Schmerzen“. Die Ausführungen in der damaligen Revision, die Zuerkennung eines Schmerzengeldes von 650.000 ATS sprenge den von der Judikatur gezogenen Rahmen, ein Schmerzengeld in dieser Höhe sei nur bei Querschnittlähmungen oder sonstigen Lähmungen gegeben worden, seien nicht richtig. Bei Querschnittlähmungen sei in letzter Zeit ein Schmerzengeld von 800.000 bis 1.000.000 ATS zuerkannt worden. Unter Berücksichtigung aller vom Geschädigten bereits erlittenen und in Zukunft noch zu erwartenden Unfallfolgen vermochte der Oberste Gerichtshof in der Bemessung des Schmerzengeldes mit 650.000 ATS durch die zweite Instanz keinen Rechtsirrtum zu erblicken (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Schmerzengeld [online]: 90.742,93 EUR).

[44] Zu 2 Ob 12/02g wurde einem 59‑Jährigen, der infolge eines Autounfalls komprimiert auf einen 24‑Stunden‑Tag 45 Tage starke, 79 Tage mittlere und 165 Tage leichte Schmerzen hatte und an Dauerfolgen unter anderem eine Impotenz und Inkontinenz davontrug, ein Schmerzengeld von 860.000 ATS zugesprochen (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Schmerzengeld [online]: 87.936,09 EUR).

[45] 3.3.3. Zu 1 Ob 214/18d ging es um eine durch einen ärztlichen Kunstfehler unfruchtbar gewordene Frau. Das Berufungsgericht nahm eine Teilbemessung des Schmerzengeldes vor, weil sich die künftigen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Frau noch nicht abschätzen ließen, und erachtete für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Pauschalbetrag von 25.000 EUR für angemessen. Dass der haftungsbegründende Behandlungsfehler eine Beischlafunfähigkeit oder auch nur Einschränkung in der sexuellen Begegnung zur Folge hatte, war in jenem Verfahren – worauf der Oberste Gerichtshof damals ausdrücklich aufmerksam machte – nicht behauptet worden. Insoweit ist dieser Fall mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Die der Entscheidung zu entnehmende Aussage, dass die mit der Ungewissheit, ob bzw inwiefern sich der derzeitige körperliche Status auf das Beziehungsleben auswirken werde, verbundenen psychischen Belastungen ein bei der Ausmessung des Schmerzengeldes zu berücksichtigendes Ungemach darstellen, ist aber auch im hier zu beurteilenden Fall beachtlich.

[46] 3.3.4. Nicht wegen der – völlig anderen – medizinischen Thematik, aber wegen der Auswirkungen auf den Lebensalltag, ist die Entscheidung 10 Ob 89/15h zu Vergleichszwecken zu berücksichtigen. Ein Mann „in relativ jungem Alter“ hatte einen Herzinfarkt erlitten, der bei richtiger Diagnose seiner vermeintlichen Beschwerden in der linken Schulter mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können. Der Herzinfarkt führte zu einer Reduktion der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit von zumindest 50 % gegenüber einer gesunden Person. Die statistische Lebenserwartung war erheblich reduziert. Die weitere Entwicklung des Gesundheitszustands ließ sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. In 30 bis 50 % der Fälle sterben Patienten, die an chronischem Herzversagen leiden, an einem plötzlichen Herztod, in den restlichen Fällen nach schwerem Leiden infolge eines progressiv verlaufenden Pumpversagens des Herzmuskels. Dass die aus dem Wissen um die verringerte Lebenserwartung resultierenden Leidenszustände bei der Globalbemessung des Schmerzengeldes berücksichtigt wurden, widersprach nach Beurteilung des Obersten Gerichtshofs nicht der Rechtsprechung. In Anbetracht der Gesamtsituation des Klägers (50%ige Verringerung der Leistungsfähigkeit, tägliche Schmerzen sowie Wissen um eine deutlich verkürzte Lebenserwartung, aber aktive und selbstbestimmte Lebensgestaltung noch möglich) erschien dem Obersten Gerichtshof ein Schmerzengeld von 90.000 EUR als angemessen (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Schmerzengeld [online]: 97.110 EUR).

[47] 3.3.5. Der Kläger hat im Vergleich zu all diesen Fällen eine geringere körperliche Beeinträchtigung erfahren und deutlich weniger körperliche Schmerzen erlitten. Es ist aber zu berücksichtigen, dass er durch die schädigende Behandlung des Beklagten aus seinem bis dahin geführten Geschlechtsleben herausgerissen wurde. Er muss davon ausgehen, dass die erektile Dysfunktion für die restliche Dauer seines Lebens bestehen bleibt. Gerade in einer Konstellation wie der vorliegenden ist auf das noch junge Alter des Klägers Bedacht zu nehmen, aufgrund dessen seine erektile Dysfunktion umso schwerer wiegt und um so länger nachteilig wirkt. Es sind auch die Probleme, die für ihn sowohl in Bezug auf den Beischlaf als auch in Bezug auf ein eheliches oder außereheliches Zusammenleben mit einer Frau hinkünftig entstehen können, und die damit einhergehenden Belastungen ins Kalkül zu ziehen. Bereits in den letzten Jahren hat festgestelltermaßen die Fehlbehandlung zu einer massiven psychischen Belastung des Klägers geführt, wegen der er sogar ein nebenberuflich betriebenes Studium abbrach, wodurch wiederum auch sein zukünftiges Leben anders als von ihm offenbar zunächst geplant verlaufen wird.

[48] Mit dem Schmerzengeld sollen die Unlustgefühle ausgeglichen und der Verletzte in die Lage versetzt werden, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Unter Beachtung all dieser Umstände und dem durch die bisherige Judikatur gezogenen Rahmen ist nach Beurteilung des Senats angesichts des heutigen Geldwertes und des Grundsatzes, dass das Schmerzengeld nicht zu knapp bemessen werden soll, zwar der vom Berufungsgericht zuerkannte Betrag von 70.000 EUR doch überhöht, aber ein Betrag von 50.000 EUR als Schmerzengeld angemessen. Der Betrag steht – bei allen bestehenden Unterschieden – in einem sachgerechten Verhältnis zum (valorisierten) Zuspruch in den Entscheidungen 10 Ob 89/15h und 1 Ob 715/86.

[49] 3.4. Der Beginn des Zinsenlaufs mit 4. 1. 2017 wurde vom Beklagten (auch) in der Revision nicht in Frage gestellt. Gleiches gilt für die Berechtigung des Feststellungsbegehrens.

[50] 4. Der Beklagte rügt in der Revision letztlich das Fehlen von Feststellungen zu der von ihm erhobenen Gegenforderung.

[51] 4.1. Zuzustimmen ist zunächst der Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Gegenforderung nicht unbestimmt ist.

[52] 4.2. Die Richtigkeit der Ansicht des Berufungsgerichts, soweit der Kläger dem Beklagten öffentlich eine Fehlbehandlung vorgeworfen habe, habe dies den wahren Tatsachen entsprochen, und hinsichtlich der Äußerung dessen schlage eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Empfänger seiner Äußerung einerseits und jener des Beklagten andererseits zum Vorteil des Klägers aus, sodass insofern keine Haftung des Klägers nach § 1330 Abs 2 ABGB bestehe, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Dass insoweit aus den – bislang vom Beklagten nur vorgebrachten, aber nicht festgestellten – öffentlichen Äußerungen des Klägers kein Schadenersatzanspruch des Beklagten abgeleitet werden kann, ist damit ein erledigter Streitpunkt.

[53] 4.3. Die Revision zeigt aber mit Grund auf, dass der Beklagte dem Kläger (auch) zum Vorwurf macht, öffentliche Äußerungen getätigt zu haben, die über den bloßen Vorwurf einer Schädigung durch eine nicht lege artis erfolgte Heilbehandlung bzw einer Heilbehandlung nach unzureichender oder unrichtiger Aufklärung hinausgehen. Der Beklagte begründete seine Gegenforderung unter anderem damit, dass ihm die Patienten weggelaufen seien, weil der Kläger ihm in der Fernsehsendung und damit öffentlich „Betrug und vorsätzliche Körperverletzung“ unterstellt habe. Der Kläger habe 2017 „alles daran [gesetzt], den Ruf, den Kredit, den Erwerb und das Fortkommen des Beklagten zu behindern und zu zerstören, und zwar durch die Verbreitung von unwahren Tatsachen, deren Unwahrheit der Kläger kennt“. Er habe wissentlich wahrheitswidrig sinngemäß angegeben, „dass ihn der Beklagte vorsätzlich nicht lege artis behandelt und dadurch sein Leben zerstört habe“, und dass es dem Beklagten „einzig und allein darum gegangen [sei], dem Kläger das Behandlungshonorar herauszulocken“. Auch habe der Kläger in der Sendung „wissentlich wahrheitswidrig [behauptet], dass der Beklagte zwei weiteren Patienten dasselbe angetan hätte und diese beiden Patienten deshalb sogar Selbstmord begangen hätten“.

[54] Ob und welche Vorwürfe der Kläger in einer Fernsehsendung gegen den Beklagten erhob, deren Berechtigung und das fragliche Wissen des Klägers über ihre allfällige Unrichtigkeit, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, ebensowenig, ob und inwiefern gerade allfällige Verstöße des Klägers gegen § 1330 Abs 2 ABGB den Beklagten nachweislich schädigten. Es liegen insoweit sekundäre Feststellungsmängel vor, die das Erstgericht zu beheben haben wird.

[55] 4.4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht mit den Parteien überdies zu erörtern haben, dass aus dem Vorbringen des Beklagten, Umsatzverluste in bestimmter Höhe erlitten zu haben, nicht unmittelbar abgeleitet werden kann, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang ihm ein – geltend gemachter („lucrum cessans“) – Gewinn entgangen sei. Ein Umsatzentgang kann nämlich nicht ohne Weiteres einem Gewinnentgang gleichgesetzt werden (vgl 9 ObA 178/05z). Allein wenn der Betrieb eines Unternehmens keine zusätzlichen (variablen) Kosten verursacht, ist der entgangene Umsatz mit dem Gewinnentgang ident (vgl 2 Ob 19/87; ferner Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 921 Rz 169). Dass die Behandlung von Patienten für ihn ohne jegliche Kosten möglich wäre und entgangene Umsätze folglich mit entgangenem Gewinn gleichzusetzen wären, ist nicht zu erwarten und hat der Beklagte auch nicht behauptet. Insoweit erweist sich die Gegenforderung derzeit noch als unschlüssig. Der Beklagte wird darzulegen haben, inwiefern sich aus den von ihm behaupteten Umsatzentgang der von ihm behauptete Gewinnentgang ergibt.

[56] Dieser Gesichtspunkt wurde bislang im Verfahren mit den Parteien nicht erörtert. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Das Verbot von Überraschungsentscheidungen gilt auch für den Obersten Gerichtshof (9 Ob 8/18v [Pkt III.11.1.]; Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §§ 182, 182a ZPO Rz 99 mwN). Dass das Erstgericht nach Einlangen der Klagebeantwortung, in welcher der Beklagte seine Gegenforderung von 800.000 EUR unsubstantiiert allein mit dem Satz „Der Kläger hat den Beklagten, dem die Patienten davonlaufen, rechtswidrig und schuldhaft geschädigt.“ begründete, dem Beklagten auftrug, „schlüssiges Tatsachenvorbringen zu seiner Gegenforderung zu erstatten und diese aufzuschlüsseln“, enthob das Erstgericht nicht von seiner Pflicht, nach Einlangen des Schriftsatzes ON 22 die oben genannte Unschlüssigkeit mit den Parteien konkret zu erörtern (vgl 6 Ob 171/19v [Pkt 7.3]; Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §§ 182, 182a ZPO Rz 6).

[57] 5. Es erweist sich daher zusammengefasst das Zahlungs- und Feststellungsbegehren des Klägers, nicht aber das aufrechnungsweise erhobene Schadenersatzbegehren des Beklagten als spruchreif. Hat – wie hier – der Beklagte mittels Einrede eine Gegenforderung geltend gemacht, welche mit der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht im rechtlichen Zusammenhang steht, so kann, wenn nur die Verhandlung über den Klagsanspruch zur Entscheidung reif ist, über denselben durch Teilurteil erkannt werden (§ 391 Abs 3 Satz 1 ZPO).

[58] Der Kostenvorbehalt fußt auf § 392 Abs 2 iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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