OGH 2Ob89/88

OGH2Ob89/8830.8.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gottfried E***, Pensionist, Thomasberg 2, 8800 Unzmarkt, vertreten durch Dr. Gerhard Folk, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagten Parteien 1. Ernst F***, Transportunternehmer, Frauenburg 35, 8800 Unzmarkt, und 2. D*** A*** V***-AG,

Schottenring 15, 1011 Wien, beide vertreten durch Dr. Egon Duschek, Rechtsanwalt in Knittelfeld, wegen 1,078.779,30 S sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 28. April 1988, GZ 6 R 63/88-38, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 28. Dezember 1987, GZ 4 Cg 347/85-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 18.175,41 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.652,31 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13. Jänner 1984 sollte der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten LKW im Auftrag eines Holzeinkäufers auf einem Holzlagerplatz gelagertes Rundholz der Mutter des Klägers abholen. Da sich am Lagerplatz auch Holz anderer Landwirte befand, sollte der Kläger mitfahren, um das abzutransportierende Holz zu zeigen. Eine sonstige Mitwirkung des Klägers war nicht vorgesehen. Auf der Rückfahrt hatte der Erstbeklagte einen Güterweg zu befahren, dessen Naturfahrbahn, die ein Gefälle von 12 bis 15 % aufweist, teilweise vereist war, worüber sich eine 5 cm hohe Schneedecke befand. Der Erstbeklagte hätte die Möglichkeit gehabt, am LKW außer den montierten Ketten noch zusätzliche Ketten aufzuziehen, hat dies aber nicht getan. Nach Befahren einer Linkskurve erreichte der LKW eine Geschwindigkeit von 18 km/h. Der Erstbeklagte konnte auf der eisigen Fahrbahnoberfläche nur eine Bremsverzögerung von 0,5 m sek/m2 erreichen und vor der folgenden engen Rechtskurve die Geschwindigkeit nur mehr auf 10 km/h vermindern. Er lenkte daher nach links auf die Böschung (an den rechten Fahrbahnrand schloß ein 1 bis 1,8 m breiter Wiesenstreifen und an diesen eine steil abfallende Waldböschung an. Sowohl dem Kläger als auch dem Erstbeklagten war es klar, "daß sie umschmeißen würden". Während der Erstbeklagte versuchte, sich am Lenkrad festzuhalten, verblieb der Kläger nicht, sich an den Haltegriffen festhaltend, im Fahrzeug, sondern riß in Panik die Tür auf sprang aus dem Fahrzeug, unmittelbar bevor dieses tatsächlich umstürzte. Der Kläger wurde durch das Führerhaus des umstürzenden LKWs zu Boden gedrückt. Hätte der Erstbeklagte eine Geschwindigkeit von weniger als 15 km/h eingehalten, hätte er anhalten können, ohne daß der LKW umgefallen wäre. Bei einer Geschwindigkeit von weniger als 10 km/h wäre ein Auffahren auf die Böschung vermieden worden. Bei Verwendung zusätzlicher Ketten hätte eine bessere Verzögerung erreicht werden können. Durch das Einklemmen zwischen Führerhaus und Boden erlitt der am 4. Jänner 1951 geborene Kläger eine schwere Beckenverletzung mit Brüchen der oberen und unteren Schambeinäste beiderseits und einen Abriß der Harnröhre im hinteren Anteil knapp unterhalb der Prostata. Trotz zahlreicher Operationen verblieben als Dauerfolgen eine vollkommene Harninkontinenz sowie Impotenz. Daraus folgt eine schwere psychische Beeinträchtigung des Klägers, es ist eine schwer depressive Stimmungslage gegeben. Der Kläger muß ständig entweder einen Dauerkatheter mit Urinal oder Kondom mit Urinal tragen, er wird sich auch in Zukunft operativen Korrektureingriffen unterziehen müssen. Es besteht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 %, wobei eine Erhöhung auf 60 % anzunehmen ist. Der Kläger befand sich wegen der Unfallsfolgen insgesamt mehr als 8 Monate im Krankenhaus. Im Zeitraum vom 13. Jänner 1984 bis 5. Februar 1987 hatte er 7 Tage Schmerzen qualvollen Grades, 42 Tage Schmerzen starken Grades, 70 Tage Schmerzen mittleren Grades und 150 Tage Schmerzen leichten Grades. Für die Zukunft sind immer wieder Harninfektionen zu erwarten, wodurch die Lebenserwartung über den statistischen Durchschnitt verkürzt sein dürfte. Außerdem sind für die Zukunft 7 Tage Schmerzen starken Grades, 45 Tage Schmerzen mittleren Grades und 120 Tage Schmerzen leichten Grades anzunehmen. Vor dem Unfall war vorgesehen, daß der Kläger die ca. 80 ha große Landwirtschaft seiner Mutter, die er gemeinsam mit dieser bewirtschaftete, übernehmen werde, nun ging der Hof aber an eine Schwester des Klägers.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Haftung der Beklagten (jene der Zweitbeklagten beschränkt mit der Versicherungssumme) für die künftigen Folgen des Unfalles. Weiters fordert er einen Schadenersatz von 1,078.779,30 S, darin 800.000 S Schmerzengeld und 250.000 S Verunstaltungsentschädigung.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Feststellungsbegehrens und sprach außerdem dem Kläger einen Betrag von 773.976 S samt Zinsen zu. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Im zuerkannten Betrag sind 650.000 S Schmerzengeld und 100.000 S Verunstaltungsentschädigung enthalten.

Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten als Verschulden an, eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und keine zusätzlichen Ketten montiert zu haben. Dem Kläger könne nicht vorgeworfen werden, in Panik und Todesangst aus dem Fahrzeug gesprungen zu sein. Beim Schmerzengeld von 650.000 S seien auch die voraussehbaren künftigen Schmerzen und insbesondere die psychische Belastung berücksichtigt worden. Es erscheine zu eng, bei einem Anspruch nach § 1326 ABGB auf das äußere Erscheinungsbild allein abzustellen, so daß in Analogie und unter Berücksichtigung der Anschauung des täglichen Lebens wohl für eine "Verunstaltung" durch sonstige Verletzungen, die das Fortkommen behinderten, entscheidend sein müsse, wie unbeholfen sich jemand als Folge seiner Verletzung im täglichen Leben bewege bzw. wie gehemmt oder eingeschränkt er sich nur mehr betätigen könne. Es sei nicht einzusehen, daß eine auf eine Körperverletzung zurückzuführende völlig gleiche Schadensart nur ausgeglichen werden solle, wenn auch das äußere Erscheinungsbild des Verletzten geändert sei; fuße doch das die Haftung auslösende Ereignis auf derselben Grundlage (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 12 zu § 1326). Es gehe darum, daß die Verletzung am Körper Veränderungen bewirke, die das Fortkommen hinderten (Koziol II 143). Durch die vom Kläger erlittenen Verletzungen, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Impotenz und der Notwendigkeit der Katheterisierung als Folge der unfallskausalen Harninkontinenz, könne gerade nach Anschauung des täglichen Lebens in Analogie zu § 1326 ABGB eine "Verunstaltung" angenommen werden, die konkret das Fortkommen des Klägers hindere, zumal sowohl seine Chance einer Verehelichung, die gerade im ländlichen Bereich von besonderer Bedeutung sei, gering sei und auch die vorgesehene Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebes vereitelt worden sei.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsausführungen des Erstgerichtes und gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen die Entscheidung dahin abzuändern, daß nur ein Betrag von 261.988 S zugesprochen und nur für 50 % der künftigen Unfallsfolgen gehaftet, das Mehrbegehren aber abgewiesen werde. Hilfsweise stellen die Beklagten einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

1. Zur Frage eines Mitverschuldens des Klägers:

Die Beklagten führen aus, es habe kein Grund für eine Panikreaktion bestanden, es sei für jedermann eindeutig und klar einsichtig gewesen, daß nur durch ein Verbleiben im Fahrzeug unter Verwendung der Haltegriffe eine Schadensabwehr möglich sei. Eine unmittelbare Gefahr, der nur durch das Verlassen des Fahrzeuges hätte begegnet werden können, sei nicht gegeben gewesen. Die Voraussetzungen für eine Entschuldbarkeit der Panikreaktion seien nicht gegeben gewesen, das Ereignis sei nicht plötzlich und völlig überraschend eingetreten, da der Kläger das Herauslenken auf die Böschung, die geringe Geschwindigkeit und die Langsamkeit des Kippvorganges habe erkennen können. Durch das Herausspringen habe sich der Kläger einer Selbstgefährdung ausgesetzt, so daß die Anwendung der Regel des § 1304 ABGB zu einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 führen müsse.

Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß jemandem, der bei einer plötzlich auftretenden Gefahr zu schnellem Handeln gezwungen ist, eine unter dem Eindruck dieser Gefahr getroffene - rückwirkend betrachtet

unrichtige - Maßnahme nicht als Verschulden angelastet werden kann (ZVR 1974/166, ZVR 1980/157, ZVR 1982/203, ZVR 1984/209 u.v.a.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Der Kläger mußte nicht damit rechnen, daß dem Fahrzeuglenker die erforderliche Verringerung der Geschwindigkeit nicht mehr möglich sei und er auf die Böschung lenken werde, die Gefahr des Umkippens des LKWs trat für ihn daher plötzlich und unvorhergesehen auf. Es kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, die Gefahr, der er zweifellos auch bei Verbleiben im Fahrzeug ausgesetzt gewesen wäre, nicht gegenüber jener, die durch das Herausspringen entstand, abgewogen zu haben, zumal im Moment des plötzlichen Auftretens der Gefahr des Umkippens nicht erkennbar sein mußte, daß dieser Vorgang eher langsam erfolgen werde und der LKW sofort liegen bleiben werde, wenn man berücksichtigt, daß sich der Vorfall in einem steilen Waldgelände ereignete. Es ist dem Kläger daher nicht anzulasten, daß er in Panik geriet und den in langsamer Bewegung befindlichen LKW verließ, um einer Gefahr zu entgehen, ohne zu bedenken, daß er sich dadurch der Gefahr aussetzte, unter den umstürzenden LKW zu geraten. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen eine Mithaftung des Klägers für die Verletzungsfolgen abgelehnt.

2. Zur Höhe des Schmerzengeldes:

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 176 mwN). Im vorliegenden Fall sind daher nicht nur die lang andauernden, teils qualvollen und starken Schmerzen, die Schwere der Verletzungen und die lang andauernden Krankenhausaufenthalte zu berücksichtigen, sondern insbesondere die auf die völlige Harninkontinenz und die Impotenz bei einem jungen Mann hervorgerufenen seelischen Schmerzen. Die Revisionsausführungen, die Zuerkennung eines Schmerzengeldes von 650.000 S sprenge den von der Judikatur gezogenen Rahmen, ein Schmerzengeld in dieser Höhe sei nur bei Querschnittlähmungen oder sonstigen Lähmungen gegeben worden, sind nicht richtig. Bei Querschnittlähmungen wurde in letzter Zeit ein Schmerzengeld von 800.000 S bis 1,000.000 S zuerkannt. Unter Berücksichtigung aller vom Kläger bereits erlittenen und in Zukunft noch zu erwartenden Unfallsfolgen kann in der Bemessung des Schmerzengeldes mit 650.000 S kein Rechtsirrtum erblickt werden.

3. Zur Entschädigung nach § 1326 ABGB:

Die Revisionswerber vertreten die Ansicht, eine derartige Entschädigung gebühre nicht, weil das Erscheinungsbild des Klägers nicht verändert worden sei. Überdies sei kein konkreter Nachweis der Verhinderung der Heiratsaussichten erbracht worden. Auch diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Richtig ist wohl, daß der Oberste Gerichtshof unter Verunstaltung eine wesentliche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung versteht (EFSlg 43.528, 51.504 u.v.a.). Darunter ist aber nicht nur eine äußerlich sichtbare Beeinträchtigung der Körpersubstanz zu verstehen, sondern auch durch äußerlich nicht sichtbare Verletzungsfolgen hervorgerufene Beeinträchtigungen der äußeren Erscheinung, wie etwa eine Sprachstörung, eine Ungeschicklichkeit oder ein Zittern der Hände als Folge einer Hirnverletzung (ZVR 1978/184). In der von der Lehre abgelehnten (Koziol2 II 143; Holzer in JBl 1981, 242; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1326) Entscheidung ZVR 1974/23 wurde zwar Taubheit nicht als Verunstaltung angesehen, in EFSlg 29.424 hat der Oberste Gerichtshof aber ausgesprochen, daß unter anderem die Taubheit die äußerliche Erscheinung des Klägers sinnfällig beeinträchtige, so daß dieser insbesondere bei der Anbahnung von Beziehungen zum anderen Geschlecht Schwierigkeiten haben werde und demzufolge schon in der Richtung auf eine spätere Eheschließung in seinem besseren Fortkommen beeinträchtigt sein könne. Nach ständiger Rechtsprechung ist es auch nicht erforderlich, daß die Verunstaltung am normal bekleideten Menschen sichtbar ist (EFSlg 46.099, 48.656 u.v.a.). Eine Harninkontinenz, die das ständige Tragen eines Dauerkatheters mit Urinal oder eins Kondoms mit Urinal erforderlich macht, muß daher jedenfalls als Verunstaltung angesehen werden. Daß dadurch die Heiratsaussichten eins jungen Mannes beeinträchtigt werden, kann nicht zweifelhaft sein, eines Nachweises des Entganges einer bestimmten Heiratschance bedarf es nach ständiger Rechtsprechung nicht (EFSlg 51.509 u.v.a). Aber auch die Impotenz tritt als eine für eine Sexualpartnerin wahrnehmbare nachteilige Veränderung der körperlichen Beschaffenheit des Klägers in Erscheinung, die die Heiratschancen wesentlich vermindert, sie ist daher bei Bemessung der Entschädigung nach § 1326 ABGB ebenfalls zu berücksichtigen. Aus diesen Gründen ist auch der Zuspruch der Verunstaltungsentschädigung im Betrag von 100.000 S berechtigt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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