OGH 10ObS33/21g

OGH10ObS33/21g30.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. S*****, Rechtsanwältin, *****, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 13. Jänner 2021, GZ 12 Rs 90/20x‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00033.21G.0330.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Klägerin wurde anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 26. 9. 2017 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für die Zeit von 1. 1. bis 25. 9. 2018 gewährt. Die zweite bis fünfte Mutter‑Kind‑Pass-Untersuchung ließ die Klägerin zwar durchführen, legte der beklagten Partei den Nachweis aber erst mit Einbringung der vorliegenden Klage im Jahr 2019 vor.

[2] Thema des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die Klägerin, den nicht fristgerecht erbrachten Nachweis von Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen (nicht) zu vertreten hat (§ 24c Abs 2 Z 1 KBGG). Es ist nicht strittig, dass die Fristen des § 24c Abs 1 und 2 KBGG versäumt wurden.

[3] Die alleinerziehende Klägerin ist Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei. Ihr Sohn wurde in der 25. Schwangerschaftswoche geboren. Sein Gesundheitszustand war über Monate hinweg lebensbedrohlich. Die Klägerin rechnete ständig mit einer Gehirnblutung. Es gab schwere Probleme mit der Lunge, den Augen und einem aggressiven Hautkeim. Während dieser Zeit war die Klägerin täglich auf der neonatologischen Station und fuhr für zwei bis drei Stunden in die Kanzlei, um das Allernotwendigste zu erledigen. Nachdem das Kind am 19. 1. 2018 aus dem Krankenhaus entlassen worden war, musste die Klägerin eine Kinderbetreuung durch zwei Krankenschwestern organisieren und konnte effektiv nur zwei Tage pro Woche in der Kanzlei arbeiten. Ab dem ersten Tag nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war sie jede Woche mit dem Kind bei einem Arzt oder einer Therapie.

[4] Im November 2017 erkundigte sich die Klägerin telefonisch bei der Beklagten über die Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes. Auf eine Frist zum Nachweis der zweiten bis fünften Untersuchung des Kindes wurde sie nicht hingewiesen. Den Antrag auf Kinderbetreuungsgeld vom 21. 11. 2017 unterfertigte sie. Das Antragsformular enthält unter Punkt 8 unter anderem den Hinweis, dass das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe nur dann gebührt, wenn die korrekte Durchführung der vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen zeitgerecht nachgewiesen wird. Eine genaue Angabe der Fristen enthält das Formular ebenso wenig wie der Mutter‑Kind‑Pass. Ein Erinnerungsschreiben zur Vorlage der Untersuchungsnachweise erhielt die Klägerin nicht.

[5] Die Klägerin befand sich im Jahr nach der Geburt ihres Sohnes in einem emotionalen Ausnahmezustand. Alles stellte für sie eine enorme zeitliche, finanzielle und psychische Belastung dar. Aus diesem Grund übersah sie, sich darüber zu informieren, wann genau sie die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes nachzuweisen hatte.

[6] Mit Bescheid vom 14. 5. 2019 reduzierte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld um 1.300 EUR und verpflichtete sie zum Rückersatz dieses Betrags.

[7] Die Klägerin begehrt in ihrer Klage die Feststellung, nicht zum Rückersatz verpflichtet zu sein.

[8] Die Beklagte verwies auf entsprechende Hinweise zum fristgerechten Nachweis der Untersuchungen in Antragsformular, Infoblatt und Mutter‑Kind‑Pass sowie die auch rechtsunkundige Antragsteller treffende Informationspflicht.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, wies das Klagebegehren ab und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 1.300 EUR. Der extrem belastende Ausnahmezustand der Klägerin habe das erste Jahr nach der Geburt bestanden. Danach seien noch mehrere Monate verblieben, um sich über die Nachweispflicht zu informieren. Wenn sogar bei einer nicht rechtskundigen Kinderbetreuungsgeldbezieherin Unkenntnis oder ein Übersehen der Frist zur Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes führe, so müsse dies gleichermaßen auf die Klägerin als Rechtsanwältin zutreffen.

[11] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsrüge auf.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1.1 Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in voller Höhe besteht nur, wenn die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen gemäß der Mutter‑Kind‑Pass‑Verordnung 2002 durchgeführt und durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigung nachgewiesen werden. Werden die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht bis zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nachgewiesen, so reduziert sich gemäß § 24a Abs 4 KBGG der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für jeden Elternteil um 1.300 EUR.

[13] 1.2 Gemäß § 24c Abs 2 Z 1 KBGG besteht trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt. Ausschlaggebend ist, dass die Gründe, die den Nachweis verhindern, vom beziehenden Elternteil nicht zu vertreten sind und diesem kein rechtlich relevanter Vorwurf im Sinn des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann (10 ObS 122/20v mwN). Ob dies zutrifft oder nicht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (10 ObS 88/16p, RIS‑Justiz RS0130213 [T2]).

[14] 1.3 Nach der Rechtsprechung reicht das bloße Übersehen der Verpflichtung zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter‑Kind‑Pass-Untersuchung nicht aus, um einen nicht von den Eltern zu vertretenden Grund annehmen zu können (10 ObS 157/14g SSV‑NF 29/31). Hingegen haben die Eltern nicht zu vertreten, dass der (nach dem dort festgestellten Sachverhalt) mit der Post abgeschickte Nachweis über die durchgeführte Untersuchung beim Versicherungsträger nicht einlangt (10 ObS 88/16p SSV‑NF 30/53). Dasselbe gilt, wenn das Poststück an eine interne Postabteilung des Arbeitgebers übergeben wird, bei der infolge der dort standardisierten Abläufe anzunehmen ist, dass die abgegebenen Poststücke an die Österreichische Post AG weiter befördert werden (10 ObS 122/20v). Nicht von den Eltern zu vertreten ist der unterbliebene vollständige Nachweis einer Untersuchung, wenn dieser auf mehrere Fehler des behandelnden Arztes und eine unrichtige Auskunft eines Mitarbeiters der Beklagten zurückzuführen ist (10 ObS 15/20h). Schwere gesundheitliche Probleme der Mutter (Blutgerinnsel nach Kaiserschnitt mit Lungeninfarkt und Diagnose einer Autoimmunerkrankung mit stark verkürzter Lebenserwartung) und der dadurch bei ihr und ihrer Familie hervorgerufene Ausnahmezustand rechtfertigen das Fehlen des Nachweises der tatsächlich durchgeführten zehnten Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung (10 ObS 140/15h SSV‑NF 30/6).

[15] 2.1 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Säumnis mit dem Nachweis der zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung des Kindes zu vertreten, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Dabei wird die extreme Belastung, der die Klägerin im Jahr nach der Geburt ihres Sohnes in der 25. Schwangerschaftswoche ausgesetzt war, nicht verkannt. Andererseits standen der Klägerin nach dem (in der außerordentlichen Revision in dieser Beziehung nicht angezweifelten) Überlegungen des Berufungsgerichts nach Ablauf eines Jahres noch ein halbes Jahr, mindestens aber vier Monate zur Erbringung des Nachweises zur Verfügung. Dass die Klägerin in diesem Zeitraum den Nachweis über die tatsächlich durchgeführten Untersuchungen nicht übermittelte, rechtfertigt sie mit der fehlenden Kenntnis von den nach § 24c Abs 1 iVm Abs 2 KBGG einzuhaltenden Fristen. So betont die Klägerin, sie hätte die Fristen zur Erbringung des Nachweises jedenfalls eingehalten, wenn sie die Existenz der Fristen (Beginn und Dauer) gekannt hätte. Dass zeige sich schon darin, dass die Klägerin nach Erhalt der Information über die Frist zur Vorlage einer Abgrenzungsbilanz diese fristgerecht vorgelegt habe.

[16] 2.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entschuldigt aber die mangelnde Kenntnis von der Verpflichtung, Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen fristgerecht nachzuweisen, grundsätzlich auch bei rechtsunkundigen Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld nicht die Annahme, die Fristversäumnis sei nicht zu vertreten (10 ObS 157/14g SSV‑NF 29/31). Es ist somit nicht entscheidend, ob die Klägerin den Inhalt eines „Info‑Blatts“ über die Belehrung mit dem konkreten Hinweis auf die fristgerechte Übermittlung von Nachweisen kannte. Deshalb kann auch dahinstehen, ob das Berufungsgericht mit seinen Überlegungen zum Erhalt des Infoblatts im konkreten Fall anlässlich der Unterzeichnung des Antrags auf Kinderbetreuungsgeld von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung oder Beweisergänzung abgegangen ist. Dass die Klägerin die Fristen kannte, hat das Berufungsgericht zudem nicht festgestellt.

Stichworte