European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00015.20H.0526.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Wiener Gebietskrankenkasse war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung von 1.300 EUR des an die Klägerin ausgezahlten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens wegen der nicht rechtzeitigen Vornahme und dem nicht fristgerecht erbrachten Nachweis der fünften Mutter-Kind-Pass-Untersuchung des Kindes der Klägerin.
Anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 13. 4. 2017 bezog die Klägerin Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens ab dem Zeitpunkt des Auslaufens ihres Wochengeldbezugs bis zum 12. 4. 2018 in Höhe von 66 EUR täglich.
Am 22. 11. 2017, im achten Lebensmonat des Kindes, wurde die nach § 7 Abs 5 Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 (MuKiPassV, BGBl II 2001/470 idF BGBl II 2013/420) vorgeschriebene vierte Untersuchung des Kindes, die im siebenten, achten oder neunten Lebensmonat vorzunehmen ist, durchgeführt. Der behandelnde Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde bestätigte die Durchführung dieser Untersuchung auf dem im Mutter-Kind-Pass zum Nachweis der Untersuchungen vorgesehenen Abrissblatt mit dem Datum der Untersuchung (22. 11. 2017). Irrtümlich bestätigte er mit dem selben Datum auch gleich die Durchführung der fünften Untersuchung, die nach § 7 Abs 6 MuKiPassV im 10., 11., 12., 13. oder 14. Lebensmonat des Kindes vorzunehmen ist.
Der Klägerin fiel dieser Irrtum nicht auf. Sie gab gleich anschließend an die Untersuchung die ausgefüllten Abschnitte über die Durchführung der ersten bis fünften Untersuchungen des Kindes bei der Bezirksstelle der Beklagten ab.
Für die tatsächliche Durchführung der fünften Untersuchung vereinbarte sie mit dem Kinderarzt einen Untersuchungstermin eine Woche vor dem 15. 6. 2018. Da das Kind zu diesem Termin Fieber hatte, rief die Klägerin den Kinderarzt an, der ihr mitteilte, dass sie mit dem fiebernden Kind nicht zur Mutter-Kind-Pass-Untersuchung kommen könne. Der Termin wurde seitens des Arztes auf den 15. 6. 2018 verschoben. Zu diesem Termin führte der Arzt die Untersuchung einschließlich der vorgeschriebenen Augenuntersuchung durch. Dabei dokumentierte er die Augenuntersuchung zwar in seinen eigenen Unterlagen, trug sie aber nicht in den Mutter-Kind-Pass ein.
Mit Schreiben vom 18. 6. 2018 forderte die Beklagte die Klägerin mittels standardisiertem Erinnerungsschreiben zur Übermittlung der erforderlichen Nachweise für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung auf. Über telefonische Nachfrage der Klägerin am 25. 6. 2018 teilte ihr ein Mitarbeiter der Beklagten nach Nachschau in den elektronischen Akt mit, dass alle Abschnitte eingelangt seien und die Klägerin das Schreiben als gegenstandslos betrachten könne.
Mit Bescheid vom 22. 1. 2019 sprach die Wiener Gebietskrankenkasse aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens um 1.300 EUR reduziere und forderte die Klägerin zur Rückzahlung auf.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen und von der Rückzahlung der 1.300 EUR abzusehen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil mit der Maßgabe, dass es feststellend aussprach, der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens reduziere sich nicht um 1.300 EUR und der Rückersatzanspruch der Beklagten bestehe nicht zu Recht.
In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision steht die Beklagte auf dem Standpunkt, die Klägerin habe die fünfte Untersuchung des Kindes aus von ihr zu vertretenden Gründen verspätet durchführen lassen und darüber hinaus den vollständigen Nachweis der Untersuchungen nicht erbracht.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
1. Gemäß § 24c Abs 1 Z 2 KBGG besteht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe nur, sofern die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats […] vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden.
§ 24c Abs 2 KBGG sieht Ausnahmen von dieser Kürzungsregel vor: Nach dieser Bestimmung besteht trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn (Z 1:) die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt oder (Z 2:) die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht werden.
Gemäß § 24a Abs 4 KBGG reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1.300 EUR, wenn die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen werden.
Diese Regelung entspricht von der Konzeption her § 3 Abs 4 iVm § 7 Abs 2 und 3 KBGG für das (pauschale) Kinderbetreuungsgeld als Konto.
2. Die Frage, ob der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil das Überschreiten der verordneten Untersuchungstermine zu vertreten hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass sie – von einer unvertretbaren Beurteilung abgesehen – keine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage bildet (RS0130213; 10 ObS 45/15p SSV‑NF 29/27). Das gilt auch für die Frage, ob dieser Elternteil den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zu vertreten hat (vgl 10 ObS 140/15h SSV‑NF 30/6; 10 ObS 88/16p SSV‑NF 30/53; RS0130213 [T2]).
2.1. In den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Fassungen des § 7 KBGG wurde als möglicher Grund für unterbliebene Untersuchungen, der nicht von den Kindeseltern zu vertreten ist, der Aufenthalt im Ausland genannt, wo entsprechende Untersuchungen nicht möglich sind (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 61). Weiters wurde als Grund für das Absehen von Untersuchungen und deren Nachweis höhere Gewalt angeführt (ErläutRV 248 BlgNR 22. GP 2) sowie auch eine spätere Adoption des Kindes (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 12; vgl den Hinweis auf die Materialien in 10 ObS 140/15h SSV‑NF 30/6; 10 ObS 88/16p SSV‑NF 30/53).
2.2. Nach der Rechtsprechung ist der Umstand des bloßen Übersehens der Verpflichtung zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht ausreichend, um einen nicht von den Eltern zu vertretenden Grund annehmen zu können (10 ObS 157/14g SSV‑NF 29/3), ebenso wenig das allgemeine Ansteckungsrisiko bei einer Grippewelle im Warteraum eines Kinderfacharztes als Grund für eine verspätete Vornahme der Untersuchung (10 ObS 45/15p SSV‑NF 29/27; 10 ObS 26/16w SSV‑NF 30/35). Hingegen wurden schwere gesundheitliche Probleme der Mutter und der dadurch hervorgerufene Ausnahmezustand ihrer Familie als ausreichend angesehen (10 ObS 140/15h SSV‑NF 30/6). Nicht zu vertreten ist auch das Nichteinlangen des mit der Post abgeschickten Nachweises über die durchgeführte Untersuchung beim Versicherungsträger (10 ObS 88/16p SSV‑NF 30/53).
3.1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die wegen der Erkrankung des Kindes vom Kinderarzt vorgenommene Verschiebung des ursprünglich innerhalb der dafür vorgesehenen Frist angesetzten Untersuchungstermins über den von § 7 Abs 6 MuKiPassV vorgeschriebenen Untersuchungszeitraum hinaus sei von der Mutter nicht zu vertreten, begründet keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.
3.2. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die verspätete – letztlich erst im Gerichtsverfahren erfolgte – Erbringung des Nachweises im konkreten Fall von der Klägerin nicht zu vertreten ist, bewegt sich innerhalb des den Vorinstanzen eingeräumten Beurteilungsspielraums. Das Berufungsgericht gründete seine Rechtsansicht darauf, dass der unterbliebene vollständige Nachweis auf mehrere Fehler des behandelnden Arztes und eine unrichtige Auskunft eines Mitarbeiters der Beklagten zurückzuführen sei.
Der Einwand der Revisionswerberin, dass die Falschauskunft des Mitarbeiters der Beklagten aufgrund des zeitlichen Ablaufs keinen Einfluss auf die Versäumung der Untersuchungsfrist gehabt habe, ist nicht stichhältig, weil das Berufungsgericht diesen Umstand im Zusammenhang mit der Versäumung der – von der Untersuchungsfrist abweichenden – Frist für die Erbringung des Nachweises berücksichtigte.
Die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes muss nach § 24c Abs 1 Z 2 KBGG spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes nachgewiesen werden. Das Telefongespräch, bei dem ein Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin die unrichtige Auskunft erteilte, alle erforderlichen Nachweise lägen bereits vor, fand am 25. 6. 2018, sohin vor Ablauf des 15. Lebensmonats des Kindes statt. Es begründet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht auch diese Falschauskunft – im Zusammenhalt mit dem Versehen des behandelnden Arztes – dahin wertete, dass die Klägerin die Versäumung der Nachweisfrist im hier zu beurteilenden Einzelfall im Sinn des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG nicht zu vertreten hat.
4. Die Revision ist daher mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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