OGH 1Ob10/21h

OGH1Ob10/21h5.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Höfrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Antragstellers S*****, geboren am ***** 2002, *****, vertreten durch Mag. Milorad Erdelean, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt,

über den Revisionsrekurs des Vaters G*****, vertreten durch die Dr. Wolfgang Schimek Rechtsanwalt GmbH, Amstetten, gegen den mit Beschluss vom 22. Juni 2020, GZ 42 R 503/19k‑186, berichtigten Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. April 2020, GZ 42 R 503/19k‑183, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Oktober 2019, GZ 83 Pu 17/17w‑175, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00010.21H.0305.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs

wird zurückgewiesen.

Der Vater hat dem Antragsteller die mit 502 EUR (darin 83,70 EUR USt) bestimmten Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Vater bezog am 7. 9. 2009 – aufgrund eines 2005 erlittenen Unfalls – aus einer privaten Unfallversicherung eine Zahlung in Höhe von 364.626,66 EUR als (sowohl für die Vergangenheit als auch die Zukunft) kapitalisierte „Unfallrente“. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, dass diese Rente „zumindest“ 20 Jahre lang mit einem monatlichen Betrag von 1.617,20 EURausbezahlt wird.

[2] Am 24. 1. 2017 beantragte der unterhaltsberechtigte Sohn vom Vater – neben einer Erhöhung des laufenden Unterhalts um 393 EUR – die Nachzahlung des sich aus dem Bezug der Unfallrente ergebenden rückständigen Unterhalts ab Februar 2005. Der Vater hielt dem – zumindest soweit sich das Unterhalts‑(erhöhungs‑)begehren auf einen mehr als drei Jahre vor Antragstellung liegenden Zeitraum bezog – den Einwand der Verjährung entgegen. Der Sohn replizierte, dass ihm der Vater die Versicherungsleistung arglistig verschwiegen und er dazu in vorangegangenen Unterhaltserhöhungsverfahren bewusst unrichtige Angaben gemacht habe, sodass die Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstoße.

[3] Das Rekursgericht wies das Begehren auf Nachzahlung rückständigen Unterhalts für den Zeitraum Februar 2005 bis März 2008 im zweiten Rechtsgang wegen Verjährung ab, was vom Sohn nicht bekämpft wurde. Für den Zeitraum ab April 2008 verneinte es hingegen eine Verjährung der geltend gemachten Ansprüche. Eine solche sei für die letzten drei Jahre vor Antragstellung schon nach § 1480 ABGB ausgeschlossen. Für den davor liegenden Zeitraum könne der Sohn dem Verjährungseinwand des Vaters zu Recht die „Replik der Arglist“ entgegenhalten, weil ihn dieser im März 2011 (in einem am 18. 2. 2011 eingeleiteten Unterhaltserhöhungsverfahren) bewusst über den Bezug der Unfallrente getäuscht habe. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich zu, „weil fraglich scheine, ob es darauf ankomme, dass die Arglist des Vaters für die verspätete Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs kausal war.“

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch

nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

[5] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[6] 2. Der Vater steht auch in dritter Instanz auf dem Standpunkt, dass ihm keine arglistige Täuschung seines Sohnes über die Unterhaltsbemessungsgrundlage vorzuwerfen sei. Den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lasse sich nicht entnehmen, dass er ihn vorsätzlich von der Geltendmachung seiner Ansprüche abhalten wollte. Allfällige unvollständige Angaben zur Unterhaltsbemessungsgrundlage seien für die dem Verjährungseinwand entgegengehaltene „Replik der Arglist“ nicht ausreichend.

[7] 3. Die vom Unterhaltsberechtigten erhobene „Replik der Arglist“ bzw der Einwand, dass die Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstoße, ist dann zulässig, wenn die Fristversäumnis auf ein verpöntes (zumindest sorgfaltswidriges und adäquates) Verhalten des Gegners zurückzuführen ist (vgl RIS‑Justiz RS0014838; 1 Ob 166/19x; 7 Ob 156/10g zu Unterhaltsansprüchen; siehe auch M. Bydlinski in Rummel³ § 1501 ABGB Rz 2). Dies umfasst nicht nur den Fall, dass der Schuldner den Gläubiger „arglistig“ im Sinn des § 870 ABGB davon abhielt, der Verjährung durch gerichtliche Geltendmachung seines Anspruchs vorzubeugen (vgl RS0014826; diesen Fall hatte der Antragsteller wohl primär im Auge), sondern es verstößt auch ein Verhalten gegen Treu und Glauben, aufgrund dessen der Gläubiger nach objektiven Maßstäben der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde entweder ohne Rechtsstreit befriedigt oder nur mit sachlichen Einwendungen bekämpft, sodass er aus diesem Grund dessen rechtzeitige gerichtliche Durchsetzung unterließ (vgl RS0014838 [insb T5, T7, T11]; siehe auch Dehn in KBB6 § 1501 ABGB Rz 2 mwN). Letzteres wurde in der jüngeren Rechtsprechung etwa angenommen, wenn ein geschädigter Kapitalanleger vom ersatzpflichtigen Anlageberater durch „Beschwichtigungsversuche“ (insbesondere über eine mögliche Kurserholung) von der Einbringung einer Klage abgehalten wurde (vgl RS0034951 [T33]; RS0087615 [T12]; RS0014838 [T17, T18]).

[8] 4. Hier ist dem unterhaltspflichtigen Vater nicht nur ein solcher „Beschwichtigungsversuch“ vorzuwerfen, vielmehr hielt er seinen unterhaltsberechtigten Sohn durch bewusst wahrheitswidrige Behauptungen über seine finanzielle Situation von der rechtzeitigen Geltendmachung eines Unterhaltserhöhungsanspruchs (für den in dritter Instanz zu beurteilenden Zeitraum ab April 2008) ab. Während im ersten Rechtsgang keine konkreten Feststellungen zur Beurteilung der vom Sohn erhobenen „Replik der Arglist“ getroffen worden waren, steht nunmehrfest, dass der Vater den Bezug der Versicherungsleistung (der kapitalisierten Unfallrente) in dem am 18. 2. 2011 eingeleiteten Unterhaltserhöhungsverfahren nicht bloß verschwieg, sondern sich dort (im März 2011) gegen jegliche Unterhaltserhöhung mit der Begründung aussprach, „seine Pension habe sich lediglich um 10 EUR erhöht, seine Kosten seien gestiegen und er könne sich daher keinen Cent Mehrbelastung leisten“. Die Behauptung des Revisionsrekurswerbers, er habe es bloß unterlassen, den Bezug der Unterhaltsrente „bekanntzugeben“, findet in dem vom Rekursgericht zugrundegelegten Sachverhalt ebensowenig Deckung, wie die Behauptung, die Mutter hätte als gesetzliche Vertreterin des Sohnes Kenntnis vom Bezug der Versicherungsleistung gehabt.

[9] 5. Die bewusst unrichtige Darstellung seiner finanziellen Verhältnisse, womit der Vater seinen Sohn aktiv über den Bezug der kapitalisierten Unterhaltsrente täuschte, rechtfertigt es, seiner Verjährungseinrede die „Replik der Arglist“ bzw den Einwand des Verstoßes gegen Treu und Glauben entgegenzuhalten. Dass dies unabhängig davon, ob sich der Vater über die unterhaltsrechtliche Relevanz der bezogenen (kapitalisierten) Unfallrente Gedanken machte (und daher allenfalls insoweit „arglistig“ im Sinn des § 870 ABGB handelte), geeignet war, den Sohn von weiteren Nachforschungen abzuhalten, liegt auf der Hand. Dass dieser den sich aus der Unfallrente ergebenden erhöhten Unterhalt (auch rückwirkend für die letzten drei Jahre vor Antragstellung) bereits im März 2011 gerichtlich eingefordert hätte, hätte der Vater deren Bezug offengelegt, kann schon daraus geschlossen werden, dass ihn bereits der konkrete Verdacht, der Vater könnte eine Versicherungsleistung bezogen haben, zur Einbringung des vorliegenden Unterhaltserhöhungsantrags (mit einem zunächst noch unbestimmten Begehren) veranlasste. Die Behauptung des Revisionsrekurswerbers, die „verspätete“ Geltendmachung des Unterhaltserhöhungsanspruchs sei nicht auf sein Verhalten zurückzuführen gewesen, findet keine Grundlage im Sachverhalt.

[10] 6. Soweit der Vater die Höhe des Unterhaltsanspruchs insoweit bekämpft, als er die Aufteilung der kapitalisiert ausbezahltenUnterhaltsrente auf einen 15‑jährigen Zeitraum anstrebt, übersieht er, dass das Erstgericht (und diesem folgend das Rekursgericht) eine Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage um jenen Betrag annahm, welcher der (fiktiven) monatlichen Auszahlung der Rente (nach den Feststellungen 1.617,20 EUR über „zumindest“ 20 Jahre) entsprochen hätte. Dem war er in seinem Rekurs nur insoweit unsubstanziiert entgegengetreten, als er ohne nähere Auseinandersetzung mit den rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts behauptete, keine „lebenslange Rente“ zu beziehen, womit den Anforderungen an eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge–hinsichtlich der Bemessung der Unterhaltserhöhung –nicht entsprochen wurde. Diese kann auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz nicht mehr nachgeholt werden (RS0043480 [T12]). Davon abgesehen lässt auch der Revisionsrekurs nicht erkennen, inwieweit sich bei einer Aufteilung der kapitalisierten Rente auf 15 Jahre ein für den Revisionsrekurswerber günstigeres Ergebnis ergäbe.

[11] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG. Der Unterhaltsberechtigte erlangte am 12. 8. 2020 – also am Tag der Einbringung des Revisionsrekurses – die Volljährigkeit, sodass sich der Kostenersatz nach der genannten Regelung und nicht nach § 101 Abs 2 AußStrG richtet (vgl RS0123811). Da er in seiner Rechtsmittelbeantwortung (inhaltlich) auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hinwies, steht dem Antragsteller dafür Kostenersatz zu. Die Bemessungsgrundlage beträgt nach § 9 Abs 3 RATG aber nur das Zwölffache der begehrten monatlichen Unterhaltserhöhung, sohin 4.716 EUR (393 EUR x 12). Werden neben dem laufenden Unterhalt rückständige Beträge begehrt, so sind diese nicht in die Bemessungsgrundlage einzurechnen (8 Ob 33/20s).

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