OGH 10ObS1/21a

OGH10ObS1/21a26.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Mag. Christina Drösler, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2020, GZ 10 Rs 92/20b‑35, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 2. Dezember 2019, GZ 9 Cgs 4/20y‑25, in seinem Punkt 2. einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig aufgehoben und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00001.21A.0226.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens wird vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Das regelmäßige Einkommen des Klägers besteht aus der Invaliditätspension und einer ausländischen Pensionsleistung aus der Schweiz. Er bezieht eine Ausgleichszulage in der Höhe der Differenz zwischen der Summe seiner Einkommen und dem Einzelrichtsatz.

[2] Mit Bescheid vom 6. 9. 2018 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die monatliche Ausgleichszulage ab 1. 8. 2017 mit 86,84 EUR, ab 1. 1. 2018 mit 92,32 EUR und ab 1. 9. 2018 mit 87,32 EUR neu fest, wobei sie aussprach, dass die Ausgleichszulage ab 1. 9. 2018 als Vorschuss ausgezahlt und über diesen Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werde.

[3] Soweit für das Rechtsmittelverfahren noch relevant begehrte der Kläger in seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten, die richtige Auszahlung seines Einkommens gemäß geltendem Ausgleichszulagenrichtsatz 12 mal pro Jahr (jeweils zum Monatsersten) durchzuführen. Während des (damals unterbrochenen) erstinstanzlichen Verfahrens setzte die Beklagte mit dem (vom Kläger gesondert in einem anderen Verfahren angefochtenen) Bescheid vom 9. 8. 2019 die monatliche Ausgleichszulage auch für den von der vorliegenden Bescheidklage erfassten Zeitraum von 1. 8. 2017 bis 31. 8. 2018 neu fest. Anlässlich dieser Neufestsetzung wurde im erstinstanzlichen Verfahren mit dem Kläger erörtert, dass Verfahrensgegenstand lediglich der Zeitraum von 1. 8. 2017 bis 31. 8. 2018 sei. Der Kläger gestand zu, dass die festgesetzten Beträge im neuen Bescheid vom 9. 8. 2019 für diesen Zeitraum korrekt und das (ursprünglich ebenfalls erhobene) Nachzahlungsbegehren daher erledigt seien. Ausdrücklich aufrecht erhielt er das Klagebegehren auf Auszahlung der Ausgleichszulage 12 mal jährlich, und begründete dies mit der Auszahlung der Schweizer Pension 12 mal im Jahr. Nach weiterer Erörterung der Bestimmungen des ASVG über die Auszahlung der Ausgleichszulage und des Jahresausgleichs verwies der Kläger auf seinen Rechtsstandpunkt, wonach diese Regelungen unionsrechtswidrig seien (ON 24 S 1 f).

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Auszahlung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß jeweils 12 mal jährlich zum Monatsersten ab (Spruchpunkt 2).

[5] Aus Anlass der Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts in seinem Punkt 2 einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Die Erklärungen des Klägers anlässlich der Erörterung des Verfahrensgegenstands und des Inhalts seines Begehrens nach Vorliegen des zweiten Bescheids seien so zu verstehen, dass er ausschließlich eine Korrektur des Auszahlungstermins in seinem Sinne (12 mal pro Jahr jeweils zum Monatsersten) anstrebe. Die Überprüfung der Auszahlung einer dem Grund und der Höhe nach unbestritten bescheidmäßig zuerkannten Ausgleichszulage sei keine Sozialrechts‑, sondern eine Verwaltungssache, die wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs den ordentlichen Gerichten entzogen sei.

[6] Der – nicht beantwortete – Rekurs der klagenden Partei ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Eine die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnende Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (der ua auf die in § 354 Z 1 ASVG taxativ aufgezählten Leistungssachen verweist) setzt voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs streitig ist (10 ObS 44/20y; RIS‑Justiz RS0085473). Kern ist die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen (RS0085473 [T1]). Die Überprüfung der Auszahlung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Sozialrechtssache (RS0085474; 10 ObS 180/01w SSV‑NF 15/93 = RS0115580).

[8] 1.2 So verneinte der Oberste Gerichtshof das Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG und nahm eine der gerichtlichen Zuständigkeit entzogene Verwaltungssache an, wenn eine mit Bescheid des Sozialversicherungsträgers dem Umfang und der Höhe nach unbestritten zuerkannte Leistung infolge einer Legalzession nicht zur Gänze an die versicherte Person ausgezahlt wurde (10 ObS 180/01w SSV‑NF 15/93 = RS0115580; 10 ObS 298/89 SSV‑NF 4/89 ua; RS0085474 [T2, T4]) oder infolge einer Drittschuldnerexekution ein Teil der Leistung einbehalten wurde (10 ObS 5/92 = RS0085474 [T3]) oder – anstelle der als Regelfall vorgenommenen bargeldlosen Überweisung (vgl § 104 Abs 6 ASVG) – eine Zahlung mittels ins EU-Ausland zu übersendendem Scheck begehrt wurde (10 ObS 44/20y).

[9] 2.1. Eine Prozesserklärung ist nach ständiger Rechtsprechung nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (RIS‑Justiz RS0037416 [T2, T7, T10]). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Erklärung (RS0037416 [T3]). Ein Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhang mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist (RS0037440 [T4]).

[10] 2.2 Entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichts bekämpft der in erster Instanz unvertretene Kläger – wenn auch ungeschickt formuliert – das Ausmaß der mit dem bekämpften Bescheid zuerkannten Leistung. § 296 Abs 5 ASVG ermöglicht einen Jahresausgleich unter anderem in dem Fall, in dem der Pensionsberechtigte – so wie im vorliegenden Fall – in einem Kalenderjahr monatliche Nettoeinkünfte weniger als 14 mal jährlich bezogen hat. Im Ergebnis will der Kläger insbesondere mit dem Hinweis auf die Auszahlung der Schweizer Pension 12 mal im Jahr erreichen, dass entgegen der von ihm als unionsrechtswidrig bezeichneten Bestimmungen über den Jahresausgleich die Ausgleichszulage von Vornherein jeweils am Ersten des Monats für jeden Monat „richtig“ (höher) berechnet wird und nicht erst ex post betrachtet in richtiger jährlicher Höhe ausgezahlt wird. Damit wendet er sich nicht ausschließlich gegen die Zahlungsmodalitäten (wie zB die bargeldlose Überweisung statt Scheck oder einen iSd § 104 Abs 6 zweiter Satz ASVG unberechtigen Abzug durch Bankspesen) oder die Person des Leistungsempfängers.

[11] 2.3 Eine „reine Auszahlungsstreitigkeit“ im Sinn der bisherigen Rechtsprechung liegt somit nicht vor. Das Begehren des Klägers ist ein sozialrechtlicher Leistungsstreit nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG, weshalb der Rechtsweg zulässig ist. Ob das Begehren des Klägers materiell‑rechtlich tatsächlich berechtigt ist, spielt für dieses Ergebnis keine Rolle (RS0085473). Das Berufungsgericht hat über die Berufung des Klägers inhaltlich zu entscheiden.

[12] 3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Kostenentscheidung nach den Kriterien des § 77 ASGG können noch nicht überprüft werden.

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