OGH 10ObS180/01w

OGH10ObS180/01w30.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Heinz Abel (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alexander D*****, geb. 3. Oktober 1981, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Land Wien (MA 12 - Sozialamt, Referat Pflegegeld), Gonzagagasse 23, 1010 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Auszahlung des Pflegegelds, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. März 2001, GZ 7 Rs 49/01d-10, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. Oktober 2000, GZ 32 Cgs 66/00f-6, und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 3. 10. 1981 geborene Kläger ist hochgradig sehbehindert. Seit 5. 9. 1999 ist er jeweils von Sonntag Abend bis Freitag Mittag im Internat des Bundes-Blindenerziehungsinstituts (BBI) untergebracht, wo er für die Zeit der Unterbringung auch verpflegt wird; Bekleidung wird ihm nicht zur Verfügung gestellt. Konkret umfassen die Leistungen des BBI Unterkunft, Verpflegung, Bettwäsche, Handtücher, Zimmereinrichtung, Geschirr sowie Leistungen im Rahmen der pädagogischen Betreuung und Förderung, Physiotherapie, Lernnachhilfe, Freizeitgestaltung und diverse sportliche Angebote. Von den Familien privat zu finanzieren sind u.a. die Teilnahme an Sportwochen und Skikursen, Ausflüge, Arztbesuche und Transfers.

Beim Bundes-Blindenerziehungsinstitut handelt es sich um eine Schule mit angeschlossener Berufsausbildung, nicht um ein Ganzjahres-Wohnheim. Die Wochenenden, die schulfreien Tage und die Ferien verbringt der Kläger zu Hause bei seinen Eltern.

Pro Woche werden Kosten für fünf Tage Aufenthalt angelastet. Mit der MA 12 verrechnet das Bundes-Blindenerziehungsinstitut nur jene Tage, an denen der Kläger Leistungen in Anspruch nimmt; im Schuljahr 1999/2000 waren dies 175 Tage.

Mit Bescheid vom 11. Jänner 2000 gewährte die beklagte Partei dem Kläger infolge seiner hochgradigen Sehbehinderung ab 1. August 1999 Pflegegeld der Stufe 3 in Höhe von monatlich S 4.865,-- (dies unter Anrechnung des halben Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder von S 825,--).

Weiters wurde in diesem Bescheid vom 11. Jänner 2000 ausgesprochen, dass gemäß § 11 Abs 1 des Wiener Pflegegeldgesetzes (WPGG) das Pflegegeld in einer Höhe von S 2.589,-- aufgrund eines vorliegenden Antrags ab 1. 10. 1999 an die MA 12 - Referat Behindertenhilfe als Kostenträger ausbezahlt wird; für den Zeitraum vom 5. 9. 1999 bis 30. 9. 1999 wird der Betrag von S 2.158,-- an die MA 12 - Referat Behindertenhilfe überwiesen. Für die Dauer der Auszahlung an den Kostenträger der Pflegegeldleistungen gebührt dem Kläger ein Taschengeld in der Höhe von 40 % des Pflegegeldes der Stufe 3, das sind S 2.276,--.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, die beklagte Partei sei schuldig, den ab 1. 10. 1999 als Beitrag für die Internatsunterbringung einbehaltenen Pflegegeldanteil in der Höhe von 60 vH der Pflegegeldstufe 3 (S 2.589,--) neu zu ermitteln und den Kostenbeitrag, der sich aus der Gegenüberstellung des Aufwandes der Familie des Klägers und jenem der MA 12 - Referat Behindertenhilfe zu Gunsten der Familie des Klägers errechne, entsprechend zu verringern und den bisher entstandenen Überschuss binnen 14 Tagen an den Kläger zu überweisen.

Den eingangs dargestellten Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, dass dem Behinderten gemäß § 43 Abs 3 des Wiener Behindertengesetzes 1986 im Rahmen einer Maßnahme, die die Unterbringung und Verpflegung, jedoch nicht die Zurverfügungstellung von Bekleidung umfasse, insgesamt ein Betrag in Höhe von 40 vH des Pflegegeldes zu belassen sei. Der für die Internatsunterbringung einbehaltene Pflegegeldanteil betrage somit 60 vH der Pflegestufe 3. Diese Teilungsregel des Wiener Behindertengesetzes 1986 stelle eine zwingende Rechtsvorschrift dar, sodass auch das Gericht keine Dispositionen über das Abgehen von dem Teilungsschlüssel treffen könne.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges als nichtig auf und wies die Klage zurück. Sei strittig, wem eine dem Grunde und der Höhe nach unbestrittene Sozialleistung auszuzahlen sei, liege keine Leistungssache vor und die Klage sei wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall bekämpfe der Kläger die im Bescheid der beklagten Partei vom 11. Jänner 2000 gemäß § 43 Abs 3 des Wiener Behindertengesetzes vorgenommene Aufteilung der Auszahlung des ihm gebührenden Pflegegeldes zwischen ihm und dem Kostenträger. Da im vorliegenden Fall jedenfalls keine Maßnahme nach dem Wiener Pflegegeldgesetz getroffen worden sei, könne die Bestimmung des § 19 WPGG über die Klageerhebung der nach diesem Gesetz erlassenen Bescheide beim Arbeits- und Sozialgericht nicht angewendet werden. In Bezug auf die Auferlegung eines Kostenbeitrags für die Unterbringung und Verpflegung im Bundes-Blindeninstitut nach § 43 Abs 3 des Wiener Behindertengesetzes, wofür gemäß § 45 Abs 1 dieses Gesetzes der Magistrat der Stadt Wien als Bezirksverwaltungsbehörde zuständig sei, sei nämlich eine Überprüfung durch das Gericht nicht zulässig. Auch eine Klage analog § 19 Abs 2 WPGG sei nicht vorgesehen. Eine Überprüfung von Bescheiden nach § 43 Abs 3 WBHG (durch das Gericht) würde dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung widersprechen; für die Bekämpfung eines derartigen Bescheides wäre der Verwaltungsrechtsweg einzuhalten. Bei der vorliegenden Klage handle es sich demnach nicht um eine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG, für die Rechtsweg zulässig wäre.

Gegen diesen Beschluss erhebt der Kläger Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Die beklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass es genügt, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Rekursausführungen Folgendes zu entgegen zu halten:

Der vorliegende Bescheid der beklagten Partei wurde vom Kläger nur insoweit angefochten, als das dem Grund und der Höhe nach unstrittige Pflegegeld der Stufe 3 ab 1. 10. 1999 nur zum Teil an ihn ausbezahlt und im Übrigen von der beklagten Partei zugunsten der MA 12 - Referat Behindertenhilfe einbehalten wird. Gegenstand der Klage ist also nicht die Gewährung eines Pflegegeldes, sondern ausschließlich die Frage, in welchem Ausmaß das Pflegegeld an den Kläger ausbezahlt wird und in welcher Höhe ein Einbehalt zugunsten der beklagten Partei erfolgt.

Hinsichtlich dieses Einbehalts zugunsten der beklagten Partei beruht der angefochtene Bescheid entgegen der Ansicht des Revisionswerbers inhaltlich aber nicht auf dem Wiener Pflegegeldgesetz, sondern auf dem Wiener Behindertengesetz, das in seinem § 43 Abs 3 Folgendes vorsieht: Wird im Rahmen einer Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung der Lebensunterhalt des Behinderten sichergestellt, sind das Einkommen des Behinderten selbst und die ihm zuerkannten pflegebezogenen Geldleistungen insgesamt bis auf einen Betrag von der Höhe von 20 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 heranzuziehen; in den Fällen, in denen im Rahmen einer Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung Lebensunterhalt hinsichtlich der Bekleidung nicht gewährt wird, ist dem Behinderten insgesamt ein Betrag in der Höhe von 40 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 zu belassen.

Diese Bestimmung wird vom Wiener Pflegegeldgesetz laut dessen § 11 Abs 1 ausdrücklich unberührt gelassen. § 11 Abs 1 WPGG bezieht sich auf den hier nicht vorliegenden Fall der stationären Pflege einer pflegebedürftigen Person auf Kosten oder unter Kostenbeteiligung des Landes oder der Gemeinde Wien und sieht ausdrücklich vor, dass das Pflegegeld, soweit es einen Betrag von 10 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 übersteigt, dem Land Wien oder der Gemeinde Wien als Kostenträger der Pflegeleistungen auszuzahlen ist. Dazu vertritt Fink (Die sukzessive Kompetenz im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995], 145) die Ansicht, dass hier in einem weiteren Sinn die Höhe des Pflegegeldanspruchs tangiert ist, weshalb eine Sozialrechtssache gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vorliege.

Auf den vorliegenden Fall ist diese Ansicht von Fink aber schon deshalb nicht übertragbar, weil der Einbehalt - wie bereits erwähnt - seine Grundlage nicht im WPGG findet, sondern im Wiener Behindertengesetz; die Gewährung des Pflegegelds selbst steht nicht in Streit. Somit ist nicht der Bestand, der Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf eine Versicherungs- oder Pflegegeldleistung iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG fraglich, sondern - auf der Basis des Wiener Behindertengesetzes - die Zulässigkeit eines Einbehalts eines Teils der unstrittig zustehenden Pflegegeldleistung. Das Wiener Behindertengesetz sieht jedoch im Gegensatz zum WPGG keine Möglichkeit der Anfechtung von Bescheiden im Wege der sukzessiven Kompetenz bei den Arbeits- und Sozialgerichten vor.

Es liegt daher keine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor, ebensowenig ein Streit über einen Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 65 Abs 1 Z 3 ASGG, weshalb das Berufungsgericht berechtigterweise die Zulässigkeit des Rechtsweges verneint hat. Daran vermag auch die - betreffend die Aufteilung auf die Auszahlungsempfänger - unvollständige Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides nichts zu ändern, da dadurch keine Zulässigkeit des Rechtsweges begründet werden kann.

Dem Rekurs des Klägers ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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