OGH 7Ob111/20d

OGH7Ob111/20d27.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. DI T***** F*****, 2. DI C***** S*****, 3. DI H***** L*****, und 4. Dr. DI E***** F*****, alle vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 80.875,21 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2020, GZ 3 R 153/19v‑52, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00111.20D.0127.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1.  Die Verjährungsfrist beginnt erst mit Kenntnis von Schaden und Schädiger zu laufen (RS0034374), wenn dem Geschädigten der gesamte anspruchsbegründende Sachverhalt so weit bekannt geworden ist, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524).

[2] Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus; die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihre Kenntnis nicht zu ersetzen. Anderes gilt nur im Rahmen der Erkundigungsobliegenheit: Der Geschädigte darf sich nicht bloß passiv verhalten, wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann. Diesfalls gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falles abzustellen. Die Erkundigungsobliegenheit darf aber nicht überspannt werden (RS0034327). Der Geschädigte ist im Regelfall nicht verpflichtet, ein Privatgutachten einzuholen; ausnahmsweise kann aber, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und das Kostenrisiko zumutbar ist, auch – nach einer gewissen Überlegungsfrist – die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Obliegenheit des Geschädigten angesehen werden (7 Ob 26/18a; 4 Ob 112/19b).

[3] Die Behauptungs‑ und Beweispflicht des Schädigers für den Beginn der Verjährungsfrist gilt auch dann, wenn sich ein Beklagter nicht auf die positive Kenntnis des Schädigers von den nach § 1489 Satz 1 ABGB maßgeblichen Umständen, sondern auf eine Verletzung von Erkundigungsobliegenheiten beruft (vgl RS0034456 [T5]).

[4] 1.2.  Nach den Feststellungen ist die klagende Wohnbaugesellschaft als Bauherrin ab 2006 laufend den ihr bekannten Anhaltspunkten für das Vorliegen von Mängeln bzw Schäden aufgrund mangelhafter Planungsleistungen durch die von ihr beauftragten Beklagten nachgegangen; sie hat aufgrund eines Sachverständigengutachtens aus 2006 sowie eines Gutachtens des Dritt- und des Viertbeklagten selbst aus 2010 entsprechend die ihr von sachverständiger Seite nahegelegten Sanierungsmaßnahmen der von Erst- und Zweitbeklagtem nicht dem Stand der Technik entsprechend geplanten und so ausgeführten Außenwände aus Stahlbeton gesetzt. Letztlich erlangte sie erst durch ein Gutachten vom 21. 3. 2016 tatsächlich Kenntnis von der eigentlichen Schadensursache, nämlich der ungenügenden thermischen Abschottung der betroffenen Wohnungen von der Tiefgarage durch die fehlende Dämmung der Unterzüge, und zwar auch in den der ursprünglichen – und vom Dritt- und vom Viertbeklagten auftragsgemäß bauphysikalisch überprüften – Planung entsprechend in Mantelbeton ausgeführten Bereichen. Es wurde weder konkret vorgebracht noch steht fest, warum und wann die Klägerin, bei der das Fachwissen einer Wohnbaugesellschaft, nicht jedoch spezifisch bauphysikalisch-technische Kenntnisse vorauszusetzen sind, auf das 2006 eingeholte Gutachten und die damit in Einklang stehende Wärmebrückenbeurteilung durch den Dritt‑ und Viertbeklagten aus 2010 selbst bis zum 21. 3. 2016 nicht mehr hätte vertrauen dürfen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Klägerin sei hier keine Verletzung der Erkundigungsobliegenheit anzulasten, ist vor diesem Hintergrund im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.

[5] 2.1.  ÖNORMEN sind eine Zusammenfassung von üblichen Sorgfaltsanforderungen (RS0022153). Sie sind in besonderer Weise zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen geeignet, weil sie grundsätzlich den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden Regeln der Technik widerspiegeln (1 Ob 214/16a; RS0062063). Sie dürfen aber nicht immer dem Stand der Technik gleichgestellt werden, weil sie diesen zwar wiedergeben, aber auch hinter ihm zurückbleiben können (vgl 10 Ob 24/09s; 1 Ob 214/16a).

[6] Ob der Stand der Technik eingehalten wurde, ist eine irrevisible Tatfrage (vgl 1 Ob 262/00m).

[7] 2.2.  Hier steht fest, dass bereits zur Zeit der Planerstellung der Stand der Technik einen Wärmedämmungswert vorsah, dem die Planung des Erst‑ und des Zweitbeklagten ebenso wenig gerecht wurde wie deren bauphysikalische Prüfung durch den Dritt‑ und den Viertbeklagten. Dass davon nur von Letzteren nicht geprüfte spätere Planungsversionen mit Stahlbetonaußenwänden betroffen wären, wie die Revision an mehreren Stellen behauptet, entspricht nicht den Feststellungen, wonach bereits die ursprünglichen (und von Dritt‑ und Viertbeklagtem geprüften) Planungen mit Mantelbeton, die auch so ausgeführt wurden, nicht dem Stand der Technik entsprechende Dämmwerte aufwiesen, was auch zu den hier geltend gemachten Schäden beitrug. Eine erhebliche Rechtsfrage wird von den Beklagten auch hier nicht aufgezeigt.

[8] 3.  Die Parteien haben übereinstimmend vorgebracht, dass der Dritt- und der Viertbeklagte von der Klägerin als Sonderfachleute „mit der bauphysikalischen Bearbeitung“ beauftragt waren. Dennoch traf das Erstgericht eine Negativfeststellung in Ansehung von Fragen, die der Erst- und der Zweitbeklagte an den Dritt‑ und den Viertbeklagten zur bauphysikalischen Überprüfung herangetragen hätten.

[9] Die Revision meint dazu, diese non‑liquet‑Feststellung sei entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht überschießend; sie führt aber nicht näher aus, warum das Geständnis hier entgegen der Rechtsprechung (17 Ob 19/11k) nicht aufgrund der Dispositionsmaxime Vorrang vor der Negativfeststellung haben und dieses daher nicht unbeachtlich sein sollte. Dass das Berufungsgericht die dem Dritt‑ und dem Viertbeklagten der Klägerin gegenüber bestehende (grundsätzliche) bauphysikalische Überprüfungspflicht schon aus den übereinstimmenden Parteibehauptungen ableitete und der rechtlichen Beurteilung zugrundelegte, hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Erhebliche Rechtsfragen stellen sich auch in diesem Zusammenhang nicht.

[10] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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