European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00164.20Y.0127.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.961,82 EUR (darin 326,97 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin hat mit dem beklagten Versicherer einen Gebäude- und Haushaltsversicherungsvertrag abgeschlossen. Der Versicherung liegen unter anderem die „992 – Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB Fassung 2012)“ (in der Folge: AWB) sowie die „W16 – Besondere Bedingung zur Leitungswasserschadenversicherung im Eigenheim Superschutz“ (in der Folge: BB‑W16) der Beklagten zugrunde.
[2] Die AWB lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Versicherte Gefahren und Schäden
Versichert sind:
1. Schäden durch Austreten von Leitungswasser aus wasserführenden Anlagen oder angeschlossenen Einrichtungen.
2. Bei der Versicherung von Gebäuden zusätzlich:
2.1 Schäden durch Bruch im wasserführenden Rohrsystem.
…
Artikel 2
Nicht versicherte Gefahren und Schäden
...
Ebenfalls nicht versichert sind:
...
8. Schäden am Rohrsystem durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung.
...
Artikel 8
Entschädigung
1. Bei GEBÄUDEN
...
1.3 Bei der Behebung eines Bruchschadens am Rohrsystem werden die Aufwendungen für das Austauschen des Rohres und für Nebenarbeiten bis zum Ausmaß von 2 m Länge ersetzt.
... “
[3] Die BB‑W16 lautet auszugsweise wie folgt:
„In Ergänzung der Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB) sind obligatorisch mitversichert:
Schäden durch Austreten von Leitungswasser aus Zu- und Ableitungsrohren von Wasserleitungs-, Warmwasserversorgungs- oder Zentralheizungsanlagen … , ferner Bruch- und Frostschäden an den innerhalb der versicherten Gebäude oder an deren Außenwänden befindlichen Zu- und Ableitungsrohren sowie … .
Abweichend von Artikel 1, Punkt 2.1, Artikel 2, Punkt 8 und Artikel 8, Punkt 1.3 der AWB sind Schäden an Zu- und Ableitungsrohren, die sich innerhalb des versicherten Gebäudes und außerhalb (auch Mischwasserkanäle) auf dem Grundstück (Hof, Garten, Vorgarten) befinden, ohne Rücksicht auf die Entstehungsursache versichert (auch gegen Schäden durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung).
In jedem Schadenfall sind die Kosten für das Einziehen neuer Rohre bis zu einer Länge von 6 m mitversichert. Werden nach einem Schadenfall Rohre mit einer Länge von mehr als 6 m eingezogen, so wird der Schaden im Verhältnis von 6 m Rohr zur tatsächlich eingezogenen Rohrlänge ersetzt.
- ...“
[4] Im Jahr 2014 trat im Versicherungsobjekt Wasser aus und verursache Schäden, für welche die Beklagte Leistungen erbrachte.
[5] Am 16. 12. 2015 hielt ein Sachverständiger der Beklagten zur Schadensmeldung der Klägerin (wonach sich Abwasser im Waschbecken des Bads stauen würde, eine „braune Suppe“ aus den Zuleitungen bei Öffnen eines Wasserhahns ausgetreten und seitdem der Druck der Leitungen unregelmäßig sei) fest, dass ein versicherungstechnisch relevanter Schaden nicht feststellbar sei. Die Probleme seien auf einen aufgestauten Renovierungsbedarf der Leitungen im Gebäude zurückzuführen. Die Leitungen befänden sich ihrem Alter entsprechend am Ende ihrer Nutzungsdauer.
[6] Ein Mitarbeiter der Beklagten forderte die Klägerin mit E‑Mail vom 28. 1. 2016 unter Hinweis auf diese Ausführungen des Sachverständigen auf, eine Generalsanierung der Rohrleitung umgehend zwecks Vermeidung weiterer Rohrbrüche auf Kosten des Versicherungsnehmers durchzuführen; andernfalls sei keine weitere Deckung mehr für Folgeschäden gegeben.
[7] Durch die übliche Abnützung bildeten sich in den Wasserleitungen der Klägerin im Laufe der Zeit raue Stellen bzw Ablagerungen im Ablauf, über die das Wasser in geringerem Maße abfließen kann. In Folge staut Wasser im Ablauf und verursacht einen Wasserstau im Becken. Bei ausreichendem Wasserdruck durch das angestaute Wasser werden die Ablagerungen gelöst und das Wasser kann ablaufen. In der Vergangenheit austretende Verunreinigungen (braunes Wasser) sind auf Ablagerungen in den Leitungen zurückzuführen. Es tritt kein Leitungswasser aus. Es sind keine Folgeschäden bzw undichte Stellen vorhanden. Es kann derzeit kein Austritt von schmutzigem Wasser oder ein Druckabfall in den Leitungen festgestellt werden. Die Leitungen sind alt und korrodiert. Sie befinden sich aufgrund ihres Alters am Ende ihrer Nutzungsdauer.
[8] Die Klägerin begehrte – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – 31.162,78 EUR an Kosten für den Austausch von Wasserleitungen sowie die Feststellung gegenüber der Beklagten, dass der Austausch von Leitungen, welche altersbedingt schadhaft geworden seien und ausgetauscht werden müssten, vom Leistungsumfang gedeckt seien und eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten bestehe.
[9] Gemäß der BB‑W16 seien Schäden an Zu- und Ableitungsrohren ohne Rücksicht auf die Entstehungsursache versichert, auch gegen Schäden durch Korrosion, Verschleiß und Abnützung. Die Wasserleitungen im Haus der Klägerin seien korrodiert.
[10] Die Beklagte bestritt und brachte – soweit hier von Bedeutung – vor, über bereits geleistete Zahlungen hinaus bestehe keine Deckungspflicht. Die Erneuerung von Wasserleitungen, die am Ende ihrer Nutzungsdauer angelangt seien, sei von der Polizze nicht gedeckt. „Korrosion“ sei nach der deutlichen und transparenten Formulierung der BB‑W16 im Zusammenhang mit Schäden zu sehen.
[11] Das Erstgericht wies – soweit hier relevant – das Klagebegehren ab. Der Austausch von Leitungen sei nicht gedeckt.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die BB‑W16 sei nicht in dem Sinne zu verstehen, dass damit das versicherte Risiko erweitert werde und auch den Ersatz von veralteten und korrodierten Leitungen mitumfasse, ohne dass es zu einem „sonstigen“ Schaden gekommen sei. Art 2.8 AWB schließe Schäden am Rohrsystem durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung, vom Versicherungsschutz aus; die BB‑W16 wolle hingegen Schäden an Zu- und Ableitungsrohren ohne Rücksicht auf die Entstehungsursache versichern. Der altersgemäße Zustand von Wasserleitungsrohren, auch wenn am Ende ihrer Nutzungsdauer und korrodiert, sei aber kein „Schaden“, solange diese – wie hier – dicht seien. Diese Auslegung werde auch dadurch gestützt, dass in jedem Schadenfall die Kosten für das Einziehen neuer Rohre bis zu einer Länge von 6 m mitversichert seien: Damit werde klargestellt, dass – wie dies dem Zweck und Wesen der Leitungswasserversicherung entspreche – ein „Schadenfall“ vorliegen müsse, also ein vom ordnungsgemäßen Ablauf (Zustand) abweichendes Ereignis, dessen Folgen weiter fortbestünden. Ein derartiger Versicherungsfall liege hier nicht vor.
[13] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur BB‑W16 vorliege.
[14] In ihrer ordentlichen Revision stellt die Klägerin einen Abänderungsantrag, hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
[15] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[16] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[17] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§ 914 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[18] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).
[19] 2.1. Die Versicherung gegen Leitungswasser bietet Schutz gegen Schäden, die durch den Austritt von Wasser aus Zu- oder Ableitungsrohren oder angeschlossenen Einrichtungen von Wasserleitungs-, Warmwasserversorgungs- oder Zentralheizungsanlagen sowie aus Etagenheizungen entstehen. Sie ist eine Sachversicherung (vgl 7 Ob 118/17d mwN; RS0113625). Unter Leitungswasser ist aus wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen austretendes Wasser zu verstehen, wobei der Versicherungsschutz auch Flüssigkeitsaustritt am Ende einer wasserführenden Rohrleitung umfasst (vgl RS0123409). Dies kann ein verständiger Versicherungsnehmer nur dahin verstehen, dass Versicherungsschutz ausschließlich dann besteht, wenn das Wasser bestimmungswidrig austritt (7 Ob 170/19d; vgl 7 Ob 105/15i = RS0130380).
[20] 2.2. Nach Art 2.8 AWB sind bestimmte Schäden am Rohrsystem, nämlich durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung, nicht versichert.
[21] Beim Ausschluss nach Art 2.8 AWB handelt es sich um einen deklaratorischen, also klarstellenden Ausschluss, der normiert, dass keine Schäden am Rohrsystem erfasst sind, die etwa durch Rost an diesem selbst entstehen, wäre doch sonst die Versicherung verpflichtet, Ersatz etwa für rostige Leitungen (auch ohne deren Bruch) zu leisten (vgl 7 Ob 14/07w mwN).
[22] 2.3. Durch die BB‑W16 wird der Versicherungsschutz erweitert und modifiziert.
[23] 3. Die Revisionswerberin möchte die BB‑W16 zur Begründung ihres Anspruchs so auslegen, dass es nicht auf die Dichtheit der Rohre ankomme, sondern „jeder Nachteil in Bezug auf die rechtlich geschützten Güter“ ein Schaden sei, daher auch schon bloß Korrosion und Verschleiß der sich am Ende ihrer Nutzungsdauer befindenden Rohrleitungen gedacht sei.
[24] Diese Ansicht kann aus dem Wortlaut der BB‑W16 nicht abgeleitet werden.
[25] 4.1. Nach dem völlig klaren Wortlaut des Risikoausschlusses in Art 2 AWB sind Schäden am Rohrsystem durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung von der Versicherungsdeckung ausgeschlossen.
[26] Ebenso klar ist der Wortlaut des sekundären Risikoeinschlusses nach Klausel BB‑W16, wonach solche Rohrbruchschäden ohne Rücksicht auf ihre Entstehungsursache (auch gegen Schäden durch Korrosion, auch Verschleiß und Abnützung) doch versichert sind. Damit kommt es für die Frage der Deckung nicht darauf an, aus welchem Grund sich das versicherte primäre Risiko „Rohrbruch“ verwirklicht, unmissverständlich bleibt es aber dabei, dass ein durch Wasseraustritt verursachter Schaden versichert ist.
[27] 4.2. Im Übrigen ergibt sich dies – wie bereits das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat – auch daraus, dass nach Art 8.1.3 AWB iVm BB‑W16 bei der Behebung eines Bruchschadens am Rohrsystem die Kosten für das Einziehen neuer Rohre in jedem Schadenfall nur bis zu einer Länge von zwei (AWB) bzw sechs (BB‑W16) Metern mitversichert sind.
[28] 5. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
[29] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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