OGH 12Os127/20y

OGH12Os127/20y18.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen Hakan Ö***** und einen weiteren Angeklagten wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Hakan Ö***** gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 26. August 2020, GZ 621 Hv 9/20a‑30, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00127.20Y.1218.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Hakan Ö***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – Hakan Ö***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall (I./), mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./B./), des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB (II./) sowie mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in S*****

I.) mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) nachfolgend genannten Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen oder abgenötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar:

A.) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Romeo P***** im Dezember 2019 dem Dominik M***** 105 Euro, wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe verübten, indem Hakan Ö***** ihn von hinten packte und festhielt, währenddessen Romeo P***** ihm ein Springmesser gegen den Hals hielt und 5 Euro von ihm verlangte, er ihm ansonsten die Handfläche aufschneiden würde, woraufhin M***** 5 Euro aushändigte und in weiterer Folge P***** noch die Jackentasche durchsuchte und weitere 100 Euro aus dieser an sich nahm,

B.) im Herbst 2019 in mehrfachen Angriffen dem Angelo A***** insgesamt mehrere hundert Euro, indem er diesem Schläge androhte oder ihn in den Schwitzkasten nahm bis ihm dieser rund 20 Euro pro Woche aushändigte,

II.) im September 2019 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Angelo A***** durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung verleitet, indem er diesen unter Vortäuschung seiner Rückzahlungswilligkeit zur Ausfolgung eines geringen Geldbetrags veranlasste, durch die Angelo A***** in der Höhe des übergebenen Geldbetrags am Vermögen geschädigt wurde,

III.) im Herbst 2019 den Angelo A***** in mehreren Angriffen durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung genötigt, und zwar zur Abstandnahme davon, seinen Eltern oder anderen Erwachsenen von den unter Punkt I./B./ genannten Taten zu erzählen, indem er ihm sinngemäß sagte, er solle den Mund halten, sonst gebe es noch mehr Ärger.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hakan Ö*****.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 26. August 2020 unter Hinweis auf die vorgelegten Schulzeugnisse gestellten Antrags auf „Einholung eines kinderpsychologischen bzw kinderpsychiatrischen Sachverständigengutachtens“ zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner weit unterdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten nicht reif gewesen sei, das Unrecht seiner allenfalls von ihm begangenen strafbaren Handlungen einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, sodass verzögerte Reife iSd § 4 Abs 2 Z 1 JGG vorliege (ON 19 S 36, ON 29 S 25), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt.

Denn die Verweise des Beschwerdeführers auf die schlechten Schulerfolge bieten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine altersuntypisch verzögerte Entwicklung, die etwa auf psychische oder physische Krankheiten, massive Verwahrlosung oder grobe soziale Defekte zurückzuführen sein könnte (Schroll in WK2 JGG § 4 Rz 13; RIS‑Justiz RS0086927 [T1]).

Solcherart zielte der angestrebte Sachverständigenbeweis mangels Konkretisierung jener Umstände, die als Grundlage für den thematisierten Strafausschließungsgrund der verzögerten Reife nach § 4 Abs 2 Z 1 JGG eine Entwicklungshemmung außergewöhnlichen Grades indizieren, auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung.

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse – über schuld‑ oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS‑Justiz RS0106268). Die Erwägungen der Tatrichter, weshalb es der Glaubwürdigkeit des Opfers zum Schuldspruch I./A./ keinen Abbruch getan habe, dass dieses behauptete, zwei Bekannte hätten die Tat ebenfalls beobachtet (US 9 f), betreffen keine solche Tatsache.

Vielmehr wendet sich der Beschwerdeführer nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zum Schuldspruch I./A./ haben die Tatrichter das – von den vernehmenden Polizeibeamten in ihren Aussagen bestätigte – anfängliche Leugnen des Beschwerdeführers bei seiner polizeilichen Vernehmung sowie den Umstand, dass dieses keinen Eingang in das Vernehmungsprotokoll (ON 5) fand, ebenso wie die vom Beschwerdeführer behauptete Angst bei dieser Vernehmung ausdrücklich berücksichtigt (US 10 f). Der von der gegenteiligen Prämisse ausgehende Beschwerdeeinwand geht daher ins Leere.

Die Summe der dem Opfer bei sämtlichen Raubtaten zum Schuldspruch I./B./ abgenötigten Geldbeträge ist weder für die Schuld‑ noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung. Die dagegen gerichtete Mängelrüge verfehlt solcherart ihr Ziel.

Entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zum Schuldspruch III./ waren die Tatrichter, die den Zeugen A***** insoweit als überaus glaubhaft beurteilten (US 13), nicht dazu verhalten, gesondert zu erörtern, dass dieser die bezughabenden Vorwürfe erstmals über entsprechende Fragestellung durch das Gericht in der Hauptverhandlung äußerte (ON 19 S 29).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zum Schuldspruch I./A./ wendet sich mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den Aussagen der Zeugen M*****, K***** und Kü***** sowie der beiden vernommenen Polizeibeamten bloß unzulässig nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, ohne beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken (vgl RIS‑Justiz RS0118780).

Soweit die Tatsachenrüge „zur Vermeidung […] von Wiederholungen“ auf die Mängelrüge (Z 5) verweist, geht sie daran vorbei, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO von einander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind (RIS‑Justiz RS0115902). Solcherart entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung.

Soweit sich der Beschwerdeführer im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) erneut gegen die Summe der zum Schuldspruch I./B./ angeführten Raubbeute wendet, bekämpft er einmal mehr keine entscheidende Tatsache.

Auch die Tatsachenrüge zum Schuldspruch III./ wendet sich bloß unzulässig (RIS-Justiz RS0099419, RS0100555, RS0099668 und RS0099649) gegen die von den Tatrichtern bejahte Glaubwürdigkeit des Zeugen A***** (US 13).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch I./B./ kritisiert das Unterbleiben der Subsumtion nach § 142 Abs 2 StGB. Indem sie ohne argumentatives Substrat behauptet, dass die festgestellte Gewalt, nämlich das Stoßen und In-den-Schwitzkasten-nehmen des körperlich unterlegenen Opfers, als nicht erheblich zu beurteilen sei, und nicht erklärt, aus welchen Gründen die Belastung des – in einem vom Beschwerdeführer geschaffenen „Klima der Angst unter den Schülern in der betreffenden Schule“ (US 15) – immer wieder angegriffenen Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nur geringfügig gewesen sein sollte (vgl RIS‑Justiz RS0094365; zum Gewaltbegriff des § 142 StGB siehe auch Eder‑Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 19 ff und 56 ff mwN), bringt sie den materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur prozessförmigen Darstellung (RIS‑Justiz RS0116565).

Da die Voraussetzungen des § 142 Abs 2 StGB nach dem Gesetz kumulativ vorliegen müssen, erübrigt sich ein Eingehen auf das Vorbringen zu den weiteren Prämissen dieser Privilegierung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Für die Entscheidung über die Berufung und die (implizite) Beschwerde ist das Oberlandesgericht zuständig (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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