European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0270DS00006.19T.1214.000
Spruch:
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Hingegen wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Disziplinarbeschuldigte *****, Rechtsanwältin in W*****, des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat die Disziplinarbeschuldigte dadurch, dass sie am 27. Juli 2017 gegen 19:47 Uhr in K***** eine fremde Sache, nämlich die Schrankenanlage im Ausfahrtsbereich der Tiefgarage der Wirtschaftskammer K***** beschädigt hat, indem sie mit ihrem Fahrzeug dagegen fuhr, wodurch ein Schaden von 1.204,32 Euro entstand, „in vorsätzlicher Verletzung des § 125 StGB die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes begangen“.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in ihrer Abwesenheit richtet sich der Einspruch der Disziplinarbeschuldigten, während sie das Erkenntnis selbst mit – auch Nichtigkeit ua nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO relevierender (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung wegen Schuld und Strafe bekämpft.
Zum Einspruch:
Gemäß § 35 DSt kann die Verhandlung dann in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten durchgeführt werden, wenn er bereits vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 35 DSt Rz 2).
Im vorliegenden Fall äußerte sich ***** mit Schreiben vom 2. April 2018 (ON 8) zum wider sie erhobenen Vorwurf; die Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung wurde ihr am 1. Februar 2019 durch Hinterlegung (ON 14) zugestellt. Mit Schreiben vom selben Tag (ON 15) ersuchte die Disziplinarbeschuldigte, das Disziplinarverfahren „wegen Geringfügigkeit einzustellen oder die Verhandlung zu einem späteren Termin anzuberaumen“. Begründend verwies sie dazu – unter Hinweis auf den Tod ihres Ehegatten, jedoch ohne nähere Erörterung und ohne jede Bescheinigung – auf ihre „derzeitige Situation“, die es ihr „auch gesundheitlich“ nicht möglich mache, zur Verhandlung am 1. März 2019 zu erscheinen.
Wenn die Verhandlung vom Disziplinarbeschuldigten nicht durch ein unabweisbares Hindernis, aber doch wegen eines Umstands versäumt wurde, der auch gewissenhafte Menschen in gleicher Lage vom Erscheinen abgehalten hätte, dann ist der Hinweis auf diesen Umstand als ausreichende Entschuldigung anzusehen (RIS‑Justiz RS0057021 [T1]).
Das Vorbringen, wonach ein Erscheinen „nicht möglich“ sei und die Disziplinarbeschuldigte „gesundheitlich nicht dazu in der Lage“ wäre, genügt als im Ergebnis pauschaler, hinsichtlich Intensität und Dauer nicht näher konkretisierter Verweis auf eine auch nicht bescheinigte gesundheitliche Beeinträchtigung (vgl aber Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10, § 35 DSt Rz 5) diesem Erfordernis hingegen nicht (vgl auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10, § 35 DSt Rz 7, wonach weder die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, aus der ein Grund für eine Verhandlungsunfähigkeit nicht hervorgeht noch die Bekanntgabe der Verhinderung, weil sich der Disziplinarbeschuldigte unaufschiebbar geschäftlich in Italien aufhalte, als ausreichende Entschuldigung anzusehen sind).
Da die Einspruchswerberin dementsprechend ohne eine ausreichende Entschuldigung der Verhandlung fernblieb, jedoch ohnehin Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (ES 2), war der Disziplinarrat gemäß § 35 erster Satz DSt zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit berechtigt. Der Einspruch war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 427 Abs 3 StPO iVm § 35 letzter Satz DSt zurückzuweisen.
Zur Berufung:
Der Berufung (wegen Nichtigkeit) kommt hingegen Berechtigung zu.
Die Mängelrüge macht unter dem Gesichtspunkt unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) zutreffend die unterlassene Berücksichtigung der Verantwortung der Disziplinarbeschuldigten geltend.
Der Disziplinarrat konstatierte mit hinreichender Deutlichkeit eine vorsätzliche (zur Relevanz mit Blick auf eine allfällige Wertung als Verkehrsunfall siehe RIS‑Justiz RS0055934) Beschädigung der Schrankenanlage der Wirtschaftskammer K***** („vorsätzliche Verletzung des § 125 StGB“ [ES 1]; die Disziplinarbeschuldigte habe „durch das bewusste Einfahren gegen den Schranken“ das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB begangen [ES 4]). Deren eine vorsätzliche Beschädigung in Abrede stellende Verantwortung referierte der Disziplinarrat zwar kurz zusammengefasst (ES 2), führte jedoch nicht die Gründe an, wie er über diese (in der Entscheidung bloß erwähnte; vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 429), seinen Annahmen entgegenstehende Tatsache hinweggekommen ist (RIS‑Justiz RS0098495). Da der Disziplinarrat dieses in der Berufung der Disziplinarbeschuldigten deutlich und bestimmt bezeichnete Beweisergebnis nicht einmal ansatzweise in seine Erwägungen zur gerügten Feststellung einbezogen hat, ist die diesbezügliche Beweiswürdigung auf Nichtigkeit nach Z 5 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO begründende Weise unvollständig geblieben (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421).
Da zufolge dieses Begründungsdefizits eine Aufhebung des Erkenntnisses unvermeidlich ist, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen.
Soweit der Disziplinarrat unter argumentativer Bezugnahme auf die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens von einem „schuldhafte[n] Verhalten der Sachbeschädigung“ (ES 4) ausgeht, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass ein diversionelles Vorgehen durch den Verzicht auf Schuldfeststellung gekennzeichnet ist und somit stets in Wahrung der Unschuldsvermutung erfolgt (Leitner, SbgK§§ 198–199 Rz 4; Schroll/Kert, WK‑StPO Vor §§ 198–209b Rz 9/1). Dementsprechend entfaltet der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 1. Februar 2018, GZ 3 U 145/17x‑16, keinerlei Bindungswirkung (insofern anders als rechtskräftige Verurteilungen, vgl RIS‑Justiz RS0056864).
Das angefochtene Erkenntnis war daher– ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Berufung der Disziplinarbeschuldigten aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zu verweisen.
Mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war die Disziplinarbeschuldigte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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