OGH 15Os30/20f

OGH15Os30/20f11.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Koller als Schriftführer in der Strafsache gegen MMag. DDr. A* W* wegen Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 5 U 127/19s des Bezirksgerichts Wiener Neustadt (AZ 61 BAZ 312/19s der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. November 2019, AZ 15 Bl 54/19f, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Schellmann sowie des Privatbeteiligten G* B* und seines Vertreters Mag. Stein, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130719

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 5 U 127/19s des Bezirksgerichts Wiener Neustadt verletzt der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. November 2019, AZ 15 Bl 54/19f, § 117 Abs 2 StGB.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird der Antrag des G* B* auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens zurückgewiesen.

Dem Fortführungswerber wird die Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 90 Euro aufgetragen.

 

Gründe:

1./ Mit an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gerichtetem Schreiben vom 25. März 2019 erstattete G* B* Strafanzeige gegen MMag. DDr. A* W* wegen § 111 Abs 1 StGB und legte unter einem die gemäß § 117 Abs 2 StGB erforderlichen Ermächtigungen zur Strafverfolgung vor (AZ 61 BAZ 312/19s der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt).

Danach soll MMag. DDr. A* W* dem A* P* über Facebook drei Nachrichten zugeschickt haben, in welchen G* B*, der zur Tatzeit auf die Planstelle einer Militärperson auf Zeit ernannt worden und somit Beamter gewesen sei, gegenüber einem Dritten in einer für diesen wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung, „welche geeignet ist, diesen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder ihn herabzusetzen“, geziehen worden sein, und zwar

(a./) durch die Nachricht vom 28. Mai 2018, welche die Fotomontage einer Nonne mit dem Gesicht des G* B* und der Unterschrift „Sch*“ beinhalte, womit „augenscheinlich zum Ausdruck gebracht werden soll“, dass es sich beim Genannten „um eine unmännliche nonnenhafte Person“ handle,

(b./) durch die Nachricht vom 30. Mai 2018, welche einen Ausschnitt eines Urlaubsscheins enthalte, auf dem G* B* irrtümlich dort unterschrieben hatte, wo der Kommandant zu unterzeichnen hat, versehen mit dem Kommentar „der is ned dicht“ und einem „Smiley“, sowie

(c./) durch die Nachricht vom 12. Juni 2018, welche zwei „Nasenaffenfotos“ mit dem Kommentar: „G*?!!! Ja bitte?“ und zwei „Smileys“ beinhalte, dies ersichtlich in Anspielung auf den Umstand, dass G* B* bei einem Anruf des Dekans [= MMag. DDr. A* W*] auf die Frage „G*?“ stets mit „Ja bitte“ geantwortet habe.

2./ Nach Durchführung von Sachverhalts-erhebungen durch dieLandespolizeidirektion Niederösterreich stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen MMag. DDr. A* W* wegen § 111 Abs 1 StGB gemäß § 190 Z 1 StPO ein (ON 1 S 1) und verständigte den Anzeiger davon.

3./ Über (zweimaliges [ON 4 und ON 6]) Verlangen (§ 194 Abs 2 zweiter Satz StPO) teilte die Staatsanwaltschaft G* B* mit Schreiben vom 24. Juli 2019 (ON 7) die Begründung für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit. Darin führte sie wie folgt aus:

Die inkriminierten Nachrichten seien nach den übereinstimmenden Aussagen des Beschuldigten MMag. DDr. W* und des Zeugen A* P* „nur von [diesen beiden] einsehbar“ gewesen; da P* vom Verhalten des Beschuldigten schockiert gewesen sei, habe er „das Foto“ OStv Pi* gezeigt. Die Verantwortung des MMag. DDr. W*, die Nachrichten seien nur für P* bestimmt gewesen und er habe nicht vorhersehen können, dass die Fotos verbreitet werden, sei nicht widerlegbar.

Nach § 115 StGB müsse die Beleidigung öffentlich oder vor mehreren Leuten getätigt werden, weshalb im gegenständlichen Fall „auch der Tatbestand der Beleidigung nicht erfüllt“ sei.

4./ Mit am 8. August 2019 bei der Staatsanwaltschaft eingebrachtem Schriftsatz (ON 8) beantragte B* die Fortführung des Ermittlungsverfahrens. Er brachte darin – kurz zusammengefasst – vor, dass die Staatsanwaltschaft das Gesetz deshalb unrichtig angewendet habe, weil § 111 Abs 1 StGB keine öffentliche Beleidigung oder Tathandlung vor mehreren Leuten (wie § 115 StGB) verlange, sondern es vielmehr genüge, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tathandlung der üblen Nachrede in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise erfolge (was der Beschuldigte nach der Einstellungsbegründung sogar zugestehe).

5./ Gemäß § 195 Abs 3 zweiter Satz StPO verfügte die Staatsanwaltschaft die Aktenvorlage an das Landesgericht Wiener Neustadt und gab unter einem eine „ablehnende Stellungnahme zum Fortführungsantrag“ ab (ON 1 S 1).

Weder dieser Stellungnahme noch der gemäß § 194 Abs 2 StPO erstatteten Einstellungsbegründung vom 24. Juli 2019 (ON 7) ist das der Einstellungsentscheidung konkret zugrunde gelegte Sachverhaltssubstrat zu entnehmen; so wurden insbesondere weder der Bedeutungsinhalt der drei in Rede stehenden Nachrichten noch die näheren Umstände, unter welchen die inkriminierten Taten gesetzt worden sein sollen, festgestellt.

6./ Der Fortführungswerber wiederholte in seiner zur ablehnenden Stellungnahme der Staatsanwaltschaft erstatteten Äußerung (§ 196 Abs 1 zweiter Satz StPO) sein (bereits im Fortführungsantrag erstattetes) Vorbringen, wonach nach § 111 Abs 1 StGB die inkriminierte Äußerung [bloß] so erfolgen muss, „dass sie für zumindest einen Menschen wahrnehmbar ist, der vom Äußernden und vom Opfer verschieden ist“. Fallaktuell erfülle der Adressat der inkriminierten Äußerungen, nämlich A* P*, die tatbestandsmäßige Rolle des „Dritten“ im Sinn der zitierten Bestimmung.

7./ Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. November 2019, AZ 15 Bl 54/19f (= ON 9), wurde dem Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens stattgegeben und der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt aufgetragen, das Ermittlungsverfahren fortzusetzen.

Die Staatsanwaltschaft habe das Gesetz unrichtig angewendet, sodass der Fortführungsgrund des § 195 Abs 1 Z 1 StPO verwirklicht sei. Begründend führte der Drei‑Richter‑Senat aus, dass der Fortführungswerber den (auf BS 4 bis 6 wiedergegebenen) „Formerfordernissen“ Genüge getan habe, weil er „Umstände, nämlich eine unrichtige Anwendung der Gesetze durch die Staatsanwaltschaft, aufzeigt, die erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Entscheidung des öffentlichen Anklägers wecken“ (BS 5).

In der Bezeichnung „der is ned dicht“ und im Vergleich mit Nasenaffen liege eine Schmähung iSd § 111 StGB nahe, die der Verachtung preisgeben könne […], die Fotomontage des Kopfes des Fortführungswerbers in ein Nonnenkostüm mit der Unterschrift „Sch*“ lege wiederum die Unterstellung eines unehrenhaften Verhaltens nahe (BS 7).

Der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die Verantwortung des Beschuldigten könne nicht widerlegt werden, könne „im Ergebnis nicht gefolgt werden“: Der Zeuge P* habe (laut dessen – sogar im Einklang mit der Verantwortung des Beschuldigten stehender – Aussage) die empfangenen Nachrichten wahrgenommen; dieser Zeuge sei eine vom Beschuldigten und vom Beleidigten verschiedene Person und somit „Dritter“ iSd § 111 StGB. Eine unabsichtliche – und damit vorsatzlose – Übermittlung sei nicht einmal vom Beschuldigten behauptet worden und bei zu Fotomontagen bearbeiteten Bildern auch nicht anzunehmen (BS 8).

8./ Über den daraufhin von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Strafantrag gegen MMag. DDr. A* W* wegen Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB wurde bisher nicht entschieden.

In ihrer gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur aus:

1./ Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht, solange die Strafbarkeit der Tat nicht verjährt ist, auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach den §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn – soweit hier von Relevanz – das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1) oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zu Grunde gelegt wurden (Z 2).

§ 195 Abs 1 Z 1 StPO erfasst die unrichtige Beurteilung der rechtlichen Einstellungsvoraussetzungen (§ 190 Z 1 StPO) sowie den willkürlichen Ermessensgebrauch im Tatsachenbereich (§ 190 Z 2 StPO), § 195 Abs 1 Z 2 StPO eine unerträgliche Lösung der Beweisfrage (vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 15/1 f).

§ 195 Abs 2 vierter Satz StPO ordnet an, dass der Antrag – bei sonstiger Zurückweisung gemäß § 196 Abs 2 StPO – die Gründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen hat, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) oder die erheblichen Bedenken (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO) abzuleiten sind, worunter nichts anderes zu verstehen ist als eine dem Standard der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) entsprechende Begründungspflicht (Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 29). Sollen dabei sich aus den Akten ergebende, jedoch nicht durch entsprechende Festellungen geklärte Umstände berücksichtigt werden, so sind im Fortführungsantrag – unter Herstellung des entsprechenden Aktenbezugs – die Verfahrensergebnisse aufzuzeigen, die jene Annahmen indizieren, welche geeignet sind, die vom Fortführungswerber angestrebte rechtliche Konsequenz zu tragen (vglRIS‑Justiz RS0126210 [T2]).

Diesem Begründungserfordernis entspricht eine Antragsbindung des Gerichts, das nicht befugt ist, vom Fortführungswerber nicht (gesetzmäßig) geltend gemachte, sich etwa aus dem Akt ergebende Argumente gegen die Einstellung zu berücksichtigen (Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 30, § 196 Rz 13; RIS‑Justiz RS0126210).

Bezugspunkt der Entscheidung bei einem gemäß § 195 Abs 1 Z 1 oder Z 2 StPO die falsche Beurteilung der Einstellungsvoraussetzungen thematisierenden Fortführungsantrag ist nur der Fortführungsantrag samt einer gemäß § 196 Abs 1 zweiter Satz StPO erstatteten Äußerung auf der einen Seite und die staatsanwaltschaftliche Einstellungsbegründung (§ 194 Abs 2 StPO) samt einer gemäß § 195 Abs 3 StPO übermittelten Stellungnahme auf der anderen Seite (Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 36, § 196 Rz 24).

2./ Der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. November 2019 stützt sich – wie ausgeführt – (nominell) ausschließlich auf den Fortführungsgrund des § 195 Abs 1 Z 1 StPO.

Aus dem oben dargelegten Erfordernis einer dem Standard der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) entsprechenden Begründungspflicht folgt, dass die (solcherart) gesetzmäßige Ausführung eines auf die Geltendmachung unrichtiger Gesetzesanwendung (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) gestützten Fortführungsantrags die Ableitung der Rechtsfolgenbehauptung strikt auf der Basis der der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft zugrunde gelegten Tatsachenannahmen zur Voraussetzung hat (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584 sowie insbesondere RIS‑Justiz RS0099810).

a./ In casu hat der Fortführungswerber die Behauptung rechtsirriger Verneinung einer Strafbarkeit nach § 111 Abs 1 StGB nicht prozessordungsgemäß ausgeführt:

Der allein relevanten Einstellungsbegründung sind fallaktuell weder die Tathandlungen (nämlich der Wortlaut der inkriminierten Äußerungen/Nachrichten samt allfälligen Begleitumständen) noch insbesondere deren Bedeutungsinhalt – welcher als Tatfrage aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich diese nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richten, nach deren (Wort‑)Sinn unter Berücksichtigung auch des situativen Kontexts zu ermitteln ist (RIS‑Justiz RS0092588) – zu entnehmen. Dabei ist im Übrigen anzumerken, dass die bloße Wiedergabe des Wortlauts der zu beurteilenden Äußerungen für die Konstatierung deren Bedeutungsinhalts stets nicht ausreicht und daher auch im vorliegenden Fall nicht hingereicht hätte (vgl zB https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=15Os6/08h&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=11Os124/07f&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True; Rami in WK² MedienG Nach Präambel Rz 1/1 ff; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 Vor §§ 6–8a Rz 42 ff).

Mangels Feststellungsbasis hätte der Fortführungswerber daher (im Sinn der Geltendmachung eines Feststellungsmangels) die von ihm angestrebte Subsumtion nach § 111 Abs 1 StGB indizierende Beweisergebnisse aufzuzeigen gehabt (vgl RIS‑Justiz RS0118580 sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600 ff), was aber unterblieb.

Das Fortführungsgericht hat solcherart die rechtliche Konsequenz der Bejahung des Tatbestands der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB ohne die dazu erforderliche Tatsachengrundlage (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 605) gezogen, deren Fehlen der Fortführungswerber, wie aufgezeigt, nicht prozessordnungskonform geltend gemacht hat. Damit war aber dem Fortführungsgericht mit Blick auf die oben dargestellte Antragsbindung jegliche Erörterung einer Subsumtion nach § 111 Abs 1 StGB von vornherein verwehrt.

Richtigerweise hätte das Landesgericht den nicht gesetzmäßig ausgeführten Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens daher gemäß § 196 Abs 2 erster Satz StPO zurückweisen müssen.

Der angefochtene Beschluss verletzt daher das Gesetz in den Bestimmungen des § 111 Abs 1 StGB sowie der §§ 195 Abs 2 vierter Satz iVm 195 Abs 1 Z 1 und 196 Abs 2 erster Satz StPO.

b./ Die strafbaren Handlungen gegen die Ehre (§§ 111, 113 und 115 StGB) sind grundsätzlich nur auf Verlangen des in seiner Ehre Verletzten zu verfolgen (§ 117 Abs 1 erster Satz StGB), es handelt sich somit um sogenannte Privatanklagedelikte (§ 65 Z 3, § 71 Abs 1 StPO). Von Amts wegen zu verfolgen ist eine derartige strafbare Handlung nur in den im Gesetz (§ 117 Abs 1 bis Abs 3 StGB) genannten Ausnahmefällen, so etwa – was vorliegend allein von Relevanz ist – dann, wenn sie wider einen Beamten „während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes“ begangen wird (§ 117 Abs 2 erster Satz StGB). Die beleidigende Äußerung muss daher in diesem Zeitraum („während der Ausübung …“) dem Beamten gegenüber (was aber nicht notwendigerweise Mündlichkeit und gleichzeitige Anwesenheit von Täter und Opfer voraussetzt) abgegeben werden. Dabei genügt die schlichte Anwesenheit des Beamten während der Dienstzeit am gewöhnlichen Ort seiner Amts- oder Dienstverrichtungen allein ebenso wenig wie seine bloße Dienstbereitschaft; vielmehr muss sich der Beamte konkret in Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben betätigen (RIS‑Justiz RS0092194; Rami in WK² StGB § 117 Rz 15 f mwN; vgl auch Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 [2017] § 117 Rz 15).

Da auch zu diesem Thema der Berechtigung der Staatsanwaltschaft zur Anklage in der Einstellungsbegründung jegliches Feststellungssubstrat fehlt und vom Fortführungswerber kein darauf bezogenes Vorbringen erstattet wurde, verletzt der angefochtene Beschluss weiters § 117 Abs 2 StGB.

c./ Indem der Drei-Richter-Senat schließlich aus eigenem die verfahrensgegenständlichen Nachrichten wiedergibt und diesen – zumindest teilweise – einen Bedeutungsinhalt beigibt bzw beizugeben trachtet (BS 1 f und insbesondere BS 7 [letzter Absatz]) sowie weiters ausspricht, dass jedenfalls eine vorsätzliche Übermittlung der Nachrichten an eine dritte Person vorliege (BS 8), missachtet er neuerlich die Antragsbindung, weil er sich auch insoweit nicht auf entsprechende vom Fortführungswerber vorgetragene Argumente stützen kann. Solcherart verletzt der in Rede stehende Beschluss auch in dieser Hinsicht § 195 Abs 2 vierter Satz StPO.

3./ Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten auswirken, wäre deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Es wären daher der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag des G* B* auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens AZ 61 BAZ 312/19s der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zurückzuweisen.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Die strafbaren Handlungen gegen die Ehre (§§ 111, 113 und 115 StGB) sind grundsätzlich nur auf Verlangen des in seiner Ehre Verletzten zu verfolgen (§ 117 Abs 1 erster Satz StGB), es handelt sich somit um Privatanklagedelikte (§ 65 Z 3, § 71 Abs 1 StPO). Gemäß § 117 Abs 2 StGB sind sie aber dann von Amts wegen zu verfolgen, wenn die beleidigende Äußerung „während der Ausübung des Amtes oder Dienstes“ des Beamten begangen wurde. Die Äußerung muss daher in diesem Zeitraum dem Beamten gegenüber (was aber nicht notwendigerweise Mündlichkeit und gleichzeitige Anwesenheit von Täter und Opfer voraussetzt) abgegeben werden. Dabei genügt die schlichte Anwesenheit des Beamten während der Dienstzeit am gewöhnlichen Ort seiner Amts- oder Dienstverrichtungen allein ebenso wenig wie seine bloße Dienstbereitschaft; vielmehr muss sich der Beamte konkret in Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben betätigen (RIS‑Justiz RS0092194; Rami in WK2 StGB § 117 Rz 15 f; Kienapfel, BT I4 § 117 Rz 7 f).

Nach den – vom Landesgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten (ON 9 S 1 und 8) – Tatsachenbehauptungen des Fortführungsantrags (ON 8; vgl zum Bezugspunkt der Prüfung auch Korn/Zöchbauer, WK‑StPO § 71 Rz 24 f) soll MMag. DDr. W* dem A* P* über den Facebook-Messenger-Dienst drei nur von diesem einsehbare Nachrichten zugeschickt haben, in welchen G* B* in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung geziehen wurde. Dass die Äußerungen diesem gegenüber „während der Ausübung des Amtes oder Dienstes“ geschehen sein soll, wird vom Fortführungswerber weder (im Tatsächlichen) behauptet noch hat er ein darauf bezogenes Vorbringen erstattet. Ausgehend von dieser Sachverhaltsgrundlage lag keine von Amts wegen zu verfolgende strafbare Handlung vor.

Das Landesgericht hätte daher das Fehlen der Berechtigung der Staatsanwaltschaft zur Anklage (§ 4 Abs 1 erster Satz StPO; vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 13; Ratz, Fortführungsanträge und deren Erledigung, ÖJZ 2020, 542) in seinem Beschluss aufgreifen und den Fortführungsantrag zurückweisen müssen (vgl dazu Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 14). Insoweit verletzt der angefochtene Beschluss – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – § 117 Abs 2 StGB.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des (nunmehr) Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), den Beschluss aufzuheben und – weil die Frage des Vorliegens der Verfolgungsvoraussetzungen eine prozessuale Tatsache betrifft und entsprechende Festellungen nicht zu erwarten sind (RIS-Justiz RS0118545 [T3]; Ratz, WK-StPO § 288 Rz 40 ff) – den Antrag des G* B* auf Fortführung des Verfahrens zurückzuweisen.

Der Auftrag zur Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags gründet sich auf § 196 Abs 2 zweiter Satz StPO.

Bleibt zu den weiteren Ausführungen der Generalprokuratur anzumerken:

Gemäß § 195 Abs 2 vierter Satz StPO hat der Antrag die Gründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind.

Damit wird – in Abgrenzung zu den Voraussetzungen bei Beschwerde (§ 88 Abs 1 StPO) oder Einspruch (§ 106 Abs 3 StPO) – eine Begründungspflicht angeordnet. Der Antragsteller hat darzulegen, weshalb seiner Ansicht nach die Voraussetzungen für eine Einstellung nach §§ 190 bis 192 StPO in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht nicht vorlagen (Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 29).

Bezogen auf die Behauptung unrichtiger Gesetzesanwendung (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) ist dem Antragsteller ein allzu hohes rechtliches Argumentationsniveau nicht abzuverlangen, eine deutliche und bestimmte Rechtsbehauptung genügt den Formalvoraussetzungen des § 195 Abs 2 StPO (Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 4/1).

Die gesetzliche Begründungspflicht bedeutet nicht, dass im Verfahren über einen Fortführungsantrag alle von der Judikatur zur Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeitsgründe entwickelten – von der Generalprokuratur ins Treffen geführten (vgl RIS‑Justiz RS0099810; RS0118580) – Grundsätze auf eine Bekämpfung der Einstellungserklärung anzuwenden wären (so auch Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher, StPO‑Komm § 195 Rz 21 unter Verweis auf das Fehlen formeller Urteilsfeststellungen).

Das ergibt sich schon daraus, dass sich der Bezugspunkt der Anfechtung einer staatsanwaltschaftlichen Einstellungserklärung grundlegend von jenem eines Rechtsmittels gegen ein (kollegialgerichtliches) Urteil unterscheidet. Ein solches ergeht über einen durch die Anklage determinierten Sachverhalt („Tat im prozessualen Sinn“) nach Durchführung eines unter den Anforderungen des Art 6 MRK stehenden Beweisverfahrens, das durch die prozessuale Verfügung des Schlusses des Beweisverfahrens (§ 255 Abs 1 StPO) sinnfällig abgeschlossen wird. Das Ergebnis dieser Beweisaufnahmen wird in den Feststellungen der Urteilsausfertigung (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) fixiert. Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge bei der Nichtigkeitsbeschwerde ist daher der Vergleich dieses im Urteil festgestellten Sachverhalts mit dem zur Anwendung gebrachten materiellen Recht (RIS‑Justiz RS0099810).

Hingegen stellt die staatsanwaltschaftliche Einstellungsbegründung (§ 194 Abs 2 StPO) keinen vergleichbaren Bezugspunkt für den Fortführungsantrag und in weiterer Folge die Entscheidung des Gerichts dar. Die Begründung nach § 194 Abs 2 StPO dient primär der Information des Opfers, der für Urteile geltende Standard ist auf sie nicht uneingeschränkt anwendbar (Nordmeyer, WK‑StPO § 194 Rz 3/1). In der Regel reichen die in ihr angegebenen Gründe als Grundlage für die Beurteilung der Richtigkeit des Vorgehens der Staatsanwaltschaft nicht aus (Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 36). Auch die Stellungnahme nach § 195 Abs 3 zweiter Satz StPO hat keinen verpflichtenden, den Anforderungen an eine Urteilsausfertigung entsprechenden Inhalt.

Gegenstand der Prüfung nach § 195 Abs 1 Z 1 StPO ist (vom willkürlichen Ermessensgebrauch im Tatsachenbereich [§ 190 Z 2 StPO] abgesehen) daher allein die Beurteilung der rechtlichen Einstellungsvoraussetzungen, also die Einstellungsentscheidung selbst betreffende Gesetzesverletzungen. Fehler bei der Lösung von für die Einstellungsentscheidung maßgeblichen Rechtsfragen stellen daher – auch unabhängig von einer Erheblichkeitsschwelle – stets eine Gesetzesverletzung dar (Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 23).

Es gibt auch keine prozessuale Rechtfertigung dafür, den Fortführungswerber – wie bei der Anfechtung eines freisprechenden Urteils (vgl RIS‑Justiz RS0127315) – zur Geltendmachung von Feststellungsmängeln (RIS‑Justiz RS0118580) hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen die Staatsanwaltschaft keine Aussage getroffen hat, zu verhalten. Denn im Ermittlungsverfahren ist kein, jenem der Hauptverhandlung vergleichbares, abgeschlossenes und unter dem Gebot der Waffengleichheit stehendes Beweisverfahren (§§ 246 ff StPO) vorgesehen, aufgrund dessen sich erst die Indizien für einen durch Feststellungen zu klärenden Sachverhalt ergeben könnten.

Zudem trifft das Opfer keine Verpflichtung zur rechtzeitigen Beantragung von Beweisaufnahmen, deren Ergebnisse Grundlage für die Geltendmachung von Feststellungsmängeln sein könnten (vgl RIS‑Justiz RS0127315 [insb T4]). Denn die Verfahrenseinstellung kann – anders als der Schluss des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung – für den Privatbeteiligten (nur er kann Anträge stellen; § 67 Abs 6 Z 1 StPO) überraschend kommen, Grundsätzlich darf er auf die Aufnahme der Beweise in der folgenden Hauptverhandlung (§ 55 Abs 3 erster Satz StPO) vertrauen (Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 21).

Schließlich sieht das Gesetz für den Antrag auf Fortführung – im Gegensatz zum Rechtsmittelverfahren aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde (§ 61 Abs 1 Z 6 StPO) – keinen Verteidigerzwang vor. Das Gericht hat gegebenenfalls den Antragsteller sogar auf die Pflicht zur bestimmten Bezeichnung der geltend gemachten Fortführungsgründe hinzuweisen (§ 196 Abs 1 zweiter Satz StPO). Auch diese gesetzlichen Anordnungen sprechen gegen eine Überspannung der Begründungspflicht.

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