OGH 1Ob194/20s

OGH1Ob194/20s27.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J* K*, 2. E* K*, vertreten durch die HEGH Hawel-Eypeltauer-Gigleitner-Huber & Partner Rechtsanwälte GesbR, Linz, gegen die beklagte Partei L* K*, vertreten durch die Dr. Roland Gabl Rechtsanwalts KG, Linz, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. September 2020, GZ 14 R 98/20k‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 31. Juli 2020, GZ 10 C 263/19h‑15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130310

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger brachten am 11. 12. 2019einen als Aufkündigung bezeichnetenSchriftsatz ein, mit dem sie beantragten, der Beklagten aufzutragen, die im Haus [...] befindliche Wohnung im Parterre, bestehend aus zwei Zimmern, Kabinett, Küche, Vorzimmer, Bad, WC und Speis zuzüglich Nebenräumen binnen 14 Tagen von ihren Fahrnissen zu räumen und geräumt an die Kläger zu übergeben. Als Kündigungsgrund machten sie unter anderem erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandobjekts nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG geltend.

[2] Das Erstgericht erließ am 12. 12. 2020einen Auftrag nach § 562 Abs 1 ZPO und sah nach Durchführung eines Beweisverfahrens den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG als gegeben an, erklärte die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam und erkannte die Beklagte schuldig, die im verfahrenseinleitenden Schriftsatz bezeichnete Wohnung binnen 14 Tagen von ihren Fahrnissen zu räumen und den Klägern geräumt zu übergeben.

[3] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und hob das Ersturteil, soweit darin die gerichtliche Aufkündigung für wirksam erklärt wurde, ersatzlos auf und wies das Klagebegehren im Übrigen ab. Eine Aufkündigung erfordere die allgemeinen Voraussetzungen eines Schriftsatzes gemäß § 75 ZPO sowie die in § 562 ZPO normierten Inhaltserfordernisse und soll das Bestandverhältnis durch eine rechtsgestaltende Erklärung beenden. Die Kläger hätten im Verfahren erster Instanz nie eine Aufkündigungserklärung abgegeben. Damit habe das Erstgericht eine in Wahrheit nicht erfolgte Aufkündigung für wirksam erklärt, sodass seine Entscheidung in diesem Umfang ersatzlos zu beheben sei; das auf Übergabe‑ bzw Räumung gerichtete Begehren sei als Konsequenz hingegen abzuweisen.

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger, in der keine Fragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO angesprochen sind:

Rechtliche Beurteilung

[5] 1.  Die gerichtliche Aufkündigung soll einerseits das Bestandverhältnis durch eine rechtsgestaltende Erklärung beenden und andererseits dem Aufkündigenden einen Exekutionstitel iSd § 1 Z 4 EO für die Übernahme bzw Übergabe des Bestandgegenstands verschaffen. Sie hat daher einerseits materiell‑rechtlich die einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung eines Vertragsteils an den Partner, den Bestandvertrag zu einem bestimmten Endtermin (Kündigungstermin) aufzulösen, zu enthalten. Gleichzeitig stellt sie den prozessrechtlichen Antrag an das Gericht dar, an den Gegner einen Übergabs‑ oder Übernahmsbefehl zu erlassen, den Bestandgegenstand zu diesem Termin geräumt zu übergeben oder zu übernehmen oder gegen die Aufkündigung Einwendungen zu erheben (RIS‑Justiz RS0111668; Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 560 ZPO Rz 34 mwN).

[6] 2. Zwingendes Inhaltserfordernis einer gerichtlichen Aufkündigung ist daher unter anderem die Angabe des Kündigungstermins (RS0044846; Frauenberger in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 562 ZPO Rz 3), und zwar auch bei Berufung auf einen wichtigen Grund gemäß § 30 MRG. Die gerichtliche Aufkündigung ist zwar eine formstrenge Prozesshandlung; nach § 562 Abs 2 ZPO ist aber bei Fehlen eines Inhaltserfordernisses grundsätzlich ein Verbesserungsverfahren iSd § 84 ZPO einzuleiten. Die Revisionswerber rügen, dass das Berufungsgericht ihnen keine Möglichkeit eingeräumt habe, die Klage unter Nennung eines konkreten Kündigungstermins zu verbessern, und machen damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als Folge eines Verstoßes gegen die §§ 182, 182a ZPO geltend, wobei sie in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel erklären, dass sie das Bestandverhältnis zum 31. 1. 2020 aufgekündigt wissen wollen. Dazu berufen sie sich auf die Entscheidung zu 2 Ob 9/10b, der aber zugrunde lag, dass das Bestandverhältnis nach dem insoweit eindeutigem Vorbringen in der Aufkündigung unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Kündigungstermin aufgelöst werden sollte, weswegen eine Verbesserung im Sinne einer ausdrücklichen Angabe des Kündigungstermins für zulässig erachtet wurde.

[7] 3.1 Bis zur Änderung des § 563 ZPO durch die Zivilverfahrensnovelle 2009 entsprach es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Richtigstellung des Kündigungstermins durch die aufkündigende Partei nach Erlassung der Aufkündigung grundsätzlich nur bei Sanierung offenkundiger, das heißt auch für den Kündigungsgegner eindeutig erkennbarer Ausdrucks- oder Schreibfehler zulässig war (vgl 1 Ob 18/09t; 2 Ob 9/10b je mwN; THausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 33 MRG Rz 24 mwN). Demgegenüber soll wegen § 563 Abs 2 Satz 2 ZPO idF der Zivilverfahrensnovelle 2009 die Berichtigung des Kündigungstermins selbst dann zulässig sein, wenn der Vermieter den ursprünglichen Kündigungstermin unter Missachtung einer gegenteiligen Vereinbarung wählte, sofern im Zeitpunkt der Berichtigung die Kündigungsfrist noch offen ist (6 Ob 167/16a; Lovrek in Böhm/Pletzer/Spruzina/ Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 33 MRG Rz 16; Frauenberger in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 562 ZPO Rz 3; aA Iby in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 562 ZPO Rz 14).

[8] 3.2 Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor: Die Kläger haben im Verfahren erster Instanz keine auf die Kündigung des Bestandverhältnisses zu einem bestimmten Termin gerichtete Erklärung abgegeben, sondern in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz ausschließlich die geräumte Übergabe des Bestandobjekts binnen 14 Tagen begehrt (siehe dazu § 573 Abs 2 ZPO). Erst mit ihren Ausführungen in der Revision haben sie die zur Begründung des Antrags auf Übergabe des Bestandgegenstands erforderliche Tatsache (dazu Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 560 ZPO Rz 40), nämlich die Rechtsgestaltungserklärung, das Bestandverhältnis solle zu einem bestimmten (aber lange in der Vergangenheit liegenden) Termin enden, nachgetragen. Nach der Erhebung von Einwendungen gegen die Aufkündigung ist eine Änderung/Berichtigung der Kündigungserklärung und der Berufung darauf im Rahmen des § 235 ZPO aber ganz allgemein nur dann zulässig, wenn auch die Änderung/Berichtigung der privatrechtlichen Erklärung dem Verständnis der ursprünglichen Erklärung durch den Gekündigten entspricht (vgl 1 Ob 133/14m; LovrekaaO § 560 ZPO Rz 47; Frauenberger aaO Rz 2). Eine Änderung der Tatsachenbehauptungen, auf die sich der Anspruch des Klägers stützt (Änderung des Klagegrundes: vgl Rechberger/Klicka inRechberger/Klicka aaO§ 235 ZPO Rz 3 [hier die Erklärung, dass das Bestandverhältnis zu einem bestimmten Termin aufgelöst sein soll]), ist aber grundsätzlich nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zulässig (§ 483 Abs 4 ZPO),sodass es keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung und damit keinen Verfahrensmangel darstellt, wenn das Berufungsgericht von der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens im Sinn der Argumentation der Kläger Abstand genommen hat.

[9] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[10] 5. Die von der Beklagten vor Freistellung durch den Obersten Gerichtshof (§ 508a Abs 2 ZPO) eingebrachte Revisionsbeantwortung diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, sodass sie die darauf entfallenden Kosten selbst zu tragen hat.

Stichworte