European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00167.16A.1129.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Vorinstanzen hoben die mit Beschluss des Erstgerichts vom 6. 11. 2015 bewilligte Aufkündigung des Bestandvertrags betreffend ein Geschäftslokal in Wien auf. Die Klägerin habe die am 4. 11. 2015 bei Gericht eingelangte und der Beklagten am 10. 11. 2016 zugestellte Aufkündigung zum 29. 2. 2016 ausgesprochen. Tatsächlich bestimme aber der zugrundeliegende Bestandvertrag aus dem Jahr 1973, dass die gesetzlichen Kündigungsfristen und ‑termine zu gelten hätten, weshalb die Kündigung zum 31. 3. 2016 auszusprechen gewesen wäre. Dass die Klägerin am 22. 12. 2015 den Kündigungstermin auf 31. 3. 2016 berichtigt, könne daran nichts ändern, weil eine solche Änderung nur bis zur Bewilligung der Aufkündigung möglich sei; außerdem dürfte kein Zweifel darüber bestehen, dass die Klägerin tatsächlich diesen Termin gemeint habe, was hier nicht der Fall sei, wie die Klägerin selbst zugestanden habe. § 563 Abs 2 ZPO idF „WRN 2009“ behandle lediglich Fälle der Sanierung einer zwar rechtzeitig eingebrachten, aber aufgrund einer von der klagenden Partei nicht zu verantwortenden verspäteten Zustellung einer Aufkündigung; ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben.
Das Rekursgericht sprach außerdem aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob § 563 Abs 2 ZPO analog auf eine Berichtigung einer Aufkündigung zum nächstfolgenden Kündigungstermin angewendet werden kann, wenn zum Zeitpunkt dieser Berichtigung – wie hier – die Kündigungsfrist noch zur Gänze offensteht.
Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Bis zur Änderung des § 563 ZPO durch die Zivilverfahrensnovelle 2009 entsprach es ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Richtigstellung des Kündigungstermins durch die aufkündigende Partei nach Erlassung der Aufkündigung grundsätzlich nur bei Sanierung offenkundiger, das heißt auch für den Kündigungsgegner eindeutig erkennbarer Ausdrucks- oder Schreibfehler zulässig war (vgl 1 Ob 18/09t mwN).
2. Nach § 563 Abs 2 ZPO idgF ist eine gerichtliche Aufkündigung für den darin genannten Kündigungstermin wirksam, wenn sie dem Gegner vor Beginn der für diesen Kündigungstermin gemäß § 560 Abs 1 Z 1 und 2 ZPO einzuhaltenden Kündigungsfrist zugestellt wird oder wenn der Gegner bei verspäteter Zustellung gegen sie keine Einwendungen erhebt oder die Verspätung nicht rügt. Wenn der Gegner die Verspätung aber rügt, ist die Aufkündigung für den ersten späteren Kündigungstermin wirksam, für den die Frist zum Zeitpunkt ihrer Zustellung noch offen war. Aus dieser Regelung ergibt sich nach herrschender Ansicht (Stabentheiner, Die Wohnrechtsnovelle 2009, wobl 2009, 97; Frauenberger in Rechberger, ZPO4 [2014] § 563 Rz 1; Würth/Zingher/Kovanyi/Etzersdorfer, Miet‑ und Wohnrecht23 [2015] § 33 MRG Rz 11) folgender Regelungsmechanismus:
a) Wird die gerichtliche Kündigung (des Vermieters oder Mieters) verspätet „angebracht“, also bereits nach Beginn der für den darin genannten Kündigungstermin einzuhaltenden Kündigungsfrist bei Gericht, ist sie von Amts wegen zurückzuweisen.
b) Wird die Aufkündigung rechtzeitig „angebracht“, ist sie jedenfalls zuzustellen, und zwar auch dann, wenn bereits absehbar oder allenfalls auch schon gewiss ist, dass sie verspätet – also nach Beginn der einzuhaltenden Kündigungsfrist – zugehen wird.
c) Ist die Kündigung verspätet zugestellt, ist zu differenzieren:
‑ Erhebt der Kündigungsgegner keine Einwendungen, wird die Aufkündigung zu dem genannten Kündigungstermin wirksam.
‑ Erhebt der Kündigungsgegner Einwendungen, macht er aber die verspätete Zustellung der Aufkündigung nicht geltend, ist die Verspätung nicht zu beachten.
‑ Macht der Kündigungsgegner die verspätete Zustellung geltend, hat das Gericht, wenn es die Kündigung als Ergebnis des Verfahrens aufrecht erhält, im Urteil als Datum der Wirksamkeit der Aufkündigung jenen Termin zu benennen, der zum Zeitpunkt der Zustellung an den Kündigungsgegner unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Kündigungsfrist noch offen war.
3. In den ErläutRV (89 BlgNR XXIV. GP 24 zu § 563 ZPO idF ZVN 2009) wird „zur Klarstellung“ erwähnt, dass der in § 563 Abs 2 Satz 2 ZPO genannte „spätere Kündigungstermin“ auch ein vertraglich vereinbarter Kündigungstermin sein kann, wenn sich im Verfahren über die Einwendungen des Kündigungsgegners herausstellt, dass die Vertragsparteien einen vom Gesetzesrecht abweichenden Kündigungstermin vereinbart hatten. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers (vgl dazu RIS‑Justiz RS0008776) soll diese Regelung somit – im Gegensatz zur dargestellten Rechtsprechung – auch dann Anwendung finden, wenn dem Aufkündigenden bei Festlegung des Kündigungstermins nicht bloß ein eindeutig erkennbarer Ausdrucks- oder Schreibfehler unterlief, sondern er ursprünglich bewusst einen falschen Termin wählte, zum Zeitpunkt der Berichtigung des Fehlers aber die Kündigungsfrist noch offen war (vgl § 563 Abs 2 Satz 2 ZPO). Diese Überlegungen stehen durchaus im Einklang mit den grundsätzlichen Intentionen der Novellierung des § 563 ZPO durch die Zivilverfahrensnovelle 2009 und des § 33 MRG auch schon durch die Wohnrechtsnovelle 2006, nämlich das Fristenregime großzügiger zu gestalten und die Wirkungslosigkeit von Aufkündigungen zu vermeiden, um dem Kündigenden verlorenen Aufwand zu ersparen (ErläutRV 1183 BlgNR XXII. GP 43 zu § 33 MRG). Da aber bei noch offener Kündigungsfrist zum Zeitpunkt der Berichtigung des Kündigungstermins eine Unwirksamerklärung der Aufkündigung bloß zur sofortigen neuerlichen Einbringung der (berichtigten) Aufkündigung führen würde, ist § 563 Abs 2 Satz 2 ZPO auch der Fall zu unterstellen, dass der Aufkündigende zunächst einen falschen Termin wählte, sodann aber im Verfahren über die Einwendungen des Kündigungsgegners den richtigen Termin nennt und zu diesem Zeitpunkt die Kündigungsfrist noch offen ist (vgl auch T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht [2013] § 33 MRG Rz 24, der der Thematik der Berichtigung von Kündigungsterminen seit der Wohnrechtsnovelle 2009 und der Zivilverfahrensnovelle 2009 lediglich historische Bedeutung zumisst).
4. Zum Zeitpunkt der Berichtigung am 22. 12. 2015 war die dreimonatige gesetzliche Kündigungsfrist zum 31. 3. 2016 noch offen, sodass die Vorinstanzen im Ergebnis zu Unrecht die Aufkündigung wegen unrichtigem Kündigungstermin für unwirksam erachteten.
Im fortzusetzenden Verfahren wird sich das Erstgericht nunmehr mit den Behauptungen der Parteien zum Vorliegen von Kündigungsgründen auf Seiten der Beklagten auseinanderzusetzen haben.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
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