European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00097.20K.1125.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Auslegung von Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung kommt dann keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Höchstgerichts bereits geklärt oder Auslegung der fraglichen Bestimmung klar und eindeutig ist (RS0109942 [T1, T6]). Letzteres ist hier der Fall.
2. Die Betriebsvereinbarung Bordpersonal Teilzeit vom 1. 5. 2018 (BV *****.03 – Teilzeit) regelt in ihrem zwischen den Parteien strittigen Punkt 13. unter der Überschrift „ Gleitend reduzierte Arbeitsverpflichtung “ zwei unterschiedliche Varianten (Fettdruck im Text durch den Senat):
„ 13.1. Ab Vollendung des 50. Lebensjahres und mindestens 15 Dienstjahren in der derzeitigen Funktion (Pilot bzw. Kabinenpersonal), kann im Rahmen der Vergabe von Standardteilzeit (Punkt 8.) diese als incentiviertes Teilzeitmodell mit folgenden Leistungsverpflichtungen und Entlohnungsgraden vereinbart werden.
Gleitend reduzierte Arbeitsverpflichtung
Einteilungsart freie Diensteinteilung
Teilzeit-Typus flach oder gebaucht
Teilzeitperiode unbefristet
Entlohnung incentiviert
Leistungsverpflichtung und Entlohnungsgrad
- 70 % LV bei 80 % EG
- 50 % LV bei 60 % EG
13.2. Ab Vollendung des 55. Lebensjahres und mindestens 15 Dienstjahren in der derzeitigen Funktion (Pilot bzw. Kabinenpersonal) hat der Dienstnehmer darauf einen einmaligen Rechtsanspruch , wodurch spätere Änderungen das Einvernehmen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer voraussetzen.“
3. Ausgehend vom klaren Wortlaut dieser Bestimmung haben die Vorinstanzen übereinstimmend das Feststellungsbegehren des klagenden Betriebsrats der Beklagten (§ 54 Abs 1 ASGG), die Beklagte sei verpflichtet, für Dienstnehmer ab Vollendung des 50. Lebensjahres und mindestens 15 Dienstjahren in der derzeitigen Funktion (Pilot bzw Flugbegleiter) im Rahmen der Vergabe von Standardteilzeit gemäß Punkt 8. diese als incentiviertes Teilzeitmodell gemäß Punkt 13.1. der BV *****.03 – Teilzeit zu gewähren, ab. Die Bestimmung des Punktes 13. differenziere nach ihrem Wortlaut eindeutig zwischen der „Kann“‑Variante in Punkt 13.1. für Dienstnehmer ab Vollendung des 50. Lebensjahres und der „Muss“‑Variante („Rechtsanspruch“) in Punkt 13.2. für Dienstnehmer ab Vollendung des 55. Lebensjahres. Der Leser könne dem Text nicht entnehmen, dass die Parteien der BV das Wort „kann“ in Punkt 13.1. der BV mit einem „Rechtsanspruch“, wie er in Punkt 13.2. der BV formuliert worden sei, gleichsetzen wollten. Dieses Auslegungsergebnis lasse sich auch mit dem ua aus Punkt 8. der BV („Standardteilzeit“) herauszulesenden Zweck der BV, derartige Teilzeitvereinbarungen nicht bloß im Dienstnehmerinteresse, sondern auch unter Berücksichtigung der betrieblichen Möglichkeiten und Kapazitäten (Schulungskapazität), also aus wirtschaftlichen Gründen, zu vereinbaren, in Einklang bringen.
4. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Hervorzuheben ist davon, dass der normative Teil einer Betriebsvereinbarung nach ständiger Rechtsprechung gemäß den §§ 6, 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen ist. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088 [T2, T27, T28]). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text der Betriebsvereinbarung ergebende Absicht der Betriebsvereinbarungsparteien zu berücksichtigen (vgl RS0010089). Denn die Normadressaten, denen nur der Text der Betriebsvereinbarung zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Betriebsvereinbarungsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. Eine von den Parteien mit einer Regelung verfolgte Absicht kann somit nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Text in hinreichender Weise ihren Niederschlag gefunden hat (9 ObA 43/17i Pkt 1. mwN).
5. Entscheidende Argumente gegen die übereinstimmende – auf dem klaren Wortlaut fußende – Auslegung der Vorinstanzen werden in der außerordentlichen Revision nicht vorgebracht. Soweit der klagende Betriebsrat auf eine systematische Interpretation der Bestimmung pocht und dabei (erstmals) in seiner außerordentlichen Revision Punkt 14. der BV („Bildungsteilzeit“) in den Vordergrund seiner Überlegungen stellt, sind diese nicht zielführend. Selbst wenn die ebenfalls als „Kann“‑Bestimmung formulierte Regelung der Bildungsteilzeit bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 11a AVRAG unter Bezugnahme auf § 16 AVRAG als „Muss“‑Bestimmung zu verstehen wäre, ließ dies keine Rückschlüsse auf die Auslegung der hier strittigen Bestimmung des Punktes 13., insbesondere kein Abweichen vom klaren Wortlaut des Punktes 13.1. zu.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
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