OGH 10ObS120/20z

OGH10ObS120/20z24.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65–67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2020, GZ 12 Rs 41/20s‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00120.20Z.1124.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 22. 5. 2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Hauterkrankung der Klägerin als Berufskrankheit Nr 19 gemäß Anlage 1 zu § 177 ASVG ab.

[2] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin erstens die Feststellung, dass ihre Hautkrankheit als Berufskrankheit „anerkannt“ werde, und zweitens die Zuerkennung einer Versehrtenrente in Höhe von 20 % der Vollrente ab dem 1. 6. 2019.

[3] Das Erstgericht stellte fest, dass die Hauterkrankung der Klägerin „im Sinne eines Zustandes nach rhagadiformen Handekzem und Ekzem an den Unterarmen sowie einer Kontaktallergie auf Propylenglycol, Dibromdicyanobutan und Duftstoff‑Mix durch ihre Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin … verursacht wurde und eine Berufskrankheit ist, wobei als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalls der 1. April 2019 gilt“ (Spruchpunkt 1). Das Begehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente wies das Erstgericht ab (Spruchpunkt 2). Die Klägerin leide aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit mit Schaumstoffteilen und dem damit verbundenen regelmäßigen Kontakt mit Klebesubstanzen und Handreinigern an den genannten Hauterkrankungen. Seit dem Antritt ihrer Alterspension mit 1. 4. 2019 sei nach wie vor eine Überempfindlichkeit der Haut vorhanden. Mit der tatsächlichen Aufgabe der Erwerbstätigkeit am 1. 4. 2019 sei der Versicherungsfall eingetreten, die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage seitdem 10 %.

[4] Nur die Klägerin erhob gegen dieses Urteil Berufung. Sie wendete sich darin nur gegen die Festlegung des Datums des Eintritts des Versicherungsfalls und begehrte die Feststellung, dass als „Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der 1. April 2018 gilt“.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, mit der diese – wie erwähnt – nur das Datum des Eintritts des Versicherungsfalls am 1. 4. 2019 bekämpfte und die Feststellung begehrte, dass der Versicherungsfall bereits am 1. 4. 2018 eingetreten sei, mit der Maßgabe nicht Folge, dass Spruchpunkt 1 des Urteils zu lauten habe: „Es wird festgestellt, dass die Kontaktallergie der Klägerin auf Propylenglycol, Dibromdicyanobutan und Duftstoff‑Mix in Verbindung mit einem Zustand nach einem rhagadiformen Handekzem und Ekzem an den Unterarmen eine Folge der Berufskrankheit § 177 ASVG Anlage 1 Nr. 19 (Hauterkrankung) ist.“ Sinn und Zweck der Feststellung gemäß § 65 Abs 2 und § 82 Abs 5 ASGG liege darin, den Kausalzusammenhang zwischen einer Berufskrankheit und einer Gesundheitsstörung für die Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung für die Zukunft bindend festzustellen. Hingegen sei der Zeitpunkt des Entstehens eines Anspruchs, also in der Regel der Beginn der Berufskrankheit als Eintritt des Versicherungsfalls, nach Abweisung des Hauptbegehrens auf Gewährung einer Versicherungsleistung nicht mehr Gegenstand des Feststellungsbegehrens. Im Fall eines zukünftigen Anspruchs der Klägerin auf eine Gesamtrente wären dafür sowohl die Minderung der Erwerbsfähigkeit als auch der Zeitpunkt des Anfalls dieser Leistung (neu) zu beurteilen.

[6] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die durch Bescheid (oder Gerichtsurteil) ausgesprochene Feststellung darüber, ob eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, erwächst in Rechtskraft (RS0084077). Damit ist, worauf das Berufungsgericht hinwies, dieser Kausalzusammenhang im Hinblick auf ein späteres Verfahren auf Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung bindend festgestellt (RS0084077 [T1]).

[8] 2.1 Abstrakt bezeichnet der Gesetzgeber des ASVG mit dem Rechtsbegriff des „Versicherungsfalls“ die Summe der Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit ein Anspruch auf eine bestimmte Versicherungsleistung besteht. Vorrangige Funktion des Versicherungsfalls ist es, die versicherte Gefahr zu erfassen und abzugrenzen (10 ObS 15/94 SSV‑NF 8/34 ua; R. Müller in SV‑Komm [263. Lfg] § 174 Rz 1; ausführlich Tomandl/Schrammel in Tomandl , SV‑System 2.1.2.2.1).

[9] 2.2 Konkret ist der Versicherungsfall eingetreten, wenn bei einer bestimmten versicherten Person zu einem bestimmten Zeitpunkt alle gesetzlichen Voraussetzungen für eine Versicherungsleistung vorliegen. In der Unfallversicherung gilt der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten gemäß § 174 Z 2 ASVG mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 203 ASVG) als eingetreten. Unter dem Begriff des „Beginns der Minderung der Erwerbsfähigkeit“ im Sinn des § 174 Z 2 ASVG ist nicht schon das Erreichen irgendeiner Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern – wie der Verweis des Gesetzgebers auf § 203 ASVG zeigt – eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß zu verstehen (10 ObS 104/91, SSV‑NF 5/43; RS0084700). Welcher der beiden in § 174 Z 2 ASVG genannten möglichen Zeitpunkte des Eintritts des Versicherungsfalls für den Versicherten „günstiger“ – im Sinn von: wirtschaftlich vorteilhafter – ist (etwa für die Bemessung der Bemessungsgrundlage unter Berücksichtigung der Beitragsgrundlagen, § 179 ASVG), kann nur nach den Umständen des Einzelfalls nach dem wirtschaftlichen Gesamtergebnis beurteilt werden (10 ObS 145/03a SSV‑NF 17/73; RS0084146).

[10] 3.1 Die Klägerin macht in der Revision geltend, dass der Versicherungsfall bereits mit dem Beginn ihres Krankenstands am 1. 4. 2018 eingetreten sei. Dies sei festzustellen, weil die Klägerin in einem weiteren Verfahren ebenfalls die Gewährung einer Versehrtenrente aus den Folgen einer Berufskrankheit begehrt und es für die mögliche Bildung einer Gesamtrente darauf ankomme, wann der letzte Versicherungsfall eingetreten sei (vgl § 210 Abs 1 ASVG).

[11] 3.2 Die Klägerin zeigt damit schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil sie sich nur auf einen von zwei möglichen in § 174 Z 2 ASVG genannten Zeitpunkten des Eintritts des Versicherungsfalls bezieht. Voraussetzung für die Zuerkennung einer Gesamtrente im Sinn des § 210 ASVG ist aber das Vorliegen einer Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus mehreren Versicherungsfällen nach dem ASVG von mindestens 20 %. Dies ist wiederum auch die Voraussetzung für den zweiten in § 174 Z 2 ASVG genannten möglichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls. Erst in diesem Fall kann bestimmt werden, welcher der beiden Zeitpunkte nach dieser Bestimmung der für die Klägerin wirtschaftlich günstigere für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist und daher als Eintritt des Versicherungsfalls anzusehen ist. Dafür, dass die Voraussetzungen dafür bereits zum jetzigen Zeitpunkt vorliegen, finden sich nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte.

[12] 3.3 Soweit die Klägerin in der Revision vom „Anfallsdatum im gegenständlichen Verfahren“ und vom „Anfallsdatum“ einer Gesamtrente spricht, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Eintritt des Versicherungsfalls im Sinn des § 174 Z 2 ASVG vom Anfall einer Leistung aus der Unfallversicherung gemäß § 86 Abs 4 ASVG zu unterscheiden ist (10 ObS 69/09h SSV‑NF 23/45), sodass sie auch mit diesen Ausführungen keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsausführungen des Berufungsgerichts aufzeigt.

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