OGH 10ObS69/09h

OGH10ObS69/09h16.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Hutterer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois K*****, Pensionist, *****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Jänner 2009, GZ 12 Rs 149/08f-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. August 2008, GZ 16 Cgs 266/07z-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 18. 4. 1934 geborene Kläger war von 1955 bis zu seiner Pensionierung 1991 asbestexponiert beschäftigt. Bei ihm liegt eine Asbeststaublungenerkrankung mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung und Kreislauf (§ 177 Abs 1 Anlage 1 Nr 27 lit a ASVG) vor. Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt seit Anfang 2002 20 vH. Am 28. 3. 2007 hat das Landeskrankenhaus Vöcklabruck der beklagten Partei den Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit (Asbestose) gemeldet. Seit 1. 4. 2007 bezieht der Kläger zu seiner Pension Pflegegeld der Stufe 3; er ist seit diesem Zeitpunkt jedenfalls völlig erwerbsunfähig. Ob er bereits zu einem früheren Zeitpunkt erwerbsunfähig war, steht nicht fest.

Mit Bescheid vom 19. 9. 2007 hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die beim Kläger vorliegende Erkrankung als Berufskrankheit gemäß § 177 Abs 1 Anlage 1 Nr 27a ASVG (Asbeststaublungenerkrankung [Asbestose] mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf) anerkannt, als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls den 22. 3. 2007 und als Bemessungsgrundlage den Betrag von 22.513,07 EUR festgestellt und einen Anspruch auf Versehrtenrente mit der Begründung abgelehnt, dass zum 22. 3. 2007 keine Erwerbsfähigkeit mehr bestanden habe.

Das Erstgericht sprach dem Kläger zur Abgeltung der Folgen der Berufskrankheit Asbestose eine Versehrtenrente von 20 vH im gesetzlichen Ausmaß ab 22. 3. 2007 zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und sprach aus, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen, für den Zeitraum ab 28. 3. 2007 dem Grunde nach zu Recht bestehe; der beklagten Partei wurde bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von 50 EUR ab 28. 3. 2007 aufgetragen. Das Mehrbegehren auf Leistung einer Versehrtenrente für den Zeitraum von 22. bis 27. 3. 2007 wurde (rechtskräftig) abgewiesen.

In rechtlicher Hinsicht sei entscheidend, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls bereits völlig erwerbsunfähig gewesen sei, sodass eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit und damit ein Anspruch auf eine Versehrtenrente zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entstehen hätte können. Die beklagte Partei habe im Bescheid den Eintritt des Versicherungsfalls willkürlich mit 22. 3. 2007, dem Datum der Ausstellung der ärztlichen Meldung des Krankenhauses Vöcklabruck, festgelegt. Maßgeblich für den Eintritt des Versicherungsfalls sei aber nach § 174 Z 2 ASVG nicht der Tag der erstmaligen ärztlichen Diagnose, sondern entweder der Beginn der Krankheit oder der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der Kläger habe im Verfahren erster Instanz behauptet, dass der Versicherungsfall bei ihm schon zu einem viel früheren als dem von der beklagten Partei angenommenen Zeitpunkt eingetreten sei, als er noch erwerbsfähig gewesen sei. Nach den (auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens getroffenen) Feststellungen des Erstgerichts sei die Asbestose spätestens Anfang 2002 schon so weit fortgeschritten gewesen, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH bestanden habe. Jedenfalls mit diesem Tag sei daher der Versicherungsfall eingetreten, und zwar unabhängig davon, ob und allenfalls wann das Leiden schon zu einem früheren Zeitpunkt behandlungsbedürftig gewesen sei. Dass der Kläger bereits Anfang 2002 völlig erwerbsunfähig gewesen wäre sei der Aktenlage nicht zu entnehmen; vielmehr sei die Erwerbsunfähigkeit des Klägers auf den am 23. 1. 2007 erlittenen Herzinfarkt zurückzuführen.

Als Folge des Unfalls bestehe beim Kläger zumindest seit Anfang 2002 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH. Da innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruchs gestellt worden sei, fielen Leistungen aus der Unfallversicherung nach § 86 Abs 4 ASVG mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruchs führe. Maßgeblich sei diesbezüglich der Tag des Einlangens der Unfallmeldung beim Versicherungsträger. Da die Meldung im vorliegenden Fall am 28. 3. 2007 bei der beklagten Partei eingelangt sei, habe der Kläger ab diesem Tag Anspruch auf Gewährung der Leistung. Für den davor liegenden Zeitraum vom 22. 3. 2007 bis 27. 3. 2007 (also zwischen Ausstellung und Einlangen der Meldung) bestehe der Rentenanspruch nicht zu Recht.

Die Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt und im Übrigen der Wortlaut der gesetzlichen Regelung (§ 174 Z 2 ASVG) völlig eindeutig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Einfluss des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit im Fall eines noch nicht angefallenen Leistungsanspruchs zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrer außerordentlichen Revision steht die beklagte Partei zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass der Kläger im Zeitraum ab 28. 3. 2007 durchgehend gänzlich erwerbsunfähig gewesen sei, weshalb keine Versehrtenrente mehr zugesprochen werden hätte dürfen.

Dieser Ansicht steht § 174 Z 2 ASVG entgegen, wonach der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit - und zwar im rentenbegründenden Mindestausmaß (10 ObS 104/91 = SSV-NF 5/43) - als eingetreten gilt. Vom Eintritt des Versicherungsfalls ist der Anfall der Leistung nach § 86 Abs 4 ASVG zu unterscheiden.

Im Hinblick auf die beim Kläger vorliegende Berufskrankheit nach § 177 Abs 1 Anlage 1 Nr 27 lit a ASVG, die seit Anfang 2002 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH bedingt, sind die Vorinstanzen im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Versicherungsfall spätestens Anfang 2002 eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt lag nach den Feststellungen keine gänzliche Erwerbsunfähigkeit des Versehrten vor, die im Sinne der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0088944) die Möglichkeit einer (weiteren) Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschließen würde. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers nach den Feststellungen ab dem Eintritt des Versicherungsfalls dauernd 20 vH beträgt; der Eintritt einer späteren Erwerbsunfähigkeit (aus unfallfremden Gründen) vermag am entstandenen Rentenanspruch nichts mehr zu ändern (Tomandl in Tomandl, SV-System [11. ErgLfg] 351 [2.3.3.2.3.6.]), selbst wenn die Rente nach § 86 Abs 4 ASVG erst später als zwei Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalls anfällt. Hinweise darauf, dass die bei Eintritt des Versicherungsfalls bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischenzeitig ganz oder teilweise weggefallen wäre, liegen nicht vor.

Damit muss die Revision der beklagten Partei erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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