European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140NS00040.20Y.0929.000
Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 30. April 2020, AZ 41 St 4/19h (ON 35), legt die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) ***** C***** Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach § 12 zweiter Fall, §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (A./), subsumierte Taten des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153d „Abs 1 bis 3“ StGB (B./) und die Vergehen der organisierten Schwarzarbeit nach § 153e Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 StGB (C./) zur Last.
Danach habe er in M***** von August 2014 bis September 2017 gewerbsmäßig (§ 70 StGB)
A./ ***** J***** und ***** H***** „bzw.“ ***** P***** mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, (in zahlreichen Angriffen [ON 35 S 6]) dazu bestimmt, Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse und der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse durch Vortäuschung, die angemeldeten Dienstnehmer seien bei den in der Anmeldung genannten (und in der Anklageschrift konkretisierten) Unternehmen beschäftigt, wobei es sich um Scheinunternehmen handelte und die Dienstnehmer tatsächlich für ***** C***** und dessen Unternehmen T***** KG tätig waren, zur Abstandnahme von der Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz beim wirklichen Dienstgeber zu verleiten, die die Wiener Gebietskrankenkasse und die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in einem Betrag von 353.422,20 Euro am Vermögen schädigten, indem er auf Grundlage einer mit J***** getroffenen Vereinbarung H***** regelmäßig anwies, von ihm genannte Arbeiter auf das jeweils aktuelle Scheinunternehmen zur Sozialversicherung und zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse anzumelden;
B./ durch die zu A./ genannten Tathandlungen die (An‑)Meldung einer größeren Zahl von Personen zur Sozialversicherung sowie zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse im Wissen in Auftrag gegeben, dass die infolge der (An‑)Meldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz nicht vollständig geleistet werden sollen, wobei diese auch tatsächlich nicht vollständig geleistet wurden;
C./ als Geschäftsführer der T***** KG, sohin als leitender Angestellter (§ 74 Abs 3 StGB) einer juristischen Person, Personen zur unselbständigen Erwerbstätigkeit ohne die erforderliche Anmeldung zur Sozialversicherung angeworben und eine größere Zahl solcherart illegal erwerbstätiger Personen beschäftigt, indem er Arbeiter für sein Unternehmen anwarb, jedoch wahrheitswidrig auf Scheinunternehmen anmelden ließ und auf den Baustellen der T***** KG mit der Verrichtung von Arbeiten beauftragte und wie eigene Dienstnehmer in den Arbeitsablauf einband.
Die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz wurde in der Anklageschrift nicht begründet. Die WKStA ging nach dem Anklagetenor (ON 35 S 1) aber offensichtlich davon aus, dass M***** als Sitz der T***** KG (ON 12 S 61) und Wohnort des Angeklagten (ON 22 S 2) der Tatort sei, von dem aus jeweils die Anweisungen zu den (Schein-)Anmeldungen der Arbeiter per E-Mail an H***** erfolgten (ON 35 S 6).
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte erhob gegen die Anklageschrift keinen Einspruch.
Die Akten wurden vom Vorsitzenden des Schöffengerichts wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz und von diesem – weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4, 7 und 8 StPO genannten Gründe (vgl RIS‑Justiz RS0124585) – gemäß § 213 Abs 6 letzter Satz, § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren ist gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO der Ort, an dem die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Bei der Bestimmung zu einer strafbaren Handlung liegt dieser Ort dort, wo der Täter zur Tat auffordert ( Nordmeyer , WK‑StPO § 25 Rz 1).
Wird eine Person wegen mehrerer Straftaten angeklagt, ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO), wobei – soweit gegenständlich relevant – gemäß § 37 Abs 2 erster Satz StPO unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zur Führung aller Verfahren zuständig ist. Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO; vgl RIS‑Justiz RS0124935, RS0125227).
Bei Subsumtionseinheiten (hier [zu A./]: nach § 29 StGB) ist die örtliche Zuständigkeit hinsichtlich jeder der zusammenzufassenden Straftaten nach den Kriterien des § 36 (Abs 3) StPO zu ermitteln. Möglicher Anknüpfungspunkt für die nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist dabei jeder einzelne der Tatorte, weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde (§ 36 Abs 3 StPO), es sei denn, eine Qualifikation, welche die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) nach sich zieht, wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS‑Justiz RS0131445; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5/1; siehe auch Nordmeyer , WK‑StPO § 26 Rz 8/1).
Im gegenständlichen Fall fiele nach den bisherigen Verfahrensergebnissen (zum Bezugspunkt der Zuständigkeitsprüfung vgl RIS‑Justiz RS0131309 und Oshidari , WK‑StPO § 38 Rz 2/1) weder eine der zur Subsumtionseinheit zusammengefassten Betrugstaten (A./) – mangels eines jeweils 50.000 Euro übersteigenden Schadens (vgl ON 34) – noch eine der zu B./ und C./ angeklagten Straftaten in die Zuständigkeit des Schöffengerichts, sondern käme die Kompetenz zur Führung des Hauptverfahrens jeweils dem Einzelrichter des Landesgerichts zu. Zufolge Gleichrangigkeit der tatortzuständigen Gerichte kommt daher der Anknüpfungspunkt nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO zum Tragen.
Vorliegend ist dabei auch von einem Tatort in Wien – und demnach in jenem Gerichtssprengel, in dem die das Ermittlungsverfahren führende WKStA ihren Sitz hat (vgl Schroll/Oshidari , WK‑StPO § 20a Rz 2; Nordmeyer , WK‑StPO Vor §§ 25–28a Rz 2; und § 26 Rz 13; Oshidari , WK-StPO § 36 Rz 1) – auszugehen. Denn der Angeklagte soll nach der Aktenlage im Jahr 2017 im Büro der S***** in W***** unter anderem mit J***** und P***** die Abmachung getroffen haben, dass wieder die (bereits zuvor von ihm auf Baustellen beschäftigte und auf andere Scheinunternehmen des J***** angemeldete) „tschechische Partie“ geschickt werde (ON 22 S 8), wobei in den Anmeldungen dieser Arbeiter in der Folge nicht die S***** selbst, sondern (von der Anklage umfasst [ON 35 S 1, 6 f]) die G***** GmbH und/oder die w***** GmbH als Dienstgeber bezeichnet wurden (ON 34 S 4 f).
Zur Führung des Hauptverfahrens ist somit jedenfalls ein im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien gelegenes Landesgericht zuständig, weshalb die Strafsache – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Landesgericht zu übermitteln war.
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