OGH 1Ob71/20b

OGH1Ob71/20b22.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch die Bründl & Franzelin Partnerschaft Rechtsanwälte OG, Straßwalchen, gegen die beklagte Partei G*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 41.292,18 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. März 2020, GZ 3 R 31/20d‑32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. Dezember 2019, GZ 14 Cg 13/18a‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00071.20B.0722.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen gingen übereinstimmend davon aus, dass dem Operateur, dessen Verhalten der Beklagten als Rechtsträgerin eines Landesklinikums zuzurechnen ist, eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht anzulasten ist. Sie sprachen dem Kläger 18.000 EUR sA an Schmerzengeld zu und bejahten die Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden aus einem bestimmten operativen Eingriff.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision ist nicht zulässig:

1. Grundlage der Haftung des Arztes wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff verletzt wird. Ohne dessen Einwilligung in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und – wie hier – lege artis durchgeführt worden ist (RIS-Justiz RS0026783). Die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten setzt wiederum dessen umfassende Aufklärung über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der jeweiligen Behandlung voraus (vgl RS0118355; RS0026499; 5 Ob 75/18t; 5 Ob 179/19p je mwN); nur dann kann er nämlich die Tragweite seiner Einwilligung überschauen (vgl RS0026413). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommene Behandlung haftet der Arzt, sofern er nicht beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Dieser Beweis ist im vorliegenden Fall nicht gelungen.

In welchem Umfang der Arzt den Patienten aufklären muss, ist eine nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantwortende und daher im Allgemeinen nicht revisible Rechtsfrage (RS0026529 [bes T18, T20]), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen (RS0026763 [T5]), die aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (RS0026529 [T31]).

Selbstverständlich sind auch der ärztlichen Aufklärungspflicht Grenzen gesetzt. Nach der Rechtsprechung ist beispielsweise eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (RS0026529 [T16]) oder ihm eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden müsste, dass ihm die Einschätzung der Lage dadurch nicht ermöglicht, sondern sogar erschwert würde (RS0026529 [T32]), zumal die Aufklärungspflicht des Arztes auch nicht überspannt werden darf (RS0026362 [T1]). Bei den sogenannten typischen Gefahren eines Eingriffs – diese ergeben sich nicht allein aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist – ist sie aber verschärft (RS0026340; RS0026581 [T1, T2]).

2. Abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof bereits in einer Vielzahl von Judikaten klargestellt hat, dass der Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen muss (RS0026529), geht es im vorliegenden Fall nicht um „jedes mögliche“ Risiko, sondern um jenes, das sich verwirklicht hat. Dabei handelte es sich um ein für den Eingriff typisches, bei dem also eine verschärfte Aufklärungspflicht besteht.

3. Dem Vorwurf, das Berufungsgericht widerspreche mit seiner Beurteilung zur Unbeachtlichkeit der Aufklärung durch den Anästhesisten „der ständigen Rechtsprechung dazu, dass die Aufklärung nicht zwingend durch den den Eingriff durchführenden Arzt erfolgen“ müsse, liegt offenbar eine Missinterpretation der Ausführungen des Berufungsgerichts durch die Beklagte zugrunde. Dieses vertrat nicht die Ansicht, die Aufklärung des Anästhesisten sei deswegen nicht zu berücksichtigen, weil dieser den operativen Eingriff nicht selbst durchgeführt hatte, sondern deshalb, weil dessen Aufklärung – nach dem festgestellten Sachverhalt im Übrigen „über die Narkose“ – ein anderes Risiko (als das eingetretene) betroffen habe. Das vom Anästhesisten erklärte Risiko habe sich nicht verwirklicht. Es sei nicht zu einem Kompressionssyndrom gekommen, sondern zu einer mechanischen Irritation im Operationsgebiet. Über dieses Risiko sei der Patient aber (auch vom Anästhesisten) nicht aufgeklärt worden. Die Beklagte muss selbst einräumen, dass der Anästhesist den Kläger (nur) im Zusammenhang mit der Lagerung auf die Möglichkeit einer Verletzung von Nerven durch Druckschädigung hingewiesen hatte. Der von ihr gezogene Schluss, für den Patienten sei „nur das Ergebnis entscheidend“, nicht aber wie eine Schädigung oder Verletzung herbeigeführt werde, die durch die mechanische Irritation im Operationsgebiet eingetretene substantielle Schädigung eines Nervs (entweder durch das postoperative Hämatom oder durch einen „direkten Mechanismus wie Stromableitung oder Präparation“) sei „letztlich auch nichts anderes als eine Druckschädigung“, ist nicht nachvollziehbar und verkennt das Ziel der ärztlichen Aufklärung, dem Patienten selbst die Entscheidung darüber zu ermöglichen und zu überlassen, welche Risiken einer Schädigung er in Kauf nehmen möchte. Es macht durchaus einen Unterschied, ob Nerven nur durch einen Lagerungsdruck geschädigt werden können oder ob darüber hinaus auch noch das Risiko einer mechanischen Beeinträchtigung beim Eingriff selbst besteht, die sogar zu dauerhaften Schmerzen führen kann.

4. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Aufklärung durch den Operateur selbst in Verbindung mit dem schriftlichen Aufklärungsbogen nicht ausreichend gewesen sei, begegnet keinen Bedenken, zumal der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass das unmittelbare persönliche Aufklärungsgespräch durch nichts ersetzt werden kann (RS0102906). Die von der Beklagten für ihren gegenteiligen Standpunkt, der Operateur hätte im mündlichen Gespräch auf das eingetretene (typische) Risiko nicht hinweisen müssen und die „Aufklärung“ in dem mehr als einen Monat vor der Operation dem Kläger ausgehändigten Aufklärungsblatt aus dem Fachgebiet der Gynäkologie [„Dokumentierte Patientenaufklärung, Basisinformation zum Aufklärungsgespräch, Operative Laparoskopie, Behandlung durch Bauchspiegelung“] habe genügt, herangezogenen beiden Entscheidungen können ihre Auffassung nicht stützen. In dem dem Beschluss zu 10 Ob 137/98i zugrundeliegenden Sachverhalt wurde ein mehrseitiges einschlägiges (!) Informationsblatt Punkt für Punkt in einem persönlichen Gespräch durchgegangen (was hier aber nicht erfolgte). Zu 7 Ob 233/00s wurde nach einem Hinweis auf die Rechtsprechung, wonach eine nur in einem Formular gegebene Aufklärung ohne ein ärztliches Aufklärungsgespräch nicht ausreicht, unterstrichen, dass das Schwergewicht der Aufklärung jedenfalls auf die Äußerungen des Arztes im unmittelbaren Gespräch mit dem Patienten zu legen ist.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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