OGH 5Ob75/18t

OGH5Ob75/18t18.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft *, vertreten durch DI (FH) Mag. Bernd Auer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. W*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen (eingeschränkt und ausgedehnt) 79.017,57 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 3.017,57 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2018, GZ 1 R 152/17p‑137, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122336

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508aAbs 2ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502Abs 1ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend eine Aufklärungspflichtverletzung des beklagten Arztes angenommen und schon aus diesem Grund dessen Haftung für sämtliche nachteiligen Folgen des rechtswidrig erfolgten Eingriffs bejaht.

2.1. Die vom Beklagten in seiner Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit und Berechtigung geltend gemachten Rechtsmittelgründe beruhen in erster Linie auf der Behauptung, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es angesichts der Verletzung der Aufklärungspflicht auf die Frage der Richtigkeit der Diagnose des Beklagten und der Richtigkeit der von ihm bejahten Operationsindikation nicht mehr ankomme. Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht habe das Berufungsgericht die auf die diesbezüglichen Feststellungen bezogene Verfahrens- und Beweisrüge nicht inhaltlich behandelt und sekundäre Feststellungsmängel verneint. Tatsächlich sei die Klärung der Richtigkeit der Diagnose und daran anknüpfend auch die Richtigkeit der bejahten Operationsindikation wesentlich, weil die von den Vorinstanzen geforderte Aufklärung über Behandlungsalternativen nur dann notwendig sei, wenn überhaupt mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden, die gleichwertig seien, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen hätten (vgl RIS‑Justiz RS0026426, insb [T11, T12]). Das könne aber nur von der richtigen Diagnose ausgehend beurteilt werden.

2.2. Grundlage für eine Haftung des Arztes wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen. Fehlt es daran, so ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt worden ist (RIS‑Justiz RS0118355 [T1]). Die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten setzt eine umfassende Aufklärung voraus, erforderlich ist eine Diagnose-, Behandlungs- und Risikoaufklärung (3 Ob 87/00s; vgl auch RIS‑Justiz RS0118355). Aufzuklären ist also nicht nur über allfällige alternative Behandlungsmethoden, sondern vor allem auch über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung (RIS‑Justiz RS0038176 [T1]; RS0026499).

2.3. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Beklagte zwar über Vermittlung der Tochter der Patientin deren schriftliche Zustimmungserklärung für den operativen Eingriff (Vertebroplastie) eingeholt. Der von der Patientin zu diesem Zweck unterfertigte Aufklärungsbogen enthielt auch detaillierte Informationen, insbesondere einen Hinweis auf die „seltene“ Komplikation des Eingriffs (unerwünschter Zementaustritt), die sich in der Folge verwirklicht hat. Dies kann aber nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein unmittelbares persönliches ärztliches Aufklärungsgespräch nicht ersetzen (RIS‑Justiz RS0102906; RS0026499 [T3]). Mangels jeglicher wirksamer Aufklärung konnte das Berufungsgericht daher die Verletzung der Aufklärungspflicht bejahen, ohne klären zu müssen, ob die Feststellungen des Erstgerichts zur Richtigkeit der Diagnose und der Operationsindikation zufolge der gerügten Stoffsammlungsmängel mangelhaft und/oder zufolge unrichtiger Beweiswürdigung unrichtig sind. Diese betreffen nur einen jener Aspekte, über die im Sinn der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze aufzuklären gewesen wäre.

3.1. Der Revisionswerber zeigt auch sonst keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf.

3.2. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen. Aufklärungsadressat ist deshalb primär der Patient selbst (RIS‑Justiz RS0026413 [T10]).

3.3. Die Frage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufklären muss, ist keine feststellungsfähige Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage, die nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten und daher im Allgemeinen nicht revisibel ist (RIS‑Justiz RS0026529 [T20]; RS0026763 [T5]). Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter reicht, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist (RIS‑Justiz RS0026313 [T5]), und daher bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat, die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen ist (RIS‑Justiz RS0026313 [T10]). Eine Dringlichkeit, die das Unterlassen eines unmittelbaren persönlichen ärztlichen Aufklärungsgesprächs rechtfertigen könnte, hat der Beklagte jedoch weder im Verfahren vor dem Erstgericht behauptet, noch wäre eine solche aus der Richtigkeit von Diagnose und Operationsindikation (und den Revisionsausführungen dazu) abzuleiten.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte