European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00021.20K.0722.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alois H***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er von März bis zum 12. Juli 2019 in W***** in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen die aufgrund einer aggressiven Form der Multiplen Sklerose bewegungs- und kommunikationsunfähige Barbara H*****, somit eine wehrlose Person, (US 3:) die aufgrund kognitiver Einschränkungen nicht in der Lage war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen vornahm, indem er sie mit seinem Finger und seinem Penis vaginal penetrierte.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 11 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 47 S 18 f) von in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen (ON 47 S 17 ff) Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt.
Vorauszuschicken ist, dass das die Beweisanträge ergänzende Rechtsmittelvorbringen mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen hat (RIS‑Justiz RS0099618).
Der Antrag auf „nochmalige Vorführung des Videos [ON 4]“ zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte Frau H***** weder Schmerzen bzw Qualen zufügte noch sie missbraucht hat und er wie von ihm gesagt auch die ganze Zeit mit ihr kommuniziert hat und es auch auf dem ganzen Video keine Reaktion von Frau H***** gibt, wonach ihr das unangenehm wäre oder sie Schmerzen hätte“, ließ nicht erkennen, weshalb eine neuerliche Vorführung der Videoaufzeichnung (ON 32 S 49) das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0118444).
Dem Antrag, das „Privatgutachten“ von Univ.‑Doz. Dr. P***** zum Akt zu nehmen, mangelte es an einer gesetzlichen Grundlage (RIS‑Justiz RS0115646; vgl auch Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 40 f; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351/2).
Der Antrag, Helene H***** und Prof. Ulrike S***** erneut als Zeuginnen zum Beweis dafür zu vernehmen, dass „der Angeklagte Frau Barbara H***** weder missbraucht noch ihr Qualen zugefügt hat“, die Zeugin Prof. S***** „auch zu der vom Angeklagten angesprochenen Liebesbeziehung, die sich ergeben hat“, legte nicht dar, weshalb zu erwarten sei, dass die Genannten von ihren bisherigen Aussagen in der Hauptverhandlung (ON 32 S 35 ff, 43 ff) abweichen würden. Solcherart zielte dieser Antrag auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0098117).
Der Erledigung der weiteren Verfahrensrüge (Z 4), der Mängel‑ (Z 5) und der Tatsachenrüge (Z 5a) ist voranzustellen, dass die verschiedenen Tatbestandsvarianten des § 205 Abs 1 StGB rechtlich gleichwertig sind und daher ein alternatives Mischdelikt bilden. Die Richtigkeit der Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) hängt davon ab, dass (irgend‑)eine, nicht aber davon, welche dieser Alternativen verwirklicht wurde (vgl RIS‑Justiz RS0116655).
Das Erstgericht stellte fest, dass dem Angeklagten „auch bewusst [war], dass Barbara H***** kognitive Einschränkungen hatte und aufgrund ihrer Erkrankung und somit wehrlosen Zustands nicht in der Lage war, die Bedeutung der geschlechtlichen Handlungen zu erfassen und ... auch nicht in der Lage war, über ihren Körper in geschlechtlicher Hinsicht entsprechend ihrer Einsicht zu handeln. Mit all dem fand er sich bei jedem sexuellen Übergriff beim Vollzug des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen zur Befriedigung seines sexuellen Gelüstes billigend ab und nutze diesen Umstand bei der Vornahme dieser Handlungen an Barbara H***** willentlich und wissentlich aus“ (US 3).
Diese Konstatierungen tragen die rechtliche Annahme der zweiten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB. Diese schützt vor missbräuchlichen Angriffen gegen die sexuelle Integrität von Personen, die zustandsbedingt mangels entsprechender Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zu einer freien Selbstbestimmung nicht im Stande sind. Dabei kommt es auf eine allfällige (solcherart unwirksame) Einwilligung des Opfers nicht an (vgl RIS‑Justiz RS0120166, RS0095272; Philipp , WK 2 StGB § 205 Rz 8 f, 20).
Solcherart zielten sämtliche Anträge, die auf den Nachweis der Zustimmung des Opfers zu den gegenständlichen Handlungen des Angeklagten gerichtet waren, nicht auf den Beweis einer (erheblichen) Tatsache, die geeignet ist, den Ausspruch über eine für Schuldspruch oder Subsumtion relevanten Tatsachenfeststellung zu beeinflussen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 340). Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung dieser Anträge daher Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.
Auch die gegen die Feststellungen, wonach das Opfer nicht kommunikationsfähig war und die inkriminierten Handlungen gegen seinen Willen erfolgten (US 3), gerichteten Einwände der Mängel‑ (Z 5) und der Tatsachenrüge (Z 5a) verfehlen daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (RIS‑Justiz RS0106268, RS0118780).
Zur deutlichen und bestimmten Bezeichnung eines Begründungsmangels muss konkret auf jene Feststellungen Bezug genommen werden, auf die sich dieser beziehen soll (vgl RIS‑Justiz RS0130729). Soweit die Kritik der Mängelrüge (Z 5) mehrfach lediglich auf als „Feststellungen“ bezeichnete beweiswürdigende Erwägungen des Erstgerichts abzielt, ohne die damit jeweils bekämpfte Feststellung zu bezeichnen, wird sie diesem Erfordernis nicht gerecht.
Indem die Mängelrüge die „Feststellungen zu den Schmerzen des Opfers“ als „unvollständig“ moniert, spricht sie abermals keine entscheidende Tatsache an (vgl RIS‑Justiz RS0106268).
Mit der Argumentation, die Feststellungen „zu den Schmerzen des Opfers, der mangelnden Kommunikationsfähigkeit und der kognitiven Beeinträchtigung“ hätten die Tatrichter auf die Aussage des Zeugen Dr. D***** gestützt, der „nicht so viel Gewicht beigemessen werden“ könne, und sie hätten dabei auch übersehen, dass dessen Angaben „zum Teil in Widerspruch zum restlichen Akteninhalt stehen“, bekämpft der Beschwerdeführer bloß – im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässig – die erstgerichtliche Beweiswürdigung.
Soweit der Angeklagte die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder eines „Besuchs beim Opfer“ kritisiert (nominell Z 5), will er inhaltlich eine Aufklärungsrüge (Z 5a) geltend machen; er verfehlt jedoch deren Anfechtungskriterien, weil er nicht erklärt, wodurch er an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823).
Entgegen dem Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter zur Begründung der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 3) die – als Schutzbehauptung gewerteten – Angaben des Angeklagten, die Aussagen der Zeuginnen Prof. S***** und Helene H***** sowie die Videoaufzeichnung (ON 4) sehr wohl berücksichtigt (US 4 ff). Dass sie daraus andere als die vom Angeklagten gewünschten Schlüsse zogen, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS‑Justiz RS0099455).
Das weitere Beschwerdevorbringen, das in Ansehung der festgestellten kognitiven Einschränkungen des Opfers (US 2 f) das Fehlen eines „objektivierten Beweises“ moniert und logische Unhaltbarkeit sowie das Entbehren jeglicher Beweiswürdigung behauptet (Z 5 vierter Fall), übergeht prozessordnungswidrig, dass die Tatrichter diese Konstatierung – empirisch einwandfrei – aus den Angaben der Zeugen Dr. D*****, N***** und Sc***** ableiteten (US 7 f; RIS‑Justiz RS0119370).
Der von der Mängelrüge relevierte Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen den beweiswürdigenden Erwägungen, wonach auf dem Video ON 36 „zwar ein Augenschluss beim Opfer zu sehen war, dieser aber zeitlich sehr verzögert oder schon vor Beendigung der Fragestellung erfolgte, weshalb daraus kein Nachweis einer Zustimmung durch das Opfer gewonnen werden konnte und auch kein Beweis für eine eindeutige Kommunikation, zumal das Opfer auch über einen natürlichen Lidschluss verfügt“ (US 7) und jenen, es könne „überdies“ nicht ausgeschlossen werden, „dass das Opfer vor Beginn der Filmaufnahme beeinflusst wurde“ (US 7), liegt nicht vor (vgl RIS‑Justiz RS0119089).
Ob das Verhältnis des Angeklagten zum Opfer auch noch nach der Scheidung der Ehe mit dessen Mutter semantisch korrekt (weiterhin) als Stiefverhältnis zu bezeichnen ist, betrifft – wie von der Rüge selbsteingeräumt – keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0117264).
Der mit dem Vorbringen, „die aufgrund des Videos getroffenen Feststellungen stimmen nicht mit dem Inhalt des Videos überein“, erhobene Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verkennt, dass eine solche dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder einer Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431). Die in der Hauptverhandlung vorgeführte (ON 32 S 49; ON 47 S 20) Videoaufzeichnung der Tat vom 12. Juli 2019 (ON 4) scheidet damit von vornherein als Bezugspunkt einer Aktenwidrigkeit aus. Im Übrigen kritisiert der Vorwurf an die Tatrichter, aus dem Inhalt des in Augenschein genommenen (vgl Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 246 Rz 205) Videos statt der gezogenen Schlüsse nicht andere abgeleitet zu haben, bloß deren Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0099524).
Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen zur Mängelrüge verweist, lässt sie den wesensmäßigen Unterschied der einzelnen Nichtigkeitsgründe außer Acht (RIS‑Justiz RS0115902).
Der Sanktionsrüge (nominell Z 11 dritter Fall, der Sache nach Z 11 zweiter Fall) zuwider verstößt die Berücksichtigung der „heimtückischen Begehungsweise“ als erschwerend (US 12; § 33 Abs 1 Z 6 StGB; vgl auch RIS‑Justiz RS0091882) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, weil der genannte Umstand kein Tatbestandsmerkmal des § 205 Abs 1 StGB ist und dessen Strafdrohung somit nicht bestimmt (RIS‑Justiz RS0130193).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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