OGH 3Ob36/20w

OGH3Ob36/20w8.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch die Magistratsabteilung 42, Wien 3, Johannesgasse 35, diese vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2020, GZ 39 R 298/19s‑11, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 7. August 2019, GZ 56 C 8/19w‑7, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129022

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.921,28 EUR (hierin enthalten 593,88 EUR USt und 358 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte nahm mit Vertrag vom 27. Februar 2007 von der Klägerin ein Objekt („Glashaus mit Vorterrasse“) zu gewerblichen Zwecken in Bestand. Dieser Vertrag wurde für den Zeitraum 1. März 2007 bis 31. Dezember 2016 abgeschlossen. In diesem Zusammenhang wurde in Punkt II. des Vertrags festgehalten: „Die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung wird der Bestandnehmerin eingeräumt, sofern dieser keine öffentlichen Interessen entgegen stehen.“

Im Sommer 2015 legte der Geschäftsführer der Beklagten der damaligen Vizebürgermeisterin der Klägerin, der zuständigen Stadträtin und dem Vertreter der Donauhochwasserschutz-Konkurrenz (DHK) ein Gesamtkonzept für die Nutzung von verschiedenen Kaiflächen vor. Teil dieses Konzepts war die weitere Verwendung des Glashauses und weiterer Flächen von insgesamt 3.900 m². Am 14. Juni 2016 wurde zwischen der Vizebürgermeisterin und der Stadträtin vereinbart, dass der Bereich des von der Beklagten betriebenen Geschäftslokals auf die Kernflächen reduziert und bezüglich im Raum stehender Investitionen eine verbindliche finanzielle Zusage (Bankgarantie) von der Beklagten beigebracht werden solle. Bei Erfüllung dieser Voraussetzungen sollte eine Verlängerung des Bestandvertrags „auf“ [gemeint: um] zehn Jahre erfolgen. Dieses Ergebnis wurde dem Geschäftsführer der Beklagten im Auftrag der Vizebürgermeisterin mitgeteilt. Zu einer schriftlichen Vertragsverlängerung kam es allerdings in der Folge nicht.

Die Klägerin brachte daraufhin zunächst zu 56 C 41/17w des Erstgerichts („Vorverfahren“) gegen die Beklagte eine Räumungsklage mit der Begründung ein, dass der Mietvertrag mangels Vertragsverlängerung infolge Zeitablaufs beendet sei, weshalb sie das Objekt nunmehr titellos benütze. In diesem Verfahren folgte das Erstgericht der Argumentation der Beklagten, wonach sie die ihr im Vertrag eingeräumte Option ausgeübt habe und keine öffentlichen Interessen entgegenstünden, und wies das Klagebegehren daher ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und führte aus, es habe sich in Wahrheit nicht um eine Option gehandelt. Allerdings sei der Endtermin aufgrund der Verlängerungsmöglichkeit nicht objektiv bestimmbar, die Befristung sei daher nicht durchsetzbar, sodass ein unbefristeter Mietvertrag vorliege.

Noch während des Berufungsverfahrens teilte die Klägerin der Beklagten mit eingeschriebenem Brief vom 30. August 2018 mit, dass sie – unpräjudiziell ihrer Rechtsauffassung, dass keine rechtswirksame Verlängerung des Bestandverhältnisses erfolgt sei, und der im Vorverfahren erhobenen Berufung – den Bestandvertrag vom 27. Februar 2007 gemäß § 560 ZPO unter Einhaltung der gesetzlichen Frist von drei Monaten zum nächsten Quartalsende aufkündige. Das Bestandverhältnis ende somit mit Ablauf des 31. Dezember 2018.

Hinsichtlich weiterer von der Beklagten benutzter Räumlichkeiten begehrte die DHK als Klägerin in einem anderen Verfahren von der Beklagten die Räumung. Von diesem Räumungsbegehren war die Fläche des Glashauses samt rechtsseitiger Terrasse ausdrücklich ausgenommen.

Nunmehr begehrt die Klägerin (neuerlich) die geräumte Übergabe des Bestandobjekts, das in dem zum Bestandteil „des Bestandvertrags“ (offensichtlich gemeint: des Urteilsbegehrens) erhobenen Übersichtsplan (Beilage ./B) rot umrandet sei. Der Bestandvertrag unterliege nicht dem MRG. Jedenfalls aufgrund der außergerichtlichen Aufkündigung des – nach Ansicht der Beklagten im Vorverfahren unbefristeten – Bestandvertrags im August 2018 benütze die Beklagte das Objekt seit 1. Jänner 2019 titellos. Das Räumungsbegehren betreffe ausschließlich das Glashaus mit Vorterrasse und keine weiteren von der Beklagten benutzten Räumlichkeiten; es sei entgegen dem Standpunkt der Beklagten klar und präzise.

Die Beklagte wendete ua ein, der Bestandgegenstand sei nicht hinreichend präzise umschrieben und das Räumungsbegehren daher nicht ausreichend bestimmt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Gegenstand des Räumungsbegehrens sei hinreichend präzisiert. Der Bestandvertrag falle nicht in den Anwendungsbereich des MRG. Gemäß § 88 Abs 1 lit j bzw § „5“ [richtig: 105] Abs 3 lit g der Wiener Stadtverfassung obliege die Bewilligung zum Abschluss und zur Auflösung von Bestandverträgen, wenn der Bestandzins jährlich den Wert des § 88 Abs 1 lit e übersteige, dem Gemeinderat, ansonsten dem Magistrat. Diese Agenden fielen somit nicht in die Kompetenz der Vizebürgermeisterin oder einer amtsführenden Stadträtin, sodass die politische Einigung zwischen der Vizebürgermeisterin und der Stadträtin auch dann nicht zum Abschluss eines Bestandvertrags mit der Beklagten führen habe können, wenn sie dieser mitgeteilt worden sei. Bei der im Mietvertrag in Aussicht gestellten Vertragsverlängerung handle es sich nicht um eine Option. Diese Verlängerungsmöglichkeit führe allerdings dazu, dass kein ausreichend bestimmbarer und damit auch kein durchsetzbarer Endtermin vereinbart worden sei, weshalb von einem unbefristeten Bestandvertrag auszugehen sei, den die Klägerin wirksam zum 31. Dezember 2018 aufgekündigt habe, sodass die Beklagte das Objekt seither titellos benütze.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

In ihrer außerordentlichen Revision hält die Beklagte unter anderem ihren Standpunkt aufrecht, das Bestandobjekt sei in der Aufkündigung nicht ausreichend präzise beschrieben. Es sei daher unklar, ob nicht bloß eine Teilkündigung erfolgt sei. Das Erstgericht verweise in seinem Spruch auf die rote Umrandung im „Übersichtsplan“ Beilage ./B. Diese Urkunde sei aber kein Übersichtsplan, sondern lediglich ein Farbfoto aus Google-Maps, in dem rot umrandet willkürlich irgendein Bereich rund um das Glashaus eingezeichnet worden sei. Die rote Umrandung weise eine Strichstärke und Linienführung auf, die jede Rückrechnung auf einen Maßstab unmöglich mache; sie beschreibe daher keinesfalls eine Terrasse. Der Gerichtsvollzieher werde an Ort und Stelle aus dieser Urkunde keinesfalls schlau werden. Laut Mietvertrag sei ausdrücklich eine Terrasse mitvermietet; wo diese beginne und wo sie aufhöre, bleibe unklar. Auf dem Foto Beilage ./B sei keine Vorterrasse erkennbar.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Vorauszuschicken ist, dass das Berufungsgericht zu Recht eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands unterlassen hat, weil die Räumungsklage zwar auf titellose Benützung, aber nicht auf von Anfang an titellose Benützung gestützt ist (RS0046865 [T6]).

2. Damit ein Räumungstitel exequierbar ist, muss aus ihm eindeutig hervorgehen, welche Teile einer Liegenschaft zu überlassen oder zu räumen sind, weil nur so das Vollstreckungsorgan in der Lage ist, die zu erzwingende Leistung dem Bewilligungsbeschluss zu entnehmen, ohne dass es weiterer Erhebungen oder Nachweise bedürfte. Wenn erst durch Vorlage von Urkunden und Plänen dargetan werden muss, welcher Teil einer Liegenschaft, der in der Aufkündigung nicht näher bezeichnet war, zu räumen ist, fehlt es an der für die Bewilligung der Exekution erforderlichen Bestimmtheit des Titels (RS0000769). Die Frage der Bestimmtheit des Räumungsbegehrens ist von der Erkennbarkeit der vom Räumungsbegehren betroffenen Bestandgegenstände für die Beklagte – die hier infolge mit dem Bestandvertrag identer Formulierung zweifelsfrei zu bejahen ist – zu trennen (3 Ob 75/17a).

3. Die von der Klägerin im Urteilsbegehren – entsprechend dem Bestandvertrag – gewählte Umschreibung des zu räumenden Objekts („Glashaus mit Vorterrasse“) könnte für sich allein prinzipiell durchaus hinreichend bestimmt – weil in der Natur zweifelsfrei erkennbar – und damit exequierbar sein. Der vorliegende Fall ist allerdings dadurch gekennzeichnet, dass sich, wie auf den im Verfahren vorgelegten Lichtbildern Beilagen ./K und ./8 zu sehen ist, sowohl links als auch rechts vom Glashaus Terrassen befinden, wobei die Beklagte die von ihr insgesamt genutzten Flächen teils von der Klägerin und teils von der DHK in Bestand genommen hat. Wie sich aus der von der Klägerin selbst vorgelegten, im Räumungsverfahren zwischen der DHK und der Beklagten ergangenen Berufungsentscheidung (Beilage ./R) ergibt, besteht bzw bestand zwischen der Klägerin und der DHK offensichtlich teilweise Unklarheit darüber, welche Flächen in wessen Verfügungsgewalt stehen, weshalb der Beklagten möglicherweise insbesondere die vom Donaukanal aus gesehen rechts gelegene Vorterrasse sowohl von der Klägerin als auch von der DHK in Bestand gegeben wurde.

4. Mangels näherer verbaler Umschreibung der zu räumenden „Vorterrasse“ im Urteilsbegehren kommt der von der Klägerin zum Bestandteil ihres Räumungsbegehrens gemachten Urkunde Beilage ./B entscheidende Bedeutung für dessen Bestimmtheit zu. Beilage ./B ist allerdings, wie die Beklagte zutreffend aufzeigt, keineswegs eine planliche Darstellung der Örtlichkeit, sondern ein offenbar aus dem Internet heruntergeladenes (Übersichts-)Foto, auf dem eine lediglich 1,1 x 0,9 cm große rote Umrandung angebracht wurde. Mit Sicherheit lässt sich dieser Urkunde nur entnehmen, dass die rote Umrandung etwas größer ist als das Glashaus; ob und inwieweit die laut Bestandvertrag mitvermietete „Vorterrasse“ davon umfasst ist, kann hingegen wegen der insbesondere aus der geringen Größe resultierenden Ungenauigkeit der Einzeichnung nicht gesagt werden. Der Beklagten ist deshalb dahin zuzustimmen, dass der genaue Umfang des zu räumenden Objekts für das Vollstreckungsorgan aus dem Räumungsurteil nicht ersichtlich wäre.

5. Das Erstgericht hat die Klägerin zwar nicht auf die daraus folgende mangelnde Exequierbarkeit des Räumungsbegehrens, die sanierbar gewesen wäre (vgl RS0111666), hingewiesen. Dies schadet jedoch nicht, weil die Beklagte die Unbestimmtheit des Begehrens dezidiert eingewendet hat (RS0122365).

6. Das Klagebegehren ist daher bereits aus diesem Grund abzuweisen, ohne dass auf die übrigen Argumente der Revision, insbesondere die Richtigkeit der Auffassung der Vorinstanzen, wegen der unklaren Vertragsklausel bezüglich der Verlängerung sei ein unbefristeter (allerdings nicht dem MRG unterliegender) Mietvertrag zustande gekommen, einzugehen wäre.

7. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf §§ 41 iVm 54 Abs 1a ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO. Bemessungsgrundlage für die Pauschalgebühr ist lediglich der Betrag von 750 EUR (§ 16 Abs 1 Z 1 lit c GGG).

Stichworte