European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128506
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Gläubigerin hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung:
Die Erblasserin verstarb am * 2018, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Sie war vor ihrem Ableben in einem Pflegeheim in Wien stationär aufgenommen und erhielt Bezüge der Pensionsversicherungsanstalt. Das einzige Aktivum der Verlassenschaft bestand in einem Bankguthaben von 2.011,65 EUR. Bei der Todesfallaufnahme beantragte der Witwer erkennbar, ihm die Ermächtigung zu erteilen, das Verlassenschaftsvermögen gemäß § 153 Abs 2 AußStrG zu übernehmen. Die Revisionsrekurswerberin als Sozialhilfeträgerin meldete im Verlassenschaftsverfahren eine „Forderung für Wohnen und Pflege aufgrund offener Kostenbeiträge aus Einkommen und Pflegegeld“ in Höhe von 669,64 EUR und eine „Forderung für Wohnen und Pflege aufgrund offener Sozialhilfekosten“ von 8.958,53 EUR an. Weitere Gläubiger meldeten Forderungen in der Gesamthöhe von 241,23 EUR an.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Verlassenschaftsabhandlung mangels eines 5.000 EUR übersteigenden Werts der Verlassenschaftsaktiva unterbleibe, ermächtigte den Witwer das Verlassenschaftsvermögen, bestehend aus dem Bankguthaben von 2.011,65 EUR, zu übernehmen und trug ihm auf, die mit 155 EUR bestimmten Gebühren des Gerichtskommissärs zu bezahlen. Der dem Antrag des Witwers zugrunde liegende Anspruch sei nach der Aktenlage hinreichend bescheinigt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sozialhilfeträgers, mit dem dieser beantragte, die „Forderung für Wohnen und Pflege aus Einkommen und Pflegegeld“ von 669,64 EUR bei der Verteilung zu berücksichtigen, nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Begründend führte es aus, dass nicht verbrauchtes Einkommen des Verstorbenen als Vermögen zu qualifizieren sei. Mangels eines nach dem Tod der Erblasserin vorhandenen Einkommens komme gemäß § 330a ASVG eine Berücksichtigung von Pflegekostenforderungen nicht in Betracht (Verbot des Pflegeregresses). Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage, was unter einem Einkommen iSd § 330a ASVG zu verstehen sei, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Der Gläubiger erhob einen Revisionsrekurs. Zwar ist, wie zunächst zu zeigen ist (Punkt 1), seine Rechtsmittellegitimation zu bejahen. Das Rechtsmittel ist jedoch entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch im Revisionsrekurs wird eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Einem Gläubiger der Verlassenschaft kommt im Verfahren zur Erteilung einer Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG sowohl Antrags- als auch Rekurslegitimation zu:
1.1 Gemäß § 153 Abs 1 AußStrG unterbleibt die Abhandlung unter anderem dann, wenn die Aktiven der Verlassenschaft 5.000 EUR nicht übersteigen, keine Eintragungen in die öffentlichen Bücher erforderlich sind und kein Antrag auf Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens gestellt wird. Einer Verständigung bedarf es nicht. Gemäß Abs 2 dieser Bestimmung hat das Gericht auf Antrag denjenigen, deren Anspruch nach der Aktenlage bescheinigt ist, die Ermächtigung zu erteilen, das Verlassenschaftsvermögen ganz oder zu bestimmten Teilen zu übernehmen, dazu gehörende Rechte geltend zu machen oder aufzugeben, über erhaltene Leistungen rechtswirksam zu quittieren und Löschungserklärungen auszustellen.
1.2 Nach überwiegender Ansicht konnte bis zur Schaffung des § 798 Satz 2 ABGB mit dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) der Übernehmer nur mittels Besitznahme und nachfolgender Ersitzung Eigentum an den übernommenen Sachen erwerben (Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 15). Mangels Eignung zur Gläubigerbefriedigung wurde eine Antrags- und Rekurslegitimation der Gläubiger im Hinblick auf eine Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG überwiegend abgelehnt (ausführlich Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15, 125 mwN; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG[2013] § 153 Rz 10 f).
1.3 Nunmehr bildet die gerichtliche Ermächtigung des § 153 Abs 2 AußStrG ebenso wie die Überlassung an Zahlungs statt einen Erwerbstitel (§ 798 Satz 2 ABGB). Daher kann durch die Ermächtigung von Gläubigern eine Schuldtilgung erfolgen (Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 153 Rz 13). Um eine solche erreichen zu können, ist aber den Gläubigern nicht nur das Recht einzuräumen, Verlassenschaftsvermögen zu übernehmen („Empfangslegitimation“: idS etwa Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 11; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 153 Rz 12; Obermaier, ÖJZ 2008, 125 [128]; vgl ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100), sondern auch jenes, eine Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG selbst zu beantragen (Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren2 169 und 172). Würde man den Gläubigern kein solches Antragsrecht zugestehen (Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 11; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 153 Rz 10 und Rz 15; Fucik/Mondel Verlassenschaftsverfahren2 Rz 241; vgl ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100), könnte die Ermächtigung eines Gläubigers nur dadurch bewirkt werden, dass ein potenzieller Erbe einen entsprechenden Antrag stellt, wozu es in der Regel kaum kommen wird. Dem Zweck der Regelung, auf einfache Weise bestimmte Schulden der Verlassenschaft zu begleichen (Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 10; vgl ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100), würde damit nicht entsprochen.
1.4 Zu § 154 AußStrG wurde bereits ausgesprochen, dass die Bekanntgabe einer Geldforderung im Verlassenschaftsverfahren als Antrag auf Überlassung von Bargeld oder Bankguthaben an Zahlungs statt zu verstehen ist, nicht aber auch als Antrag auf Überlassung im Nachlass befindlicher Aktiva, mit denen auch Belastungen verbunden sein können (2 Ob 66/17w = RS0131901 = EF‑Z 2018/43 [zust Tschugguel] = iFamZ 2018/70 [zust Mondel]). Diese Grundsätze können auch auf nicht überschuldete Verlassenschaften übertragen werden, da dem Gläubiger im Zeitpunkt der Forderungsanmeldung meist nicht bekannt sein wird, ob der Nachlass überschuldet ist und eine Zuweisung nach §§ 154 f AußStrG erfolgen kann. Ist ein geringfügiger Nachlass nicht überschuldet, ist daher die Bekanntgabe einer Geldforderung im Verlassenschaftsverfahren als Antrag auf Erteilung der Ermächtigung zur Übernahme von Bargeld oder Bankguthaben nach § 153 Abs 2 AußStrG zu verstehen.
1.5 Die Bestimmung des § 153 AußStrG bezweckt die verfahrensökonomische Abwicklung einer geringfügigen Verlassenschaft. Verlassenschaftsvermögen kann daher nur dann gemäß § 153 Abs 2 AußStrG von einem Gläubiger übernommen werden, wenn dessen Anspruch nach der Aktenlage derart bescheinigt ist, dass eine sofortige Entscheidung darüber erfolgen kann. Bei bestrittenen Forderungen kann nicht von einer Bescheinigung ausgegangen werden, sodass eine Ermächtigung nicht in Betracht kommt (Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 153 Rz 12; vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 11). Liegen konkurrierende Anträge vor, ist im Sinne der Verteilungsrangordnung des § 154 Abs 2 AußStrG vorzugehen (Obermaier, ÖJZ 2008, 125 [130]). Daher ist den Anträgen der Gläubiger gegenüber jenen potenziell Erbberechtigter ohne Gläubigerstellung der Vorzug zu geben. Da das Gesetz auch im Fall der Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG eine Verständigung der Beteiligten vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung nicht vorsieht (vgl § 155 Abs 1 AußStrG; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 153 Rz 10; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 153 Rz 11), wird das rechtliche Gehör im Regelfall erst im Zuge des Rekursverfahrens gewährt (Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren2171).
1.6 Verlassenschaftsgläubiger haben im Verlassenschaftsverfahren ein Rekursrecht, wenn durch die angefochtene Verfügung in ihre rechtliche Position eingegriffen wurde. Ein solcher Eingriff ist in Ansehung der Rechte nach §§ 174 f AußStrG und §§ 811 ff ABGB anzunehmen und auch dann, wenn durch eine Verfügung des Abhandlungsgerichts unmittelbar in Gläubigerrechte eingegriffen wurde. Aus diesem Grund können sie auch Beschlüsse über die Überlassung an Zahlungs statt bekämpfen (2 Ob 75/18w; RS0006659; RS0006604 [T9]). Ist den Gläubigern die Antragslegitimation im Hinblick auf eine Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG eingeräumt, besteht kein Grund, ihnen insoweit die Rekurslegitimation zu versagen. Gegen einen Beschluss nach § 153 Abs 2 AußStrG kommt daher auch den Gläubigern das Rekursrecht zu (Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren2 169 und 172; vgl ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100).
2. Bereits das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall weder in erster Instanz noch im Rekurs eine Aufschlüsselung erfolgte, wie sich die von der Revisionsrekurswerberin geltend gemachte Forderung zusammensetzt, insbesondere für welche Zeiträume aufgrund welchen Einkommens der Erblasserin welcher Ersatzanspruch bestehen soll. Auch Bescheinigungsmittel wurden nicht vorgelegt. Mangels schlüssiger Forderungsanmeldung und Bescheinigung des behaupteten Anspruchs ist die Ansicht des Rekursgerichts, eine Berücksichtigung der „Forderung für Wohnen und Pflege aus Einkommen und Pflegegeld“ komme nicht in Betracht, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Auf das diesbezügliche Vorbringen im Revisionsrekurs kann aufgrund des Neuerungsverbots (§ 66 Abs 2 AußStrG) nicht eingegangen werden. Die in der Zulassungsbegründung und im Revisionsrekurs als erheblich aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich daher im vorliegenden Fall nicht.
3. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof zur Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen im gegebenen Zusammenhang mittlerweile ausgesprochen, dass der wesentliche Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen darin besteht, dass es sich beim Einkommen um laufende, aber nicht unbedingt regelmäßige Einnahmen in Geld handelt, bei Vermögen hingegen um im jeweiligen Zeitraum bereits vorhandene Werte, mögen sie auch aus dem Überschuss nicht verbrauchten Einkommens früherer Perioden entstanden sein. Ob ein als Einkommen zu qualifizierender Zufluss zu einer Ersatzpflicht gegenüber dem Sozialhilfeträger führen kann, hängt von weiteren Voraussetzungen, wie der zeitlichen Kongruenz, der mangelnden Verjährung oder der Qualifikation als „hinreichendes Einkommen“ ab (2 Ob 161/18t [dort zu § 47 K‑MSG]).
Daraus ergibt sich, dass bei Vorliegen eines Einkommens aus monatlichen Pensionsbezügen für die Beurteilung einer Ersatzpflicht aufgrund hinreichenden Einkommens die Kosten der im jeweiligen Monat empfangenen Sozialhilfeleistungen den Bezügen des Sozialhilfeempfängers für diesen Zeitraum gegenüberzustellen sind. Soweit danach eine Ersatzpflicht des Sozialhilfeempfängers besteht, die dieser nicht erfüllt, liegt kein Überschuss an nicht verbrauchtem Einkommen vor, der in der Folge zu einem dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogenen Vermögen werden könnte. Der Anteil am Pensionseinkommen, hinsichtlich dessen eine Legalzession nach § 324 Abs 3 ASVG wegen Erreichens der dort statuierten Höchstgrenze nicht stattfindet, kann jedoch nicht als zur Deckung der Pflegekosten vorgesehenes „hinreichendes Einkommen“ (hier iSd § 26 Abs 1 Z 1 Wiener Sozialhilfegesetz) angesehen werden.
4. Mangels zu beurteilender, für die Entscheidung auch präjudizieller Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
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