OGH 1Ob112/20g

OGH1Ob112/20g24.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj G* M*, geboren * 2005, *, wegen Information nach § 189 ABGB, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Mutter E* M*, vertreten durch Dr. Manfred Angerer und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, und der Minderjährigen, vertreten durch Dr. Manfred Angerer, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 1. April 2020, GZ 4 R 50/20z‑58, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 14. Jänner 2020, GZ 2 Ps 301/11y‑55, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128916

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Mutter kommt die alleinige Obsorge über ihre 14jährige Tochter zu.

Der Vater begehrte die Übermittlung der Schulzeugnisse seiner Tochter und verwies insbesondere darauf, dass der geplante weitere Ausbildungsweg nach der fünften Schulstufe auch Auswirkungen auf seine Unterhaltszahlungen haben könnte. Die Mutter erklärte, nicht bereit zu sein, dem Vater die Zeugnisse zu geben, insbesondere weil dies die Minderjährige nicht möchte. Die Tochterwollte anlässlich ihrer Anhörung zum Inhalt der Zeugnisse keine Angaben machen und erklärte, sie gehe aufgrund des (bisherigen) Verhaltens ihres Vaters davon aus, dass keine Verpflichtung bestehe, ihn darüber zu informieren. Sie spreche sich auch dagegen aus, dass ihre Mutter ihren Vater über ihre schulische und berufliche Situation informiert.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab.

Das Rekursgericht gab seinem Rekurs Folge und verpflichtete die Mutter, ihm eine Kopie des Jahreszeugnisses des Schuljahres 2018/2019 sowie der Schulnachricht für das Schuljahr 2019/2020 der Tochter binnen 14 Tagen auszufolgen. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Mutter und der mündigen Minderjährigen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurse zeigen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf:

1.1. Im Verfahren über Informationsansprüche des nicht obsorgeberechtigten Elternteils nach § 189 Abs 1 ABGB sind sowohl das Kind als auch der auskunftspflichtige obsorgeberechtigte Elternteil (hier die Mutter) Partei. Dabei geht es um Informationen über Lebensumstände des Kindes, durch deren Bekanntgabe dessen Rechte unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls unmittelbar berührt werden, beispielsweise Ansprüche auf Vertraulichkeit. Nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG ist jede Person Partei des Verfahrens außer Streitsachen, soweit die begehrte Entscheidung ihre rechtlich geschützte Stellung unmittelbar beeinflusst. Das ist etwa bei der Auskunftserteilung über den Schulerfolg eines Kindes der Fall (so bereits 3 Ob 246/07h [zum inhaltsähnlichen, früheren § 178 Abs 1 ABGB idF KindRÄG 2001] = RIS‑Justiz RS0123118).

1.2. Der Revisionsrekurs wurde von der 14jährigen Tochter (ohne Vertretung durch ihre Mutter) selbständig erhoben. Das Informationsrecht dient typischerweise der (ersatzweisen) Informationsverschaffung wie sie sonst im Rahmen des persönlichen Verkehrs zwischen dem Kind und dem nicht obsorgebetrauten Elternteil stattfindet, weshalb das Verfahren auf gerichtliche Anordnung der Informationspflicht auch unter Bedachtnahme auf die systematische Stellung des § 189 ABGB im „Dritten Hauptstück, Rechte zwischen Eltern und Kindern“ (im weiteren Sinn) als Regelung der Obsorge und des persönlichen Verkehrs zu verstehen ist (vgl Höllwerth, Das Informationsrecht nach § 178 ABGB, EF‑Z 2011/102, 164 [170]). Im Verfahren über Informationsansprüche des nichtobsorgeberechtigten Elternteils gilt daher insbesondere § 104 AußStrG. Daher ist im Verfahren über einen Antrag auf beschlussmäßige Anordnung einer Informationserteilung auch die besondere Verfahrensfähigkeit des mündigen Minderjährigen im Sinn des § 104 Abs 1 AußStrG gegeben (Höllwerth aaO; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 104 Rz 18 FN 29; Frohner in Schneider/Verweijen, AußStrG § 104 Rz 17; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 189 Rz 14). Da die 14jährige Tochter selbständig verfahrensfähig ist, brauchte sie zur Erhebung des Revisionsrekurses nicht die Mitwirkung ihrer Mutter (vgl dazu § 104 Abs 2 AußStrG).

2. Die Revisionsrekurswerberinnen bemängeln als Verfahrensmangel des Rekursgerichts die unterlassene Einholung eines (in erster Instanz nicht beantragten) kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Klärung, „ob im Falle der Stattgebung des Begehrens […] das Kindeswohl gefährdet wird“. Mangels jeglichen Anhaltspunkts für eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls durch die Übermittlung des letztjährigen Jahreszeugnisses und der aktuellen Schulnachricht, verweist doch die Tochter nur auf die seit 2013 gestörte Beziehung zu ihrem Vater, brauchte dieses Gutachten nicht von Amts wegen eingeholt zu werden. Zudem wird die Relevanz nicht aufgezeigt, behaupten doch die Rechtsmittelwerberinnen keinen Sachverhalt, der auf eine Gefährdung des Wohls der Minderjährigen auch nur hindeuten würde (dazu auch 4.).

3. Das Recht auf Information des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils richtet sich gegen die Person, die mit der Obsorge betraut ist. Im Streitfall hat das Gericht daher nach § 189 Abs 4 ABGB in erster Linie dem Obsorgebetrauten aufzutragen, dem nicht obsorgebetrauten Elternteil bestimmte Informationen zu erteilen. Erst wenn einem solchen Auftrag nicht nachgekommen wird, ist mit weitergehenden Verfügungen im Sinn des § 189 Abs 4 ABGB vorzugehen, worunter auch die Ermächtigung des anderen Elternteils zur direkten Informationsbeschaffung bei Dritten fällt (RS0130523; ebenso 5 Ob 208/17z mwN). Dass der Adressat der Informationspflicht grundsätzlich die mit der Obsorge betraute Person (zumeist ein Elternteil) ist, entspricht auch der einhelligen Meinung in der Literatur (Höllwerth aaO 167, 170; Hopf/Höllwerth in KBB6 § 189 ABGB Rz 2; Weitzenböck aaO Rz 4; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG I2 § 110 Rz 59; Deixler‑Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 189 Rz 3).

Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberinnen ist daher nicht der Tochter die Verpflichtung zur Erteilung der Auskünfte aufzuerlegen. Wenn die Mutter behauptet, sie müsste entgegen dem Willen ihrer Tochter dem Vater die Schulzeugnisse übermitteln und würde damit einen Vertrauensbruch begehen, ist nicht erkennbar, inwieweit es einen Vertrauensbruch bedeuten könnte, wenn sie einer gesetzlichen oder gar konkret gerichtlich angeordneten Verpflichtung nachkommt. Auch die von der Mutter in den Raum gestellte Frage der Überwindung eines „körperlichen Widerstands“ des Kindes geht ins Leere, ist doch nicht ersichtlich, inwieweit der Mutter von der Schule die Übermittlung von Duplikaten verwehrt würde, sofern die Originale für sie nicht greifbar sein sollten.

4. Die Auffassung des Rekursgerichts, die Informationsrechte des Vaters seien nicht gemäß § 189 Abs 2 letzter Satz ABGB (ex lege) entfallen, wird in den Rechtsmitteln nicht in Zweifel gezogen, weshalb darauf nicht eingegangen werden kann. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob bzw inwieweit Informationsrechte des mit der Obsorge nicht betrauten Elternteils – unter Bedachtnahme auf dessen Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände – gemäß Satz 1 leg cit eingeschränkt oder entzogen werden sollen, ist typischerweise von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Diese Fragen haben in der Regel keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG und sind daher einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nur dann zugänglich, wenn bei deren Beurteilung leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RS0097114 [T11]; vgl 2 Ob 223/10y; 2 Ob 163/16h). Letzteres trifft hier nicht zu:

Die Revisionsrekurswerberinnen gehen selbst davon aus, dass ein Fall zu beurteilen ist, in demdas Informationsinteresse des nicht obsorgeberechtigten Elternteils (hier des Vaters) und ein klar dokumentierter gegenteiliger Wille der 14jährigen Minderjährigen aufeinandertreffen. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die ablehnende Haltung der (mündigen) Minderjährigen allein nicht für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls ausreicht, die zu einer Beschränkung der Informationsrechte des nicht obsorgeberechtigten Elternteils führen könnte (vgl RS0118246), im Verfahren keine tauglichen Gründe dargelegt worden seien, warum dem Vater die Informationen über den Schulerfolg der Tochter vorenthalten werden müssten und inwieweit andernfalls das Wohl der Minderjährigen gefährdet wäre [weitere Gründe wären Rechtsmissbrauch sowie die Unzumutbarkeit der Erteilung der Information für Mutter oder Kind], und eine solche Gefährdung der gesetzlichen Interessen durch die Übermittlung der Schulzeugnisse an den Vater auch nicht erkennbar sei, ist nicht korrekturbedürftig. Nachvollziehbare konkrete und sachliche Gründe, warum dem Vater die Schulunterlagen nicht ausgehändigt werden sollen, nennen die Revisionsrekurswerberinnen auch in den Rechtsmitteln nicht; nach der Aussage der Mutter würde sich daraus ein „durchschnittlicher“ Schulerfolg ergeben.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte