OGH 1Ob97/20a

OGH1Ob97/20a24.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Stadt W*****, vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 8.520,08 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 7.147,94 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse 1.372,14 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. September 2019, GZ 4 R 62/19v‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 22. Februar 2019, GZ 3 Cg 10/18g‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00097.20A.0624.000

 

Spruch:

 

I. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 625,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.806,98 EUR (darin enthalten 265,50 EUR USt und 214 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 10. 6. 1962 als Sohn damaliger jugoslawischer Staatsbürger in Österreich (W*****) geboren. Er ist staatenlos und lebt seit seiner Geburt durchgehend in Österreich. Zum Zeitpunkt seiner Geburt galten seine Eltern als Flüchtlinge im Sinn der Flüchtlingskonvention. Mit Bescheid des Bürgermeisters der beklagten Stadt wurde dem Kläger aufgund seines Antrags vom 19. 7. 2012 die bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem damals in Geltung stehenden Oö BMSG zuerkannt, die ihm in den Jahren 2013 und 2014 wegen mangelnder Bemühungen beim Einsatz der Arbeitskraft mehrmals zeitlich befristet gekürzt wurde. Mit Bescheid vom 17. 3. 2014 wurde ausgesprochen, dass die dem Kläger zuerkannte Mindestsicherung mit 28. 2. 2014 wegen seiner weiterhin mangelnden Bemühungen beim Einsatz der Arbeitskraft eingestellt wird. Der dagegen vom Kläger erhobenen Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. 4. 2014 insofern stattgegeben, als ihm ab 1. März 2014 Mindestsicherung in Form laufender monatlicher Geldleistungen zuerkannt und ausgesprochen wurde, dass die Mindestsicherung um monatlich 10 % gekürzt wird. Diese Beschwerdevorentscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt W***** vom 19. 4. 2016 wurde die dem Kläger zuerkannte Mindestsicherung für den Zeitraum 1. 5. bis 31. 10. 2016 um monatlich 50 % (457 EUR) reduziert. Die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers wurde vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 14. 7. 2017 als unbegründet abgewiesen. Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens erließ der Bürgermeister der Beklagten am 14. 11. 2016 von Amts wegen einen Bescheid, mit dem dem im Verfahren durchgehend anwaltlich vertretenen Kläger ab 1. 11. 2016 Mindestsicherung befristet bis 30. 4. 2017 zuerkannt wurde. Laut Zustellverfügung wurde dieser Bescheid direkt an den Kläger adressiert und ihm am 24. 11. 2016 durch Hinterlegung zugestellt.

Nachdem der Kläger im Mai 2017 keine bedarfsorientierte Mindestsicherung erhalten hatte, stellte er am 2. 5. 2017 bei der Beklagten einen neuen Antrag auf Gewährung der Mindestsicherung, der mit Bescheid des Bürgermeisters vom 13. 6. 2017 unter anderem mit dem Hinweis abgewiesen wurde, dass er über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfüge, weswegen die Voraussetzungen für die bedarfsorientierte Mindestsicherung nicht gegeben seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger, vertreten durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, die er mit einem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts verband. Die Argumentation, er habe keinen gültigen Aufenthaltstitel, erscheine willkürlich; sämtliche Voraussetzungen für die Zuerkennung der Mindestsicherung seien gegeben. Der Bescheid vom 23. 4. 2014 sei nach wie vor in Geltung.

Mit Urteil vom 14. 12. 2017 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Beschwerde insoweit Folge, als es den Antrag des Klägers auf Gewährung der Mindestsicherung vom 2. 5. 2017 wegen entschiedener Sache zurückwies; den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe wies es hingegen ab. Der Kläger habe sich im Verfahren eines Rechtsanwalts als Vertreter bedient, weswegen alle Verfahrenshandlungen gegenüber dem Vertreter zu setzen gewesen seien. Die Zustellung des Bescheids vom 14. 11. 2016, mit dem die Leistung mit 30. 4. 2017 befristet wurde, sei jedoch nicht an den Vertreter, sondern unmittelbar an den Kläger erfolgt, weswegen er nie wirksam geworden sei. Es gelte nach wie vor der Bescheid vom 23. 4. 2014 (Beschwerdevorentscheidung), mit dem ihm die Mindestsicherung ab 1. 3. 2014 (unbefristet) zuerkannt worden sei, sodass der Antrag vom 2. 5. 2017 wegen entschiedener Sache unzulässig und zurückzuweisen sei.

Unter Bezugnahme auf dieses Erkenntnis beantragte der Kläger am 8. 1. 2018 durch seinen Rechtsvertreter, die Mindestsicherung für den Zeitraum Mai 2017 bis Jänner 2018 auf ein Kanzleikonto seines Vertreters zu überweisen und die danach fällig werdenden Beträge an ihn auszuzahlen.

Am 19. 1. 2018 erließ der Bürgermeister der Beklagten neuerlich einen Bescheid, mit dem die mit Bescheid vom 23. 4. 2014 zuerkannte Leistung rückwirkend ab 30. 4. 2017 eingestellt wurde. Da der Kläger keinen Aufenthaltstitel besitze, seien die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mindestsicherung nicht gegeben.

Dieser Bescheid wurde dem Anwalt des Klägers zugestellt, der dagegen am 1. 2. 2018 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erhob, die er mit einem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts verband. Die rückwirkende Einstellung sei rechtswidrig. Mit selben Datum beantragte er die Auszahlung der Mindestsicherung für den Zeitraum 1. 5. 2017 bis einschließlich Februar 2018 auf ein Kanzleikonto sowie die ab März 2018 fällig werdenden Beträge an den Kläger persönlich. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurden Schritte gesetzt, um die persönlichen Voraussetzungen des Klägers für einen Bezug von Leistungen nach dem Oö BMSG nach den fremdenrechtlichen Bestimmungen abzuklären. Am 16. 8. 2018 teilte das Landesverwaltungsgericht der Beklagten mit, dass der Kläger den Bescheid des BFA vom 4. 7. 2018 übermittelt habe, wonach er als Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt ist, und verwies auf das (am 19. 1. 2018 in das Rechtsinformationssystem des Bundes eingestellte) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 12. 2017, Ra 2016/10/0130, nach dem die Bestimmung des § 4 Abs 1 Z 2 lit e Oö BMSG auf „Personen mit einem sonstigen dauernden Aufenthaltsrecht im Inland“ abstelle, sodass nicht ein Aufenthaltstitel, sondern ein– gegebenenfalls im Weg der Vorfragenbeurteilung zu ermittelndes – „sonstiges dauerndes Aufenthaltsrecht“ maßgeblich sei. Das Landesverwaltungsgericht beabsichtige daher, den angefochtenen Bescheid zu beheben.

Aufgrund dieser Mitteilung des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich erließ der Bürgermeister der Beklagten am 24. 9. 2018 einen Bescheid, mit dem dem Kläger rückwirkend ab 1. 5. 2017 die Mindestsicherung zuerkannt wurde.

Mit Bescheid des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 9. 10. 2018 wurde der Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Beklagten vom 19. 1. 2018 Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Der Kläger begehrt aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von 8.520,08 EUR. Die Beklagte habe willkürlich entschieden, ob der seit Jahren unveränderte Aufenthaltsstatus des Beklagten einen Anspruch auf Mindestsicherung begründe und nicht geprüft, ob ihre Bescheide tatsächlich zugestellt worden seien. Zur Beseitigung der auf unvertretbarer Rechtsanwendung beruhenden Bescheide der Beklagten habe er Vertretungskosten von insgesamt 3.520,08 EUR aufwenden müssen. Durch die Ungewissheit über seinen Aufenthaltsstatus und den drohenden Verlust der für ihn überlebenswichtigen Mindestsicherung sei er einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt gewesen, wofür ihm ein Schmerzengeld von 5.000 EUR gebühre.

Die Beklagte wendete ein, die Rechtsansicht, wonach das Aufenthaltsrecht des Klägers keinen Mindestsicherungsanspruch begründe, sei zumindest vertretbar gewesen. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weil ihm zur Bekämpfung des Bescheids vom 19. 1. 2018 die Verfahrenshilfe bewilligt worden sei. Die behauptete psychische Beeinträchtigung ohne Krankheitswert begründe keinen ersatzfähigen Schaden. Auch sei die Erlassung eines anfechtbaren Bescheids nicht geeignet, einen Schockschaden zu begründen. Die unterbliebene Zustellung des Bescheids vom 14. 11. 2016 an den Rechtsvertreter des Klägers sei für die entstandenen Vertretungskosten nicht kausal.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG hätten nur Personen, die ein „sonstiges dauerndes Aufenthaltsrecht im Inland“ aufweisen könnten, Anspruch auf eine bedarfsorientierte Mindestsicherung gehabt. Zur Frage, ob hierfür auch ein Aufenthaltstitel vorausgesetzt sei, liege nur die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 12. 2017 zu Ra 2016/10/0130 vor, die erst am 19. 1. 2018, also am Tag der Erlassung des fraglichen Bescheids, in das Rechtsinformationssystem des Bundes eingestellt worden sei. Zuvor sei in ständiger Rechtsprechung des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichts sowie auch in der Lehre vertreten worden, dass ein dauerndes Aufenthaltsrecht auch eines dazu berechtigenden Aufenthaltstitels bedürfe, sodass die Rechtsansicht der Beklagten vertretbar gewesen sei. Der Bescheid vom 14. 11. 2016 sei den bindenden Ausführungen des Landesverwaltungsgerichts zufolge niemals wirksam geworden, weshalb für den anwaltlich vertretenen Kläger auch kein Anlass bestanden habe, ihn zu bekämpfen. Die vom Kläger beschriebene psychische Belastungssituation begründe einen ideellen Schaden, der mangels gesetzlicher Grundlage nicht ersatzfähig sei.

Der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz teilweise Folge. Es bestätigte die Auffassung des Erstgerichts, dass der Bescheid vom 19. 1. 2018 auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhe; bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 12. 2017, das erst am Tag der Erlassung des fraglichen Bescheids veröffentlicht worden sei, habe keine Rechtsprechung zur Auslegung des Auffangtatbestands nach § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG bestanden. Den Materialien sei dazu als Beispiel lediglich eine Aufenthaltsverfestigung nach § 55 FPG (in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungs-gesetz 2011) zu entnehmen, aber keine allgemeinen Anhaltspunkte für die Auslegung des geforderten „sonstigen dauernden Aufenthaltsrechts“. Somit könne der Umstand, dass die Behörde das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG nicht erkannt und stattdessen das Vorhandensein eines Aufenthaltstitels geprüft habe, der Beklagten nicht als unvertretbare Rechtsauslegung angelastet werden. Demgegenüber sei die fehlerhafte Zustellung des Bescheids vom 14. 11. 2016, mit dem der Anspruch des Klägers auf bedarfsorientierte Mindestsicherung befristet werden sollte, haftungsbegründend, weil der Bescheid dem Kläger persönlich durch Hinterlegung zugestellt worden sei, obwohl in diesem Verfahren ein Rechtsanwalt als Vertreter ausgewiesen gewesen sei.Bei Zulässigkeit des Antrags auf bedarfsorientierte Mindestsicherung vom 2. 5. 2017 wäre bereits mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts vom 14. 12. 2017 eine inhaltliche Entscheidung zur Frage zu treffen gewesen, ob der Aufenthaltsstatus des Klägers für einen Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung nach dem Oö BMSG ausreiche. Der Bescheid vom 19. 1. 2018, mit dem die Leistung der bedarfsorientierten Mindestsicherung für den Kläger – wiederum mit der Begründung, er sei mangels Aufenthaltstitels nicht anspruchsberechtigt – rückwirkend eingestellt worden sei, wäre in diesem Fall aller Wahrscheinlichkeit nach ausgeblieben; jedenfalls wäre er aber unter der Annahme einer durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bereits konkret geklärten Rechtslage als unvertretbar anzusehen gewesen. Dem Kläger steht daher Schadenersatz für die Beschwerde vom 17. 7. 2017 und den bezughabenden Antrag auf Auszahlung der rückständigen Mindestsicherung vom 8. 1. 2018 zu. Für Letzteren komme allerdings, da in den Tarifposten des RATG keine mit dem Antrag vergleichbare Leistung aufscheine, nur eine Honorierung nach dem Auffangtatbestand des TP 2 I 1 e RATG in Betracht (iVm § 6 AHK). Die Bemessungsgrundlage von 16.000 EUR habe die Beklagte nicht bemängelt. Damit errechne sich der Schadenersatzanspruch des Klägers im Zusammenhang mit den Kosten seiner anwaltlichen Vertretung mit 1.143,45 EUR zuzüglich USt in der Höhe von 228,69 EUR, insgesamt daher 1.372,14 EUR. Dass diese Vertretungskosten auch tatsächlich entstanden seien, habe die Beklagte nicht bestritten.

Auch nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts sei nur für solche Schäden zu haften, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellten, derentwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten fordere oder untersage, die Norm also die Verhinderung des später eingetretenen Schadens anstrebe. Der Beklagten sei lediglich ein Verstoß gegen Zustellvorschriften, konkret gegen § 9 Abs 3 ZustellG anzulasten. Vom Normzweck dieser Bestimmung sei die Verhinderung eines psychischen Leidenszustands, mag er auch Krankheitswert erreichen, wie der Kläger behaupte, nicht erfasst. Sein Schmerzengeldbegehren sei daher nicht berechtigt.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag beider Parteien nach § 508 ZPO für zulässig, weil der Einwand des Klägers, zur Frage, ob bei unvertretbarem Handeln der Verwaltungsbehörde der Schutzzweck der Norm soweit reiche, dass dadurch verursachte körperliche Schäden zu Amtshaftungsansprüchen führen könnten, liege keine höchstgerichtliche Judikatur vor, insoweit nicht von der Hand zu weisen sei, als sich der Senat nicht auf Rechtsprechung, die zum Zustellgesetz ergangen wäre, stützen habe können. Allenfalls könne auch die Beklagte von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts überrascht worden sein, weil der Kläger in erster Instanz lediglich eine unvertretbare Rechtsansicht zur Frage der Beurteilung des „sonstigen dauernden Aufenthaltsrechts“ behauptet habe.

Die Revision der Beklagten ist aus dem dazu vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig und auch berechtigt; jene des Klägers spricht hingegen keine Rechtsfragen von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO an und ist damit entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

I. Zur Revision des Klägers:

1. Der Kläger – der eine vollständige Klagestattgebung anstrebt – hat im Verfahren erster Instanz zwar allgemein ausgeführt, dass die Organe der Beklagten nicht einmal überprüften, ob ihre Bescheide „tatsächlich“ zugestellt wurden, aus der fehlerhaften Zustellung des Bescheids vom 16. 11. 2016 jedoch keine Ansprüche abgeleitet, sondern diese ausschließlich darauf gestützt, dass Organe der Beklagten davon ausgegangen sind, dass er kein dauerndes Aufenthaltsrecht in Österreich habe, und ausdrücklich vorgebracht, als Folge von deren falschen und unvertretbaren Rechtsansicht, er habe keinen gültigen Aufenthaltstitel, sei er psychisch enorm belastet gewesen. Zu Recht weist die Beklagte im Revisionsverfahren daher darauf hin, dass der Kläger sein Begehren nicht aus einer unrichtigen Anwendung des § 9 Abs 3 ZustG (idF BGBl I Nr 5/2008) bei der Zustellung des von Amts wegen erlassenen Bescheids vom 14. 11. 2016, mit dem die Mindestsicherung bis 30. 4. 2017 befristet wurde, ableitete, sondern allein eine unvertretbare Auslegung des § 4 Abs 1 Z 2 lit e Oö BMSG in der damals geltenden Fassung behauptete.

2. Soweit der Kläger in seiner Revision mit Schadensfolgen aus einer unwirksamen Zustellung argumentiert, ist darauf nicht einzugehen. Die von ihm angestrebte Auseinandersetzung mit dem Schutzzweck des § 9 Abs 3 ZustG erübrigt sich daher, sodass er mit seinen dazu ergangenen Ausführungen auch keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen kann. Soweit er – wie erstmals im Berufungsverfahren – auf Art 23 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen, BGBl III Nr 81/2008, abzielt und meint, es komme für die Beurteilung seines Anspruchs nach dem Oö BMSG gar nicht auf einen Aufenthaltstitel oder ein Aufenthaltsrecht nach diesem Gesetz an, übersieht er, dass es sich dabei um einen mit Erfüllungsvorbehalt gemäß Art 50 Abs 2 B‑VG abgeschlossenen Staatsvertrag handelt, der keine unmittelbaren innerstaatlichen Rechtswirkungen für den Normunterworfenen entfaltet (vgl VwGH 2013/08/0004).

3. Einer weiteren Begründung bedarf es insoweit nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

II. Zur Revision der Beklagten:

1. Die (mit LGBl 2019/107 aufgehobene) Bestimmung des § 4 Oö BMSG regelte die persönlichen Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter

Mindestsicherung und sah neben zahlreichen anderen Fällen die Gewährung an Personen mit einem „sonstigen dauernden Aufenthaltsrecht im Inland“, soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden, vor.

2.1 Mit dieser Bestimmung (§ 4 Abs 1 Z 2 lit e Oö BMSG) hat sich, wie die Vorinstanzen übereinstimmend betonten, der Verwaltungsgerichtshof erstmals in seiner Entscheidung vom 20. 12. 2017 zu Ra 2016/10/0130 auseinandergesetzt und darin unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (Blg ./434/2011 zu den Wortprotokollen des Oö Landtags, 27. GP 33 ff) ausgeführt, dass es insofern nicht auf (von der zuständigen Behörde erteilte) „Aufenthaltstitel“, sondern auf ein – gegebenenfalls im Wege der Vorfragenbeurteilung zu ermittelndes – „sonstiges dauerndes Aufenthaltsrecht“ ankomme. In der Darstellung des Verfahrensgangs hielt der Verwaltungsgerichtshof dazu fest, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich demgegenüber mit der von ihm in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung argumentierte, die Gewährung bedarfsorientierter Mindestsicherung sei „immer von einem tatsächlich bestehenden Aufenthaltstitel abhängig“.

2.2 Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten eines Organs tritt nur ein, wenn es auch schuldhaft gesetzt wurde. Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung mag zwar rechtswidrig sein, begründet aber kein Verschulden im Sinn des § 1 Abs 1 AHG (RIS‑Justiz RS0050216). Dementsprechend kann in der Regel nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, das unvertretbar ist und keine sorgfältige Überlegung erkennen lässt, einen Amtshaftungsanspruch zur Folge haben (RS0049912). Eine bis zum Vorliegen einer anderslautenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung argumentierbare Auffassung zu einer bestimmten Frage stellt auch kein leichtes Verschulden bzw Versehen dar (RS0049814 [T3] = RS0049955 [T24]).

2.3 Das Berufungsgericht bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Bescheid der Beklagten vom 19. 1. 2018 auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht habe; bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 12. 2017, das erst am Tag der Erlassung des fraglichen Bescheids im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlicht worden ist, habe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Auffangtatbestands nach § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG bestanden. Dieser Beurteilung tritt der Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr entgegen.

3.1 Der Bescheid der Beklagten vom 13. 6. 2017, mit dem der Antrag des Klägers vom 2. 5. 2017 von der Beklagten abgewiesen wurde, beruht auf derselben Rechtsansicht, wie sie die Vorinstanzen vom Kläger unbeanstandet als vertretbar beurteilten. Dagegen richtete sich die Beschwerde des Klägers vom 17. 7. 2017.

3.2 Die fehlerhafte Zustellung des Bescheids vom 14. 11. 2016 hat nicht unmittelbar zu Verfahrenskosten des Klägers geführt. Aus diesem Vorgang hat der Kläger im Verfahren erster Instanz auch keine Ansprüche abgeleitet.

3.3 Auch die Argumentation des Berufungsgerichts hinsichtlich des als berechtigt angesehenen Teils der auf den Ersatz von Verfahrenskosten gerichteten Ansprüche beruht nicht darauf, dass dem Kläger aus einem Verstoß gegen § 9 Abs 3 ZustG unmittelbar ein Nachteil erwachsen wäre, sondern fingiert, dass eine wirksame Zustellung des Bescheids vom 14. 11. 2016 an den Rechtsvertreter des Klägers zu einer inhaltlichen Beurteilung von § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG und der Frage, ob der Kläger die Voraussetzungen nach dieser Bestimmung erfüllt, durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anlässlich seiner Beschwerde vom 17. 7. 2017 gegen den Bescheid vom 13. 6. 2017 geführt hätte. Eine (wirksame) Befristung des Anspruchs hätte den Antrag des Klägers auf bedarfsorientierte Mindestsicherung vom 2. 5. 2017 zulässig gemacht und letztlich zu einer inhaltlichen Entscheidung über den Aufenthaltsstatus des Klägers mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts vom 14. 12. 2017 geführt.

3.4 Diese Überlegungen übersehen, dass der Antrag des Klägers vom 2. 5. 2017 mit derselben Begründung abgewiesen wurde, wie sie auch der Bescheid der Beklagten vom 19. 1. 2018 aufwies, die vom Berufungsgericht als vertretbar beurteilt wurde. Selbst bei dem vom Berufungsgericht an das rechtmäßige Verhalten der Beklagten (Zustellung an den Rechtsvertreter des Klägers) geknüpften hypothetischen Sachverhalt käme der Ersatz der Kosten nur in Betracht, wenn der angefochtene Bescheid auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht hätte, was aber nach seiner eigenen Ansicht bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs mit 19. 1. 2018 nicht der Fall war. Für eine Ersatzfähigkeit der Kosten der Beschwerde gegen den Bescheid vom 13. 6. 2017 fehlt es somit insoweit ebenfalls am Verschulden der Organe der Beklagten. Gleiches gilt für die Kosten des Antrags auf Auszahlung rückständiger Mindestsicherung vom 8. 1. 2018.

4.5 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Haftung der Beklagten insgesamt ausscheiden muss, wenn deren Organen bei der Auslegung des § 4 Abs 1 lit e Oö BMSG idgF bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 12. 2017 keine unvertretbare Rechtsansicht und daher kein Verschulden im Sinn des § 1 Abs 1 AHG angelastet werden kann. Das ist nach der im Revisionsverfahren vom Kläger gar nicht angezweifelten Rechtsansicht der Vorinstanzen der Fall, sodass der Revision der Beklagten Folge zu geben und das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 iVm  50 ZPO.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel des Klägers nicht zulässig ist, sodass ihr die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen sind. Darüber hinaus hat sie Anspruch auf Ersatz der Kosten der Berufungsbeantwortung und ihrer Verfahrenskosten dritter Instanz.

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