OGH 8ObA18/20k

OGH8ObA18/20k27.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und Wolfgang Jelinek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. N*****, gegen die beklagte Partei Dr. B*****, wegen 69.674,86 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 35.000 EUR sA) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 8.583,33 EUR netto sA), gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. August 2019, GZ 15 Ra 35/19p‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00018.20K.0527.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei und die außerordentliche Revision der beklagten Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Streitteile haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger , der als selbstständiger Rechtsanwalt in die Rechtsanwaltsliste eingetragen ist und eine eigene Kanzlei führt, war aufgrund von Substitutsvereinbarungen auch für den Beklagten tätig. Er bringt vor, dass diese Tätigkeit von 3. 6. 2013 bis 17. 9. 2017 als Arbeitsverhältnis zu beurteilen sei und ihm daraus der Klagsbetrag zusteht.

Der Beklagte geht dagegen von einem freien Dienstverhältnis aus, weshalb diese Ansprüche nicht berechtigt seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht folgte dem Rechtsstandpunkt des Klägers und sprach ihm mit Teilurteil einen Betrag von 8.583,33 EUR netto sA an Kündigungsentschädigung zu, und bestätigte die Abweisung eines Mehrbegehrens von 49.479,35 EUR sA an Sonderzahlungen, laufendem Entgelt, Urlaubsentschädigung Mitarbeitervorsorgebeitrag und einen Teil des Schadenersatzbegehrens. Hinsichtlich eines Betrags von 11.612,18 EUR sA wurde die erstgerichtliche Entscheidung mit Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die gegen das Teilurteil gerichteten außerordentlichen Revisionen der Streitteile sind mangels Darstellung von Rechtsfragen der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten

Rechtliche Beurteilung

1.1.  Vorweg festzuhalten ist schon, dass die in § 74 Abs 1 ASGG festgelegte Unterbrechungspflicht sich nur auf bestimmte Sozialrechtssachen iSd § 65 Abs 1 ASGG bezieht, hier aber eine Arbeitsrechtssache iSd § 50 Abs 1 ASGG vorliegt. Die Versicherungspflicht des Klägers iSd § 74 Abs 1 ASGG ist auch keine Vorfrage für die arbeitsrechtliche Qualifikation seines Vertragsverhältnisses. Eine Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsverfahren bei der Tiroler Gebietskrankenkasse kommt nicht in Betracht.

Die in der Revision zitierten Entscheidungen 10 ObS 71/94 und 10 ObS 228/00b bezogen sich auf mit dem Versicherungsträger geführte Rechtsstreitigkeiten über den Bestand bzw Umfang von Versicherungsleistungen und sind daher nicht einschlägig. Eine in § 74 Abs 1 ASGG genannte oder analogiefähige (s dazu RS0037262 [T2, T3]) Rechtsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 1, 4 oder 6 bis 8 ASGG liegt hier nicht vor.

1.2.  Als Dienstverhältnis wird ein Rechtsverhältnis bezeichnet, das jemanden zur Arbeitsleistung für einen anderen in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Die wesentlichen Merkmale der persönlichen Abhängigkeit sind die Weisungsgebundenheit des zur Erbringung der Arbeitsleistung Verpflichteten – insbesondere hinsichtlich Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenem Verhalten –; ferner seine persönliche, auf Zeit abgestellte Arbeitspflicht, die Fremdbestimmung der Arbeit (der wirtschaftliche Erfolg kommt dem Arbeitgeber zugute), die persönliche Fürsorgepflicht und Treuepflicht sowie die organisatorische Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers, einschließlich der Kontrollunterworfenheit (RS0021284). Die Frage, ob eine Vereinbarung als echter Dienstvertrag, freier Dienstvertrag oder Werkvertrag zu qualifizieren ist, kann immer nur anhand der Umstände des Falls beantwortet werden. Insbesondere ist auch die Frage, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und der Bedeutung nach bei Anstellung einer Gesamtbetrachtung überwiegen, eine Folge der Gewichtung der Umstände des Einzelfalls (zB RS0021284 [T12, T17]). Sie begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO, wenn das Berufungsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat. Das ist hier nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat die Abgrenzungskriterien für die genannten Vertragstypen umfassend und unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung dargelegt und in sorgfältiger Würdigung und Abwägung der für und gegen die jeweilige Zuordnung sprechenden Umstände auf den Fall angewandt. Dabei wurde im Wesentlichen als ausschlaggebend angesehen, dass der Kläger von Montag bis Donnerstag im Umfang von jeweils sechs Stunden täglich in den Kanzleiräumlichkeiten des Beklagten im Wesentlichen mit dessen Betriebsmitteln ihm zugewiesene Akten unter Verwendung mehrerer hundert vom Beklagten erarbeiteter Textbausteine für Mandanten, mit denen er kein Vollmachtsverhältnis hatte, erledigen sollte, dass die vom Kläger gelieferten Arbeiten auf dem Kanzleiserver des Beklagten abgespeichert und nicht in die eigene Mustersammlung des Klägers aufgenommen wurden, dass der Kläger einer Kontrolle seiner Arbeiten durch den Beklagten unterworfen war, er auch persönlichen Weisungen betreffend seine grundsätzliche Anwesenheit in der Kanzlei unterlag und er ein von der Zahl und der Qualität der Erledigungen unabhängiges fixes monatliches Entgelt sowie den Ersatz seiner Fahrtkosten erhielt, während der wirtschaftliche Erfolg der Mühen des Klägers ausschließlich dem Beklagten zukam. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums.

Die Ausführungen des Beklagten zum Verpflichtungswillen der Streitteile sind nicht zielführend: Die Anwendung arbeitsrechtlicher Bestimmungen ist in weiten Teilen zwingendes Recht. Schon aus diesem Grund kommt es auf eine bestimmte Bezeichnung des Vertragsverhältnisses oder abweichende rechtliche Vorstellungen, die die Parteien beim Abschluss gehegt haben, nicht entscheidend an, sondern in erster Linie auf die tatsächliche Handhabung, die im Regelfall den wahren Parteiwillen zum Ausdruck bringt (8 ObA 48/11h mwN; RS0014509; RS0111914 [T8]). Der der Entscheidung 9 ObA 40/00y zugrunde liegende Sachverhalt ist dem vorliegenden nicht vergleichbar.

Richtig ist, dass die der Entscheidung 4 Ob 93/83 zugrunde liegende Beschäftigung eines Konzipienten mit großer Legitimationsurkunde für einen Rechtsanwalt gegen eine Substitutionspauschale als freies Dienstverhältnis beurteilt wurde. Dem lag allerdings ebenfalls ein abweichender Sachverhalt zugrunde (keine Weisungsgebundenheit, völlig freie Zeiteinteilung ...).

Dass der Kläger daneben über eine eigene Kanzlei verfügte, steht der Beurteilung des Berufungsgerichts ebenfalls nicht entgegen, weil ein Dienstnehmer grundsätzlich auch weiteren Erwerbsmöglichkeiten nachgehen kann.

Die Einordnung des Rechtsverhältnisses der Streitteile als Dienstvertrag ist danach insgesamt nicht weiter korrekturbedürftig.

1.3.  Soweit sich der Beklagte gegen den – offenkundig auf § 49a S 1 ASGG gestützten – Zinsenzuspruch richtet, ist dies nicht näher ausgeführt (vgl im Übrigen zu den Voraussetzungen einer objektiv vertretbaren Rechtsansicht iSd § 49a S 2 ASGG RS0125438; RS0116030).

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

2. Zur außerordentlichen Revision des Klägers

2.1.  Der Kläger bekämpft die Abweisung von 49.479,35 EUR sA, eingeschränkt auf 35.000 EUR, lässt aber in der gesamten Revision nicht erkennen, welche seiner verschiedenen abgewiesenen Forderungen er in welchem Umfang mit dem eingeschränkten Pauschalbetrag weiterverfolgt (s dagegen RS0042160). Im Übrigen zeigt er auch keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2.2.  Der Kläger erachtet die Annahme des Berufungsgerichts, dass in die Ermittlung der monatlichen Substitutionspauschale bereits Sonderzahlungen eingerechnet worden seien, mangels Feststellungen als aktenwidrig. Das Berufungsgericht hat seine diesbezüglichen Erwägungen jedoch auf vom Kläger „völlig unbestrittene“ Ausführungen des Beklagten gestützt (Berufungsurteil S 95). Konkrete Ausführungen zu einer Bestreitung stellt die Revision nicht dar.

2.3.  Nach Ansicht des Klägers hat das Berufungsgericht seine Rechtsrüge zu Unrecht nur auf Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung und Schadenersatzansprüche in Höhe der Hälfte der vom Kläger geleisteten Beitragszahlungen in der Pensionsversicherung bezogen. Da er mit der Rechtsrüge in seiner Berufung aber nur diese Forderungen näher behandelte und seine Ausführungen zu den Schadenersatzansprüchen damit abschloss, dass ihm „die geltend gemachten Ansprüche“ zustünden (Berufung S 36), ist das Verständnis des Berufungsgerichts von seinem Prüfungsumfang nicht korrekturbedürftig.

2.4.  In rechtlicher Hinsicht ist für die geltend gemachten Sonderzahlungsansprüche auch ohne die vom Berufungsgericht angenommene Einrechnung (2.2.) keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Dass ein Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei unselbständig beschäftigt sein kann, ist gesetzlich anerkannt (§ 21g RAO). Der Kläger bestreitet auch nicht, dass kein Kollektivvertrag besteht, der für so angestellte Rechtsanwälte Sonderzahlungen vorsieht. Der Kollektivvertrag für Rechtsanwalts-Angestellte in Tirol gilt ausdrücklich nur für „alle in den Kanzleien der Rechtsanwälte im Angestelltenverhältnis Beschäftigten … mit Ausnahme der VolontärInnen, RechtsanwaltsanwärterInnen und angestellten RechtsanwältInnen“ (§ 1 Z 3 KV). Anders als der Kläger meint, kann er sich auch nicht subsidiär auf § 45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (RL‑BA) 2015 berufen, wonach der Rechtsanwalt Kanzleiangestellte (ausgenommen Lehrlinge und Praktikanten) mindestens in der Höhe der von der Vertreterversammlung beschlossenen Entlohnungsrichtlinie zu entlohnen hat. Für RechtsanwaltsanwärterInnen besteht eine eigene Entlohnungsbestimmung (§ 32 RL‑BA: „angemessenes Entgelt“), womit selbst für diese noch im Ausbildungsstadium befindliche Personengruppe von keinem vergleichbaren Schutzbedürfnis mit jenem von Kanzleiangestellten ausgegangen und insbesondere auch kein Anspruch auf Sonderzahlungen geregelt wird. Das hat umsomehr für angestellte Rechtsanwälte zu gelten.

2.5.  Die außerordentliche Revision des Klägers richtet sich auch gegen die Abweisung eines Teils seines Schadenersatzbegehrens wegen Verjährung, weil der Verjährungseinwand des Beklagten im Hinblick auf § 3 RL‑BA und § 10 Abs 2 RAO aufgrund der Kenntnis des Beklagten von den Kriterien für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit berufs- und standes-, aber auch sittenwidrig sei.

Ein Verbot der Erhebung der Verjährungseinrede durch einen Rechtsanwalt in eigener Sache ist weder in § 10 Abs 2 RAO noch in § 3 RL-BA ausgesprochen (RS0055035 [zu RL-BA 1977]). Sittenwidrigkeit kann nur angenommen werden, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (zB RS0022866 [T4]). Den Ausführungen des Berufungsgerichts, dass der Kläger jegliche Darlegung, warum der Verjährungseinwand sittenwidrig sei, unterlassen habe, wird in der Revision nicht entgegengetreten. Anders als der Kläger meint, hätte das Berufungsgericht eine Sittenwidrigkeit aber auch nicht bloß aus der Annahme des Beklagten vom Vorliegen eines Werkvertrags abzuleiten gehabt, weil darin nach der Lage des Falls noch keine grobe Interessenverletzung im Sinn der Rechtsprechung zu sehen wäre.

Auch die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

3.  Die Revisionsbeantwortungen waren mangels Zustellung einer Mitteilung nach § 508a Abs 2 erster Satz ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, für sie gebührt daher kein Kostenersatz (RS0043690 [T6, T7]).

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