OGH 10ObS57/20k

OGH10ObS57/20k26.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael F. Damitner, Mag. Vančo Apostolovski, LL.M., Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2020, GZ 6 Rs 4/20k‑13, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00057.20K.0526.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin bezieht Pflegegeld der Stufe 2. Sie beantragte am 20. 5. 2019 die Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 10. 7. 2019 ab, weil der Pflegebedarf der Klägerin durchschnittlich 105 Stunden monatlich betrage.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage auf Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes als jenes der Stufe 2, ausgehend von einem monatlichen Pflegebedarf der Klägerin von 109 Stunden, ab.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

1. Bezieht sich der tatsächliche Bedarf nur auf einen kleinen Teil der von der Hilfe bei der täglichen Körperpflege (§ 1 Abs 4 EinstV) umfassten Betreuungsmaßnahmen, der einen Betreuungsaufwand von deutlich weniger als der Hälfte des Mindestwerts erfordert, kommt nach ständiger Rechtsprechung die Anerkennung des pauschalen Mindestbedarfs nicht mehr in Betracht, sondern ist der tatsächliche Aufwand zu berücksichtigen (RS0109875). Von dieser Rechtsprechung weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht ab. Nach den Verfahrensergebnissen benötigt die Klägerin fremde Hilfe bei der täglichen Körperpflege nur im Ausmaß von insgesamt 2,5 Stunden monatlich für das Frisieren der Haare. Die Ausführungen der Revisionswerberin, sie benötige fremde Hilfe beim Waschen des Gesichts, der Hände, beim notdürftigen Reinigen des Ober‑ und Unterkörpers sowie des Genitalbereichs und der Zähne, findet in den den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhaltsfeststellungen keine Deckung.

2. Sind mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbständigen Durchführung von in §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen, so ist für diese Betreuungsmaßnahme von einem – auf einen Monat bezogenen – zeitlichen Richtwert von insgesamt 10 Stunden auszugehen (§ 4 Abs 2 EinstV). Es kommt daher die Berücksichtigung von Motivationsgesprächen bei der Prüfung des Anspruchs auf Pflegegeld nur bei psychisch oder geistig behinderten Menschen in Betracht (10 ObS 80/03t SSV‑NF 17/62; 10 ObS 150/07t SSV‑NF 21/88). Das Vorliegen einer geistigen oder psychischen Behinderung bei der Klägerin ergibt sich aber, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, nicht aus den Feststellungen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt auch von der von der Klägerin zitierten Entscheidung 10 ObS 257/00t (SSV‑NF 14/116). Eine von der Klägerin behauptete „Antriebsstörung“ liegt nach den Feststellungen ebenfalls nicht vor, sodass sich die Klägerin für ihren Standpunkt auch nicht auf die Entscheidung 10 ObS 2410/96a berufen kann (in der überdies Feststellungen fehlten, ob die damalige Klägerin aus psychischen Gründen nicht in der Lage war, selbständig Mahlzeiten zuzubereiten).

3. Auch für die Berücksichtigung des pauschalen Erschwerniszuschlags für pflegeerschwerende Faktoren gemäß § 4 Abs 5 und 6 BPGG muss als Voraussetzung ua eine schwere geistige oder psychische Behinderung (insbesondere eine demenzielle Erkrankung) einer pflegebedürftigen Person vorliegen. An dieser Voraussetzung fehlt es wie ausgeführt im vorliegenden Fall.

4. Mit ihren Ausführungen, dass das Berufungsgericht zu Unrecht von einem Betreuungsaufwand von lediglich 7,5 Stunden monatlich für Mobilitätshilfe im engeren Sinn (§ 1 Abs 3 EinstV) ausgegangen sei, weil die Klägerin unter Schwindelanfällen leide und sie daher beim Gehen in Gefahr sei zu stürzen, sodass der Betreuungsaufwand größer sei, zeigt die Revisionswerberin ebenfalls keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf. Insbesondere zieht sie die Richtigkeit der Ausführungen des Berufungsgerichts nicht in Zweifel, wonach selbst bei Berücksichtigung des vollen Zeitwerts für die Mobilitätshilfe im engeren Sinn von 15 Stunden monatlich der für die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 3 erforderliche Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich nicht erreicht wäre.

Stichworte