OGH 10ObS2410/96a

OGH10ObS2410/96a13.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margit K*****, ***** vertreten durch Dr. Heinrich Kellner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 1996, GZ 10 Rs 107/96w-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. November 1995, GZ 14 Cgs 66/95p-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

In der gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhobenen Klage begehrt die Klägerin Pflegegeld. Sie leide an Lähmungserscheinungen als Folge eines Schlaganfalles und könne Verrichtungen, wie Kochen, Einkaufen, Wäschewaschen und Putzen nicht durchführen und andere Arbeiten nur sehr langsam bewältigen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung dieses Begehrens, weil der Klägerin noch alle maßgeblichen Verrichtungen zumutbar seien.

Das Erstgericht erkannte der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 ab 1.10.1994 zu.

Es stellte fest, daß sich die Klägerin an- und ausziehen und sich waschen könne. Sie könne nach dem Aufsuchen der Toilette sich alleine reinigen und den Wohnraum oberflächlich instandhalten und die Zentralheizung warten. Das Einholen von Nahrungsmitteln sei ihr nicht mehr möglich. Sie benötige für die große Wäsche, das Großreinemachen und Fensterputzen fremde Hilfe. Sie könne auch Besorgungen außer Haus mit Hilfe einer Begleitperson machen. Der Klägerin sei es nicht mehr möglich, eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit zuzubereiten, weil sie auf Grund ihres depressiven Verstimmungszustandes und des mäßigen organischen Psychosyndroms eine gewisse Antriebsstörung aufweise, sodaß nicht anzunehmen sei, daß sie nur für sich selbst eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit zubereiten werde. Es sei ihr auch nur mehr ein Stehen in der Dauer von fünfzehn Minuten zumutbar. Sie verfüge nur mehr über die gesunde rechte Hand und könne mit der linken Hand lediglich Hilfstätigkeiten durchführen.

In rechtlicher Hinsicht sei ein durchschnittlicher monatlicher Pflegebedarf unter Berücksichtigung der festgestellten Einschränkungen in der Dauer von siebzig Stunden gegeben, was den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 begründe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, daß der Umstand, daß die Klägerin rein physisch Fleisch beidseitig abbraten oder panierte Schnitzel zubereiten oder Kartoffel schälen oder ein Omelett zubereiten könne nichts daran ändere, daß sie infolge der Antriebsstörung nicht eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit für sich selbst zubereiten würde. Es seien die physischen und psychischen Leistungseinschränkungen der Klägerin in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, darunter auch, daß ihr ein Stehen in der Dauer von länger als fünfzehn Minuten bei der Zubereitung von Mahlzeiten nicht zumutbar sei. Ob die Klägerin die eine oder andere Vorbereitungsarbeit im Sitzen verrichten könne, sei unbeachtlich, weil diese Spanne nicht für die Zubereitung einer warmen Hauptmahlzeit mit Beilagen ausreiche. Es dürfe nicht übersehen werden, daß im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung nicht nur die Bedienung der Kochstelle sondern auch die notwendige Reinigung der verwendeten Geräte zu berücksichtigen sei. Die Rechtsrüge sei jedoch auch nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil die Fähigkeit des Zubereitens von Fleisch, Kartoffeln oder eines Omeletts nicht die Feststellung berücksichtige, daß die Klägerin nicht eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit zubereiten werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin stellt den Antrag, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Beklagte führte zunächst in der Berufung aus, daß die Klägerin trotz ihrer Antriebsstörung auf Grund der Fähigkeiten, bestimmte Speisen herzustellen, in der Lage sei, eine ordentlich gekochte Mahlzeit zuzubereiten und der Pflegeaufwand daher nur dreißig Stunden betrage. Damit bekämpfte sie in Wahrheit die rechtliche Schlußfolgerung des Erstgerichtes, daß die Klägerin keine gekochte warme Mahlzeit herstellen könne. Dem trug das Berufungsgericht Rechnung und führte, wenn auch unter Behandlung des Berufungsgrundes der unrichtigen Beweiswürdigung aus, warum diese Schlußfolgerung berechtigt sei. Es schadet daher nicht, daß das Berufungsgericht weitere Ausführungen der Berufung unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache als nicht gesetzmäßig ausgeführt betrachtete.

Die rein physische Komponente der Einschränkungen der Klägerin läßt jedoch entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes, die Annahme, die Klägerin sei für die Zubereitung einer ordentlichen warmen Mahlzeit ungeeignet, nicht zu. Beim Bereiten einer warmen Mahlzeit ist ein ununterbrochenes Stehen in der Dauer von fünfzehn Minuten schon deshalb nicht erforderlich, weil diese Tätigkeit nur aus einer Summe von Einzelhandlungen besteht, die sowohl im Sitzen als auch abwechselnd im kurzfristigen Stehen erledigt werden können.

Ob die psychische Komponente des Leistungskalküls die Klägerin von der Nahrungsbereitung ausschließt, kann noch nicht beurteilt werden. Es ist nämlich nicht geklärt, ob die Antriebsstörung, die die Klägerin hindert nur für sich eine ordentliche Mahlzeit zuzubereiten, behandelbar und ob, wann bzw in welchem auf das Kalkül einwirkenden Ausmaß behebbar ist. Die Klärung dieser Frage ist deshalb von Bedeutung, weil sich unter Umständen ergeben könnte, daß damit die die Nahrungszubereitung ausschließende psychische Komponente wegfällt bzw nur eine zeitliche Begrenzung des Pflegegeldes nach sich ziehen könnte (10 ObS 2145/96f). Wäre dies nicht der Fall, müßte weiters geklärt werden, ob die Klägerin unter Aufsicht und Anleitung einer Betreuungsperson die von ihr rein körperlich bewältigbare Nahrungsbereitung vornehmen kann, bzw wie oft und wie lange sie zu diesem Zweck einer Betreuungshandlung bedarf. Die Anleitung und Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Hinderung bei Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstVO angeführten Verrichtungen ist der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen, weil die in Frage kommenden Verrichtungen zwar physisch gemeistert werden können, aber nur in Anwesenheit einer Betreuungsperson unter ihrer Anleitung und Pflege besorgt werden (SSV-NF 9/66). Wenn aber nur eine Antriebsstörung besteht, könnte es auch sein, daß die Anwesenheit einer Betreuungsperson bei den rein physisch möglichen Verrichtungen der Nahrungsbereitung nicht oder nicht während ihrer ganzen Dauer notwendig ist, sondern nur ein bloßes Betreuungsgespräch die selbständige Durchführung ermöglicht. In diesem Falle wäre nur der für diese Betreuungshandlung tatsächlich erforderliche Zeitaufwand zu ermitteln und in Anschlag zu bringen (SSV-NF 9/66; 10 ObS 2004/96w).

Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht - zumal unbestritten blieb, daß die Klägerin für das Einholen von Nahrungsmitteln, für Besorgungen außer Haus, für die Reinigung der Wohnung und die Pflege der großen Wäsche fremder Hilfe bedarf, und der hiefür zu veranschlagende in der Revision nicht bestrittene Zeitbedarf vierzig Stunden beträgt - seine Feststellungen im dargelegten Sinne zu ergänzen haben und den sich dann ergebenden zeitlichen Bedarf für die Nahrungsbereitung entsprechend dem Verfahrensergebnis zu berücksichtigen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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