OGH 10ObS2145/96f

OGH10ObS2145/96f30.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmuth Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl W*****, Notstandshilfeempfänger, ***** vertreten durch Dr.Friedrich J. Reif-Breitwieser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Land Wien, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien (MA 12), 1010 Wien, Schottenring 24, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeldes, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Dezember 1995, GZ 9 Rs 142/95-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Juni 1995, GZ 30 Cgs 15/95f-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte gewährte dem am 2.12.1960 geborenen Kläger mit Bescheid vom 15.3.1994 auf seinen Antrag gemäß §§ 4 und 5 des Wiener Pflegegeldgesetzes - WPGG ab 1.10.1993 befristet bis 30.9.1994 "auf die Dauer des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen" Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 von zunächst S 2.500,--, ab 1.1.1994 S 2.563,-- monatlich. Dabei ging sie in der Begründung dieses Bescheides davon aus, daß der Pflegebedarf des Klägers mehr als 50 Stunden monatlich betrage. Das Pflegegeld sei bis 30.9.1994 befristet, da zu diesem Zeitpunkt eine Nachuntersuchung vorgesehen sei. (Die ärztliche Begutachtung hatte ergeben, daß der Gesundheitszustand des Klägers nicht als Dauerzustand anzusehen sei, weil die Therapiemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft worden seien.) Der Bescheid enthielt auch den Hinweis, daß gegen ihn binnen 3 Monaten Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien erhoben werden könne. Der Kläger erhob jedoch keine solche Klage, weshalb der Bescheid rechtskräftig wurde.

Am 28.7.1994 richtete die Beklagte folgendes Schreiben an den Kläger:

"Die Magistratsabteilung 12 - Referat Pflegegeld - möchte Sie hiermit daran erinnern, daß Ihre Pflegegeld-Zahlungen bis 30.9.1994 befristet sind, da - wie bereits im Bescheid vom 15.3.1994 mitgeteilt - eine Nachuntersuchung vorgesehen ist. Wir ersuchen Sie um Einreichung beiliegenden Pflegegeld-Antrages, damit ein neuerlicher Untersuchungstermin festgesetzt werden kann."

Daraufhin stellte der Kläger am 17.8.1994 einen neuerlichen Antrag auf Gewährung eines Pflegegeldes nach dem WPGG.

Die Beklagte wies diesen Antrag mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13.12.1994 ab. In der Begründung heißt es, der Kläger habe laut amtsärztlichem Gutachten vom 21.9.1994 lediglich einen Pflegebedarf von 20 Stunden und erfülle damit nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 WPGG.

In seiner dagegen erhobenen Klage mit dem Begehren auf Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 verwies der Kläger auf seine Leidenszustände, insbesondere die Lähmung des rechten Armes.

Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens, weil der Kläger nur für Wohnung- und Wäschereinigung einen Pflegebedarf von je 10 Stunden monatlich habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger vor allem an einer Nervenplexuslähmung des rechten Armes leidet. Die gelähmte rechte Hand kommt daher nur für geringfügige Hilfsfunktionen in Betracht (Hinlegen dieser Hand und kraftreduziertes Faustmachen), weshalb der Kläger nur vorzerkleinert zubereitete Speisen zu sich nehmen kann. Insgesamt weist er den Zustand eines linksseitig Einarmigen mit geringfügigen Hilfhandfunktionen rechts auf. Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, daß der Kläger einen monatlichen Pflegebedarf von nur je 10 Stunden für die Wohnungsreinigung und die Wäschereinigung habe und damit das gesetzliche Mindestmaß bei weitem nicht erreiche.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Er mache zwar zu Recht geltend, daß er Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten benötige, doch führe der sich daraus ergebende zusätzliche Betreuungsaufwand von 30 Stunden zu keinem günstigeren Ergebnis, weil auch der nunmehrige Gesamtaufwand von 50 Stunden die Anspruchsvoraussetzungen der Stufe 1 nicht erfülle. Soweit der Kläger geltend mache, die Beklagte hätte ihm das Pflegegeld seinerzeit nicht befristet zuerkennen dürfen, weil eine befristete Zuerkennung im BPGG (gemeint offenbar WPGG) nicht vorgesehen sei, übersehe er, daß er den Bescheid vom 15.3.1994 nicht bekämpft habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache wird zusammengefaßt dahin ausgeführt, daß eine befristete Gewährung des Pflegegeldes weder im BPGG noch im WPGG vorgesehen sei. Der Bescheid vom 15.3.1994 sei daher zu Unrecht ergangen, im übrigen nicht ausreichend begründet gewesen und nur deshalb unbekämpft geblieben, weil der Kläger damals nicht anwaltlich vertreten und in Unkenntnis der Rechtslage gewesen sei. Bei einer der Gesetzeslage entsprechenden unbefristeten Gewährung hätte aber das Pflegegeld nur durch ein vorangehendes Entziehungsverfahren entzogen werden können. Mangels eines solchen stünde dem Kläger auch jetzt noch das ursprünglich gewährte Pflegegeld zu.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Richtig ist, daß die befristete Gewährung von Pflegegeld weder im BPGG noch im hier anzuwendenden WPGG ausdrücklich vorgesehen oder geregelt ist. Nach den insoweit gleichlautenden Bestimmungen des § 4 Abs 1 BPGG und des § 4 Abs 1 WPGG gebührt das Pflegegeld bei Zutreffen der Anspruchsvoraussetzungen ab Vollendung des 3. Lebensjahres, wenn auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens 6 Monate andauern wird oder würde (vgl Gruber/Pallinger BPGG Rz 26 zu § 4; SSV-NF 9/14 mwN). Nach den ebenso gleichlautenden Bestimmungen des § 9 Abs 2 BPGG und des § 7 Abs 2 WPGG ist das Pflegegeld zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für seine Gewährung wegfällt, oder neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe wesentliche Veränderung eintritt. Der Wegfall der Voraussetzung oder eine wesentliche Veränderung wird im allgemeinen erst nach dem Zeitpunkt der Zuerkennung eintreten; auf diese Regelfälle nimmt der Gesetzestext Bedacht. Wenn aber im Zeitpunkt der Entscheidung bzw bei Schluß der Verhandlung erster Instanz das Ende des Pflegebedarfes zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, wie etwa schon bisher bei Zuerkennung einer zeitlich begrenzten Pension nach §§ 256 aF, 271 Abs 3 ASVG (nunmehr allerdings § 256 Abs 1 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 201), dann kann eine - wie der Senat bereits in seiner E vom 12.3.1996, 10 ObS 27/96 dargelegt hat - zeitliche Begrenzung des Pflegegeldes vorgenommen werden und zwar schon als verwaltungsvereinfachende Maßnahme, da ein späteres Entziehungsverfahren erspart wird. Der Senat hat also bereits ausgesprochen, daß die befristete Zuerkennung eines Pflegegeldes (etwa in dem Fall, daß eine zumutbare ärztliche Behandlung die Pflegebedürftigkeit in einer bestimmt absehbaren Zeit beseitigen wird) mit den Bestimmungen des BPGG nicht in Widerspruch steht:

Gleiches muß auch für den Bereich des WPGG gelten.

Fraglich könnte dieser Grundsatz allerdings dann sein, wenn die befristete Zuerkennung nur zwecks Umgehung der Entziehungsvorschriften erfolgt. Dies scheint der Kläger zu vermuten, zumal ihm die Gründe für die seinerzeitige befristete Gewährung des Pflegegeldes nicht mitgeteilt wurden. Eine nährere Erörterung dieser Umstände hat jedoch hier auf sich zu beruhen. Die an sich mögliche und - mangels einer dem § 256 Satz 3 ASVG aF (nunmehr § 256 Abs 3 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996) vergleichbaren Klagebeschränkung im BPGG oder WPGG - zulässige Überprüfung der Frage, ob ein Pflegegeldträger das Pflegegeld befristet oder unbefristet zu gewähren hat, kann nämlich nur in dem auf Grund einer rechtzeitigen Klage gegen den betreffenden Bescheid (§ 71 ASGG) bei Gericht eingeleiteten Sozialrechtsverfahren erfolgen. Im vorliegenden Fall ist aber der die Befristung aussprechende Bescheid mangels Klage in Rechtskraft erwachsen, weshalb seine Richtigkeit und Gesetzmäßigkeit nicht mehr geprüft werden kann und davon ausgegangen werden muß, daß die Befristung zu Recht erfolgte.

Ob dem Kläger nach Ablauf der Befristung, also ab dem 1.10.1994 weiterhin Pflegegeld gebührt, ist nicht durch Vergleich mit dem seinerzeitigen Zustand, sondern unabhängig von der früheren Einschätzung neu zu prüfen. Das zeitliche begrenzte Pflegegeld fällt nach Ablauf der Frist weg, ohne daß es eines behördlichen Aktes bedarf. Die Gewährung der befristeten Leistung wirkt für die Frage des Pflegebedarfes nicht über die Frist hinaus, weil gerade die Tatsache, daß es sich um eine bloß vorübergehende Pflegebedürftigkeit handelt, der Grund und die Voraussetzung für die zeitliche Begrenzung des Pflegegeldes sind. Der Anspruch auf Weitergewährung des Pflegegeldes hängt daher davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach Ablauf der Frist noch, erstmals oder wieder vorliegen (vgl SSV-NF 6/17, 8/46, 8/87 jeweils mwN zur Frage der Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension).

Gegen den vom Berufungsgericht ermittelten Pflegebedarf, der hinter dem Mindestsatz des § 4 Abs 2 WPGG ("...mehr als 50 Stunden monatlich...") zurückbleibt, wird in der Revision nichts vorgebracht, weshalb es insoweit ausreicht, auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils zu verweisen (§ 48 ASGG).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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