OGH 10ObS257/00t

OGH10ObS257/00t19.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinrich Lahounik (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Erwin Macho (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erhard B*****, Pensionist, *****, vertreten durch seine Sachwalterin C***** N*****, Verein für Sachwalterschaft in Innsbruck, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Juni 2000, GZ 25 Rs 61/00g-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Februar 2000, GZ 16 Cgs 230/98v-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, dass der Kläger trotz seiner festgestellten Behinderung mangels eines 50 Stunden übersteigenden Pflegebedarfs die Voraussetzungen für ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 nicht erreicht (§ 4 Abs 2 BPGG), ist zutreffend, weshalb es genügt, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Sie entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl SSV-NF 12/165; 10 ObS 389/98y - ARD 5088/33/00; 10 ObS 405/98y - ARD 5113/22/00). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Wie der Revisionswerber an sich zutreffend aufzeigt, findet sich der Begriff "psychosoziale Betreuung" weder im Bundespflegegeldgesetz (BPGG), noch in den hiezu erlassenen Einstufungsverordnungen (BGBl 1993/314 und jetzt BGBl II 1999/37 - EinstV). Die erforderliche Abgrenzung zu den Begriffen "Anleitung" und "Beaufsichtigung" einerseits (§ 4 Abs 1 EinstV) und "Motivationsgespräch" andererseits (§ 4 Abs 2 EinstV) hat daher auf Grund der konkreten Feststellungen zum jeweiligen Pflegebedarf zu erfolgen.

Der Kläger braucht nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen eine "psychosoziale Betreuung", die wie folgt umschrieben ist: Man muss ihm eine Tagesstruktur vorgeben, er muss angeleitet und für Aktivitäten ermuntert werden, er muss das Gefühl haben, sich bei auftauchenden Schwierigkeiten jederzeit an jemanden wenden zu können. Damit wird aber ziemlich genau der Bedarf nach Motivationsgesprächen iSd des § 4 Abs 2 EinstV umschrieben. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung SSV-NF 12/165 den dort verwendeten vergleichbaren Begriff "Planungsgespräche" nicht dem Tatbestandsmerkmal der "Anleitung und Beaufsichtigung" unterstellt, sondern diesen vielmehr als eine Form der psychischen Betreuung eines Pflegebedürftigen erklärt, die etwa bei einer Antriebsschwäche erforderlich ist, um den Rahmen der notwendigen Verrichtungen (etwa die Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente) vorzugeben. § 4 EinstV aF (jetzt § 4 Abs 1 EinstV nF) ist auf diesen Fall nicht anwendbar, weil diese Bestimmung die Anwesenheit der Betreuungsperson zur Anleitung und Beaufsichtigung während der Verrichtung voraussetzt (SSV-NF 9/66, 9/75, 10/79, 12/165). § 4 Abs 2 EinstV nF lautet:

"Sind mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen, so ist für diese Betreuungsmaßnahme von einem - auf einen Monat bezogenen - zeitlichen Richtwert von insgesamt zehn Stunden auszugehen."

Das Motivationsgespräch ist demnach eine eigene Betreuungshandlung, die als Beziehungsarbeit für geistig oder psychisch Behinderte oft eine unerlässliche Basis für deren Aktivierung ist (so auch § 8 Abs 2 der Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG, SozSi 1999, 360, Amtl. Verlautbarung Nr. 41). Mit einer dadurch erzielbaren konkreten Tagesstrukturierung wird dem Pflegebedürftigen die selbständige Lebensführung ermöglicht oder doch erleichtert, da er sich bedingt durch seinen Mangel an psychischer oder geistiger Flexibilität strikt an diese Vorgaben halten kann. Das Motivationsgespräch ist in diesem Sinn als eine übergreifende Betreuungsmaßnahme zu verstehen und bei der Ermittlung des Pflegebedarfs lediglich einmal für alle notwendigen Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen zu berücksichtigen (so ausdrücklich die Erl. des BMASGS zur EinstV, SozSi 1999, 284, 286 f). Auch diese neue Regelung - in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung - lässt erkennen, dass der Verordnungsgeber die Anleitung oder Beaufsichtigung bei der Durchführung solcher Verrichtungen, die nicht in den §§ 1 und 2 angeführt sind, nicht gesondert berücksichtigen wollte (10 ObS 389/98y, 10 ObS 405/98a).

Im Übrigen bedarf der Kläger fremder Betreuung und Hilfe nur für zwei bis drei Duschreinigungen in der Woche (4 Stunden im Monat), bei der Einnahme von Medikamenten (3 Stunden), bei der Reinigung der Wohnung und bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche (jeweils 10 Stunden nach § 2 Abs 3 EinstV). Das Erstgericht hat darüber hinaus - insoweit den Richtwert von 10 Stunden wesentlich übersteigend - dem Kläger einen Pflegeaufwand für Motivationsgespräche von 22 Stunden zugebilligt. Selbst bei dieser großzügigen Berechnung ergibt sich aber nur ein Pflegeaufwand von 49 Stunden.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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