OGH 10ObS150/07t

OGH10ObS150/07t18.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Univ.-Prof. DI Hans Lechner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj Aysegül K*****, geboren am 5. Dezember 1993, vertreten durch ihre Mutter Gülüsan K*****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Land Wien, Rathaus, 1010 Wien, vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juli 2007, GZ 8 Rs 88/07f-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Jänner 2007, GZ 16 Cgs 231/06m-13, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die am 5. 12. 1993 geborene Klägerin leidet seit Geburt an einer hereditären beidseitigen, an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit. Eine Besserung des Leidenszustandes ist nicht zu erwarten.

Auf Grund ihres Gesundheitszustandes benötigt die Klägerin folgende Hilfestellungen:

Mit Ausnahme des Haarewaschens, Badens und Duschens verrichtet die Klägerin ihre tägliche Körperpflege selbstständig. Beim Haarewaschen ist ein Schließen der Augen erforderlich. Bei geschlossenen Augen ergibt sich eine ausgeprägte Gleichgewichtsstörung, welche zu Unsicherheit und Angst führt. Das Haarewaschen wird somit ausschließlich von der Mutter durchgeführt. Auch beim Duschen kommt es zu Unsicherheiten (Gleichgewicht), sodass eine Anwesenheit der Mutter erforderlich ist. Der tägliche Zeitaufwand beträgt ca 20 Minuten, das sind 10 Stunden monatlich.

An sonstigen Pflegemaßnahmen ist die tägliche Wartung und Reinigung der Hörgeräte notwendig. Gelegentlich ist ein Filter- und Batteriewechsel durchzuführen. Der dafür erforderliche Zeitaufwand beträgt einschließlich der Versorgung der Hörgeräte ca 10 Minuten täglich, das sind 5 Stunden monatlich.

Auf Grund der durch die in der Natur der Erkrankung liegenden Einschränkungen der Kommunikationsmöglichkeiten der Klägerin ergibt sich ein zeitlicher Mehraufwand. Auf Grund der Hörbehinderung ist die akustische Kommunikation nur eingeschränkt möglich; das heißt Hörbehinderte - selbst bei Versorgung mit einem Hörgerät - verfügen über einen nur beschränkten Wortschatz und zeigen bei gering gesteigertem Sprechtempo große Verständnisprobleme. Jedes Gespräch muss demzufolge langsam, sehr artikuliert und mit größter Zuwendung geführt werden. Da diese Art der Kommunikation nur mit großer Konzentration geführt werden kann, kommt es rasch zu Ermüdungserscheinungen, welche wiederum die Leistungsfähigkeit herabsetzen und auch ein Aggressionspotential freisetzen können. Diese Form der direkten Ansprache ist zur Aufrechterhaltung der Kommunikation unumgänglich und ist somit eine wesentliche Voraussetzung für die soziale Interaktion und Integration, welche ein selbstbestimmtes Leben jetzt und in Zukunft ermöglicht. Die Kommunikation jeglicher Inhalte, seien es lebenspraktische oder pädagogische Agenden oder sei es der emotionale Ausdruck der Eltern-Kind-Beziehung, findet unter diesen erschwerten Bedingungen statt. Der zeitliche Mehraufwand für Kommunikation, welche als Voraussetzung für sämtliche schlussendlich selbstständig zu verrichtenden Tätigkeiten im Rahmen des täglichen Lebens gilt, beträgt täglich mindestens 30 Minuten, das sind 15 Stunden monatlich. Der tägliche Schulweg wird von der Klägerin mit einem Fahrtendienst bewältigt. Ein selbstständiges Benützen öffentlicher Verkehrsmittel ist der Klägerin derzeit noch nicht möglich. Die Fahrtdauer beträgt für eine Strecke ca 30 Minuten. Regelmäßige Kontrollen werden beim betreuenden HNO-Arzt und an der Universitätsklinik (Audiometrie) sowie beim Hörgeräteakustiker durchgeführt. Einmal jährlich erfolgt eine augenärztliche Kontrolle. Die Klägerin spielt in einem Hörbehindertentheater. Diese Aktivität findet zweimal wöchentlich in Begleitung ihrer Mutter statt. Der Gesamtaufwand beträgt durchschnittlich mindestens 80 Minuten täglich, das sind 40 Stunden monatlich.

Die beklagte Partei gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 19. 7. 2004 Pflegegeld der Stufe 1 über den 30. 6. 2004 hinaus. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 28. 9. 2006 wurde das der Klägerin gewährte Pflegegeld mit Ablauf des Monates November 2006 entzogen.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Gewährung von Pflegegeld der Stufe 1 über den 30. 11. 2006 hinaus. Ihr Gesundheitszustand habe sich seit der Gewährung des Pflegegeldes im Juli 2004 nicht gebessert.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Bei der Klägerin habe sich die altersgerechte Selbstständigkeit in den Bereichen der Nahrungsaufnahme, der WC-Benützung und des An- und Auskleidens gebessert. Der durchschnittliche Pflegebedarf betrage nunmehr nur noch 25 Stunden monatlich.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 im gesetzlichen Ausmaß unter Anrechnung von EUR 60 des Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder über den 30. 11. 2006 hinaus in Höhe von insgesamt EUR 88,30 monatlich zu zahlen. In rechtlicher Beurteilung führte das Erstgericht unter Hinweis auf § 4 Wiener Pflegegeldgesetz (WPGG) und die Rechtsprechung zur Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen aus, dass die Klägerin im Vergleich mit einem gesunden Kind ihres Alters Hilfe im Ausmaß von 10 Stunden monatlich bei der täglichen Körperpflege, 20 Stunden monatlich für sonstige Pflegemaßnahmen (Reinigung und Wartung der Hörgeräte, erschwerte Kommunikation) und 40 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn benötige. Dies ergebe einen Pflegebedarf von monatlich 70 Stunden, sodass die Klägerin (weiterhin) die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld der Stufe 1 erfülle. Die Entziehung des Pflegegeldes sei daher zu Unrecht erfolgt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, das es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 in einer monatlichen Höhe von EUR 148,30 unter Anrechnung des Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder in der Höhe von EUR 60, somit in einer monatlichen Höhe von EUR 88,30, über den 30. 11. 2006 hinaus zu bezahlen und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen und die künftig werdenden jeweils am 1. des Folgemonats im Nachhinein. Es ging in seiner Entscheidung davon aus, dass der Pflegebedarf der Klägerin 64 Stunden monatlich (4 Stunden für sonstige Körperpflege, 5 Stunden für die Wartung und Reinigung der Hörgeräte, 15 Stunden für Motivationsgespräche und 40 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn) betrage. Hinsichtlich des für Motivationsgespräche angenommenen Pflegebedarfes von 15 Stunden monatlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dass die bei der minderjährigen Klägerin festgestellte beidseitige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit mit der dadurch eingeschränkten akustischen Kommunikationsfähigkeit „auch beziehungsweise vor allem eine psychische Behinderung bewirke". Der notwendige Mehraufwand an Kommunikation, damit die Klägerin die Verrichtungen des täglichen Lebens selbstständig vornehmen könne, könne daher als erforderliches Motivationsgespräch im Sinn des § 4 Abs 2 EinstV zum WPGG qualifiziert werden. Weiters vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 auch unter Berücksichtigung einer Aliquotierung des hauptsächlich während der Schulzeit anfallenden Pflegebedarfes für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn erfülle, weil in diesem Fall der Pflegebedarf für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn bei anteiligem Abzug von zwei Monaten Sommerferien durchschnittlich 33,33 Stunden pro Monat und der Pflegebedarf somit insgesamt durchschnittlich 57,33 Stunden pro Monat betrage.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu den hier strittigen Fragen des Pflegebedarfes in Bezug auf die Wartung und Reinigung der Hörgeräte, die Motivationsgespräche sowie die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage der Berücksichtigung des Pflegebedarfes für Motivationsgespräche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist. Sie ist im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Vor dem Eingehen auf die Revisionsausführungen der beklagten Partei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid das ihr seinerzeit mit Bescheid vom 19. 7. 2004 gewährte Pflegegeld der Stufe 1 entzogen wurde. Das Pflegegeld ist nach der hier maßgebenden Bestimmung des § 7 Abs 4 WPGG zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld wegfällt. Tritt eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Veränderung ein, so ist das Pflegegeld neu zu bemessen. Eine Entziehung oder eine Neubemessung (Erhöhung oder Herabsetzung) des Pflegegeldanspruches setzt somit im Regelfall eine wesentliche Veränderung des Zustandsbildes des Pflegebedürftigen und in dessen Folge eine Änderung im Umfang des Pflegebedarfs voraus, die die Gewährung einer anderen Pflegegeldstufe erforderlich macht. Ausgehend von den Tatsachengrundlagen ist zu beurteilen, ob sich die objektiven Grundlagen für die seinerzeitige Leistungszuerkennung so wesentlich geändert haben, dass sich eine Veränderung mit Anspruch auf eine andere Pflegegeldstufe ergeben hat. Es genügt dabei nicht, nur den körperlichen Zustand zum Zeitpunkt der Gewährung zu jenem im Zeitpunkt der Neubemessung des Pflegegeldes in Beziehung zu setzen. Es sind auch die Änderungen im Pflegebedarf, der für das Ausmaß der Pflegegeldstufe maßgeblich ist, zueinander in Beziehung zu setzen, um daraus ableiten zu können, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Es bedarf daher im sozialgerichtlichen Verfahren neuerlich - unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen - der Feststellung der im Zukerkennungszeitpunkt wesentlichen Tatsachen (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld Rz 409 mwN zur gleichlautenden Bestimmung des § 9 Abs 4 BPGG). Die Vorinstanzen haben zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Entziehung des Pflegegeldes im Sinne des § 7 Abs 4 WPGG keine Feststellungen getroffen, weil sie davon ausgingen, dass die Klägerin auch im hier strittigen Zeitraum ab 1. 12. 2006 (weiterhin) die Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 erfüllt. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird von der beklagten Partei in ihrer Revision insoweit bekämpft, als die Vorinstanzen einen höheren Pflegebedarf der Klägerin als 4 Stunden monatlich für die sonstige Körperpflege angenommen haben. Die beklagte Partei wendet sich daher in ihren Revisionsausführungen im Einzelnen gegen die Annahme eines Pflegebedarfes von monatlich 15 Stunden für Motivationsgespräche, 5 Stunden für die Wartung und Reinigung der Hörgeräte und 40 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Zur Frage der Berücksichtigung eines Pflegebedarfes für Motivationsgespräche im Sinn des § 4 Abs 2 EinstV zum WPGG macht die beklagte Partei geltend, dass bei der Klägerin keine geistige oder psychische Behinderung vorliege, weshalb ein Pflegebedarf für Motivationsgespräche im Sinne der zitierten Bestimmung von Vornherein nicht in Betracht komme. Im Übrigen handle es sich bei Gesprächen, die lediglich der psychischen Stabilisierung des Betroffenen, nicht jedoch auch der Motivation zur selbstständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 EinstV zum WPGG angeführten Verrichtungen dienen, nicht um Motivationsgespräche im Sinn des § 4 Abs 2 EinstV zum WPGG. Daraus folge, dass weder die Kommunikation zur Erfüllung „pädagogischer Agenden" noch im Rahmen des „emotionalen Ausdrucks der Eltern-Kind-Beziehung" pflegegeldrelevant seien. Damit im Einklang stehe auch die ständige Rechtsprechung, wonach Sprach- und Gehörtraining keinen pflegegeldrelevanten Aufwand darstellten.

Dazu ist folgendes auszuführen:

Nach § 4 Abs 1 EinstV zum WPGG ist die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen. Sind mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbstständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen, so ist für diese Betreuungsmaßnahme von einem - auf einen Monat bezogenen - zeitlichen Richtwert von insgesamt 10 Stunden auszugehen (§ 4 Abs 2 EinstV zum WPGG).

Für den Anspruch auf Pflegegeld ist es unerheblich, ob der Pflegebedarf auf Grund körperlicher Defizite, psychischer Einschränkungen oder einer geistigen Behinderung besteht. Psychisch oder geistig behinderte Menschen wären auf Grund ihrer motorischen Fähigkeiten zwar häufig in der Lage, die lebensnotwendigen Verrichtungen ganz oder teilweise selbst auszuführen, können jedoch oft nicht die Notwendigkeit solcher Handlungen erkennen oder diese sinnvoll umsetzen. Ohne die Hilfe einer Pflegeperson würden alltägliche Verrichtungen wie etwa die Körperpflege oder das An- und Auskleiden unterbleiben und in der Folge eine Verwahrlosung eintreten (vgl Fürstl-Grasser/Pallinger, Die neue Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen, SozSi 1999, 282 ff [286]). Es wurde daher auch in § 4 EinstV zum WPGG neben der Möglichkeit der Berücksichtigung des Bedarfes an Anleitung und Beaufsichtigung psychisch und geistig behinderter Menschen (§ 4 Abs 1 EinstV) auch ein zeitlicher Richtwert für Motivationsgespräche der Betreuungspersonen mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbstständigen Durchführung von Verrichtungen des persönlichen und sachlichen Lebensbereiches eingeführt (§ 4 Abs 2 EinstV). Das Motivationsgespräch ist demnach eine eigene Betreuungshandlung, die als Beziehungsarbeit „für geistig oder psychisch Behinderte" oft eine unerlässliche Basis für deren Aktivierung ist. Mit einer dadurch erzielbaren konkreten Tagesstrukturierung wird dem Pflegebedürftigen die selbstständige Lebensführung ermöglicht oder doch erleichtert, da er sich „bedingt durch seinen Mangel an psychischer oder geistiger Flexibilität" strikt an diese Vorgaben halten kann. Es kommt daher, wie der Oberste Gerichtshof zu der auch hier anzuwendenden Bestimmung des § 4 Abs 2 EinstV zum WPGG bereits ausgesprochen hat, die Berücksichtigung von Motivationsgesprächen bei der Prüfung des Anspruches auf Pflegegeld nur bei psychisch oder geistig behinderten Menschen in Betracht (10 ObS 80/03t = SSV-NF 17/62). Die Klägerin ist aber nach den vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen nicht geistig oder psychisch behindert. Für die Annahme des Berufungsgerichtes, die beidseitige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit der Klägerin mit der festgestellten eingeschränkten akustischen Kommunikation bewirke „auch bzw vor allem eine psychische Behinderung", bieten weder der festgestellte Sachverhalt noch die vorliegenden Beweisergebnisse oder das Prozessvorbringen der Klägerin irgendeinen Anhaltspunkt. Der festgestellte Mehraufwand an Kommunikation kann daher schon deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht als Motivationsgespräche im Sinn des § 4 Abs 2 EinstV zum WPGG gewertet werden und ist daher nicht zu berücksichtigen.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass der Pflegebedarf der Klägerin nach § 4 Abs 2 WPGG selbst bei einer Berücksichtigung eines weiteren - strittigen - Pflegebedarfes von 5 Stunden für Wartung und Reinigung der Hörgeräte und 40 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn neben dem unstrittigen Pflegebedarf von 4 Stunden für die sonstige Körperpflege durchschnittlich nicht mehr als 50 Stunden monatlich beträgt, weshalb die Klägerin schon auf Grund dieser Erwägungen die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes der Stufe 1 nicht (mehr) erfüllt. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die weiteren Revisionsausführungen der beklagten Partei zur Frage der Berücksichtigung eines Pflegebedarfes für die Wartung und Reinigung der Hörgeräte sowie die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.

Da jedoch, wie bereits oben dargelegt wurde, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse Voraussetzung für die Entziehung bzw Neubemessung des Pflegegeldes nach § 7 Abs 4 WPGG ist, die Vorinstanzen ausgehend von einer anderen Rechtsansicht zu dieser Frage aber keine Feststellungen getroffen haben, sind die Urteile beider Instanzen aufzuheben. Die Rechtssache ist zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung, dass die beklagte Partei die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen hat, beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.

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