European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128539
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Über das Vermögen der W*Gesellschaft mbH wurde mit Beschluss des Landesgerichts Wels als Insolvenzgericht vom 30. März 2007 zu 20 S 50/07i der Anschlusskonkurs eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss vom 23. Mai 2011 wurde der Konkurs nach Vollzug der Schlussverteilung gemäß § 139 Abs 1 KO aufgehoben. Die Gesellschaft wurde gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht.
Die W*Gesellschaft mbH in Liquidation (im Folgenden: die Kurandin) ist jedoch noch Eigentümerin zweier Liegenschaften. Bei einer der Liegenschaften handelt es sich um einen 305 m² großen Teil einer Forststraße. Bei dieser Liegenschaft sind keine Dienstbarkeiten eingetragen, allerdings wurden möglicherweise Geh- und Fahrtrechte ersessen. Bei der anderen Liegenschaft handelt es sich um eine 1.301 m² große Straße, die durch mehrere Dienstbarkeiten belastet ist. Es bestehen auch noch Dienstbarkeiten und Vorkaufsrechte zugunsten der Kurandin. Über weiteres Vermögen oder Einkünfte verfügt sie nicht.
Mit Beschlüssen vom 11. März 2013, 29 Fr 372/13b‑2 und 15. März 2013, 29 Fr 436/13x‑2, wies das Landesgericht Wels als Firmenbuchgericht Anträge auf Bestellung eines Nachtragsliquidators für die Kurandin ab, weil sie nicht vermögenslos, sondern noch Eigentümerin der Liegenschaften sei und über weitere Vermögenswerte in Form von Dienstbarkeiten verfüge.
Das (ehemalige) Insolvenzgericht wies mit Beschluss vom 6. Mai 2013 zu 20 S 50/07i den Antrag auf Bestellung eines Nachtragsliquidators für die Kurandin zwecks Unterfertigung von Löschungserklärungen über die im Grundbuch noch eingetragenen Dienstbarkeiten zurück und sprach aus, dass eine Nachtragsverteilung gemäß § 138 KO nicht stattfinde. Beide Liegenschaften seien wertlos und unverkäuflich.
Mit Beschluss vom 19. Mai 2014 bestellte das Erstgericht als Pflegschaftsgericht für die Kurandin den Notar Dr. Reinhard Pöltner als Abwesenheitskurator. Ungeachtet der Löschung der Kurandin im Firmenbuch bestehe noch Vermögen, sie sei Eigentümerin der Liegenschaften. Wegen bestehender Dienstbarkeiten und einer in Aussicht gefassten lastenfreien Abschreibung sei nach § 270 ABGB die Bestellung eines Kurators erforderlich.
Im Zeitraum 2014 bis 2018 genehmigte das Erstgericht mehrere Erklärungen des Kurators betreffend bücherliche Rechte der Kurandin (Löschungs‑ und Zustimmungserklärungen zu Vorkaufsrechten, zu Ab‑ und Zuschreibungen bzw Vereinigungen und zu Vorrangseinräumungen).
Die durch den Kurator vertretene Kurandin beantragt die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Dereliktionserklärung vom 9. Jänner 2019 hinsichtlich der Liegenschaften. Der Antrag wurde damit begründet, dass die Liegenschaften wertlos, mit diesen aber Verkehrssicherungspflichten verbunden seien, sodass eine Eigentumsaufgabe dem Wohl der Kurandin entspreche. In der Dereliktionserklärung gibt der Abwesenheitskurator (als Vertreter der Kurandin) das Eigentum an beiden Liegenschaften auf, erklärt die Grundstücke für herrenlos und erteilt seine Einwilligung zur Einverleibung der Herrenlosigkeit.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es stellte ua fest, dass weder die Gemeinde noch die Anrainer Interesse an den Liegenschaften zeigten, dass drei Immobilienmakler die Liegenschaften als nicht verwertbar beurteilten und eine Bewertung durch einen Sachverständigen nicht erfolgte. Das Erstgericht referierte aus dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 6. Mai 2013 die Stellungnahme des ehemaligen Masseverwalters, wonach die Liegenschaften unverkäuflich und wertlos seien. Für die (vom Erstgericht bejahten) Verkehrssicherungspflichten seien noch keine Kosten entstanden. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass eine Genehmigung nur unter den Voraussetzungen des § 223 ABGB möglich sei und diese mangels Notfalls und offenbaren Vorteils für die Gesellschaft nicht vorlägen. Das Ergebnis der Dereliktion wäre die endgültige Erledigung der Kuratel unter Beendigung der juristischen Person, was nicht als offenbarer Vorteil für diese beurteilt werden könne. Die Dereliktionserklärung sei daher nicht zu genehmigen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der durch den Kurator vertretenen Kurandin nicht Folge. Es bejahte grundsätzlich die Möglichkeit einer Dereliktion von Liegenschaften. Für das Verlassenschaftsverfahren anerkenne die Rechtsprechung grundsätzlich die Genehmigungsfähigkeit einer Dereliktionserklärung. Dabei sei aber § 223 ABGB zu beachten. Hier liege für die Kurandin weder ein Notfall vor noch diene ihr die Dereliktion zum offenbaren Vorteil, zumal nicht gesichert feststehe, dass die Gesellschaft Erhaltungs- und Verkehrssicherungspflichten treffe.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zur Frage zulässig sei, ob die Rechtsprechung zum Verlassenschaftsverfahren hier Anwendung finde.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Kurator als Vertreter der Kurandin eingebrachte Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Das Rechtsmittel ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Eine Dereliktion von Liegenschaften iSd §§ 362 iVm 386, 387 ABGB ist nach herrschender Lehre (vgl die Nachweise bei Rassi in Kodek 2 § 10 GBG Rz 47) und der Rechtsprechung (zB 5 Ob 100/13m; 5 Ob 21/14w; RS0110725) möglich.
2. Bei Bestehen einer Kuratel könnte sich der Kurator (als Vertreter des Kuranden) des Eigentums einer Liegenschaft mit Wirksamkeit für den Kuranden begeben (vgl 4 Ob 37/97p [Verlassenschaftskuratel]).
3. Die Vorinstanzen und auch der Kurator sind zutreffend davon ausgegangen, dass bei einer Abwesenheitspflegschaftssache die vom Kurator angestrebte Dereliktion gemäß § 281 Abs 3 iVm § 258 Abs 4 und § 167 Abs 3 ABGB der Genehmigung des Gerichts bedarf (vgl für die Verlassenschaftskuratel: 1 Ob 245/12d; 6 Ob 204/14i; 2 Ob 45/15d; RS0129074).
4. Nach der von den Vorinstanzen geprüften Bestimmung des § 223 ABGB darf ein unbewegliches Gut nur im Notfall oder zum offenbaren Vorteil des Kindes veräußert werden. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass auch die Genehmigungsfähigkeit einer Dereliktion nach diesen Maßstäben zu prüfen ist.
4.1 Die Vorinstanzen haben – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum Verlassenschafskurator – die Genehmigung der Dereliktion unter Hinweis auf § 223 ABGB verweigert und einen „offenbaren Vorteil“ der Kurandin verneint.
4.2 Zum unmittelbaren Anwendungsbereich dieser Bestimmung (Vermögensverwaltung eines Kindes) vertritt die Judikatur, dass im Allgemeinen ein äußerst strenger Maßstab angelegt werden muss, um das unbewegliche Vermögen des Mündels seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung wegen zu erhalten (RS0081747).
4.3 Für die Verlassenschaftskuratel ist anerkannt, dass bei der Genehmigung der Veräußerung von unbeweglichen Sachen nach § 281 Abs 3 iVm § 258 Abs 3 ABGB die Bestimmungen der §§ 215 bis 224 ABGB sinngemäß anzuwenden sind. Demnach darf ein unbewegliches Gut nur im Notfall oder zum offenbaren Vorteil des Pflegebefohlenen veräußert werden (2 Ob 45/15d). Dabei wird an die bei Punkt 4.2 referierte Rechtsprechung angeknüpft und hervorgehoben, dass der Kurator materiell diejenigen vertritt, die sich letztlich als wahre Erben herausstellen werden (1 Ob 245/12d; RS0007737 [T2]).
4.4 Bei der Frage der erforderlichen gerichtlichen Genehmigung von Handlungen eines Vertreters ist primär auf die Situation des Vertretenen und dessen Interessen abzustellen. Gegenständlich ist hervorzuheben, dass es nur zu einer sinngemäßen Anwendung des § 223 ABGB kommt (§ 281 Abs 3 iVm § 258 Abs 3 ABGB). Dabei ist zu beachten, dass sich die Interessenslage bei der Kurandin im gegenständlichen Verfahren von jener eines minderjährigen Kindes oder einer Verlassenschaft unterscheidet.
4.4.1 Bei der Vermögensverwaltung eines Kindes oder einer Verlassenschaft geht es primär darum, das unbewegliche Vermögen nach Möglichkeit zu erhalten, damit das Kind oder die Erben später (also nach Volljährigkeit bzw Antritt der Erbschaft) darüber verfügen können. Deshalb soll der (bis zur Volljährigkeit bzw zum Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens agierende) Vertreter einer zukünftigen Vermögenssituation nach Möglichkeit nicht vorgreifen.
4.4.2 Das entspricht aber nicht der hier vom Rechtsmittel behaupteten (aber auf der Tatsachenebene noch nicht geklärten) Situation, dass der Kurator eine aufgrund eines Insolvenzverfahrens bereits aufgelöste, im Firmenbuch gelöschte und vermögenslose Gesellschaft in Liquidation vertritt. Deren Vollbeendigung tritt ein, wenn kein verwert- und verteilbares Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist bzw aufgrund der Vermögenslosigkeit kein Abwicklungsbedarf mehr gegeben ist (RIS‑Justiz RS0050186 [T6]). Die zur Vermögensverwaltung bei einem Kind oder einer Verlassenschaft entwickelten Grundsätze sind aber schon wegen der fehlenden Zukunftsperspektive bei einer solchen vermögenslosen Gesellschaft in Liquidation nicht 1 : 1 zu übertragen, weshalb hier von einem weniger strengen Maßstab auszugehen ist.
4.4.3 Die Voraussetzungen des § 223 ABGB können bei einer vermögenslosen Kurandin auch mit Blick auf die bestehenden Verkehrssicherungspflichten erfüllt sein. Das kann insbesondere eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht als Liegenschaftseigentümerin oder auch Maßnahmen zur Vorbeugung einer Haftung nach § 1319a ABGB bzw § 93 StVO betreffen, wobei auch die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen erforderlich sein kann.
Der in § 223 ABGB postulierte Vorteil des Pflegebefohlenen wäre auch dadurch gegeben, dass die Kurandin ihr (wertloses und zugleich auch sie belastendes) Eigentum aufgeben kann und damit von ihren Verkehrssicherungs- und Erhaltungspflichten befreit wird, denen sie mangels verfügbarer Mittel ohnedies nicht nachkommen kann. Vergleiche auch die jüngst im Bereich einer Erwachsenenschutzsache ergangene Entscheidung 4 Ob 232/19z, wonach die Bejahung der Voraussetzungen des § 223 ABGB gebilligt wurde, weil die betroffene Person durch die Veräußerung eines baufälligen Hauses von den für sie unwirtschaftlichen Kosten der Sanierung oder Erhaltung befreit wurde.
5. Das verbleibende Vermögen der Kurandin besteht aus den Liegenschaften, allenfalls auch aus „unzähligen Dienstbarkeiten und Vorkaufsrechten“. Ob damit tatsächlich eine Vermögenslosigkeit vorliegt und insbesondere die Liegenschaften wertlos und (auch zukünftig) nicht veräußerbar sind, kann derzeit aber nicht abschließend beurteilt werden. Das Erstgericht hat dazu nämlich keine konkreten Feststellungen getroffen, sondern sich im Wesentlichen mit dem bloßen Referat von Beweisergebnissen begnügt, ohne daraus auf Tatsachenebene die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Weder das angeführte fehlende Interesse der Nachbarn und der Gemeinde an der Liegenschaft noch die negative Einschätzung durch drei Immobilienmakler und den früheren Masseverwalter reichen aus, um das Bestehen der im Rechtsmittel behaupteten Vermögenslosigkeit den Kurandin ua wegen der Unverkäuflichkeit der Liegenschaften abschließend beurteilen zu können.
6. Die Genehmigungsfähigkeit der Dereliktion hängt somit davon ab, ob noch verwertbares Vermögen der Kurandin vorhanden ist. Ist das zu bejahen, wäre einer Dereliktion als ultima ratio die Genehmigung zu versagen und vom Kurator allenfalls eine anderweitige Veräußerung zu prüfen. Liegt hingegen kein verwertbares Vermögen der Kurandin vor, wäre die Genehmigung zu erteilen. Dass eine solche Dereliktion die Vollbeendigung der Kurandin zur Folge hat, ergibt sich zwingend aus der zu 4.4.2 referierten Rechtslage, spricht deshalb aber nicht gegen die Genehmigung. Die bestmögliche Wahrung der Interessen der vertretenen Person (§ 281 Abs 1 ABGB) verlangt nicht, dass eine vermögenslose Kurandin ewig weiterbestehen muss (vgl für die Verlassenschaftskuratel Krenn, Die überschuldete oder wertlose Liegenschaft im Nachlass – Wege zu deren Verwertung, RZ 2017, 36, der eine Dereliktion als ultima ratio anerkennt). Das Erstgericht wird daher die Tatsachengrundlage nach allfälliger Verfahrensergänzung entsprechend zu verbreitern und über den Antrag neuerlich zu entscheiden haben. Ob es dazu des im Rechtsmittel beantragten Beweises eines amtswegig einzuholenden Sachverständigengutachtens bedarf, ist nicht vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, zu entscheiden, sondern vom Erstgericht unter Bedachtnahme auf §§ 13 Abs 2 und 16 AußStrG.
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