OGH 4Ob16/20m

OGH4Ob16/20m22.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Rechtsschutzverband *****, vertreten durch Steinmayr & Pitner Rechtsanwälte GmbH in Pregarten, gegen den Beklagten ***** Parlamentsklub, *****, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, wegen 204 EUR sA, Unterlassung (Streitwert 18.796 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision des Klägers (Revisionsinteresse 19.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2019, GZ 2 R 101/19s‑12, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Mai 2019, GZ 57 Cg 35/18z‑6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00016.20M.0422.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten binnen 14 Tagen die mit 1.332,43 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Der klagende Verband nimmt die Rechte von Berufsfotografen wahr.

Der Beklagte ist der Parlamentsklub einer österreichischen Partei. Er ist Betreiber eines politischen Online-Magazins, das mit seinen Beiträgen die aktuelle Politik aus Sicht dieser Partei beleuchtet. In einem dieser Beiträge wurde unter dem Titel „Retuschieren wie [gegnerischer Politiker] – Message Control außer Kontrolle“ über folgenden Vorgang kritisch berichtet:

Eine andere politische Partei veröffentlichte auf ihrer Facebookseite zunächst das Foto zweier ihrer führenden Politiker beim Gespräch in einer Gaststube. Als Einrichtungsgegenstand im Hintergrund ist ein an der Wand hängendes Bild einer rauchenden Frau teilweise ersichtlich. Die politische Partei veränderte in weiterer Folge dieses Foto auf ihrer Facebookseite, indem sie mittels einer Retusche das Hintergrund-Bild „Raucherin“ gegen ein Foto einer grasenden Rinderherde vor einer Bergkulisse („Naturmotiv“) austauschte.

Der Beklagte illustrierte seinen redaktionellen Bericht hierüber, indem er das Politiker-Originalfoto (mit der „Raucherin“) dem retuschierten Foto mit dem Naturmotiv im Hintergrund gegenüberstellte. Auch führende Medien in Österreich berichteten über diesen Vorgang der Foto‑Retusche auf der Facebookseite der politischen Partei.

Der Hersteller und Inhaber der Leistungsschutzrechte am Foto mit dem Naturmotiv beauftragte den Kläger mit der treuhändigen Wahrnehmung der ihm daran gegenwärtig oder zukünftig zufallenden urheberrechtlichen Befugnisse gegen unbekannte Verletzer und räumte ihm die alleinigen Werknutzungsrechte ein.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines angemessenen Entgelts von 204 EUR, die Unterlassung der Veröffentlichung von Lichtbildwerken des konkreten Herstellers ohne Werknutzungsbewilligung und/oder ohne Herstellerbezeichnung, sowie die Urteilsveröffentlichung auf der vom Beklagten betriebenen Website.

Der Beklagte berief sich zur Rechtmäßigkeit seiner Berichterstattung ua auf das Zitatrecht des § 42f UrhG im Rahmen einer politischen Berichterstattung. Der Hersteller des Lichtbilds mit dem Naturmotiv sei ihm nicht bekannt und auch auf der Politikerfoto-Retusche nicht erkennbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungs- und Unterlassungsbegehren statt und wies das Veröffentlichungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren unter Bezugnahme auf die Entscheidung 4 Ob 53/19a zur Gänze ab, bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision zur Frage zulässig, ob die in 4 Ob 53/19a ausgesprochenen Grundsätze auch dann anzuwenden seien, wenn das Zitat die Rechtsspähre eines Dritten berühre, nämlich desjenigen Fotografen, dessen Foto der Hersteller des zitierten Lichtbilds bearbeitet und mitverwendet habe.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die – vom Beklagten beantwortete – Revision des Klägers. Sie zeigt aber keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfragen auf und ist daher nicht zulässig.

1.1. Gemäß § 42f Abs 1 UrhG darf ein veröffentlichtes Werk zum Zweck des Zitats vervielfältigt, verbreitet, durch Rundfunk gesendet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und zu öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen benutzt werden, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.

1.2. Für die Zulässigkeit der Veröffentlichung der Lichtbilder als Bildzitat ist Voraussetzung, dass das in den Berichten jeweils wiedergegebene Bild Zitat- und Belegfunktion hatte und nicht nur dazu diente, die Berichterstattung zu illustrieren, um so die Aufmerksamkeit der Leser auf den Bericht zu lenken (RIS‑Justiz RS0124069).

1.3. Sofern sich der Nutzer auf das Zitatrecht beruft, ist auch zu prüfen, ob die Verneinung der freien Werknutzung einem dringenden sozialen Bedürfnis im Sinne der Judikatur des EGMR zur Notwendigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft dient. Die bloße Befriedigung von Neugierde oder Sensationslust kann die freie Werknutzung nicht rechtfertigen. Zu fragen ist auch immer, ob der Zitatzweck nicht auch anders gleichermaßen erreicht werden hätte können, zB durch Einholung einer Zustimmung des Rechteinhabers zur Übernahme des Schutzgegenstands oder durch dessen Darstellung mit eigenen Worten (4 Ob 53/19a mwN).

1.4. Dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch kann das durch Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen. Ob dies der Fall ist, ist durch eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung zu beurteilen (RS0115377).

1.5. Selbst einem legitimen Zweck dienende Zitate dürfen den gebotenen Umfang nicht überschreiten, weil das Recht des Urhebers nicht stärker beeinträchtigt werden darf, als es die Ausübung der im Interesse der geistigen Kommunikation eingeräumten Zitierfreiheit erfordert. Insbesondere darf die Zitierfreiheit nicht dazu führen, dass der wirtschaftliche Wert des zitierten Werks in einer ins Gewicht fallenden Weise ausgehöhlt wird (RS0076733 [T1]). Dabei kommt es auf eine Abwägung der Interessen an, wobei das Urheberrecht im Einzelfall gegenüber dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) zurückzutreten hat (RS0115377 [T4]).

2.1. Der Senat hat sich kürzlich in der Entscheidung 4 Ob 53/19a, Maria J., ausführlich mit dem Zitatrecht nach § 42f UrhG auseinandergesetzt. Dort ging es um das Lichtbild einer Radfahrerin in einem Zeitungsbericht, der die Höhe ihrer Bestrafung wegen eines als nur harmlos bezeichneten Verkehrsdelikts kritisierte. Dieses Lichtbild verwendete ein Konkurrenzmedium als Bildzitat dafür, eine Verletzung des journalistischen Transparenzgebots aufzuzeigen, weil es sich bei der abgebildeten Radfahrerin um die Chefredakteurin der kritisierten Zeitung handelte. Die Entscheidung führte aus, der illustrierte Artikel der Beklagten falle in den Schutzbereich des Art 10 EMRK, das Lichtbild erfülle Zitat- und Belegfunktion. Kern der Kritik der Beklagten war die fehlende Offenlegung des Umstands, dass die von der Polizei bestrafte Radfahrerin Chefredakteurin der Klägerin war; das Bild belegte dies. Eine Beschreibung mit Worten konnte diesem Zweck nicht im selben Ausmaß gerecht werden. Die Interessenabwägung schlug daher zugunsten der Beklagten aus. Die Berufung der Klägerin auf ihre Ausschließlichkeitsrechte verfolgte augenscheinlich nur den Zweck, eine kritische Berichterstattung über sie selbst zu verhindern.

2.2. Dieser Sachverhalt ist dem Anlassfall vergleichbar. Hier geht es um die Kritik eines politischen Mitbewerbers, der zwecks Optimierung der medialen Darstellung seiner Repräsentanten eine Foto-Retusche vornahm. Das Berufungsgericht ging vertretbar davon aus, dass auch hier dem veröffentlichten Lichtbild mit dem Naturmotiv Zitat- und Belegfunktion für die erfolgte Retusche zukam, hätte doch eine bloß verbale Beschreibung beim Vorwurf der Retusche nicht denselben Aussagewert gehabt wie die Gegenüberstellung von originalem und retuschiertem Lichtbild. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist auch insoweit vertretbar, als es eine Zustimmung zur Bildveröffentlichung ex ante als wenig wahrscheinlich angenommen hat, und zwar weder seitens des Herstellers der Politikerfoto-Retusche im Hinblick auf die an ihm beabsichtigte Kritik, noch seitens des Inhabers der Rechte am Natur-Originalfoto, da sein Werk entweder gegen seinen Willen zweckentfremdet wurde, sodass er kein Interesse an der Verfestigung des erweckten falschen Anscheins hätte, es befände sich in einer Wirtsstube, oder da er ohnehin der Verwendung für die Retusche zugestimmt hat und aus Rücksicht auf seinen Vertragspartner veranlasst wäre, die an diesem beabsichtigte Kritik zu unterbinden.

2.3. Dass der Artikel des Beklagten in den Schutzbereich des Art 10 EMRK fällt, wird auch vom Kläger nicht bestritten. Wenn das Berufungsgericht die Interessenabwägung zwischen Urheberrecht und freier Meinungsäußerung zugunsten letzterer, also zugunsten des Beklagten, vornahm, ist dies schon deswegen nicht zu beanstanden, weil der Kläger dem augenscheinlichen Interesse des Beklagten an der (bildunterstützten) Darlegung der „Message-Control“ des politischen Mitbewerbers, die auch Bildmanipulationen umfasst, kein überwiegendes eigenes Interesse entgegengehalten hat. Für die gebotene Interessenabwägung macht es auch keinen Unterschied, ob der Rechteinhaber selbst an der Foto-Retusche mitgewirkt hat oder nicht. Auch ist keineswegs offenkundig, dass mit der beanstandeten Veröffentlichung der wirtschaftliche Wert des zitierten Lichtbildwerks in einer ins Gewicht fallenden Weise ausgehöhlt werden könnte (vgl 4 Ob 53/19a).

3.1. Das Namensnennungsrecht des Lichtbildherstellers (§ 74 Abs 3 Satz 1 UrhG) ist untrennbar mit dessen ausschließlichem Verwertungsrecht nach § 74 Abs 1 UrhG verknüpft; eine Verletzung dieser persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse des Lichtbildherstellers zieht daher ua auch einen Unterlassungsanspruch nach sich (RS0077137).

3.2. Der gesetzliche Anspruch des Lichtbildherstellers nach § 74 Abs 3 Satz 1 UrhG setzt voraus, dass der Wunsch des Herstellers, auf allen Ausfertigungen seine Bezeichnung anzubringen, auf objektive Weise in enger Verbindung mit dem Lichtbild zum Ausdruck gebracht wird (RS0077143). Dass das Namensnennungsrecht von der Bezeichnung des Lichtbilds mit dem Namen des Herstellers abhängig gemacht wird, zeigt, dass der Gesetzgeber die Pflicht zur Namensnennung demjenigen auferlegen wollte, dem es bei normalem Lauf der Dinge möglich ist, bei einer Vervielfältigung vom Namen des Herstellers Kenntnis zu nehmen. Dabei werden Angaben in den Metadaten einer digitalen Bilddatei als ausreichend erachtet (RS0077155 [T2]).

3.3. Mögen auch im vorliegenden Fall die Angaben über den Hersteller in den Metadaten seines Originalfotos enthalten gewesen sein, so hat der klagende Verband aber nicht behauptet und bewiesen, dass dem Beklagten diese Original-Bilddatei mit den Metadaten zur Verfügung gestanden wäre. Daher ergibt sich daraus nicht, dass es dem Beklagten bei normalem Lauf der Dinge möglich gewesen wäre, vom Namen des Lichtbildherstellers und dessen Wunsch nach Nennung Kenntnis zu erlangen. Das Berufungsgericht hat daher auch zur Frage der Herstellerbezeichnung vertretbar eine Rechtsverletzung des Beklagten verneint.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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