OGH 13Os7/20h

OGH13Os7/20h26.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Schriftführers Dr. Schöll in der Strafsache gegen Robert U***** wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 13 U 351/18d des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über den auf den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 2. Mai 2019, AZ 132 Bl 18/19d (ON 23 der U-Akten), bezogenen Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens und über ihre gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Dezember 2019 (ON 30 der U‑Akten) zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00007.20H.0226.000

 

Spruch:

 

1. In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens verfügt, der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Mai 2019, AZ 132 Bl 18/19d (ON 23 der U‑Akten), aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. November 2018 (ON 19 der U‑Akten) an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

2. Der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Dezember 2019 (ON 30 der U‑Akten) verletzt §§ 270 Abs 3, 271 Abs 7 StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO.

 

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (ON 19) wurde Robert U***** jeweils eines Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB und der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach Verkündung des Urteils und erteilter Rechtsmittelbelehrung erklärte der – nicht durch einen Verteidiger vertretene (vgl § 57 Abs 2 dritter Satz StPO; Fabrizy, StPO13 § 57 Rz 10) – Angeklagte zunächst, auf Rechtsmittel zu verzichten (ON 18 S 5).

Mit am 27. November 2018 zur Post gegebener Eingabe (ON 20) meldete der Angeklagte jedoch „Vollberufung“ gegen das Urteil an.

Die am 22. Februar 2019 – innerhalb der Frist des § 467 Abs 1 StPO (vgl Zustellnachweis an ON 19) – ausgeführte Berufung des Robert U***** (ON 21) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht mit Beschluss vom 2. Mai 2019, AZ 132 Bl 18/19d (ON 23), gemäß § 470 Z 1 StPO als unzulässig zurück, weil die am 27. November 2018 zur Post gegebene Rechtsmittelanmeldung gegen das am 23. November 2018 verkündete Urteil verspätet gewesen sei.

Im Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist als Tag der Hauptverhandlung „23. 11. 2018“ angeführt (ON 18 S 1). Im „Kopf“ der Urteilsurschrift ist als Tag der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung (§ 270 Abs 2 Z 3 StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO) ebenfalls (jeweils) der 23. November 2018 festgehalten (ON 19 S 1).

Demgegenüber ist als Datum des Urteils auf der letzten Seite der Urteilsurschrift der 27. November 2018 angeführt (ON 19 S 5).

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Dezember 2019 (ON 30) wurden sowohl das Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 18) als auch die Urteilsurschrift (ON 19) in Ansehung des „Verhandlungsdatum[s]“ von „23. 11. 2018“ auf „27. 11. 2018“ berichtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrem Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens zutreffend darlegt, bestehen gegen die Richtigkeit der dem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 2. Mai 2019, AZ 132 Bl 18/19d (ON 23), zugrunde gelegten Tatsache, das erstinstanzliche Urteil sei am 23. November 2018 verkündet worden, erhebliche Bedenken:

Die Verfügung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 1. November 2018 auf Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung am 27. November 2018 (ON 1 [unjournalisiert] S 6), das auf der letzten Seite der Urteilsurschrift angeführte Urteilsdatum „27. November 2018“ (ON 19 S 5), die im Verfahrensakt enthaltene (unjournalisierte) Äußerung der Staatsanwaltschaft Wien vom 15. November 2019, AZ 126 BAZ 822/11s, sowie der Berichtigungsbeschluss vom 4. Dezember 2019 (ON 30) legen qualifiziert nahe, dass das Urteil am 27. November 2018 verkündet wurde.

Der Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 6 Z 1 StPO) des Landesgerichts für Strafsachen Wien jedoch ging – angesichts des Akteninhalts (vgl ON 18 S 1, ON 19 S 1) nicht vorwerfbar – von einer Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 23. November 2018 aus und legte diese Annahme seinem (auf Basis dessen rechtsrichtigen) Beschluss zugrunde, die Berufung wegen verspäteter Anmeldung zurückzuweisen. Damit erging eine letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen wäre. Da die so entstandene Benachteiligung des Verurteilten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war dies – in Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur – durch die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren (RIS‑Justiz RS0117416, RS0117312 [T3]; Ratz, WK‑StPO § 362 Rz 4).

Ebenso zutreffend führt die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aus, dass der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Dezember 2019 (ON 30) in zweierlei Hinsicht das Gesetz verletzt:

Die Ausfertigung der Urteilsurschrift mit unrichtigem Datum bewirkt ein – nicht die im § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffendes – Formgebrechen, das (hier) der Richter des Bezirksgerichts allenfalls nach Anhörung der Beteiligten zu berichtigen hat (§ 270 Abs 3 erster Satz StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0123475).

Die unrichtige Angabe des Tags der Hauptverhandlung im darüber aufgenommenen Protokoll betrifft einen erheblichen Umstand, den (hier) der Richter des Bezirksgerichts (auch) von sich aus zu berichtigen hat(§ 271 Abs 7 zweiter Satz StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0120683 [T4a]). Vor einer (in Aussicht genommenen) Berichtigung muss er den Parteien allerdings die Gelegenheit geben, hierzu binnen angemessener Frist Stellung zu nehmen (§ 271 Abs 7 vierter Satz StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0123476; Danek, WK‑StPO § 271 Rz 49), was im Gegenstand unterblieb.

Eine Berichtigung des Urteils oder des Protokolls über die Hauptverhandlung ist überdies nur solange zulässig, als nicht das Rechtsmittelgericht auf Basis des fehlerhaften Protokolls oder der unrichtigen Urteilsausfertigung entschieden hat (RIS‑Justiz RS0096673, RS0098979 [T4]; vgl auch RS0098973; Danek, WK‑StPO § 270 Rz 51, § 271 Rz 42, 53), was vorliegend ebenfalls missachtet wurde.

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).

Hinzugefügt sei, dass – im Fall der Rechtskraft des der Staatsanwaltschaft bislang nicht zugestellten Berichtigungsbeschlusses (vgl Hinterlegungsmitteilung an ON 30) – das berichtigte Urteil (§ 270 Abs 3 letzter Satz StPO) dem Angeklagten neuerlich zuzustellen sein wird, wodurch die Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels (§ 467 Abs 1 StPO) nochmals ausgelöst werden wird (§ 271 Abs 7 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0123477; Danek, WK‑StPO § 270 Rz 52, § 271 Rz 55; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 2).

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