European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127435
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) des Rekursverfahrens sowie die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die (hier) Beklagte begehrte im Verfahren 3 C 43/14s des Bezirksgerichts Eferding (künftig: Vorverfahren) mit Klage vom 3. 11. 2014 die Ehescheidung aus dem Verschulden des (hier) Klägers. Dieser beantragte die Klageabweisung, hilfsweise den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Ehegattin an der Zerrüttung. Er warf dieser eine Reihe von Eheverfehlungen, im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Haushaltsführung und ihrer finanziellen Gebarung, vor.
Mit Urteil vom 24. 4. 2015 schied das Bezirksgericht Eferding die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des (hier) Klägers.
Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Landesgericht Linz als Berufungsgericht mit Urteil vom 20. 1. 2016 nicht Folge. Die außerordentliche Revision des Klägers wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 14. 6. 2016 zurückgewiesen (3 Ob 65/16d).
Am 22. 5. 2015, innerhalb der Berufungsfrist des Vorprozesses, brachte der Kläger beim Bezirksgericht Eferding die hier gegenständliche, auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage gegen die Beklagte ein. Er bringt vor, er habe der Beklagten im Vorverfahren aus Gründen des Anstands zahlreiche Eheverfehlungen nicht vorgeworfen. Sie habe mehrfach – im Einzelnen dargestellt – die Ehe gebrochen sowie weitere Eheverfehlungen begangen. Darüber hinaus halte er die im Vorprozess erhobenen Vorwürfe aufrecht. Die Ehebrüche seien dem Kläger – mit zwei Ausnahmen – nach der Trennung von der Beklagten, zum Großteil während des Scheidungsverfahrens vor dem Bezirksgericht Eferding, bekannt geworden.
Das Bezirksgericht Eferding wies die Klage mit Beschluss vom 15. 6. 2015 a limine wegen Streitanhängigkeit zurück. Das Landesgericht Linz gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 26. 11. 2015 mangels Parteistellung der Beklagten im Vorprüfungsverfahren zurück (9 Ob 71/15d).
Nach Einbeziehung der Beklagten in das Prozessrechtsverhältnis bestritt diese das Klagevorbringen und brachte vor, das Verschulden der Streitteile sei bereits Gegenstand des Vorprozesses gewesen; die Klage sei unzulässig.
Nach Rechtskraft des Scheidungsausspruchs im Vorprozess stellte der Kläger das Klagebegehren um und begehrt nun die Abänderung des im Urteil des Bezirksgerichts Eferding vom 24. 4. 2015 enthaltenen Schuldausspruchs dahin, dass die Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten geschieden werde.
Das Verfahren wurde in der Folge dem Bezirksgericht Vöcklabruck zugewiesen und dort zu 48 C 23/17s geführt.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Streitanhängigkeit (gemeint: wegen entschiedener Rechtssache) zurück. Begründend führte es aus, dem im vorangegangenen Scheidungsverfahren Beklagten stehe die Ergänzungsklage nur dann zu, wenn er im Vorprozess keinen Mitverschuldensantrag gestellt habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs des Klägers Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.
Es erörterte rechtlich, für das österreichische Zivilverfahren werde der Grundsatz der Einheitlichkeit des Eheverfahrens verneint. Eine im vorangegangenen rechtskräftigen Urteil ausgesprochene Schuldigerklärung könne zwar nicht beseitigt, aber es könne das Mitverschulden des anderen Teils ausgesprochen oder das Verhältnis des Verschuldens beider Teile festgestellt werden. Die Rechtskraft der Ehescheidung schließe die Geltendmachung „weiterer“ Verschuldensgründe mit selbständiger Klage daher nicht aus. Wegen der Ablehnung der Einheitlichkeit des Eheverfahrens hindere der vom Kläger im Vorprozess erhobene Mitverschuldensantrag – entgegen 5 Ob 515/94 und 9 Ob 157/99z – nicht die Erhebung einer Ergänzungsklage.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei wegen eines möglichen Abgehens von den beiden genannten Entscheidungen zulässig.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen, hilfsweise, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auchberechtigt.
1.1. Der Grundsatz der „Einheitlichkeit des Eheverfahrens“, der darauf abzielt, den Bestand der Ehe, die Auflösungsgründe und deren Abwägung in einem möglichst umfassenden einmaligen und abschließenden Verfahren zu klären, ist in Österreich nur in sehr eingeschränktem Maß anerkannt (Plenargutachten des OGH vom 19. 12. 1952, Judikat Nr 57 neu, SZ 25/331; 1 Ob 520/90). Der Oberste Gerichtshof erkannte daher bereits im Judikat Nr 57 neu, dass – wiewohl eine rechtskräftig geschiedene Ehe nicht noch einmal geschieden werden kann – grundsätzlich kein Hindernis besteht, den Verschuldensausspruch zu ergänzen (SZ 25/331 S 867).
1.2. Ausgehend davon wurde in richterlicher Rechtsfortbildung mit Zustimmung der Lehre die Möglichkeit einer nachträglichen Ergänzung des Verschuldensausspruchs mit selbständiger Klage zum Zweck der Nachholung oder Korrektur eines Schuldausspruchs anerkannt, der mangels Ausschöpfung vorhandener prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten im Urteil des Vorprozesses nicht enthalten oder unvollständig geblieben ist (5 Ob 515/94; 7 Ob 77/99w; 9 Ob 157/99z; 7 Ob 186/18f; RS0044503 [T8]; vgl Jelinek, Die Wiederaufnahmsklage wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Eheprozeß, JBl 1968, 510 [514 f]; ders in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 530 ZPO Rz 34/2 f; Fasching, Lehrbuch² Rz 2365; Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 460 ZPO Rz 17; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht [2011] § 59 EheG Rz 4).
1.3. Die Ergänzungsklage betrifft Fälle, in denen es der Beklagte bei der im Vorprozess ausgesprochenen Ehescheidung belassen, das Urteil des Vorprozesses aber durch einen Verschuldensausspruch oder Mitverschuldensausspruch ergänzt haben will (5 Ob 51/70 JBl 1971, 574; 1 Ob 520/90; RS0044401).
1.4. Die Ergänzungsklage ist – in Abgrenzung zur Wiederaufnahmsklage gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO – zur Geltendmachung solcher Tatsachen und Beweismittel zu erheben, die dem Kläger im Vorprozess bereits bekannt und benützbar waren und mit denen er nun einen bisher unterbliebenen Schuld- oder Mitschuldausspruch bzw eine Änderung des Schuldausspruchs erreichen will (1 Ob 520/90; vgl RS0044401; Fasching, Zivilprozessgesetze IV [1971] 500; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 60 EheG Rz 6; Jelinek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 530 ZPO Rz 35 [Ergänzungsklage auch aufgrund von im Vorprozess unbekannten Tatsachen, wenn das Verschulden nicht Gegenstand des Prozesses war]).
2.1. Mittels Ergänzungsklage soll das aufgrund der Unterlassung eines (Mit‑)Verschuldensantrags durch den im Scheidungsprozess beklagten Ehegatten unvollständig gebliebene Scheidungsurteil ergänzt werden. Die Ergänzungsklage dient hingegen nicht dazu, dem Scheidungskläger einen zusätzlichen Rechtsschutzantrag zu gewähren, wenn er sich auf einen das Verschulden nicht voraussetzenden Scheidungsgrund gestützt hat (5 Ob 515/94; 9 Ob 157/99z).
2.2. Die sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der sich nicht auf einen Verschuldenstatbestand stützenden klagenden und der einen (Mit‑)Verschuldensantrag unterlassenden beklagten Partei des Scheidungsverfahrens, indem nur letzterer die Ergänzungsklage gewährt wird, liegt darin begründet, dass der beklagten Partei im Scheidungsprozess die volle Ausschöpfung ihrer prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten unzumutbar sein kann. Zu ihren Gunsten lässt sich ins Treffen führen, einen Verschuldens- oder Mitverschuldensantrag nur deshalb unterlassen zu haben, weil sie an der Ehe festhalten wollte und ihr primäres Prozessziel die Abweisung des Scheidungsbegehrens war. Die Geltendmachung von Eheverfehlungen des Prozessgegners, mit dem sie in der Ehe verbunden bleiben will, kann dabei den eigenen Interessen widersprechen und folglich unzumutbar sein (5 Ob 515/94; 9 Ob 157/99z).
2.3. Darüber hinaus steht das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit bzw der Rechtskraft des Scheidungsurteils einer Ergänzungsklage entgegen, wenn diese auf Tatsachen gestützt ist, die bereits im Scheidungsverfahren geltend gemacht wurden. Dies gilt auch für Verschuldensgründe, die von dem im Scheidungsverfahren beklagten Ehegatten zwar ohne Stellung eines (Mit-)Verschuldensantrags, aber in der Absicht, die sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens in Frage zu stellen, vorgebracht wurden: In einem solchen Fall kann er sich in der Ergänzungsklage nicht darauf stützen, dass die Geltendmachung von Eheverfehlungen des Prozessgegners seinen eigenen Interessen widersprochen hätte und demzufolge unzumutbar gewesen wäre (9 Ob 157/99z).
2.4. Die Rechtsprechung anerkennt damit ein besonderes Rechtsschutzinteresse des im Vorprozess beklagten Ehegatten, der zur Wahrung seiner eigenen Interessen am Fortbestand der Ehe im Scheidungsprozess von der Möglichkeit der Erhebung eines Verschuldens- oder Mitverschuldensantrags abgesehen hat. Diesem Rechtsschutzinteresse wird mit der Gewährung der Ergänzungsklage Rechnung getragen.
2.5. Diese Erwägungen kommen aber nicht zum Tragen, wenn die im Scheidungsprozess beklagte Partei zwar primär die Abweisung der Scheidungsklage beantragt, hilfsweise aber bereits einen Verschuldens- oder Mitverschuldensantrag stellt.
Mit einem derartigen Antrag gibt die beklagte Partei vielmehr klar zu erkennen, dass ihr Interesse an der Abweisung des Scheidungsbegehrens dem Vortrag solcher Eheverfehlungen des Scheidungsklägers, aufgrund derer sie selbst auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können (§ 60 Abs 3, § 61 Abs 2 EheG), nicht entgegensteht.
3.1. Für die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Stellung eines Verschuldens- oder Mitverschuldensantrags im Scheidungsprozess der Erhebung einer selbständigen Ergänzungsklage nicht entgegenstehe, findet sich in der Rechtsprechung kein Anhaltspunkt. Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr zu 5 Ob 515/94 und zu 9 Ob 157/99z ausdrücklich klargestellt, dass die – im Gesetz nicht vorgesehene, durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelte – selbständige Ergänzungsklage Ausnahmecharakter hat, daher nur restriktiv zu gewähren ist und nur der im Scheidungsprozess beklagten Partei zugute kommt, die von der Erhebung eines (Mit‑)Verschuldensantrags zugunsten der von ihr angestrebten Aufrechterhaltung der Ehe keinen Gebrauch gemacht hat.
3.2. Darüber hinaus wurde bereits ausgesprochen, dass die Ergänzungsklage nicht als taktisches Instrument des beklagten Ehegatten dient, um Verschuldensgründe auf Seiten des Scheidungsklägers je nach Belieben zunächst im Scheidungsverfahren einem „ersten Test“ zu unterziehen, um sie später in der Ergänzungsklage neuerlich aufzurollen (9 Ob 157/99z).
3.3. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass für die beiderseitige Verschuldensabwägung stets das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend ist (RS0057303 [T3]).
Der im Scheidungsprozess beklagte Ehegatte könnte die Gewichtung seiner im (Mit‑)Verschuldensantrag geltend gemachten Eheverfehlungen im Scheidungsprozess einer ersten Beurteilung unterziehen und im Fall eines für ihn ungünstigen Prozessausgangs das Gesamtgewicht der dem Scheidungskläger vorgeworfenen Eheverfehlungen durch das Vorbringen einzelner weiterer Verfehlungen gleichsam erhöhen. Damit könnte er im Zuge der gebotenen Gesamtabwägung auch eine Neugewichtung der bereits im Scheidungsprozess behandelten Vorwürfe erreichen. Den Einsatz der Ergänzungsklage als taktisches Instrument hat der Oberste Gerichtshof aber bereits ausdrücklich abgelehnt (9 Ob 157/99z).
4. Dem Kläger steht die Ergänzungsklage daher schon deshalb nicht zu, weil er im Vorprozess bereits einen Mitverschuldensantrag nach § 60 Abs 3 EheG gestellt hat. Das Erstgericht hat die Klage damit im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Revisionsrekurs ist im Sinn der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses berechtigt.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Über die im Revisionsrekurs der Beklagten verzeichneten Kosten für ihre Revisionsrekursbeantwortung vom 26. 2. 2018 hat der Oberste Gerichtshof bereits mit Beschluss vom 12. 11. 2018 entschieden und die Kostenersatzpflicht der Beklagten ausgesprochen (9 Ob 57/18z). Eine Äußerung vom 5. 3. 2018 sowie eine Rekursbeantwortung vom 13. 4. 2018 sind nicht aktenkundig.
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