Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, daß das Klagebegehren des Inhalts, das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. April 1987, GZ 18 Cg 506/86-9, werde in seinem Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe dahingehend ergänzt (in eventu abgeändert), daß die am 4. Juni 1980 vor dem Standesamt Haiming zu Fam. Buch Nr 13/80 geschlossene Ehe zwischen den Streitteilen aus dem überwiegenden Verschulden der beklagten Partei kostenpflichtig geschieden werde, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.406 S (darin 2.401 S Umsatzsteuer) und mit 9.261 S (darin 1.543,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 3.706,20 S (darin 617,70 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Verfahren 18 Cg 506/86 des Landesgerichtes Innsbruck (im folgenden Vorverfahren) wurde mit Urteil vom 23. April 1987 die zwischen den Streitteilen am 4. Juni 1980 geschlossene Ehe aus dem Verschulden des nunmehrigen Klägers und damals rechtsfreundlich nicht vertretenen Beklagten wegen Vernachlässigung seiner Gattin und ehewidriger Beziehungen zu einer anderen Frau geschieden. Dieses Urteil wurde den Parteien am 4. Mai 1987 zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Mit seiner am 29. Dezember 1987 beim Bezirksgericht Schwaz eingebrachten, von diesem gemäß § 230 a ZPO dem Erstgericht überwiesenen, ausdrücklich als "Ergänzungsklage" bezeichneten Klage strebt der Kläger eine Ergänzung, in eventu eine Änderung des Verschuldensausspruches des genannten Scheidungsurteiles dahingehend an, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten geschieden werde. Dazu trägt er im wesentlichen vor, daß auch die Beklagte schwerwiegende Eheverfehlungen, nämlich Ehebruch und ehewidrige Beziehungen zu Wolfgang B***, Verweigerung des Geschlechtsverkehrs schon lange vor Einbringung der Scheidungsklage und Gefühlskälte gegenüber dem Kläger, welche zur Zerrüttung der Ehe geführt hätten, gesetzt habe. Die Beklagte treffe das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe.
Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, die Klage sei verspätet erhoben worden, weil eine Ergänzungsklage als Wiederaufnahmsklage anzusehen und damit die vierwöchige Klagsfrist des § 534 Abs 1 ZPO ebenso bereits abgelaufen sei wie die sechsmonatige Klagsfrist (gemeint: des § 57 EheG). Der Kläger hebe bereits vor der Scheidung die nunmehr geltendgemachten Eheverfehlungen behauptet. Inhaltlich bestritt die Beklagte die behaupteten Eheverfehlungen.
Das Erstgericht änderte mit seinem Urteil den Ausspruch über das Verschulden dahin ab, daß die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile geschieden werde. Nach seinen wesentlichen Feststellungen habe spätestens im Sommer 1986 der erste Geschlechtsverkehr zwischen der Beklagten und Wolfgang B*** stattgefunden. Der Kläger habe den ernsten Verdacht, daß seine Gattin während aufrechter Ehe nach der Versöhnung vom August 1985 mehrmals mit Wolfgang B*** geschlechtlich verkehrt habe, erst gehegt, als ihm der Vater der Beklagten nach Rechtskraft der Scheidung im Frühherbst 1987 erzählt habe, wie sich B*** im Haus Wiesing Nr 400 e nunmehr aufführe. Dieser sei nun endgültig ins Haus gezogen und habe ihm auf seinen Vorhalt, wieso er damit nicht wenigstens das Vermögensaufteilungsverfahren abwarten könne, erwidert, er komme nun seit über zwei Jahren bei Nacht und Nebel und müsse vor Morgengrauen aus dem Haus sein.
Der Erstrichter bejahte die Zulässigkeit einer Ergänzungsklage und erachtete die Einhaltung der Fristen der Wiederaufnahmsklage für die Geltendmachung neu aufgefundener Beweismittel nicht als erforderlich. Der Ehebruch der Beklagten sei nicht verfristet oder präkludiert. Auch auf verjährte oder verziehene Eheverfehlungen könne ein Verschuldensantrag gestützt werden. Beide Ehegatten hätten sich bei aufrechter Ehe des Ehebruches schuldig gemacht. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie sich einander bereits gefühlsmäßig und geistig entfremdet. Wer an dieser Entfremdung Schuld getragen habe, könne nicht festgestellt werden. Jedenfalls habe nicht der Ehebruch des einen Gatten jenen des anderen ausgelöst. Der Kläger habe bis zum Schluß der Verhandlung im Vorverfahren keine Anhaltspunkte für einen Ehebruch der Beklagten besessen. Die Beklagte ihrerseits habe vom Ehebruch des Klägers erst während des Vorverfahrens Kenntnis erhalten. Ein Verzicht des Klägers auf die Geltendmachung eines (Mit-)Verschuldens der Beklagten liege nicht vor. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Teile nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und teilte die Rechtsansicht des Erstrichters.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist im Ergebnis berechtigt. Aus der Überlegung, daß eine Ehe grundsätzlich nur einmal aufgelöst werden kann, daß der Bestand der Ehe, Auflösungsgründe und deren Abwägung im engsten kausalen und juristischen Konnex stehen; und daß schon wegen der weitreichenden Ehefolgewirkungen sich ein möglichst umfassendes, einmaliges und abschließendes Verfahren empfiehlt, wurde vor allem in der deutschen Lehre und Rechtsprechung der Grundsatz der "Einheitlichkeit des Eheverfahrens" entwickelt. Durch die teilweise Übernahme deutscher Verfahrensvorschriften in das österr. Eheverfahren wurde dieser Grundsatz auch in Österreich erörtert und vorerst verschieden interpretiert. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof im Gutachten des Plenarsenates vom 19. Dezember 1952 Jud 57 neu (= SZ 25/331 = EvBl 1953/32 = EFSlg 2603) dazu Stellung genommen und ihn in sehr eingeschränktem Maß anerkannt. Die Einheitlichkeit des Eheverfahrens finde ihre Grenzen im Grundsatz der Teilrechtskraft und bringe auch keine Erweiterung der Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft. Sie hindere daher nicht die nachträgliche, aber iS der §§ 57 und 59 EheG fristgerechte Geltendmachung weiterer Verschuldensgründe nach bereits erfolgter Ehescheidung mit selbständiger Klage ("Ergänzungsklage") zur Ergänzung des Urteiles durch einen bisher nicht vorhandenen oder - wie hier - nur den Kläger betreffenden Schuldausspruch bezüglich der Beklagten (EF 48.801; Fasching IV 500 und Lehrbuch2 Rz 2365; Jelinek, Die Wiederaufnahmsklage wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Eheprozeß in JBl 1968, 510 ff, 555 ff, 514 f). Die zwar nicht im Gesetz selbst verankerte, sondern als Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung entstandene, sogenannte Ergänzungsklage (Jelinek aaO, 514 bezeichnet sie als "Schuldausspruchsänderungsklage") betrifft somit Fälle, in denen es der Kläger bei der im Vorprozeß ausgesprochenen Ehescheidung belassen, das Urteil des Vorprozesses aber durch einen Verschuldens- oder Mitverschuldensausspruch ergänzt haben will (JBl 1971, 574 = EvBl 1970/276; Fasching IV 500). An dieser beschränkten "Einheitlichkeit des Eheverfahrens" wurde auch durch das Inkrafttreten der neugefaßten §§ 460, 483 a ZPO für die nach dem 1. Jänner 1984 anhängig gemachten Eheverfahren nichts geändert (Fasching, Lehrbuch2 Rz 2365).
Zwischen der nach §§ 57, 59 EheG fristgebundenen Ergänzungsklage und der nach § 534 Abs 1 und 2 ZPO fristgebundenen Wiederaufnahmsklage ist zu unterscheiden. Werden Tatsachen geltend gemacht, die vor Schluß der mündlichen Verhandlung entstanden sind, und Beweismittel, die zum Nachweis solcher Tatsachen dienen, dann ist Wiederaufnahmsklage gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zu erheben, soferne diese Tatsachen und Beweismittel dem Wiederaufnahmskläger im Vorprozeß nicht bekannt oder nicht benützbar waren. Auf Grund von Tatsachen und Beweismitteln, die dem Kläger im Vorprozeß bereits bekannt waren und mit denen er nun einen bisher unterbliebenen Schuld- oder Mitschuldausspruch bzw eine Änderung des Schuldausspruchs erreichen will, ist dagegen Ergänzungsklage zu erheben. Die Ergänzungsklage hat somit zur Voraussetzung, daß die Tatsachen, auf die sie gestützt wird, jedenfalls vor Schluß der mündlichen Verhandlung der Hauptklage entstanden und dem Ergänzungskläger auch vor diesem Zeitpunkt bekanntgeworden sind (EF 48.801; Fasching IV 500 und Lehrbuch2 Rz 2079; Jelinek aaO, 514 f).
Im vorliegenden Fall sind die neuen Tatsachen, nämlich der Ehebruch der Beklagten, dem Kläger nach seinem Vorbringen erst nach der rechtskräftigen Beendigung des Vorverfahrens bekannt geworden. Weiters steht fest, daß der Kläger den ernsten Verdacht, die Beklagte habe während aufrechter Ehe nach der Versöhnung vom August 1985 mehrmals mit Wolfgang B*** geschlechtlich verkehrt, erst nach einem Gespräch mit dem Vater der Beklagten nach Rechtskraft der Scheidung im Frühherbst 1987 hegte. Der Ehebruch der Beklagten ereignete sich zwar "spätestens im Sommer 1986", wurde dem Kläger aber erst nach Rechtskraft der Scheidung bekannt. Noch im Berufungsverfahren ging der Kläger selbst davon aus, erst im Frühherbst 1987 Verdacht geschöpft zu haben (AS 146 f). Der Kläger hat zwar in der Klage noch vorgetragen, die Beklagte habe ihm lange Zeit vor Einbringung der Scheidungsklage den Geschlechtsverkehr verweigert, weil sie infolge ihrer Beziehung zu Wolfgang B*** keinerlei Interesse an ihm gehabt hätte, doch steht dies ebensowenig fest wie die weitere Behauptung, diese völlige Gefühlskälte der Beklagten gegenüber dem Kläger habe zur Zerrüttung der Ehe geführt. Dem Kläger wäre daher für den allein festgestellten Ehebruch der Beklagten während aufrechter Ehe nur die auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage offen gestanden, doch war für eine solche Klage die Notfrist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO (hier iVm §§ 230 a, 232 Abs 1 Satz 2 ZPO) im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 29. Dezember 1987 bereits abgelaufen. Diese Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Partei die ihr bekanntgewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen imstande war. Dies war beim Kläger im Frühherbst 1987 der Fall.
Der Revision ist daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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