OGH 10ObS162/19z

OGH10ObS162/19z17.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. September 2019, GZ 12 Rs 82/19v‑20, womit das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. Juni 2019, GZ 17 Cgs 302/18t‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00162.19Z.1217.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1975 geborene Kläger übt den Beruf eines Großhandelskaufmanns aus. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr F***** nahm er am 7. 7. 2018 an einem Staffellauf im Rahmen des Oberösterreichischen Landes-Feuerwehrleistungswettbewerbs teil. Bei diesem Wettbewerb werden Einsatzbedingungen simuliert und trainiert. Als der Kläger im Rahmen des Staffellaufs in Feuerwehrausrüstung sprintete, spürte er plötzlich einen Stich im Bereich der linken Ferse. Durch die aufgetretene Überlastung war die linke Achillessehne gerissen, wodurch er zu Sturz kam. Am 13. 7. 2018 wurde die Achillessehne operativ genäht und ein Gips angelegt. Anschließend an den bis 6. 1. 2019 dauernden Krankenstand bestand für vier Monate eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 %, danach lag die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 20 %. Dass die Sehnen des Klägers über das altersgemäße Maß hinaus degeneriert waren, steht nicht fest. Weder der Operationsbefund noch die Krankengeschichte ergeben irgendeinen konkreten Hinweis auf eine – über die altersgemäße hinausgehende – wesentliche Degeneration. Es ist unwahrscheinlich, dass der Riss durch im Alltag vorkommende Belastungen innerhalb etwa eines Jahres auch ausgelöst worden wäre.

Mit Bescheid vom 7. 11. 2018 lehnte die beklagte Partei die Anerkennung des Ereignisses vom 7. 7. 2018 als Arbeitsunfall ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe. Als Unfallereignis gelte nur ein plötzlich auftretendes bzw zeitlich eng begrenztes Ereignis, das von außen schädigend auf den Körper einwirke, oder eine außergewöhnliche Belastung. Diese Voraussetzungen träfen nicht zu, weil der Achillessehnenriss auf das bloße Laufen und nicht auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen sei. Ein Unfall im Sinne des Gesetzes liege nicht vor.

Das Erstgericht gab der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage statt und verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. 7. 2018 (Riss der linken Achillessehne), eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % für die Zeit von 7. 1. 2019 bis 6. 5. 2019 zu leisten. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG erfüllt seien. Der im ASVG nicht näher definierte Unfallbegriff umfasse nicht nur äußere Ereignisse. Entscheidend sei vielmehr, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Ereignis handle, was auf einen Sprint über eine kurze Strecke zutreffe. Selbst wenn zur Unfallfolge eine gewisse Degeneration beigetragen haben sollte (was nicht feststehe), sei auf die (weiters getroffene) Feststellung zu verweisen, nach der es unwahrscheinlich sei, dass beim Kläger durch im Alltag vorkommende Belastungen innerhalb eines Jahres der Sehnenriss ausgelöst worden wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und ließ die Revision mit der Begründung zu, es erscheine eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten, „ob die Frage der außergewöhnlichen Belastung als Voraussetzung für einen Arbeitsunfall individuell – also im Verhältnis zur ausgeübten Erwerbstätigkeit bzw den allgemeinen Verhältnissen des Versicherten – oder abstrakt zu prüfen sei“.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Zum Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung

1.1 Gemäß § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, die sich im örtlichen, zeitlichen und im ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Den Arbeitsunfällen sind Unfälle gleichgestellt, die sich „in Ausübung der den Mitgliedern von freiwilligen Feuerwehren (Feuerwehrverbänden) ... im Rahmen der Ausbildung, der Übungen und des Einsatzfalles obliegenden Pflichten“ ereignen (§ 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG).

1.2 Dass der Kläger als Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr und Teilnehmer an einem Berufswettbewerb (dem Landes-Feuerwehrleistungs-wettbewerb) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht und der im Rahmen dieses Wettbewerbs stattfindende Staffellauf eine versicherte Tätigkeit darstellt, wird im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt.

2. Zum Begriff des „Unfalls“

2.1 Der Unfallbegriff ist im ASVG nicht definiert Von der Rechtsprechung wird der Unfall für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung dahin umschrieben, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Ereignis – eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung – handelt, das zu einer Körperschädigung (oder zum Tod) geführt hat (RS0084348). Dabei handelt es sich nur um eine beispielsweise Aufzählung (10 ObS 131/90 SSV‑NF 4/85).

2.2 Eines äußerlich sichtbaren Geschehens oder Vorgangs bedarf es nicht. Die äußere Einwirkung kann auch darin bestehen, dass durch aus dem Schutzbereich der Unfallversicherung stammende Einflüsse eine krankhafte Störung im Körperinneren hervorgerufen wird. Zur Annahme eines „Unfalls“ genügt daher auch, dass durch eine außergewöhnliche Kraftanstrengung (Überanstrengung) ein Vorgang im Körperinneren ausgelöst wird, der die gesundheitliche Schädigung bewirkt (10 ObS 67/11t SSV‑NF 25/81 = DRdA 2012/25, 349 [Müller]; Müller, EAnm zu 10 ObS 325/74k, DRdA 1998/35, 333 [336]).

2.3 Diesen Begriff des „Unfalls“ erfüllt auch der beim Sprinten infolge (körperlicher) Überanstrengung aufgetretene Achillessehnenriss. Davon, dass ein spontaner Achillessehnenriss grundsätzlich ein Arbeitsunfall sein kann, ist der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 83/95 (SSV‑NF 9/57 = DRdA 1996/20, 232 [M. Ritzberger‑Moser] = ZAS 1997/3, 22 [Pfeil]) ausgegangen (Achillessehnenriss im Zuge des Anschiebens eines PKWs im Moment der größten Anstrengung).

2.4 Für dem Unfallbegriff ist nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliegt. Nach der neueren Rechtsprechung kann auch ein zur gewöhnlichen (gestützten) Tätigkeit gehörendes Ereignis ein Unfall sein, sofern es nur zeitlich begrenzt ist (RS0084089).

2.5 Nach den Feststellungen werden im Rahmen des Feuerwehrleistungswettbewerbs Einsatzbedingungen simuliert und trainiert. Daraus ergibt sich, dass das zum Wettbewerb gehörende kurzfristige Laufen in Feuerwehrausrüstung („Sprint“) für ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr keine ungewöhnliche Tätigkeit darstellt. Dieser Umstand steht der Bejahung eines Unfallereignisses nicht entgegen, weil kein Grund besteht, Ereignisse, die bei der gewöhnlichen (geschützten) Tätigkeit des Versicherten vorkommen, allein aus diesem Grund vom Schutz der Unfallversicherung auszunehmen (10 ObS 131/90 SSV‑NF 4/85).

2.6 Das Ereignis muss sich aber zumindest insoweit auch vom üblichen Arbeitsvorgang abheben (also „außergewöhnlich“ sein), dass es von diesem unterscheidbar bleibt. Andernfalls wäre es weder möglich, diesen oder einen anderen Arbeitsvorgang dem Unfallgeschehen zuzuordnen, noch hätte man einen Maßstab für die zeitliche Begrenzung zur Verfügung (Müller, EAnm zu 10 ObS 325/97k, DRdA 1998/35, 333 [336]). Beispielsweise gilt ein Herzinfarkt infolge Dauerstress nicht als Unfall, wohl aber ein Herzinfarkt im Zusammenhang mit einer außergewöhnlichen Belastung (RS0084348 [T2]).

2.7 Auch die Voraussetzung der Unterscheidbarkeit von anderen Vorgängen ist im vorliegenden Fall erfüllt, weil der spontane Achillessehnenriss während des zeitlich begrenzten Ereignisses des Staffellaufs („Sprints“) eingetreten ist. Den Feststellungen ist weiters zu entnehmen, dass für den Kläger nach dessen Verhältnissen das Sprinten in Feuerwehrausrüstung im Rahmen des Staffellaufs unter Wettbewerbsbedingungen zu einer (körperlichen) Überlastung führte, die (alleinige) Ursache für den Achillessehnenriss war.

2.8 Die Ansicht der Vorinstanzen, dass ein Unfall im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung vorliegt, weicht demnach von der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht ab.

3. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO wird auch mit den weiteren Revisionsausführungen nicht aufgezeigt:

3.1 Nach den aufgrund eines medizinischen Gerichtssachverständigengutachtens getroffenen Fest-stellungen war beim Kläger eine über das altersgemäße hinausgehende wesentliche Degeneration der Achillessehne nicht gegeben; die körperliche Überlastung war alleinige Ursache für den Achillessehnenriss. Nur wenn eine krankhafte Veranlagung (etwa eine degenerative oder sonstige Vorschädigung der Achillessehne) und ein Unfallereignis bei Entstehung einer Körperschädigung zusammenwirken, sind beide Umstände Bedingungen für das Unfallgeschehen. In derartigen Fällen ist dafür, ob die Auswirkungen des Unfalls eine wesentliche Teilursache des eingetretenen Leidenszustands sind, entscheidend, ob dieser Zustand auch ohne den Unfall etwa zur gleichen Zeit eingetreten wäre oder durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis hätte ausgelöst werden können. Als alltäglich gelten Belastungen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben auftreten, wie etwa normales oder auch beschleunigtes Gehen, unter Umständen kurzes schnelles Laufen, Treppensteigen, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen (RS0084318 [T5]). Nur beim Zusammentreffen einer krankhaften Veranlagung bzw Vorschädigung und einem Unfallereignis ist also zu beurteilen, ob die äußere Einwirkung wesentliche Teilursache oder lediglich Gelegenheitsursache war (vgl RS0084318 [T6]).

3.2 Mit dem Vorbringen, bei dem Ereignis vom 7. 7. 2018 würde es sich um eine alltägliche Belastung („kurzes schnelles Laufen“) und daher nur um eine unwesentliche Teilursache bzw Gelegenheitsursache handeln, entfernt sich die Revisionswerberin vom im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt. Die diesem Vorbringen (offenbar) zugrunde liegende Annahme, dass Sehnenrisse im Allgemeinen nur bei Vorschäden vorkommen, ist für die Beurteilung des Einzelfalls regelmäßig unzureichend (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm [222. Lfg] Vor §§ 174–177 Rz 50).

4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 ASGG iVm den §§ 50, 40 ZPO. Der Kläger, der auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (RS0035979).

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