OGH 10ObS325/97k

OGH10ObS325/97k15.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien Klaudia R*****, mj. Sabrina R*****, und mj.Christian R*****, die beiden Letztgenannten vertreten durch Klaudia R*****, sämtliche in *****, diese im Revisionsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwen‑ und Waisenrente sowie Bestattungskosten, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 10.Juni 1997, GZ 11 Rs 61/97p‑29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits‑ und Sozialgerichtes vom 5.November 1996, GZ 24 Cgs 120/95h‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:010OBS00325.97K.1015.000

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der am 31.1.1966 geborene Andreas R***** ist der Ehegatte der Erstklägerin und Vater der beiden weiteren Kläger. Als bei der Firma Emil H***** GmbH in K***** beschäftigter Zimmererpolier überwachte er am 10.3.1995 den Aufbau eines Dachstuhles bei einem Bauernhaus, wobei er auch selbst Hand anlegen mußte. Da es sich um ein bewohntes Bauernhaus handelte, sollte der Auftrag am selben Tag erledigt werden. Derartige Baustellen, bei denen erhöhter Zeitdruck herrscht und auf denen Andreas R***** schon mehrfach als Polier tätig gewesen war, fallen im Jahr etwa vier bis fünfmal an. Eine erhöhte Belastung ergab sich auch daraus, daß die Holzelemente der Dachstuhlkonstruktion größer und schwerer waren als bei einem Einfamilienhaus und händisch auf der Decke transportiert werden müßten. Um ca 13.30 Uhr trug Andreas R***** gemeinsam mit einem Mitarbeiter einen ca 19 m langen Holztram mit einem Gewicht von ca 150 bis 200 kg auf der Decke des Bauernhauses und schlug ihn in die Dachstuhlkonstruktion ein. Üblicherweise werden Auslagen in diesem Ausmaß von vier Personen getragen. Beim Weggehen von diesem Arbeitsvorgang brach er bewußtlos zusammen, nachdem er kurz zuvor über stechende Schmerzen im Brustkorb geklagt, aber normal weitergearbeitet hatte. Andreas R***** verstarb noch an Ort und Stelle infolge eines sog. Sekundenherztodes. Er hatte bei seiner Firma als einer der fittesten Mitarbeiter gegolten und war in den letzten Wochen vor seinem Tod nie krank. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er herzgesund.

Der Unfalltag war ein schöner Vorfrühlingstag; es war den ganzen Tag über sonnig, die Sonnenstrahlung war für die Jahreszeit stark. Am frühen Nachmittag erreichte die Temperatur annähernd 10ø Celsius. Die Windverhältnisse waren normal, der Erdboden schneefrei.

Für den Tod des Andreas R***** war das Zusammentreffen folgender Umstände ausschlaggebend: Die außergewöhnliche körperliche Anstrengung (Aufheben des schweren Holztrams durch zwei anstelle von vier Personen), die zu einem Hebetrauma führte; die starke Sonneneinstrahlung auf der Decke des Bauernhauses, die das Empfinden eines für die Jahreszeit unnatürlich warmen Wetters hervorrief; weiters eventuell eine Streßsituation. Bei Eintritt eines dieser drei Umstände alleine bzw bei einer Tätigkeit oder Verrichtung des täglichen Lebens wäre bei Andreas R***** innerhalb des nächsten Jahres mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als durch das gegenständliche Ereignis ein Sekundenherztod eingetreten. Solche Todesfälle sind nicht selten und treten gerade bei jugendlichen Personen (der Verstorbene war im Zeitpunkt seines Todes gerade 29 Jahre alt) im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung auf. Eine Obduktion seines Leichnams erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 26.7.1995 sprach die beklagte Partei aus, daß das Ereignis vom 10.3.1995 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und wies die Ansprüche auf Teilersatz der Bestattungskosten, Witwenrente sowie Waisenrente ab.

Mit ihren Klagen stellen die drei Kläger, deren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, das Begehren auf Zuerkennung dieser Leistungen im gesetzlichen Ausmaß.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Witwe einen Teilersatz der Bestattungskosten sowie die Witwenrente ab 11.3.1995 jeweils im gesetzlichen Ausmaß sowie den mj. Kindern die Waisenrente ebenfalls ab 11.3.1995 im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Es beurteilte den eingangs (zusammengefaßt) wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß das Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 175 ASVG zu bejahen sei. Der Sekundenherztod sei bei Erbringung der Arbeitsleistung eingetreten, wobei zeitlicher, örtlicher und auch ursächlicher Zusammenhang gegeben sei. Dafür, daß es zumindest gleich wahrscheinlich wäre, daß eine andere Ursache dieselbe Folge etwa zur selben Zeit herbeigeführt hätte und diese Ursache in naher Zukunft (innerhalb eines Jahres) auch tatsächlich vorgekommen wäre, lägen keine Hinweise vor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, daß es gemäß § 89 Abs 2 ASGG das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte und der beklagten Partei überdies auftrug, den Klägern ab 11.3.1995 bis zur Erlassung der die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheide vorläufige Zahlungen von monatlich jeweils S 2.500,‑- (betreffend Witwen‑ und Waisenrente) bzw S 10.000,‑- (betreffend Teilersatz der Bestattungskosten) zu leisten. Das Berufungsgericht übernahm hiebei die Feststellungen des Erstgerichtes und auch dessen rechtliche Beurteilung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerechte, auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte und gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision der beklagten Partei, in welcher die Abänderung des angefochtenen Urteiles im Sinne einer Klagsabweisung begehrt wird; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Zu den rechtlichen Ausführungen der Revision hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Daß der Tod des Versicherten (Vater bzw Gatte der Kläger) bei Verrichtung einer Tätigkeit im Zusammenhang mit seinem Beruf als Zimmererpolier auf einer Baustelle zur Errichtung eines Dachstuhles und dort unmittelbar nach dem (gemeinsam mit einem Mitarbeiter erfolgten) Tragen eines überschweren Holztrams (von ca 150 bis 200 kg) erfolgte, bestreitet die beklagte Partei nicht. Daß ein Herzinfarkt (Sekundenherztod) im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Belastungen grundsätzlich als ein Arbeitsunfall im Sinne der §§ 175176 ASVG angesehen werden kann, hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen SSV‑NF 9/17 (Jagdaufseher) sowie erst jüngst auch zu 10 ObS 46/97f = infas 1997 S 45 (Feuerwehrmann) ausführlich dargetan, sodaß zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf verwiesen werden kann. Die von der Revisionswerberin für wesentlich und noch aufklärungsbedürftig erachtete Frage, ob den Versicherten in naher Zukunft (innerhalb etwa eines Jahres) ein nicht unter Unfallversicherungsschutz stehendes (anderes) Ereignis mit derselben Todesfolge ereilt und dieselbe Folge wie der Arbeitsunfall ausgelöst hätte (erwähnt wird als Beispiel ‑ ohne daß sich aus dem Akt hiezu irgendwelche Nachweise ergeben - nur die Teilnahme des Versicherten an Schirennen), ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen und keine Rechtsfrage (SSV‑NF 6/120, 10 ObS 20/96, 10 ObS 46/97f). Hiezu hat aber das Erstgericht festgestellt (und das Berufungsgericht hat diese Feststellungen übernommen), daß bei einer Tätigkeit oder Verrichtung des täglichen Lebens bei Andreas R***** "innerhalb des nächsten Jahres mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als durch das gegenständliche ein Sekundenherztod eingetreten wäre".

In der mehrfach veröffentlichten (SSV‑NF 5/140 = DRdA 1992/48 = JBl 1992, 469) Grundsatzentscheidung des Senates 10 ObS 278/91 wurde - mit ausführlicher (auch auf die Argumente des zum Teil abweichenden Schrifttums eingehender) Begründung sowie in Präzisierung der früheren zum Anscheinsbeweis in Sozialrechtssachen ergangenen Entscheidungen SSV‑NF 2/65, 4/85 und 4/150 ‑ ausgesprochen, daß im Verfahren über einen Anspruch aus Arbeitsunfällen die in der Rechtsprechung entwickelten Regeln des Anscheinsbeweises modifiziert anzuwenden seien; auch dann, wenn noch andere Ursachen in Betracht kommen, müsse nur feststehen, daß die Körperschädigung eine typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses sei, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand und daher ein Arbeitsunfall war. Steht aufgrund dieses Anscheinsbeweises der Arbeitsunfall als Ursache der Körperschädigung fest, so genügt der Anscheinsbeweis nur dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß eine andere Ursache die Körperschädigung im selben Ausmaß und etwa zur gleichen Zeit herbeigeführt hätte; zufolge § 87 Abs 1 ASGG trifft die Beweisführungslast für das Vorliegen eines solchen Ereignisses in naher Zukunft nicht eine einzelne Partei, sondern hat das Gericht solche Beweise unter Umständen auch durchaus von Amts wegen aufzunehmen (10 ObS 46/97f mwN).

In den bereits zitierten (späteren) Entscheidungen SSV‑NF 9/17 und 10 ObS 46/97f hat der erkennende Senat - bei jeweils identen Sachverhalten eines ebenfalls durch plötzlichen Herztod Verstorbenen - dies dahingehend weiter präzisiert, daß zur Widerlegung des von den jeweiligen Klägern erbrachten Anscheinsbeweises (daß nämlich der Tod des Versicherten durch den Arbeitsunfall wesentlich mitverursacht wurde), nicht der Beweis einer bloß abstrakten Möglichkeit genüge, sondern vielmehr die konkrete, zumindest gleich hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes bewiesen werden müsse; der Senat erachtete daher Feststellungen darüber für erforderlich, welche konkreten anderen - alltäglichen - Ereignis dieselbe Schädigung (Tod) ausgelöst hätten, denn nur dann könne beurteilt werden, ob derartige Ereignisse in naher Zukunft tatsächlich eingetreten wären, wobei eine hohe Wahrscheinlichkeit genügen würde (ebenso auch schon SSV‑NF 7/10). Als alltäglich wären dabei nur Belastungen anzusehen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit, wenn auch nicht jeden Tag, im Leben (des Betroffenen) auftreten, wie normales oder beschleunigtes Gehen, kurzes schnelles Laufen, Treppensteigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen (SSV‑NF 8/26; 10 ObS 46/97f). Daß solche - alltäglichen (!) - Belastungen zum Eintritt einer identen Todesfolge geführt hätten, wobei eine Verfrühung des Körperschadens odes Todes durch den Unfall um mehr als ein Jahr jedenfalls als erheblich anzusehen wäre, ist indes nach den für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen auszuschließen. Die zum Tod des Andreas R***** führenden Umstände wären zwar durchaus auch noch im selben Jahr möglicherweise aufgetreten, dann allerdings - feststellungskonform ‑ wiederum ausschließlich in bezug auf seine berufliche Tätigkeit als Arbeitnehmer; diesbezüglich steht nämlich fest, daß er einem solchen erhöhten Zeitdruck (samt sonstigen Belastungsmomenten) vier‑ bis fünfmal jährlich ja nur auf vergleichbaren Baustellen (wo er abermals als Zimmererpolier eingesetzt gewesen wäre) ausgesetzt worden wäre. Die beklagte Partei vermag in ihrem Rechtsmittel als Alternativsituation für eine gleichermaßen todesanfällige Belastungssituation auch nur den Fall einer "im Raum stehenden Teilnahme an Schirennen" zu nennen, wofür aber weder die Inhalte der drei verbundenen Gerichtsakten noch der angeschlossene Pensionsakt auch nur das geringste Indiz geben.

Aus allen diesen Erwägungen war der Revision der beklagten Partei somit keine Folge zu geben.

Eine Kostenentscheidung konnte entfallen, weil sich die Kläger am Revisionsverfahrens mangels Erstattung einer Revisionsbeantwortung nicht beteiligten und ihnen daher auch keine erstattungsfähigen Kosten hiefür erwuchsen.

Stichworte