OGH 12Os138/18p

OGH12Os138/18p5.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2019 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Fleischhacker in der Rechtshilfesache betreffend Mihael K***** wegen Beschlagnahme einer Liegenschaft durch gerichtliches Verbot der Veräußerung und Belastung, AZ 8 HR 35/12d des Landesgerichts Klagenfurt, über die Anträge des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO vom 30. August 2017 und 12. November 2018 in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00138.18P.1205.000

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Beschluss vom 15. Februar 2012, GZ 8 HR 35/12d‑4 des Landesgerichts Klagenfurt, wurde Mihael K***** in dem aufgrund eines Rechtshilfeersuchens des US‑Department of Justice vom 26. Jänner 2012 geführten Verfahren über Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt verboten, die ihm gehörige Liegenschaft EZ ***** GB ***** zu veräußern und/oder zu belasten. Diese Maßnahme wurde vorerst bis 15. Februar 2015 befristet und in der Folge bis 15. Februar 2016 verlängert (ON 14).

Dem vorliegenden Rechtshilfeersuchen liegt eine in den Vereinigten Staaten von Amerika erhobene Anklage wegen der – in einem Tatzeitraum von etwa 2000 bis zumindest 2008 – begangenen Verschwörung zur Geldwäsche, der Verschwörung zum Vertrieb anaboler Steroide und der Verschwörung zum Import von anabolen Steroiden in die Vereinigten Staaten und eine einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts der Vereinigten Staaten für den Bezirk des Bundesstaats Massachusetts vom 27. Oktober 2010 zugrunde, der zufolge die Erhaltung der Verfügbarkeit des genannten Grundstücks des Mihael K***** gesichert werden soll, um im Fall einer Verurteilung samt erklärter Einziehung jeglichen Eigentums, das aus Erlösen der Straftaten stammt, die Vollstreckung zu ermöglichen (vgl im Einzelnen ON 4 S 2 bis 9).

Mit Beschluss vom 13. Februar 2017 (ON 35) hat das Rechtshilfegericht Mihael K***** gemäß § 115 Abs 4 (§ 109 Abs 2 lit b) iVm Abs 1 Z 3 StPO unter sinngemäßer Anwendung des § 379 EO weiterhin verboten, die in Rede stehende Liegenschaft zu veräußern und/oder zu belasten. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme wurde – beruhend auf den Grundsätzen des § 58 ARHG – bis 15. Februar 2018 befristet.

Der dagegen gerichteten Beschwerde des Mihael K***** gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 20. April 2017, AZ 9 Bs 9/17m (ON 38), nicht Folge.

Mit weiterem Beschluss vom 15. Jänner 2018 (ON 44) hat das Rechtshilfegericht Mihael K***** gemäß § 115 Abs 4 (§ 109 Z 2 lit b) iVm Abs 1 Z 3 StPO unter sinngemäßer Anwendung des § 379 EO „ausgehend“ von den (Vor-)Beschlüssen ON 4 und ON 14 weiterhin verboten, die in Rede stehende Liegenschaft zu veräußern und/oder zu belasten. Gemäß § 115 Abs 5 StPO wurde – wie bereits zuvor – ein Geldbetrag von 4 Mio Euro festgesetzt, gegen dessen Erlag die Beschlagnahme aufgehoben werde. Die Wirksamkeit der Maßnahme wurde bis 15. Februar 2019 befristet.

Auch der dagegen gerichteten Beschwerde des Mihael K***** gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 17. Mai 2018, AZ 9 Bs 43/18v (ON 50), nicht Folge und begründete dies – im Wesentlichen ebenso wie im obgenannten Beschluss vom 20. April 2017 – insbesondere damit, dass die relevierte Unzulässigkeit einer fortdauernden Befristung der Gesetzeslage nicht zu entnehmen sei. Hinsichtlich des reklamierten Grundrechts auf ein faires Verfahren sowie eine Verletzung des Beschleunigungsgebots komme dem Verhalten des Beschwerdeführers insofern besondere Bedeutung zu, als in seiner Auslieferungssache in Österreich eine rechtskräftige (positive) Entscheidung vorliege, deren Vollzug er sich bislang entziehe. Es liege daher an ihm selbst, eine Beendigung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens in den Vereinigten Staaten von Amerika zu erreichen. Mit Blick auf die Massivität der dort gegen ihn erhobenen Vorwürfe (ua werde von einem aus den Straftaten resultierenden „Verdienst“ von über 50 Mio US‑Dollar ausgegangen) sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht in Ansehung der gegenständlichen, vom Beschwerdeführer auch nicht als Hauptwohnsitz genützten Liegenschaft nicht zu ersehen.

Zu der in dieser Beschwerde enthaltenen Anregung, das Oberlandesgericht Graz möge ein Vorabentscheidungsverfahren beantragen, merkte das Beschwerdegericht an, dass in diese die Grundlage für die Anwendbarkeit von Unionsrecht nicht deutlich dargelegt werde, und bei der gegenständlichen Konstellation mit Bezug auf die relevierten Grundrechte aktuell ausreichende diesbezügliche Bedenken nicht aufgezeigt würden oder bestünden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Beschlüsse richten sich – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützte – (rechtzeitige) Anträge des Mihael K***** auf Erneuerung des Strafverfahrens, die eine Verletzung von Art 6 und (in Ansehung seiner Anregung in seiner zuletzt genannten Beschwerde) Art 13 MRK, Art 1 des 1. ZPMRK sowie von Art 17 und Art 47 GRC geltend machen.

Am 15. März 2018 fasste der Oberste Gerichtshof zu 12 Os 107/17b, 108/17z (nunmehr 12 Os 135/19y, 136/19w) den Beschluss, die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 23. Jänner 2017 zu 13 Os 49/16d gestellten Antrag auf

Vorabentscheidung abzuwarten. In diesem Ersuchen war die Rechtsfrage gestellt worden, ob das Unionsrecht dahin auszulegen sei, dass es den Obersten Gerichtshof verpflichtet, über Antrag eines Betroffenen die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Strafgerichts hinsichtlich behaupteter Verletzung von Unionsrecht vorzunehmen, wenn das nationale Recht (§ 363a StPO) eine solche Überprüfung nur hinsichtlich behaupteter Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle vorsieht. Eine solche Verpflichtung hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 24. Oktober 2018 verneint (EuGH 24. 10. 2018, C-234/17 , XC ua).

Mit Entscheidung des verstärkten Senats vom 30. November 2018, AZ 13 Os 49/16d, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens auch im von der Rechtsprechung (13 Os 135/06m, SSt 2007/53; RIS-Justiz RS0122228) erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden kann.

Der Erneuerungsantrag ist daher in Ansehung der Relevierung einer Verletzung von Art 17 und 47 GRC schon aus diesem Grund unzulässig (vgl RIS‑Justiz RS0132365).

Zum Vorbringen des Erneuerungswerbers im Übrigen:

Weil dem Betroffenen in ein und derselben Sache nur ein Erneuerungsantrag zusteht (vgl RIS-Justiz RS0123231, RS0122736 [T11], RS0122737 [insbesondere T11, T37 und T42]), erweist sich der Versuch des Mihael K*****, nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 14. Juli 2016, AZ 9 Bs 82/16a (ON 29), nachfolgende Entscheidungen im Verfahren, die sich inhaltlich ausschließlich mit der schon seinerzeit relevierten Zulässigkeit der Beschlagnahme seines Grundstücks aufgrund des Rechtshilfeersuchens des US-Departments of Justice vom 26. Jänner 2012 auseinandersetzen, ohne Veränderung der Beurteilungsgrundlage mit Erneuerungsantrag zu bekämpfen, als unzulässig.

Davon abgesehen sind die Anträge aber auch mit ihrem Hinweis auf die seither verstrichene Zeitspanne offenbar unbegründet.

Einleitend sei darauf hingewiesen, dass Rechtshilfeersuchen – sofern nicht besondere, hier nicht ersichtliche Umstände vorliegen – nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fallen ( Meyer‑Ladewig/et al , EMRK 4 Art 6 Rz 32; vgl auch Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 6 § 24 Rz 28; zum Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK auf Verfahren über Beschlagnahmungen vgl RIS-Justiz RS0120771 [T1] = Bsw 69917/01).

Wenn eine Entscheidung, deren Vollzug im Rechtshilfeweg beantragt wird, von den Gerichten eines Landes stammt, das die MRK nicht anwendet, sind innerstaatliche Gerichte § 51 Abs 1 Z 2 ARHG zufolge verpflichtet, sich davon zu überzeugen, dass der betroffenen Person im ersuchenden Staat keine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens droht (vgl RIS-Justiz RS0123200 [T6]). Das Oberlandesgericht Graz ging in seinen Beschwerdeentscheidungen – so auch in jenen vom 20. April 2017 und 17. Mai 2018 – zu Recht davon aus, dass die behauptete Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die US-amerikanischen Behörden nicht vorliegt. Soweit der Erneuerungswerber einwendet, er sei nicht zu einer Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Behörden verpflichtet, ist dies grundsätzlich zutreffend, daraus resultierende Verzögerungen werden dem Staat jedoch nicht zugerechnet ( Meyer-Ladewig/Harrendorf/König aaO; Meyer‑Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK4 Art 6 Rz 201).

Soweit der Antragsteller vermeint, es könne ihm ein Eingriff in sein Eigentumsrecht mangels Verhältnismäßigkeit nicht zugemutet werden, ohne dass eine strafrechtliche Entscheidung ergehe, und in diesem Zusammenhang auf seiner Ansicht nach bestehende Versäumnisse der US‑amerikanischen Justizbehörden (insbesondere die Unterlassung eines Ersuchens um Strafverfolgung an seinen Heimatstaat Slowenien [wohin er sich nach Bewilligung der Auslieferung durch Österreich begeben hat; vgl BS 4]), legt er wiederum nicht dar, weshalb der Grundrechtsschutz diesfalls in Österreich zu reklamieren sei (vgl 11 Os 119/09y).

Der offenbar wiederum als Replik auf die Erwägung des Beschwerdegerichts, Mihael K***** könne eine Beendigung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens in den Vereinigten Staaten von Amerika erreichen, indem er sich diesem stelle, erhobene Vorwurf einer absolut „disproportional hohen Strafe“ (Art 3 MRK) ist im vorliegenden Verfahren nicht von Relevanz. Im Übrigen ist der Erneuerungswerber auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu AZ 14 Os 41/12d über seinen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam in der gegen ihn geführten Auslieferungssache AZ 8 HR 255/11f des Landesgerichts Klagenfurt zu verweisen, in welcher diesem auch im dort erhobenen Einwand Berechtigung nicht zuerkannt wurde (zur Reichweite des Art 3 MRK [im Verhältnis zu den USA] vgl im Übrigen auch jüngst 14 Os 142/18s mwN).

Unter dem Aspekt des Art 1 des 1. ZPMRK prüft der Oberste Gerichtshof Eingriffe in das Eigentumsrecht nur dahin, ob das staatliche Recht offensichtlich falsch angewendet wurde oder die Gerichte zu willkürlichen Ergebnissen gekommen sind (12 Os 123/14a; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK4 Art 1 1. ZP Rz 34). Vorliegend hat das Oberlandesgericht die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme insbesondere mit Blick auf den aus der Straftat laut Anklagevorwurf erzielten Gewinn bejaht, sodass trotz des Zeitablaufs angesichts der den Gerichten nicht zurechenbaren Gestion des Erneuerungswerbers von einer im dargelegten Sinn qualifizierten Fehleinschätzung nicht die Rede sein kann.

Entgegen dem Erneuerungsantrag wurde im Beschwerdeverfahren durch die Ablehnung der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art 267 AEUV zur Frage, ob „insbesondere Art 47 GRC und Art 17 GRC“ so auszulegen sind, dass sie einer nationalen Maßnahme entgegenstehen, die vorsieht, dass in Rechtshilfesachen die Beschlagnahme immer wieder verlängert wird, obwohl bei Beobachtung der Aktivität des ersuchenden Staates mit einer Verfahrensbeendigung nicht gerechnet werden kann, nicht gegen den (der Sache nach angesprochenen) Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK verstoßen. Denn einerseits hat das Oberlandesgericht auf den auf die Durchführung des Unionsrechts durch innerstaatliche Organe beschränkten Anwendungsbereich der GRC hingewiesen (vgl Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher , GRC-Kommentar Art 51 Rz 28 ff), andererseits ist angesichts der vom Beschwerdegericht angestellten Erwägungen zu einem – wie dargelegt – auch unter dem Gesichtspunkt der vergleichbaren Schutznorm des Art 1 des 1. ZPMRK zu berücksichtigenden Verhalten des Erneuerungswerbers keine in einem (gegebenenfalls von Amts wegen zu veranlassenden) Vorabentscheidungsverfahren klärbare Auslegungsfrage ersichtlich, weshalb ein willkürliches Vorgehen zu verneinen ist (vgl Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 6 Rz 72; 15 Os 82/16x).

Soweit der Erneuerungswerber in diesem Zusammenhang die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Obersten Gerichtshof beantragt, genügt der Hinweis, dass einer Prozesspartei kein diesbezügliches Recht zukommt (RIS-Justiz RS0058452).

Die Erneuerungsanträge waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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