OGH 5Ob141/19z

OGH5Ob141/19z22.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj A*, geboren am *, und des mj N*, geboren am *, beide vertreten durch die Mutter V*, diese vertreten durch Dr. Gabriele Vana‑Kowarzik, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters A*, vertreten durch Mag. Florian Kucera, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Mai 2019, GZ 44 R 171/19a‑99, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 25. Februar 2019, GZ 38 Pu 4/18f‑89, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126724

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur mehr die Frage, ob im konkreten Fall das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ anzuwenden ist.

Das Erstgericht verneinte dies mit der Begründung, die Betreuung der beiden Kinder sei zwar seit Anfang Juni 2016 gleichteilig, der Vater habe sich aber in den Jahren 2015 bis 2018 nicht bzw nur unzureichend an den laufenden Naturalleistungen beteiligt. Ausgehend von der weit überdurchschnittlichen Betreuung gab es dem Herabsetzungsantrag des Vaters – auch für die Vergangenheit – teilweise statt und kürzte den ermittelten Prozentunterhalt um (bis 31. 5. 2016) 35 % bzw (ab diesem Zeitraum) 50 %.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Ob Zahlungen, die aufgrund eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Unterhaltstitels als Unterhalt geschuldet waren, eine Überzahlung waren, stehe erst nachträglich nach rechtskräftiger Entscheidung über einen Herabsetzungsantrag fest. Etwaige Überzahlungen des Vaters seien daher nicht als bedarfsdeckende Naturalleistungen zu werten. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur „Übergangsproblematik von einer Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzmethode zum betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“, insbesondere dazu, ob im Zeitpunkt der Leistung aufgrund eines Titels geschuldete Unterhaltsleistungen nachträglich als Überzahlungen und damit gleichwertiger Beitrag zu bedarfsdeckenden Naturalleistungen gewertet werden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der – von den Antragstellern beantwortete – Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig und vermag auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.

1.1. Die Anwendung des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“, das zu einem Entfall des Geldunterhaltsanspruchs des Kindes führt, setzt nach der mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs voraus, dass die Betreuungs‑ und Naturalleistungen in etwa gleichwertig sowie die Einkommen der Eltern etwa gleich hoch sind oder jeweils einen über der „Luxusgrenze“ liegenden Unterhaltsanspruch zulassen. Ins Gewicht fallende Einkommensunterschiede führen zu einem Restgeldunterhaltsanspruch gegen den besser verdienenden Elternteil (RIS‑Justiz RS0131331; 8 Ob 89/17x mwN; zuletzt 1 Ob 13/19x).

1.2. Der Oberste Gerichtshof hat anhand festgestellter Betreuungstage ein Betreuungsverhältnis von 4:3 (4 Ob 206/15w), von 43 zu 57 % (4 Ob 16/13a) oder 55 zu 45 % (6 Ob 55/16f) als annähernd gleichwertig beurteilt. Zuletzt hat der erkennende Senat zu 5 Ob 189/18g – den Entscheidungen 8 Ob 89/17x und 10 Ob 58/18d folgend – die Auffassung abgelehnt, eine Betreuung sei bereits dann gleichwertig, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuungsleistung erbringe (RS0130654 [T1]).

1.3. Für den Zeitraum bis 31. 5. 2016 muss das vom Vater reklamierte betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell hier bereits daran scheitern, dass er nach den festgestellten Betreuungszeiten bis zu diesem Zeitpunkt seine Söhne nur zu 35 % betreute, was nach der dargestellten Judikatur nicht als annähernd gleichwertig zu beurteilen ist.

2.1. Ab 1. 6. 2016 sind die Betreuungszeiten völlig gleichwertig. An laufenden „langlebigen“ Kosten für die Minderjährigen beteiligte sich der Vater allerdings nicht, er übernahm nur Kosten für einen Gitarrenkurs, Schwimmkurse, ein Pfingst‑ und ein Sommercamp und Sportveranstaltungen. Außerdem schaffte er Lernhilfen in Form von Übungsbüchern an. Kindergarten, Kleidung, Netzkarte der Wiener Linien, Schulsachen, Schuhe, Elternvereinsbeiträge und weitere derartige Aufwendungen trug allein die Mutter.

2.2. Der Vater argumentiert in seinem Revisionsrekurs damit, es sei grotesk, das Geld, das er aufgrund des Unterhaltstitels bezahlt habe, nicht nur ihm nicht gutzuschreiben, sondern im Gegenteil die aus seinen Unterhaltsbeiträgen stammenden Zahlungen zugunsten der Mutter zu veranschlagen. Damit verkennt er aber das Wesen der Leistung von Geldunterhalt einerseits und Naturalunterhalt andererseits:

2.3. Naturalunterhalt ist nach gesicherter Rechtsprechung (RS0116145) die unmittelbare Befriedigung angemessener Kindesbedürfnisse durch Sachleistungen oder Dienstleistungen, die der Unterhaltspflichtige selbst erbringt oder deren Erbringung durch Dritte er bezahlt. Die Bezahlung von Wohnungsbenützungskosten kann etwa dem Naturalunterhalt der Unterkunftsgewährung an das Kind entsprechen, auch die Übergabe von Wirtschaftsgeld an die haushaltsführende Person könnte als Naturalunterhalt für das Kind gewertet werden. Zum Naturalunterhalt gehört auch ein dem Kindesalter und den elterlichen Vermögensverhältnissen angemessenes Taschengeld. Grundsätzlich erfüllt derjenige Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, gemäß § 231 Abs 2 erster Satz ABGB seine Unterhaltspflicht, während der andere Elternteil geldunterhaltspflichtig wird. Der nicht geldunterhaltspflichtige Elternteil hat vom Unterhalt alle über die tägliche Versorgung des Kindes hinausgehenden Kosten bis hin zur Grenze des Sonderbedarfs zu tragen. Die Betreuung und Versorgung des Kindes durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt hat keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht, sie vermögen den Geldunterhalt nicht zu schmälern (1 Ob 151/16m). Der zu leistende Geldunterhalt ist dann zu reduzieren, wenn der Unterhaltspflichtige auch – über das übliche Kontaktrecht hinaus – Naturalunterhalt leistet (RS0047452 [T6]). Dabei ist aber nicht von den Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen, sondern ausschließlich von den ersparten Aufwendungen des anderen Elternteils auszugehen (RS0047452 [T1, T9]; jüngst 5 Ob 189/18g mwN).

3.1. Hier ist nicht strittig, dass der Revisionsrekurswerber geldunterhaltspflichtig war und– jedenfalls in dem von ihm zugestandenen Ausmaß eines Restgeldunterhaltsanspruchs aufgrund des deutlichen Einkommensunterschieds der Eltern (er verdient gut viermal so viel wie die Mutter) – auch nach wie vor ist. Dass die Mutter von dem von ihm geleisteten titelgemäßen Unterhaltszahlungen von 450 EUR pro Kind in der Vergangenheit sämtliche laufenden Kosten im Wesentlichen alleine bezahlt hat, entspricht dem gesetzlichen Modell und der Aufgabenteilung zwischen dem betreuenden und dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil. Durch seine Zahlungen hat der Vater – wie er selbst zugesteht – nichts anderes getan, als seine titelmäßig festgesetzte Geldunterhaltspflicht zu erfüllen; für die von ihm offenbar angestrebte Umwidmung dieser Zahlung auf – teilweisen – Beitrag zu Naturalunterhalt besteht angesichts dessen keine Grundlage.

3.2. Die vom Rekursgericht angesprochene „Übergangsproblematik“ ist hier nicht zu erörtern. Auch im außerstreitigen Unterhaltsverfahren hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen, somit der Unterhaltspflichtigte seine geminderte oder fehlende Leistungsfähigkeit, die Bedürfnisminderung des Unterhaltsberechtigten oder das Bestehen weiterer gesetzlicher Sorgepflichten zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 187/15s mwN; RS0006261 [T2, T6, T8, T14], RS0111084, RS0047536). Es war daher Sache des Revisionsrekurswerbers, der zu seinen Gunsten die Umstellung auf das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell fordert, zu behaupten und zu beweisen, dass er – in dem dafür in Betracht kommenden Zeitraum ab 31. 5. 2016 – in etwa gleichem Ausmaß Naturalleistungen tatsächlich erbracht hat. Dieser Beweis ist ihm nicht gelungen, konnte das Erstgericht eine Beteiligung an „langlebigen“ Naturalleistungen wie Kleidung, Schuhe, Aufwendungen für Kindergarten und Schule doch nicht feststellen. Ob eine von ihm abgegebene (unwiderrufliche) Erklärung, auf die Rückforderung von sich allenfalls aus dem Unterhaltsherabsetzungsverfahren ergebenden Überzahlungen gegenüber den Minderjährigen zu verzichten, überhaupt – wie vom Rekursgericht offenbar angedacht – im Sinn der eingangs zitierten Rechtsprechung als unmittelbarer Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung im Weg der Naturalleistung (vgl RS0116145) gewertet werden könnte, kann dahinstehen. Eine derartige Erklärung gab der Vater im Verfahren nie ab, sodass ihm aufgrund der – insoweit bereits mangels Rekurs der Minderjährigen in Rechtskraft erwachsenen – rückwirkenden Herabsetzung seiner Geldunterhaltspflicht an sich bereits ein Rückforderungsanspruch gegenüber den Minderjährigen erwachsen ist. Die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage stellt sich aus diesem Grund daher nicht. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG liegt aber dann nicht vor, wenn Fragen bloß theoretischer Natur gelöst werden sollen (RS0111271).

3.3. Der vom Revisionsrekurswerber vermissten Erweiterung der Judikatur bedarf es nicht. Die Vorinstanzen haben von ihm nicht etwa gefordert, zusätzlich zur Erfüllung seiner Geldunterhaltspflicht gleichwertige Naturalleistungen zu erbringen, sondern nur die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells im konkreten Fall verneint. Dies hält sich im Rahmen bereits vorliegender höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Dem Revisionsrekurswerber wäre es freigestanden – mangels einer grundsätzlich bei einer beabsichtigten Umstellung auf das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell wohl zu suchenden Einigung mit der Mutter –, in etwa gleichwertige Naturalleistungen für die Kinder etwa für Kleidung oder Schulgeld zu erbringen und die von ihm zu leistenden Geldunterhaltsbeiträge entsprechend zu reduzieren. Einer dessen ungeachtet eingeleiteten Exekution hätte er einen Oppositionsantrag mit dem Argument entgegenhalten können, der Unterhaltsanspruch laut Titel sei aufgrund geänderter Verhältnisse und des Umstiegs auf das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell (zumindest teilweise) erloschen. Dass der Vater gezwungen gewesen wäre, den vollen Geldunterhalt laut Exekutionstitel zu zahlen und zusätzlich gleichwertige Naturalleistungen zu erbringen, ist in dieser Allgemeinheit daher nicht richtig.

4. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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